BT-Drucksache 18/8167

Identifizierung und Verfolgung von Personen anhand der Fingerabdruckdaten in europäischen Polizeidatenbanken

Vom 14. April 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/8167
18. Wahlperiode 14.04.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Andrej Hunko, Annette Groth, Inge Höger, Ulla Jelpke,
Jan Korte, Niema Movassat, Alexander Ulrich und der Fraktion DIE LINKE.

Identifizierung und Verfolgung von Personen anhand der Fingerabdruckdaten
in europäischen Polizeidatenbanken

Schon jetzt sind das Visa-Informationssystem (VIS) und die Fingerabdruckdaten-
bank EURODAC der Europäischen Union mit einem Automatisierten Fingerab-
druck-Identifizierungs-System (AFIS) ausgestattet (Zeitschrift Bürgerrechte &
Polizei – CILIP, Ausgabe 1/2016). Die Europäische Kommission arbeitet derzeit
an der Inbetriebnahme der Fingerabdruck-Funktionalität auch für das Schengener
Informationssystem der zweiten Generation (SIS II). Der noch geringe Bestand
von 90 000 Fingerabdrücken darf bislang nur zur Identitätsfeststellung genutzt
werden (Ratsdokument 6720/16). Auch im Europäischen Strafregisterinformati-
onssystem (ECRIS) könnten nach derzeitiger Planung Fingerabdrücke verarbeitet
werden. Die deutsche Kopfstelle im ECRIS-Verbund ist das Bundesamt für Jus-
tiz. Das Bundesministerium des Innern und das Bundesministerium der Justiz und
für Verbraucherschutz prüfen nun die für eine Fingerabdruck-Funktionalität er-
forderlichen Infrastrukturen. AFIS werden auch in anderen Datenbanken für die
nationale und die grenzüberschreitende Zusammenarbeit eingesetzt. Laut einem
Vorschlag des deutschen Bundesinnenministers Dr. Thomas de Maizière (CDU)
könnten weitere Datenbanken folgen. Die Europäische Kommission arbeitet der-
zeit an einem Vorschlag für das Einreiseregister „Intelligente Grenzen“, das sämt-
liche Übertritte einer EU-Außengrenze protokollieren und Namen sowie Finger-
abdrücke der Reisenden zentral speichern soll (Bundestagsdrucksache 18/7835).
Wie die Datenbanken SIS II, VIS und EURODAC würde „Intelligente Grenzen“
von der Europäischen Agentur für das Betriebsmanagement von IT-Großsyste-
men (eu-LISA) verwaltet werden.
Die Bundesregierung schlägt nun vor, Fingerabdrücke und dazugehörige Perso-
nendaten in einem „Kernsystem“ zu speichern (ARD – Bericht aus Berlin vom
3. April 2016). Die übrigen, ebenfalls Fingerabdrücke enthaltenden Datenbanken
würden als „Module“ angebunden werden, die darüber hinaus weitere Einzelin-
formationen enthalten können. Auf diese Weise will Dr. Thomas de Maizière
„vorhandene Erkenntnisse systematisch zusammenführen“. Biometrische Daten
sowie dazugehörige „Kerndaten“ würden grundsätzlich nur noch einmal erfasst
werden. Eine Software prüft dann, ob die Fingerabdrücke bereits in einer anderen
Datenbank vorhanden sind. Ist dies der Fall, wird automatisch der beste und um-
fangreichste Datensatz genutzt. Im Idealfall sollen zu jeder Person zehn Finger-
abdrücke vorliegen (die sogenannten 10-Finger-Sätze). Grenzbehörden haben
hierzu jedoch bereits Bedenken angemeldet, denn bei einer Grenzkontrolle von
wenigen Sekunden können höchstens Abdrücke von vier Fingern abgenommen
werden.

