BT-Drucksache 18/8098

Haltung der Bundesregierung zur Gülen-Bewegung

Vom 12. April 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/8098
18. Wahlperiode 12.04.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Wolfgang Gehrke, Christine Buchholz,
Andrej Hunko, Katrin Kunert und der Fraktion DIE LINKE.

Haltung der Bundesregierung zur Gülen-Bewegung

Seit dem Jahr 2013 findet in der Türkei ein Machtkampf zwischen der Regierung
der Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung AKP und der Bewegung des im US-
Exil lebenden pensionierten Imam Fethullah Gülen (Gülen-Bewegung bzw.
Hizmet-Bewegung) statt. Nach einem Korruptionsermittlungsverfahren im De-
zember 2013, in dem mehrere Regierungsmitglieder verwickelt waren, beschul-
digte der damalige Ministerpräsident und jetzige Staatspräsident Recep Tayyip
Erdoğan die in Justiz und Polizei einflussreichen Gülen-Anhänger, einen Paral-
lelstaat aufgebaut und einen Putsch gegen seine Regierung betrieben zu haben.
Seitdem wurden tausende Justizangestellte und Polizeibeamte versetzt, ihres Pos-
tens enthoben oder in den Ruhestand geschickt. Hunderte mutmaßliche Gülen-
Anhänger einschließlich Journalisten, hochrangigen Polizeibeamten und Unter-
nehmern kamen seitdem in Untersuchungshaft. Der Gülen-Bewegung zugerech-
nete Unternehmen wurden per Gerichtsbeschluss unter Aufsicht staatlicher Treu-
händer gestellt, darunter die Asya-Bank sowie mehrere Medienhäuser einschließ-
lich der auflagenstärksten regierungskritischen Tageszeitung der Türkei, Zaman.
Gegen Fethullah Gülen, dessen Auslieferung die türkische Justiz von den USA
beantragt hat, sowie 121 seiner mutmaßlichen Anhänger begann im Februar 2016
ein Prozess, in dem Präsident Recep Tayyip Erdoğan, Ministerpräsident Ahmet
Davutoğlu und Geheimdienstchef Hakan Fidan persönlich als Kläger auftreten.
Den Angeklagten wird die Bildung einer „bewaffneten terroristischen Vereini-
gung zum Sturz der Regierung“, Spionage, illegale Abhörmaßnahmen gegen
zahlreiche Politiker, Journalisten und Unternehmer sowie die Fälschung von Be-
weisen in Gerichtsverfahren vorgeworfen (www.jungewelt.de/2016/02-03/028.php;
www.welt.de/politik/ausland/article152969118/Die-Angst-vor-Erdogans-Diktator-
Justiz-geht-um.html).
Die Gülen-Bewegung kooperierte bis Ende des Jahres 2013 mit der AKP-Regie-
rung. Kritikerinnen und Kritiker beschuldigten die Gülen-Bewegung, ihren da-
maligen Einfluss auf Polizei und Justiz zur massenhaften Inhaftierung politischer
Gegnerinnen und Gegner – von Gülen-kritischen Journalisten über pro-kurdische
Kommunalpolitiker bis zum früheren Generalstabschef – genutzt und dazu Ermitt-
lungsverfahren manipuliert, Beweise gefälscht und ihre Medien zur politischen Dif-
famierung missbraucht zu haben (www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/
studien/2013_S23_srt.pdf; www.nzz.ch/feuilleton/medien/die-psychische-belastung-
war-enorm-1.18582876; www.spiegel.de/politik/ausland/guelen-bewegung-in-
der-tuerkei-die-unheimliche-macht-des-imam-a-754909.html). Andere Vorwürfe
gegenüber der Gülen-Bewegung lauten auf sektenähnliche Strukturen und Ge-
hirnwäsche gegenüber jungen Anhängerinnen und Anhängern in den Wohnhei-
men der Gemeinde (www.zeit.de/politik/deutschland/2013-12/guelen-bewegung-
deutschland).

