BT-Drucksache 18/8083

Den Bundesverkehrswegeplan zum Bundesnetzplan weiterentwickeln

Vom 13. April 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/8083
18. Wahlperiode 13.04.2016
Antrag
der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, Matthias Gastel, Stephan
Kühn (Dresden), Markus Tressel, Annalena Baerbock, Harald Ebner, Kai
Gehring, Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl, Christian Kühn (Tübingen), Steffi
Lemke, Nicole Maisch, Peter Meiwald, Friedrich Ostendorff, Corinna Rüffer,
Dr. Julia Verlinden und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Den Bundesverkehrswegeplan zum Bundesnetzplan weiterentwickeln

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur ist eine wesentliche Voraussetzung für
soziale Teilhabe und die Wettbewerbsfähigkeit des Landes. Mit einem der feinma-
schigsten Verkehrsnetze der Welt ist Deutschland gut aufgestellt. Doch Staus vor
maroden Autobahnbrücken, erschöpfte Schienenkapazitäten im Hafenhinterland
oder Engpässe im Kanalnetz aufgrund überalterter Schleusen zeigen, dass dieses
Startkapital aufgrund falscher Prioritätensetzung in der Verkehrspolitik zusehendes
verspielt wird. Völlig mit Projekten überbucht, stand das geforderte Investitionsvo-
lumen der bisherigen Bundesverkehrswegeplanung in einem eklatanten Missverhält-
nis zu vorhandenen Haushaltsmitteln. Die unzureichende Prioritätensetzung führte
zu falschen Verkehrsinvestitionen. Der Erhalt des bestehenden Verkehrsnetzes
wurde vernachlässigt, die Wirkung für das Gesamtnetz ignoriert. Aufgabe des Bun-
des muss jetzt sein, die Leistungsfähigkeit eines bundesweiten Vorrangnetzes zu ga-
rantieren, dass Deutschland überregional mit Straßen, Schienen und Wasserwegen
intelligent in Europa einbindet.
Jetzt muss geprüft werden, welche zukünftigen Ausbaumaßnahmen sinnvoll und
notwendig sind, um das Vorrangnetz wirkungsvoll zu stärken. Doch dazu braucht es
klare Ziele und den Willen zur Gestaltung zukunftsfähiger Mobilitätspolitik. Mit
dem Entwurf des neuen Bundesverkehrswegeplans (BVWP) für den Zeitraum bis
2030 ignoriert die Bundesregierung ihre eigenen Vorsätze.
Für eine Konzentration auf das Notwendige fehlen der Bundesregierung Mut und
politischer Wille. Weder wurde ein Vorrangnetz definiert noch gibt es eine eindeu-
tige Priorisierung unter den Vorhaben. Für viele wichtige Schienenprojekte wurde
die Bewertung gar nicht abgeschlossen. Deren Einstufung soll erst nach Abschluss
des Plans vorgenommen werden. Der Bundesrechnungshof hat zudem ausführlich
dargelegt, dass es bei Straßenbauprojekten erhebliche Mängel bei der Berechnung
des Nutzen-Kosten-Verhältnisses (NKV) als zentrales Bewertungskriterium gab. So
nahm das „BMVI bewusst in Kauf, dass die Investitionskosten bei Ausbauprojekten,
die eine wesentliche Größe für die Berechnung des NKV als zentrales Entschei-