Drucksache 18/8167 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
 

Die Europäische Union plant noch dieses Jahr die Verabschiedung eines Passa-
gierdatenregisters (Passenger Name Record – PNR), das ein bereits vorhandenes
System zum Austausch von Fluggastdaten (Advance Passenger Information –
API) erweitern soll. Eigentlich war das EU-PNR als dezentrale Plattform der Mit-
gliedstaaten gedacht, die Bundesregierung regt nun die Zentralisierung im „Kern-
system“ bei eu-LISA an.
Das von Deutschland geforderte „Kernsystem“ könnte auch mithilfe von „laten-
ten“ Fingerabdruckspuren durchsucht werden. Gemeint sind daktyloskopische
Daten, die an Tatorten, Unfallstellen oder auch im verdeckten Verfahren durch
Geheimdienste ermittelt oder gefunden wurden. Das Bundesinnenministerium
fordert zudem erweiterte Suchmöglichkeiten im „Kernsystem“ und den ange-
schlossenen Datenbanken. Damit sollen Verbindungen unter den enthaltenen In-
formationen gefunden werden.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Was ist der Bundesregierung aus Ratsarbeitsgruppen darüber bekannt, wel-

che Ergebnisse die britische und französische Regierung anläßlich ihres
jüngsten „Franco-British Summit“ vom 3. März 2016 in Amiens den Dele-
gationen der EU-Mitgliedstaaten bekannt gemacht haben bzw. welche Vor-
schläge und Forderungen hinsichtlich eines Ausbaus des polizeilichen Da-
tentauschs vorgetragen wurden?

2. Wie viele Fingerabdruckdatensätze sind nach Kenntnis der Bundesregierung
derzeit im Visa-Informationssystem (VIS), der Fingerabdruckdatenbank
EURODAC, im Schengener Informationssystem der zweiten Generation
(SIS II) und im Europol-Informationssystem (EIS) gespeichert?
a) Inwiefern lässt sich rekonstruieren, in welchem Umfang es sich dabei um

10-Finger-Sätze handelt bzw. wie viele einzelne Abdrücke gespeichert
sind?

b) Mit welchen weiteren Daten oder Zusatzinformationen werden die im
VIS, in EURODAC und im SIS II gespeicherten Fingerabdrücke angerei-
chert (etwa Angaben zum Geschlecht, Ort und Zeitpunkt des Asylantrags
bzw. Aufgriffs sowie zur erkennungsdienstlichen Behandlung und Daten-
übermittlung oder zu einer standardisierten Kennnummer)?

3. Wie viele Transaktionen zur Abfrage von Fingerabdruckdatensätzen wurden
nach Kenntnis der Bundesregierung im Jahr 2015 im VIS, in EURODAC
und im SIS II vorgenommen, und wie viele davon stammten von deutschen
Behörden?

4. Wie viele der Transaktionen (Anlieferung und Abfrage) wurden wegen man-
gelhafter Qualität abgelehnt?

5. In welchem Umfang machen deutsche Polizeien und Geheimdienste nach der
EURODAC-Neuverordnung (EU) Nr. 603/2013 seit dem Sommer 2015 vom
Zugriff durch nationale Polizeibehörden für polizeiliche Zwecke Gebrauch?

6. Welche Reaktionszeiten sind der Bundesregierung bei der Abfrage von Fin-
gerabdruckdatensätzen im VIS, in EURODAC, im SIS II und im EIS aus
eigener Erfahrung bekannt?

7. Wie viel Zeit benötigt die Abnahme von Fingerabdruckdatensätzen durch die
zuständigen deutschen Behörden (bitte die Szenarien Erkennungsdienstliche
Behandlung, Visa-Antrag, Asylantrag, Ausländer, die bei der irregulären
Einreise an den Außengrenzen aufgegriffen werden, Grenzkontrolle in der
ersten Kontrolllinie unter Zugrundelegung von ein bis vier Fingern und zwei-
ten Kontrolllinie mit 10 Fingern berücksichtigen)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/8167
 

8. Welche weiteren internationalen, europäischen und deutschen Datenbanken
oder Verfahren zum polizeilichen Informationsaustausch sind nach Kenntnis
der Bundesregierung mit einem Automatisierten Fingerabdruck-Identifizie-
rungs-System (AFIS) bzw. einem vergleichbaren System ausgestattet?

9. Welcher Zeitplan zur Ausstattung des SIS II mit einem AFIS und einer Fin-
gerabdruck-Suchfunktion ist der Bundesregierung bekannt?
a) Auf welche Weise würde dies bei der deutschen Zentralstelle für das

SIS II umgesetzt, und welche Unternehmen bzw. sonstigen Stellen wür-
den mit der Umsetzung beauftragt werden?

b) Welche Rechtsinstrumente müssten aus Sicht der Bundesregierung geän-
dert werden, um die Nutzung von Fingerabdrücken im SIS II nicht nur als
biometrische Identifikatoren zur Identifizierung von Personen zu ermög-
lichen, sondern um nach „latenten“ Fingerabdrücken suchen zu können?

