BT-Drucksache 18/8165

Entwicklungen der Zahl per Haftbefehl gesuchter Neonazis (Frühjahr 2016)

Vom 14. April 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/8165
18. Wahlperiode 14.04.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Frank Tempel, Dr. André Hahn, Katrin Kunert,
Petra Pau, Martina Renner, Halina Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE.

Entwicklung der Zahl per Haftbefehl gesuchter Neonazis (Frühjahr 2016)

Die Fraktion DIE LINKE. erkundigt sich seit Jahren wiederholt danach, wie viele
per Haftbefehl gesuchte Neonazis sich ihrer Festnahme entziehen. Im Laufe der
Zeit haben die Sicherheitsbehörden dieser Frage deutlich mehr Aufmerksamkeit
geschenkt. Die Erfassung wird inzwischen zweimal jährlich vorgenommen. Im
September 2015 wurden dabei 466 Haftbefehle zu 372 Personen gezählt (vgl.
Bundestagsdrucksache 18/7501), davon wurden 65 Personen wegen Delikten aus
dem Phänomenbereich der Politisch motivierten Kriminalität (PMK) rechts ge-
sucht.
Auffällig aus Sicht der Fragesteller ist dabei, dass 126 der 372 gesuchten Neona-
zis schon seit dem Jahr 2014 oder länger gesucht werden. Das bedeutet, dass es
über einem Drittel dieser Rechtsextremisten dauerhaft gelingt, sich der Fest-
nahme zu entziehen. Nach 70 Neonazis (19 Prozent) wird gar schon seit über
zwei Jahren erfolglos gefahndet. Angesichts dieser Zahlen muss aus Sicht der
Fragesteller geprüft werden, ob und wie sich die Gesuchten der Festnahme gezielt
entziehen und inwiefern die Zahlen auf die Existenz eines Neonazi-Untergrundes
hindeuten.
Die Antwort der Bundesregierung auf die letzte diesbezügliche Kleine Anfrage
(Bundestagsdrucksache 18/7501) lässt aber aus Sicht der Fragesteller nicht erken-
nen, dass die Sicherheitsbehörden dieser Frage mit der notwendigen Konsequenz
nachgehen. So verweist die Bundesregierung zwar darauf, dass alle Fälle, die älter
als ein halbes Jahr sind, „einer besonderen Betrachtung unterzogen“ werden wür-
den, aber eine Auswertung dieser Betrachtung erfolgte bislang nicht. Die Behör-
den beschränken sich auf eine rein „personenbezogene Einzelfallbetrachtung“,
was angesichts der Zahl von weit über 100 zum Teil gewalttägigen Neonazis
problematisch erscheint.
Zudem haben die Fragesteller erhebliche Zweifel an der Interpretation der gestie-
genen Zahl offener Haftbefehle durch die Bundesregierung, die als Grund dafür
exemplarisch lediglich eine „Intensivierung der Erfassung in den Dateien des Po-
lizeilichen Staatsschutzes“ angibt. Das wirft allerdings die Frage auf, warum die
Polizei in der Vergangenheit zögerlich damit war, Neo-nazis auch entsprechend
in ihren Datenbanken als solche zu verzeichnen.

Drucksache 18/8165 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
 

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Gegen wie viele Neonazis lagen zum Zeitpunkt der letzten Erfassung (bitte

Datum angeben) wie viele unvollstreckte Haftbefehle vor?
a) Wie untergliedern sich diese Haftbefehle in solche zur Sicherung des

Strafverfahrens, zur Strafvollstreckung und zur Durchführung asyl- oder
aufenthaltsrechtlicher Bestimmungen?

b) Gegen wie viele Personen lagen Haftbefehle wegen eines PMK-Deliktes
vor (Mehrfachnennungen bitte angeben)?

c) Gegen wie viele Personen lagen Haftbefehle wegen eines Gewaltdeliktes
vor, und bei wie vielen Personen handelte es sich um ein Gewaltdelikt aus
dem PMK-Bereich (Mehrfachnennungen bitte angeben)?

d) Welche Delikte lagen den Haftbefehlen im Einzelnen zugrunde (bitte
vollständig auflisten und dabei jeweils anmerken, ob das Delikt als PMK
und/oder als Gewaltdelikt geführt wird)?

2. In welchen Jahren sind die aktuellen Haftbefehle jeweils ausgestellt worden
(dabei bitte Anzahl der gesuchten Personen nennen und zusätzlich angeben,
ob der Haftbefehl wegen eines PMK-Deliktes, eines Gewaltdeliktes bzw. ei-
nes PMK-Gewaltdeliktes ausgestellt wurde und ob die jeweilige Person als
gewaltbereit gilt)?

3. Wie genau gestaltet sich die „besondere Betrachtung“ jener Fälle, bei denen
der Haftbefehl älter als ein halbes Jahr ist, und wie unterscheidet sich deren
Handhabung von den anderen Fällen?

4. Welche Ergebnisse brachten die bislang durchgeführten Erörterungen, „in-
wiefern sich die betroffenen Personen möglicherweise gezielt der Vollstre-
ckung eines Haftbefehls entziehen und welche konkreten Handlungsoptio-
nen bestehen, dies zu verhindern“ (vgl. Vorbemerkung der Bundesregierung
auf Bundestagsdrucksache 18/7501; bitte ggf. anonymisiert für sämtliche un-
tersuchten Einzelfälle angeben, falls weiterhin keine allgemeinen Schlussfol-
gerungen gezogen worden sind)?

5. Beschränkt sich die sicherheitsbehördliche Bearbeitung der Thematik wei-
terhin nur auf einzelfallbezogene Betrachtungen?
Wenn ja, warum verzichten die Sicherheitsbehörden darauf, aus den einzel-
nen Fällen allgemeine Schlussfolgerungen abzuleiten, insbesondere hinsicht-
lich der Frage,
a) wie es einer dreistelligen Zahl von Neonazis über einen längeren Zeitraum

hinweg gelingen kann, sich der Festnahme zu entziehen, und
b) inwiefern diese untergetauchten Neonazis auf Hilfs- und Unterstützungs-

ressourcen innerhalb der Neonazi-Szene bauen können
(sollten mittlerweile doch diesbezügliche Schlussfolgerungen, Einschätzun-
gen oder Erkenntnisse vorliegen, wird um entsprechende Information gebe-
ten)?

6. In welchen einschlägigen Datenbanken deutscher Sicherheitsbehörden sind
jeweils wie viele dieser mit offenem Haftbefehl gesuchten Personen gespei-
chert (bitte auch die personengebundenen Hinweise wie „Straftäter rechts-
motiviert“, „gewalttätig“ usw. angeben)?

7. Wie viele der gesuchten Personen sind nach Kenntnis der Bundesregierung
Angehörige bzw. Mitglieder rechtsextremer Parteien oder Kameradschaften,
der Musikszene oder anderer rechtsextremer Organisationen bzw. Subkultu-
ren (soweit möglich, bitte jeweils auch die Namen dieser Parteien oder Zu-
sammenschlüsse angeben)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/8165
 

8. Wie gestaltet sich die Fahndungsdifferenzierung nach terroristischen, Ge-
walt- und sonstigen Delikten?

9. Wie erklärt die Bundesregierung den in der Vergangenheit zu beobachtenden
Anstieg der Zahl erfasster offener Haftbefehle im PMK-Bereich?
Welche Defizite gab es in der Vergangenheit bei der Erfassung in den Da-
teien des Polizeilichen Staatsschutzes, wie erklärt die Bundesregierung diese
Defizite, und was wird unternommen, um diese zu beheben?

Berlin, den 13. April 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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