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Die Gülen-Bewegung ist außerhalb der Türkei in rund 140 Ländern mit einem
Netzwerk von Bildungseinrichtungen, Medien und Unternehmen vertreten. In
Deutschland betreiben Fethullah Gülen nahestehende Träger über 150 Nachhilfe-
zentren, rund 20 Schulen, viele Kitas sowie unter dem Dach der World Media
Group AG Print- und Onlinezeitungen, Radio- und Fernsehsender, das Forum für
Interkulturellen Dialog Berlin (FID e. V.) und ähnliche Vereine (http://ezw-berlin.
de/html/3_174.php).
In der Vergangenheit kam es zwischen der Bundesregierung, einzelnen Bundes-
ministerien oder Regierungsmitgliedern sowie der Gülen-Bewegung zugerechne-
ten Institutionen zu Kooperationen. So begründete die Bundesregierung mehrere
zumindest bis zum Jahr 2013 durchgeführte gemeinsame Veranstaltungen mit
dem der Gülen-Bewegung zugerechneten Bundesverband der Unternehmerverei-
nigungen e. V. (BUV) mit dessen damaligen guten Kontakten zu türkischen Mi-
nisterien, Behörden und wichtigen wirtschaftlichen Akteuren und Multiplikatoren
in der Türkei. Zur Zusammenarbeit kam es auch mit der der Gülen-Bewegung in
der Türkei nahestehenden Konföderation Türkischer Industrieller und Geschäfts-
leute (TUSKON) und es bestanden Kontakte mit FID e. V. in Berlin (Bundestags-
drucksachen 17/13787, 18/829).
Der als Gülen-Anhänger geltende und von der türkischen Justiz mit Haftbefehl
gesuchte Staatsanwalt Zekeriya Öz, der das Korruptionsermittlungsverfahren ge-
gen führende AKP-Politiker eingeleitet hatte, floh im August letzten Jahres nach
Deutschland (www.taz.de/!5220264/).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Hat sich die Haltung der Bundesregierung gegenüber der Gülen-Bewegung

oder ihr nahestehenden Vereinigungen oder Personen oder Initiativen seit
dem Jahr 2014 vor dem Hintergrund der Entwicklungen in der Türkei verän-
dert, und wenn ja, in welcher Weise?

2. Waren die Gülen-Bewegung sowie die ihr gegenüber von der türkischen Re-
gierung und Justiz getätigten Vorwürfe der Bildung einer terroristischen Ver-
einigung, Bildung eines Parallelstaates, Spionage, Vorbereitung eines Put-
sches, illegaler Abhörmaßnahmen und der Manipulation von Ermittlungs-
und Strafverfahren jemals Thema bilateraler Treffen zwischen der Bundes-
regierung oder Bundesbehörden und der türkischen Regierung, dem türki-
schen Präsidenten und türkischen Behörden?
Wenn ja, inwieweit, wann, und in welchem Rahmen wurden die Gülen-Be-
wegung betreffende Fragen thematisiert?

3. Haben die türkische Regierung oder türkische Behörden der Bundesregie-
rung oder Bundesbehörden nach dem Jahr 2013 Informationen und Materia-
lien über die Gülen-Bewegung übergeben, und wenn ja, wann, und welcher
Art?

4. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Einschätzung der türkischen Regie-
rung, wonach es sich bei der Gülen-Bewegung oder zumindest bei Teilen
dieser Bewegung um eine terroristische Vereinigung handele, die den türki-
schen Staat unterwandert, einen Putsch gegen die AKP-Regierung geplant,
sich der Spionage und illegaler Abhörmaßnahmen schuldig gemacht und Be-
weise in Strafverfahren manipuliert habe?