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dungskriterium für die Einstufung der Projekte im BVWP sind, vollständig unge-
prüft blieben. (...) Damit sind auch die NKV der Projekte weder verlässlicher noch
besser untereinander vergleichbar.“ (Bericht an den Haushaltsausschuss des Deut-
schen Bundestages nach § 88 Abs. 2 BHO über die Plausibilisierung der Investiti-
onskosten von Straßenbauprojekten zur Aufstellung des Bundesverkehrswege-
plans 2030). Neben erheblichen Zweifeln an den Kostenberechnungen werden mit
dem vorliegenden Entwurf auch Ziele zur Reduktion der Emissionen von Schadstof-
fen und Treibhausgasen und die Begrenzung der Inanspruchnahme von Natur und
Landschaft nicht erreicht. Der Verkehrssektor ist mittlerweile für 20 Prozent der
energiebedingten Treibhausgasemissionen in Deutschland verantwortlich. Doch die
Verlagerung auf umweltfreundliche Verkehrsträger wird im BVWP-Entwurf viel zu
wenig berücksichtigt. Stattdessen liegt der Planung eine Prognose zugrunde, mit der
die vereinbarten Klimaschutzziele nicht einzuhalten sind. Umweltschutz spielt eine
viel zu geringe Rolle. Naherholungs- und Naturschutzgebiete werden ohne Maß zer-
schnitten. Sinnvolle Alternativen wurden nicht aufgenommen. Statt wie angekündigt
alle Maßnahmen, die bisher nicht im Bau sind, auf ihre verkehrspolitische Notwen-
digkeit zu überprüfen, wurden Schlupflöcher genutzt, um Projekte ohne erneute Prü-
fung in den BVWP einzubringen. Auch ist nicht vorgesehen, dass sich die betroffene
Öffentlichkeit zu diesen Vorhaben äußert.
Benötigt wird deswegen jetzt eine klare Prioritätensetzung, die alle Verkehrsträger
mitdenkt und ökonomisch wie ökologisch nachhaltige Mobilität ermöglicht.
Es ist Zeit, den Bundesverkehrswegeplan zu einem Bundesnetzplan weiterzuentwi-
ckeln, der nicht einzelne Vorhaben, sondern die Leistungsfähigkeit des Gesamtnet-
zes in den Mittelpunkt stellt. Wir müssen jetzt entscheiden, welche Projekte wirklich
wichtig sind und vor allem in welcher Rangfolge die Umsetzung erfolgen soll. Eine
lange Liste ohne eindeutig erkennbare Prioritäten wird hingegen zur schweren Hy-
pothek für die nächsten 15 Jahre – in denen wir entscheidende Weichen für die Zu-
kunft unseres Landes und unserer Verkehrsinfrastruktur stellen müssen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die erheblichen Zweifel an der Plausibilität und Vergleichbarkeit des Nutzen-
Kosten-Verhältnisses (NKV) als zentrales Bewertungskriterium ernst zu neh-
men und Straßenneubauprojekte, bei denen die Vergleichskosten unterschritten
wurden und deren NKV an einem für die Aufstellung des Bedarfsplans rele-
vanten Schwellenwert der einzelnen Dringlichkeitskategorien liegen sowie alle
Straßenausbauprojekte erneut zu überprüfen;

2. nach der erneuten Überprüfung den Entwurf des Bundesverkehrswegeplans zu
einem Bundesnetzplan weiterzuentwickeln, der die Leistungsfähigkeit eines
verkehrsträgerübergreifenden bundesweiten Vorrangnetzes sichert und ökolo-
gisch wie ökonomisch nachhaltige Mobilität fördert;

3. bis zum Beschluss eines zum Bundesnetzplan weiterentwickelten Bundesver-
kehrswegeplans keine weiteren Neubauprojekte zu beginnen, um den Hand-
lungsspielraum nicht weiter einzuschränken;

4. in Anlehnung an das Transeuropäische Verkehrsnetz (TEN-V-Kernnetz) ein
bundesweites Vorrangnetz zu bestimmen, das Deutschland intelligent und ver-
kehrsträgerübergreifend in Europa einbindet und den Güterverkehr auf leis-
tungsstarken Hauptachsen bündelt;

5. Bundesstraßen ohne überregionale Bedeutung mit einem finanziellen Aus-
gleich in die Verantwortung der Bundesländer zu übergeben und die Einnah-
men aus der LKW-Maut auf diesen Straßen den Bundesländern zufließen zu
lassen;

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6. den Grundsatz „Erhalt vor Neubau“ konsequent durchzusetzen, indem die ein-

zusetzenden Mittel für den Erhalt eng am Vermögensverlust der Verkehrswege
orientiert werden;

7. für eine eindeutige Priorisierung und Rangfolge der Vorhaben anhand der Vor-
rangkriterien „Entlastung Mensch“, „Entlastung Umwelt“, „Verkehrsverlage-
rung“ zu sorgen, die garantieren, dass dringende Infrastrukturmaßnahmen zur
Beseitigung von dauerhaften Engpässen im Vorrangnetz zuerst umgesetzt wer-
den;