10. Für welche weiteren internationalen, europäischen und deutschen Datenban-
ken wird nach Kenntnis der Bundesregierung die Ausstattung mit einem
AFIS bzw. einem vergleichbaren System erwogen bzw. wurde diese bereits
beschlossen?
a) Wer ist mit der Prüfung der Erweiterung von europäischen und deutschen

Datenbanken mit einem AFIS beauftragt?
b) Wann soll die Prüfung von für eine Fingerabdruck-Funktionalität im Eu-

ropäischen Strafregisterinformationssystem (ECRIS) bzw. der deutschen
Kopfstelle erforderlichen Infrastrukturen beendet worden sein?

c) Sofern diese Prüfung bereits erfolgte, welche Schlussfolgerungen zieht
die Bundesregierung aus deren Ergebnissen, und welche weiteren Maß-
nahmen werden diesbezüglich veranlasst?

11. Wo sollte das für die Fingerabdrücke und dazugehörige Personendaten vom
Bundesminister des Innern vorgeschlagene „Kernsystem“ aus Sicht der Bun-
desregierung angesiedelt werden?

12. Inwiefern könnten hierfür aus Sicht der Bundesregierung Infrastrukturen des
noch zu errichtenden Systems „Intelligente Grenzen“ genutzt werden?

13. Inwiefern sollten aus Sicht der Bundesregierung auch die EU-Polizeibehörde
Europol und die EU-Agenturen Frontex und Eurojust auf dieses „Kernsys-
tem“ zugreifen dürfen?

14. Welche rechtlichen, administrativen und technischen Änderungen wären
hierfür nach Einschätzung der Bundesregierung erforderlich?

15. Was ist damit gemeint, wenn das Bundesministerium des Innern davon
schreibt, durch erweiterte Suchmöglichkeiten im „Kernsystem“ und den an-
geschlossenen Datenbanken könnten Verbindungen unter den enthaltenen
Informationen gefunden werden (ARD – Bericht aus Berlin vom 3. Ap-
ril 2016)?

16. Inwiefern sollte den zuständigen Behörden aus Sicht der Bundesregierung
auch die Suche nach „Kreuztreffern“ gestattet werden?

17. Mit welchen technischen Verfahren wäre es den auf das „Kernsystem“ zu-
greifenden Behörden aus Sicht der Bundesregierung möglich, zu prüfen, ob
erhobene Fingerabdrücke bereits in einer der integrierten Datenbanken vor-
handen sind?
a) Was ist der Bundesregierung über entsprechende europäische oder deut-

sche Pilotprojekte zur Prüfung eines solchen Verfahrens sowie die darauf
folgende Verarbeitung der Prüfungsergebnisse bekannt?

b) Wer nahm an diesen Pilotprojekten teil?

Drucksache 18/8167 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
 

18. Aus welchen Gründen regt die Bundesregierung die Zentralisierung des ei-
gentlich dezentral konzipierten Passagierdatenregisters (PNR) an, das ein
bereits vorhandenes System zum Austausch von Fluggastdaten (API) erwei-
tern soll und laut dem deutschen Vorschlag im „Kernsystem“ bei der Euro-
päischen Agentur für das Betriebsmanagement von IT-Großsystemen
(eu-LISA) angesiedelt werden sollte?

19. Inwiefern und aus welchen Gründen ist die Bundesregierung der Ansicht,
dass die Richtlinie 2004/82/EG des Rates vom 29. April 2004 über die Ver-
pflichtung von Beförderungsunternehmen, Angaben über die beförderten
Personen zu übermitteln (Nummer und Art des mitgeführten Reisedoku-
ments, Staatsangehörigkeit, vollständiger Name, Geburtsdatum, Grenzüber-
gangsstelle für die Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten, Beför-
derungs-Codenummer, Abreise- und Ankunftszeit, Gesamtzahl der mit der
betreffenden Beförderung beförderten Personen, ursprünglicher Abreiseort)
erneuert oder erweitert werden müsste?

20. Welche der bereits existierenden, mit einer Fingerabdruck-Funktionalität
ausgestatteten europäischen und deutschen Datenbanken können bzw. dürfen
nach Kenntnis der Bundesregierung nach „latenten“ Fingerabdruckspuren
durchsucht werden?

Berlin, den 13. April 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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