5. Welche konkreten Schlussfolgerungen in ihrem Umgang mit der türkischen
Regierung und türkischen Behörden zieht die Bundesregierung aus der Ein-
stufung der Gülen-Bewegung oder von Teilen der Gülen-Bewegung als ter-
roristische Vereinigung durch die türkische Justiz und Regierung?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/8098
 

6. Inwieweit sieht die Bundesregierung die von der türkischen Regierung und
türkischen Behörden gegen die Gülen-Bewegung, ihre zugeschriebenen Ver-
einigungen und mutmaßlichen Anhängerinnen und Anhänger eingeleiteten
Maßnahmen einschließlich der Versetzung Tausender Beamten ohne kon-
krete Beweise sowie der auf Gerichtsbeschluss hin erfolgten Übernahme von
Unternehmen und Medienkonzernen unter staatliche Treuhänderschaft im
Einklang mit den im Rahmen des EU-Beitrittsprozesses von der Türkei einge-
forderten demokratischen, rechtsstaatlichen und menschenrechtlichen Prinzi-
pien stehen?
Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
gegebenenfalls aufgrund der genannten Verfolgungsmaßnahmen bezüglich
des EU-Beitrittsprozesses der Türkei?

7. Inwieweit kann die Bundesregierung eine politisch motivierte Verfolgung
von Anhängerinnen und Anhängern Fethullah Gülens in der Türkei durch die
türkische Regierung oder türkische Behörden erkennen?

8. Inwieweit liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor, dass An-
hängerinnen und Anhänger von Fethullah Gülen aufgrund drohender Verfol-
gung in der Türkei nach Deutschland geflohen sind?

9. Ist der Bundesregierung bekannt, ob Anhängerinnen und Anhänger von
Fethullah Gülen aufgrund von Verfolgung in der Türkei in der Bundes-
republik Deutschland politisches Asyl beantragt haben?
Wenn ja, wie viele Anhängerinnen und Anhänger der Gülen-Bewegung ha-
ben in Deutschland politisches Asyl beantragt (bitte nach Jahren seit dem
Jahr 2013 aufschlüsseln)?

10. Haben die türkische Regierung oder türkische Justizbehörden nach Kenntnis
der Bundesregierung von der Bundesregierung oder bundesdeutschen Behör-
den auf offiziellem oder inoffiziellem Wege die Auslieferung von nach
Deutschland geflohenen oder bereits hier lebenden Gülen-Anhängerinnen
und -Anhängern erbeten?
Wenn ja, wann haben die Bundesregierung bzw. deutsche Behörden bezüg-
lich welcher Personen aufgrund welcher Vorwürfe wie auf dieses Ansinnen
reagiert?

11. Inwieweit haben Gülen-nahe Personen oder Vereinigungen sich seit Ende
des Jahres 2013 bezüglich der Verfolgungsmaßnahmen gegen die Gülen-Be-
wegung in der Türkei an die Bundesregierung gewandt und gegebenenfalls
um Beistand gebeten?

12. Welche konkreten Schlussfolgerungen in ihrem Umgang mit der Gülen-Be-
wegung oder ihr zugerechneten Vereinigungen oder Personen in der Türkei,
in Deutschland sowie in anderen Ländern zieht die Bundesregierung aus der
Einstufung der Gülen-Bewegung oder von Teilen der Gülen-Bewegung als
terroristische Vereinigung durch die türkische Justiz und Regierung?

13. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Einschätzung des Landesamtes für
Verfassungsschutz Baden-Württemberg, wonach der nach eigenen Angaben
an den Thesen Fethullah Gülens orientierte Bildungsberatungsverein Academy
e. V. sowie die durch diesen Verein ausgerichteten jährlichen bundesweiten
Pangea-Mathematikwettbewerbe der Gülen-Bewegung zuzurechnen sind (www.
verfassungsschutz-bw.de/site/lfv/get/documents/IV.Dachmandant/Datenquelle/
PDF/2014_Aktuell/LfV-Bericht_zur_Guelen-Bewegung_Juli_2014.pdf)?

Drucksache 18/8098 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
 

a) Dauert die im Jahr 2013 erfolgte Übernahme der Schirmherrschaft über
den Pangea-Mathematikwettbewerb durch die Bundesministerin für Bil-
dung und Forschung Prof. Dr. Johanna Wanka auch für den laufenden
Pangea-Wettbewerb an (http://pangea-wettbewerb.de/schirmherrschaft/)?

b) Inwieweit gibt es gegebenenfalls Überlegungen von Seiten der Bundes-
regierung oder der Bundesministerin für Bildung und Forschung, die
Schirmherrschaft über den Pangea-Wettbewerb abzugeben, und wenn ja,
aus welchem Grund?