8. alle Schienenvorhaben zu bewerten und für die Priorisierung und Rangfolge ein
zusätzliches „Deutschland-Takt-Kriterium“ einzuführen;

9. alle Vorhaben des Bezugsfalls zu überprüfen, für die kein Planfeststellungsbe-
schluss vorliegt;

10. die Behörden- und Öffentlichkeitsbeteiligung mindestens drei Monate durch-
zuführen und die Bürgerinnen und Bürger über die Öffentlichkeitsbeteiligung
zum Gesamtplanentwurf des BVWP umfassend zu informieren;

11. sicherzustellen, dass von Bürgerinnen und Bürgern eingebrachte, zielführende
Alternativen ebenfalls einer ausführlichen Prüfung unterzogen werden;

12. auch die Vorhaben des Bezugsfalls in die Öffentlichkeitsbeteiligung einzube-
ziehen, die sich bisher nicht im Bau befinden;

13. die Öffentlichkeitsbeteiligung erneut durchzuführen, sollten sich im Laufe des
Aufstellungsprozesses Planänderungen ergeben, die zusätzliche oder andere er-
hebliche Umweltauswirkungen nach sich ziehen können;

14. die Projekte des sogenannten „Weiteren Bedarfs“ aus dem Bundesverkehrs-
wegeplan zu streichen, weil für diese jegliche Finanzierungsperspektive fehlt.

Berlin, den 12. April 2016

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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Begründung

Zu Punkt 1
Der Bundesrechnungshof hat dargelegt, dass die Berechnung des NKV bei Straßenprojekten erhebliche Mängel
aufweist. U. a. gab es erhebliche Abweichungen zwischen den Ländern, wie die Kosten berechnet wurden, was
u. a. daran lag, dass das BMVI keine Vorgaben zum Verfahren gemacht hat. Zudem habe das BMVI willkürlich
mitten im Verfahren die Kostengrenze nach unten gesetzt, wodurch Straßenprojekte plausibel eingestuft wur-
den, obwohl ihre Kosten unterhalb der gutachterlich ermittelten Untergrenzen lagen. Da das NKV das zentrale
Bewertungsinstrument für die Projekte ist, müssen die Zweifel ausgeräumt werden. Die Eingrenzung der Neu-
berechnung auf Straßenneubauprojekte, bei denen die Vergleichskosten unterschritten wurden und deren NKV
an einem für die Aufstellung des Bedarfsplans relevanten Schwellenwert der einzelnen Dringlichkeitskatego-
rien liegen sowie auf alle Straßenausbauprojekte soll erfolgen, um die Aufstellung des BVWP nicht zu sehr zu
verzögern.

Zu Punkt 2
Der Bundesverkehrswegeplan ist ein Konzept der Vergangenheit. Eine Aneinanderreihung von einzelnen Ver-
kehrsmaßnahmen, die weitgehend isoliert bewertet wurden, löst heute keine Verkehrsprobleme und denkt nicht
an die Zukunft der Mobilität. Stattdessen wird die Verkehrsentwicklung der Vergangenheit auch für die Zukunft
als gesetzt hingenommen, dem Stau auf der Straße wird stur hinterhergebaut.
Doch diese Politik greift zu kurz. Sie ignoriert die Trends der Zukunft, konterkariert die europäischen Klima-
schutzziele im Verkehrsbereich und vor allem belastet sie Mensch und Umwelt. Denn infolge dieser Politik
werden immer neue Projekte begonnen. Am Ende fehlen die Mittel zum Erhalt der bestehenden Verkehrswege.
Fast jeder siebte Quadratmeter Brückenfläche an Bundesfernstraßen muss saniert werden, zahlreiche Strecken
und Knoten im Schienennetz sind überlastet und viele Schleusen und Wehre völlig überaltert. Auf unverant-
wortliche Weise gehen bundeseigene Vermögenswerte verloren. Schlimmer noch: Die marode Infrastruktur
bremst Wirtschaft und Mobilität aus und behindert Verkehrsverlagerung auf Wasser und Schiene. Doch mit
weiteren Neubauvorhaben auf Zuruf werden diese Probleme nicht gelöst. Aufgabe des Bundes muss nun sein,
ein leistungsfähiges Vorrangnetz zu sichern, das Deutschland verkehrsträgerübergreifend mit dem Transeuro-
päische Verkehrsnetz (TEN-V) der EU vernetzt. Nicht das einzelne Vorhaben zählt, sondern dessen Wirkung
für das Netz. Kleine, besonders netzwirksame Maßnahmen, die zur Entlastung dauerhafter Engpässe beitragen,
müssen zuerst umgesetzt werden.
Eine grobe Einteilung in zwei Dringlichkeitskategorien allein kann dies nicht leisten. Gebraucht wird eine ein-
deutige Rangfolge zur Umsetzung von Vorhaben. Der Bundesverkehrswegeplan muss zu einem Bundesnetz-
plan weiterentwickelt werden. Die zurzeit erarbeiteten Ergebnisse können dazu genutzt werden, wenn weitere
Vorrangkriterien eingeführt werden.

