BT-Drucksache 18/8071

Türkisch-nationalistische Aufzüge

Vom 12. April 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/8071
18. Wahlperiode 12.04.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Wolfgang Gehrke, Christine Buchholz,
Annette Groth, Andrej Hunko, Niema Movassat und der Fraktion DIE LINKE.

Türkisch-nationalistische Aufzüge

Türkisch-nationalistische Vereinigungen in Deutschland führen vor dem Hinter-
grund des Krieges in den mehrheitlich kurdisch bewohnten Gebieten der Türkei
auch hierzulande eine Reihe von Aufzügen zur Unterstützung der türkischen Re-
gierungspolitik gegen kurdische Autonomiebestrebungen durch. Darüber hinaus
fanden Kundgebungen türkischer Nationalisten vor dem Hintergrund erneuter
kriegerischer Auseinandersetzungen zwischen Armenien und Aserbaidschan um
die Enklave Bergkarabach statt, in der die aserbaidschanische Seite unterstützt
wurde.
Ein „Deutsches Neue Türken Komitee“ in Deutschland (Almanya Yeni Turk Ko-
mitesi AYTK) hat für den 10. April 2016 in München, Nürnberg, Köln, Frankfurt
am Main, Hamburg und Hannover zu einem „Friedensmarsch für die Türkei und
die EU“ aufgerufen. Während das deutsche Motto der Aufzüge „Protest gegen
den Terror der PKK und des IS“ lautete, wurde auf Türkisch mit der sich nur noch
auf vermeintlich kurdischen Separatismus beziehenden Losung „Alles für das Va-
terland – Märtyrer sterben nicht, das Vaterland kann nicht geteilt werden“ mobi-
lisiert. Auch Gruppierungen aus dem rechtsextremen Graue-Wölfe-/Ülkücü-Mi-
lieu wie die Rockergruppe Turkos MC riefen zu den Aufmärschen auf. Zumindest
in Stuttgart rief auch der im Rockermilieu zu verortende Boxclub Osmanen Ger-
mania auf seiner Facebookseite zur Teilnahme an der Demonstration auf
(https://linksunten.indymedia.org/de/node/174803; https://facebook.com/Osmanen-
Germania-Stuttgart-780463712076422/). Der Erdogan-Vertraute und Sicherheitsun-
ternehmer Timur Yüksek, dessen Unternehmen unter anderem die Personenschützer
für den türkischen Präsidenten und Ministerpräsidenten stellt, unterstützte die Auf-
züge ebenfalls. Er hatte angekündigt, die Aufzüge durch sein professionelles Sicher-
heitspersonal zu schützen (www.tagesspiegel.de/politik/kundgebungen-fuer-und-
gegen-erdogan-in-deutschland-rechte-tuerken-demonstrieren-linke-kurden-
protestieren/13428054.html).
Während die Veranstalter ursprünglich mit mehreren Tausend Teilnehmerinnen
und Teilnehmern gerechnet hatte, bewegten sich die Teilnehmerzahlen letztlich
in den einzelnen Städten im dreistelligen Bereich (www.spiegel.de/politik/
deutschland/kurden-und-tuerken-auseinandersetzungen-bei-demos-in-deutschland-
a-1086443.html).
In mehreren anderen Städten kam es im März und April 2016 ebenfalls zu Auf-
zügen türkischer Nationalisten. So demonstrierten am 26. März 2016 nach Poli-
zeiangaben mehrere Hundert Anhängerinnen und Anhänger des Vereins Turan
e. V., die aus dem Bundesgebiet und den Niederlanden angereist waren, in Duis-
burg (www.presseportal.de/blaulicht/pm/50510/3286432). Die Mitglieder des of-
fenbar ursprünglich aus den Niederlanden stammenden Vereins, der bereits in

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seinem Namen für ein Großreich aller Turkvölker – Turan – eintritt, waren laut
Presseberichten mit einheitlichen Kutten wie Rocker gekleidet und zeigten das
Handzeichen der Grauen Wölfe. Am 27. März 2016 kam es bei einer türkisch-
nationalistischen Demonstration in Aschaffenburg zu Auseinandersetzungen mit
kurdischen Gegendemonstrantinnen und -demonstranten (www.derwesten.de/
staedte/duisburg/konflikt-zwischen-tuerken-und-kurden-erreicht-duisburg-id116
88764.html; www.focus.de/politik/deutschland/schlimme-szenen-in-aschaffenburg-
wird-eskalieren-tobt-der-tuerkisch-kurdische-konflikt-bald-auch-in-deutschland_id_
5401757.html).
Ein Bündnis alevitischer, kurdischer und linker türkischer Migrantenvereinigun-
gen, darunter die Alevitische Gemeinde Deutschland e. V. (AABF) und der kur-
dische Dachverband NAV-DEM e. V., werfen der türkischen Regierung vor, „die
Versammlungsfreiheit in Deutschland für ihre nationalistische Propaganda und
Demagogie“ zu instrumentalisieren und ihren „schmutzigen Krieg nach Deutsch-
land zu übertragen und hier die öffentliche Ordnung und Sicherheit für ihre Zwe-
cke zu gefährden“ (https://isku.blackblogs.org/2060/kein-fussbreit-den-tuerkischen-
faschisten/).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche und wie viele Aufzüge türkischer Nationalistinnen und Nationalisten

fanden nach Kenntnis der Bundesregierung wann und wo seit Jahresbeginn
in Deutschland statt (bitte Ort, Datum, Veranstalter, Teilnehmerzahl, The-
matik, mögliche Beteiligung rechtsextremer Gruppierungen und einschlä-
gige Straftaten durch Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Aufzüge ange-
ben)?

2. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über ein „Deutsches Neue
Türken Komitee“ (Almanya Yeni Turk Komitesi AYTK) als Veranstalter ei-
nes in mehreren deutschen Städten am 10. April 2016 stattfindenden soge-
nannten Friedensmarsches für die Türkei und die EU?
a) Wie viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus welchen politischen

Spektren beteiligten sich jeweils an den Aufzügen des AYTK vom
10. April 2016?

b) Inwieweit wurden auf welchen dieser Aufzüge rassistische oder sonst wie
volksverhetzende Beiträge, Reden, Transparentsprüche etc. registriert?

c) Inwieweit und an welchen Orten wurden im Zusammenhang mit diesen
Aufzügen welche und wie viele einschlägige Straf- und Gewalttaten re-
gistriert, von wem gingen diese jeweils aus, wie viele Personen (Demonst-
ranten und Gegendemonstranten, Polizistinnen und Polizisten, unbetei-
ligte Dritte etc.) wurden dabei gegebenenfalls verletzt, und wie viele Per-
sonen von welcher Seite (Demonstranten und Gegendemonstranten) wur-
den gegebenenfalls festgenommen?

d) Wann wurde das AYTK nach Kenntnis der Bundesregierung gegründet,
und was sind seine Ziele?

e) Inwieweit ist das AYTK bislang nach Kenntnis der Bundesregierung an
deutsche Behörden oder Regierungsstellen mit Forderungen herangetre-
ten?

f) Aus welchen Gruppierungen und Einzelpersonen aus welchen politischen
Milieus setzt sich das AYTK nach Kenntnis der Bundesregierung zusam-
men?

g) In welcher Verbindung steht das AYTK zur türkischen Regierungspartei
für Gerechtigkeit und Entwicklung AKP?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/8071
 

h) Welche Gruppierungen im Einzelnen beteiligten sich nach Kenntnis der
Bundesregierung an der Mobilisierung zu den Aufzügen des AYTK vom
10. April 2016?
Welche dieser Gruppierungen können dem Ülkücü-Spektrum zugerech-
net werden?

i) Welche Gruppierungen des Ülkücü-Spektrums und anderer türkischer
Rechtsextremisten und Nationalisten im Einzelnen beteiligten sich mit
wie vielen Anhängerinnen und Anhängern nach Kenntnis der Bundesre-
gierung an welchen Aufzügen des AYTK vom 10. April 2016?

j) Inwieweit beteiligten sich Mitgliedsvereine der Föderation Türkisch Isla-
mische Union der Anstalt für Religion e. V. (DITIB) an den Aufzügen
vom 10. April 2016?

k) Inwieweit beteiligte sich die Union Europäisch-Türkischer Demokraten
(UETD) mobilisierend oder mitwirkend an den Aufzügen vom 10. April
2016?

l) Inwieweit riefen Gruppen des Boxclubs Osmanen Germania zu den Auf-
zügen vom 10. April 2016 auf, und inwieweit, und in welchen Orten be-
teiligten sich erkennbare Mitglieder der Osmanen Germania als Teilneh-
mer oder Ordner daran?

m) Inwieweit wurde nach Kenntnis der Bundesregierung der „IS-Terror“
bzw. generell der sogenannte Islamische Staat (IS) in der Mobilisierung
und in Kundgebungsbeiträgen bzw. auf Plakaten und Transparenten auf
welchen der vom AYTK veranstalteten Aufzüge thematisiert, und wel-
chen Stellenwert nahm die IS-Thematik im Vergleich zur Thematik
„PKK“ auf diesen Veranstaltungen ein?

n) Welche Rolle bei der Organisierung und Mobilisierung der Aufzüge
spielte nach Kenntnis der Bundesregierung der Erdogan-Vertraute Timur
Yüksek, und inwieweit wurde professionelles Sicherheitspersonal aus
dessen Unternehmen bei den Aufzügen eingesetzt?

o) Welche Kenntnisse besitzt die Bundesregierung über mögliche Differen-
zen innerhalb des türkisch-nationalistischen Spektrums bezüglich der
Aufzüge vom 10. April 2016?

p) In wie vielen und welchen Städten waren nach Kenntnis der Bundesregie-
rung für den 10. April 2016 – unabhängig vom AYTK – Aufzüge aus dem
türkisch-nationalistischen Spektrum angekündigt oder angemeldet, die
dann nicht stattfanden (bitte Gründe für das Nichtstattfinden angeben,
wenn bekannt)?

3. Welche allgemeinen und verfassungsschutzrelevanten Kenntnisse hat die
Bundesregierung über den Verein Turan e. V. (bitte Gründungsdatum und
Gründungsort, Mitgliederzahl, Ortsgruppen und Verbreitung sowie Ideolo-
gie angeben)?
a) In welcher Verbindung steht Turan e. V. nach Kenntnis der Bundesregie-

rung zur Ülkücü-Szene?
b) Über welche Verbindungen verfügt Turan e. V. nach Kenntnis der Bun-

desregierung zu welchen türkisch-nationalistischen Vereinigungen wo im
Ausland?

4. Über welche allgemeinen und verfassungsschutzrelevanten Kenntnisse ver-
fügt die Bundesregierung bezüglich des Rockerclubs Turkos MC (bitte Mit-
gliederzahl, Ortsgruppen und Aktivitäten sowie Beteiligung an einschlägigen
Straftaten benennen)?

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5. Inwieweit sieht die Bundesregierung in den Aufzügen türkisch-nationalisti-
scher Gruppierungen eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ord-
nung sowie für das friedliche Zusammenleben der Völker?

Berlin, den 11. April 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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