14. Welche Kooperationen zwischen der Bundesregierung und dem BUV gab es
seit dem Jahr 2014 (bitte Zeitpunkt und Art der Kooperation, beteiligte deut-
sche Regierungsstellen und Höhe möglicher finanzieller Förderungen ange-
ben)?

15. Hält die Bundesregierung auch vor dem Hintergrund der Entwicklungen in
der Türkei mit dem verschärften Machtkampf zwischen der AKP-Regierung
und der Gülen-Bewegung sowie der massiven Verfolgung von Anhängerin-
nen und Anhängern Gülens und ihm nahestehender Institutionen einschließ-
lich Wirtschaftsverbänden und Unternehmen weiterhin an ihren früheren
Feststellungen fest, wonach der BUV ein „kompetenter und leistungsfähiger
Partner“ sei, der über „sehr gute Kontakte zu den türkischen Ministerien und
Behörden sowie zu anderen wichtigen wirtschaftlichen Akteuren und Multi-
plikatoren in der Türkei“ verfüge (Bundestagsdrucksachen 17/13787, 18/829)?
a) Wenn nein, wie stuft die Bundesregierung den BUV und dessen Kontakte

in die Türkei heute ein, und welche Schlussfolgerungen leitet sie gegebe-
nenfalls daraus für ihren Umgang mit dem BUV ab?

b) In welchen möglichen Fällen hat die Bundesregierung Kooperationsange-
bote des BUV seit dem Jahr 2014 negativ beschieden, und wenn ja, wel-
che, und inwieweit spielte der seit Ende des Jahres 2013 veränderte Um-
gang der türkischen Regierung mit der Gülen-Bewegung bei möglichen
Ablehnungen eine Rolle?

c) Inwieweit sieht die Bundesregierung vor dem Hintergrund der Auseinan-
dersetzungen zwischen der türkischen Regierung und der Gülen-Bewe-
gung einen Anlass, ihre Zusammenarbeit mit dem BUV zu überdenken?

16. Welche Kooperationen zwischen der Bundesregierung und der TUSKON
aus der Türkei gab es seit dem Jahr 2014 (bitte Zeitpunkt und Art der Koope-
ration, beteiligte bundesdeutsche Regierungsstellen und Höhe der finanziel-
len Förderung angeben)?

17. Inwieweit kann die Bundesregierung mögliche Nachteile für die deutsche
Wirtschaft in der Türkei bei einer fortdauernden Kooperation mit dem BUV
und TUSKON erkennen?

18. Welche Kontakte oder Kooperationen zwischen der Bundesregierung und
der als offizielle Ansprechpartnerin der Hizmet-Bewegung auftretenden Stif-
tung Dialog und Bildung oder ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gab
es wann seit dem Jahr 2014?

19. Welche Kontakte oder Kooperationen zwischen der Bundesregierung und
den im Bund Deutscher Dialog-Institutionen zusammengefassten Vereinen
wie FID e. V. in Berlin und Frankfurt, der Interkulturellen Dialog e. V. in
Köln, Begegnungen e. V. in Stuttgart, IDIZEM e. V. in München und Ruhr-
dialog e. V. in Essen gab es wann seit dem Jahr 2014?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/8098
 

20. Welche Kooperationen zwischen der Bundesregierung und der World Media
Group AG oder einer der von ihr herausgegebenen bzw. produzierten Me-
dien, wie der Tageszeitung Zaman, den Fernsehsendern Ebru TV und
Samanyolu TV, der Internetzeitung Deutsch-Türkisches Journal (DTJ-On-
line) oder der von ihr gegründeten World Media Akademie einschließlich der
Schaltung von Anzeigen und Werbung, gab es seit dem Jahr 2014 (bitte Zeit-
punkt und Art der Kooperation, beteiligte Regierungsstellen und Höhe der
finanziellen Förderung bzw. Kosten der geschalteten Anzeigen und Werbe-
spots angeben)?

Berlin, den 11. April 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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