Zu Punkt 3
Eigentlich sieht die Grundkonzeption für den Bundesverkehrswegeplan vor, dass alle Vorhaben auf ihren ver-
kehrlichen Nutzen überprüft werden, die bis Ende 2015 nicht im Bau sind. Doch die Bundesregierung konter-
kariert ihre eigenen Prinzipen. Allein im Bereich Straße wurden Vorhaben mit Kosten von über 5 Milliarden
Euro ungeprüft in den Plan aufgenommen, obwohl für diese Vorhaben nicht einmal ein Planfeststellungsbe-
schluss vorliegt – von „im Bau“ kann demnach keine Rede sein (vgl. Antwort der Bundesregierung auf eine
Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, BT-Drs. 18/5771). Weitere Vorhaben
mit Gesamtkosten von 1,5 Milliarden Euro wurden ohne Beteiligung des Haushaltsausschusses unterjährig in
den Straßenbauplan aufgenommen und werden somit ohne Überprüfung realisiert; darunter zahlreiche Ortsum-
fahrungen mit zweifelhaftem Nutzen für das bundesweite Verkehrsnetz. Bereits vor Fertigstellung der Bewer-
tung war somit bereits ein großer Teil der Mittel für die nächsten Jahre verplant – obwohl teils massive Zweifel
bestehen, ob die Neubauvorhaben in diesem Zuschnitt noch benötigt werden. Der Handlungsspielraum für netz-
wirksame Engpassbeseitigung wird damit schon vor Beginn der Laufzeit des neuen BVWP massiv einge-
schränkt. Das Bundesverkehrsministerium schafft mit einer Politik der Spatenstiche Fakten, bevor der Bundes-
verkehrswegeplan die Grundzüge für die Verkehrsinfrastrukturpolitik des nächsten Jahrzehnts legen kann. Um
den Handlungsspielraum der Infrastrukturpolitik nicht noch weiter einzuschränken, dürfen bis zum Beschluss
eines Bundesnetzplans keine Neubauten mehr begonnen werden.

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Zu Punkt 4:
Deutschland ist wirtschaftlich, kulturell und politisch eng mit den anderen Mitgliedstaaten der Europäischen
Union verflochten. Allein sechs Korridore des transeuropäischen Kernnetzes verlaufen durch Deutschland. In
Einklang damit soll ein bundesweit zentrales Kernnetz bestimmt werden, das Deutschland gut in Europa ein-
bindet. Der Güterverkehr wird auf leistungsstarken Hauptachsen gebündelt und soll damit überall, wo es sinn-
voll und möglich ist, auf umweltfreundliche Verkehrsträger verlagert werden.

Zu Punkt 5:
In der bisherigen Bundesverkehrswegeplanung stand oft nicht die Funktionsfähigkeit des Gesamtnetzes im Mit-
telpunkt, sondern Regionalinteressen, Länderproporz und politisches Ansehen. Es gibt zurzeit viele Bundes-
straßen und Ortsumgehungen von rein regionaler Bedeutung, für die der Bund formell zuständig ist. Schwer-
punktaufgabe des Bundes muss jedoch sein, die Leistungsfähigkeit eines bundesweit relevanten überregionalen
Vorrangnetzes zu sichern und zu stärken. Alle Bundesstraßen, die nicht von überregionaler Bedeutung sind,
sollen daher mit einem finanziellen Ausgleich des Bundes in die Verantwortung der Länder übergeben werden.
So wird ausgeschlossen, dass der Bundesnetzplan mit lokalen Prestigeprojekten belastet oder gar überfrachtet
wird, die bei notwendiger Prioritätensetzung des nationalen Vorrangnetzes auf absehbare Zeit nicht finanzierbar
sind. Die Einnahmen aus der LKW-Maut auf diesen Straßen sollen dann den Bundesländern zufließen.

Zu Punkt 6:
Der Sanierungstau in Deutschland ist enorm und beträgt für sämtliche Verkehrsträger über 40 Milliarden Euro.
Eine Aufstellung des Infrastrukturzustands und des Erhaltungsbedarfs muss in der bestehenden Haushaltsyste-
matik bisher nicht erfolgen, die gegenwärtige Struktur des Bundeshaushalts neigt daher per se zu Neuinvestiti-
onen. Der Bundeshaushalt muss daher deutlich transparenter werden, um zukünftig ausreichende Mittel für den
dringend notwendigen Erhalt der Substanz einzuplanen. Die Vermögenswerte der Verkehrsinfrastruktur müssen
deswegen zukünftig erfasst und jährlich kaufmännisch nach den Prinzipien des Handelsgesetzbuchs bilanziert
werden.

Zu Punkt 7
Die bisherigen Prioritätsstufen „Vordringlicher Bedarf“ und „Weiterer Bedarf“ des alten Bundesverkehrswege-
plans sind eine nahezu wertlose grobe Einteilung. Allein der Vordringliche Bedarf des BVWP 2003 war zu
Beginn mit einem Investitionsbedarf von 90,5 Milliarden Euro maßlos mehrfach überzeichnet. Am Ende seiner
Laufzeit betrug der Investitionsbedarf für die noch nicht umgesetzten vordringlichen Vorhaben – auch aufgrund
völlig unrealistischer Kostenannahmen noch 86 Milliarden Euro (Stand 2013).
Innerhalb des Vordinglichen Bedarfs bestand aufgrund der Fülle an Projekten keine Klarheit darüber, welche
Projekte prioritär umgesetzt werden sollen. Am Ende war nicht die Dringlichkeit des Vorhabens entscheidend,
sondern der Koalitionsproporz und lokale Interessen. Die Ankündigung in der Grundkonzeption, eine neue
Dringlichkeitskategorie „Vordringlicher Bedarf Plus (VB+)“ einzuführen, damit Vorhaben zur Engpassauflö-
sung ohne hohes ökologisches Risiko prioritär umgesetzt werden, stieß in Fachkreisen auf großen Zuspruch. In
der Regierungskoalition blieb der VB+ jedoch umstritten.
Anstelle eines VB+ spricht der vorgelegte BVWP-Entwurf nun von einem Vordringlichen Bedarf mit Engpass-
beseitigung (VB-E). Eine Verbesserung wäre der VB-E aber nur, wenn er eine eigenständige Kategorie bildet,
die zuerst abgearbeitet werden muss, bevor weitere Vorhaben umgesetzt werden. Die vorgenommene Kenn-
zeichnung hingegen garantiert keine prioritäre Umsetzung der besonders dringenden Vorhaben. Dass eine
Kennzeichnung eines Vorhabens mit VB-E nicht automatisch zu einer prioritären Umsetzung führt, zeigt sich
schon daran, dass auch in der so genannten „Schleppe“ (Vorhaben, die erst nach 2030 umgesetzt werden sollen)
Projekte mit VB-E-Kennzeichnung enthalten sind.
Eine wirksame Priorisierung sieht anders aus. Viel zweckmäßiger als eine grobe Einteilung in Dringlichkeits-
stufen ist deswegen eine echte Rangfolge der Projekte, die nach Verfügbarkeit der Mittel abgearbeitet wird. Das
angewandte Bewertungsverfahren greift zu kurz. Die weitgehend isolierte Bewertung der Vorhaben im Rahmen
der Nutzen-Kosten-Analyse ist nicht geeignet, Netzwirksamkeit oder Verkehrsverlagerungspotential hinrei-
chend zu berücksichtigen.
Auswirkungen der einzelnen Vorhaben auf Natur und Umwelt finden in der Dringlichkeitseinstufung hingegen
keine Berücksichtigung. Bei keinem Vorhaben führte eine belegte hohe Umweltbelastung zu einer Abstufung.

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Die angewandte raumordnerische und städtebauliche Beurteilung dient hauptsächlich dazu, nahezu unwirt-
schaftliche Vorhaben mit einem niedrigen Nutzen-Kosten-Verhältnis dennoch vordringlich einzustufen.
Bei den beiden Kriterien handelt es sich in Wirklichkeit also eher um ein „Pro-Zerschneidungs-Kriterium“ bzw.
„Pro-Ortsumfahrungs-Kriterium“. Für den Übergang zu einem Bundesnetzplan ist es daher sinnvoll, die vor-
handenen Bewertungsergebnisse nach zusätzlichen Vorrangkriterien „Entlastung Mensch“, „Entlastung Um-
welt“ und „Verkehrsverlagerung“ zu priorisieren. Je höher die Einstufung anhand dieser Kriterien im zukünfti-
gen Bundesnetzplan ist, desto vordringlicher soll zukünftig die Umsetzung erfolgen.

Zu Punkt 8
Die Einführung eines Deutschland-Taktes auf der Schiene, also das aufeinander abgestimmte Schienenver-
kehrsangebot im Nah-, Fern- und Güterverkehr, bietet die Möglichkeit, dass mehr Bürgerinnen und Bürger auf
die umweltfreundliche Bahn umsteigen. Eine Studie im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums hat grund-
sätzlich bestätigt, dass ein Deutschland-Takt umsetzbar ist und hierfür detailliert Infrastrukturprojekte definiert.
Diese Projekte finden sich jedoch nicht im BVWP-Entwurf. Es findet sich nur ein nicht genauer definiertes
Maßnahmenpaket, welches z. T. nur in den Weiteren Bedarf eingeordnet ist. Für die Umsetzung eines Deutsch-
land-Taktes ist entscheidend, dass die dafür notwendigen Maßnahmen prioritär umgesetzt werden. Die bisherige
Bewertung einzelner Bahnstrecken erkennt jedoch nicht, welche Schienenvorhaben hierfür notwendig sind. Da-
her ist es folgerichtig, für die Bewertung ein zusätzliches Kriterium „Deutschland-Takt“ einzuführen.

Zu Punkt 9
Die oben beschriebene Bewertung der Vorhaben muss für alle Infrastrukturmaßnahmen gelten, die sich noch
nicht im Bau befinden. Denn bereits im Bereich Straße hat die Bundesregierung viele Vorhaben schon dem
sogenannten Bezugsfall zugeordnet und als zu bauendes Vorhaben angenommen, obwohl dafür noch nicht ein-
mal ein Planfeststellungsbeschluss vorliegt. Die Kosten allein für diese Projekte belaufen sich auf über 5 Milli-
arden Euro (vgl. Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN, BT-Drs. 18/5771). Auch diese Vorhaben müssen einer Bewertung unterzogen werden, denn
nur so kann gewährleistet werden, dass in den nächsten Jahren zuerst die Maßnahmen umgesetzt werden, die
das Kernnetz insgesamt stärken.

Zu Punkt 10-13
Die Erfahrung zeigt, dass die Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger nicht nur für mehr Akzeptanz sorgt,
sondern oft auch für bessere, weil maßgeschneiderte, Lösungen. Die Beteiligung der Öffentlichkeit findet im
Rahmen der Strategischen Umweltprüfung statt. Grundlage sind der Entwurf des BVWP und der Umweltbe-
richt. Stellungnahmen müssen demnach die darin vorgebrachten Aspekte einbeziehen. Aufgrund der Komple-
xität dieser Unterlagen reicht eine 6-wöchige Beteiligungsfrist zwei Werktage nach Veröffentlichung der Un-
terlagen für die Einarbeitung für Bürgerinnen und Bürger, die sich nicht professionell mit Verkehrspolitik be-
schäftigen, nicht aus. Die bisherige Informationspolitik muss auch in Hinblick auf die untersuchten Vorhaben
als unzureichend bezeichnet werden. So wurde z. B. nicht ausreichend darüber informiert, welche Vorhaben im
Aufstellungsprozess wirklich überprüft werden. Durch die Bundesregierung nachträglich überprüfte Vorhaben
finden sich auf keiner Liste. Klarheit gab es erst durch mehrmalige Nachfrage der Bundestagsfraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN. Die Bundesregierung muss daher dafür sorgen, dass die Bürgerinnen und Bürger sich
zu allen noch nicht im Bau befindlichen Vorhaben äußern können. Sie sollen das Recht erhalten, auch Projekte
des sogenannten Bezugsfalls sowie des Potentiellen Bedarfs im Rahmen des Konsultationsverfahrens einzuse-
hen, zu kommentieren und ihren Bedarfsnachweis zu hinterfragen. Auch für diese Vorhaben muss die Bundes-
regierung vollständige Projektdossiers veröffentlichen. Eine Verlängerung der Frist zur Stellungnahme ist für
eine Bürgerbeteiligung auf Augenhöhe daher unerlässlich.
Gemäß der Richtlinie 2001/42/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 27. Juni 2001 über die
Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme (SUP-Richtlinie) muss den Behörden und
der Öffentlichkeit innerhalb ausreichend bemessener Fristen frühzeitig und effektiv Gelegenheit gegeben wer-
den, vor der Annahme des Plans oder Programms oder seiner Einbringung in das Gesetzgebungsverfahren zum
Entwurf des Plans oder Programms sowie zum begleitenden Umweltbericht Stellung zu nehmen (Art. 6 Ab-
satz 2).
Sollte es im Rahmen des Aufstellungsprozesses nach Abschluss der Beteiligungsphase zu Planänderungen kom-
men, die zusätzliche oder andere erhebliche Umweltauswirkungen zufolge hätten, wäre demnach eine erneute

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Beteiligungsphase notwendig. Denn nur auf diese Weise wird eine effektive Stellungnahme der Bürgerinnen
und Bürger zu dem Planentwurf gewährleistet, der tatsächlich angenommen wird.
Bereits bei Aufnahme zusätzlicher Vorhaben in den Vordringlichen Bedarf ist mit Änderungen der Umweltaus-
wirkungen zu rechnen, die eine erneute Öffentlichkeitsbeteiligung erforderlich machen.
Jede Planung ist der BMVI-Grundkonzeption für den BVWP 2015 zufolge „zwangsläufig mit einem Denken
in Alternativen verbunden“ (Grundkonzeption für den BVWP 2015, Seite 58). Den Bürgerinnen und Bürgern
muss daher die Möglichkeit eingeräumt werden, im Rahmen des Konsultationsverfahrens Alternativen zu Vor-
haben einzubringen. Ausgearbeitete Alternativen müssen ebenfalls gutachterlich überprüft und die Bewertungs-
ergebnisse veröffentlicht werden, auch dann, wenn sie von dem jeweiligen Bundesland ursprünglich nicht an-
gemeldet wurden.

Zu Punkt 14
Es ist mehr als zweifelhaft, ob die Projekte des Vordringlichen Bedarfs zu finanzieren sind. Mit dem derzeit
absehbaren Investitionsetat im Verkehrshaushalt wird es nicht möglich sein. Hinzu kommt, dass ein großer Teil
der Schienenprojekte noch gar nicht bewertet wurde und keinerlei Kostensteigerungen berücksichtigt sind. Da
erhebliche Zweifel an der Finanzierbarkeit des Vordringlichen Bedarfs bestehen, ist die Umsetzung von Pro-
jekten im Weiteren Bedarf völlig unrealistisch. Sie stehen offenbar nur noch im Plan, um weiter Erwartungen
zu wecken – die jedoch nicht erfüllt werden können. Es wäre ein wichtiger Schritt, jetzt ehrlich zu sein und die
Projekte ohne realistische Finanzierungsperspektive endgültig zu streichen.

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