BT-Drucksache 18/8016

Vorgesehene Verknüpfung europäischer Polizeidatenbanken

Vom 29. März 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/8016
18. Wahlperiode 29.03.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Andrej Hunko, Frank Tempel, Jan van Aken, Annette Groth,
Inge Höger, Ulla Jelpke, Jan Korte, Niema Movassat, Dr. Alexander S. Neu,
Dr. Petra Sitte, Halina Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE.

Vorgesehene Verknüpfung europäischer Polizeidatenbanken

Der Bundesminister des Innern Dr. Thomas de Maizière fordert eine Verknüp-
fung von bestehenden europäischen Datenbanken. In einem Interview mit der Ta-
geszeitung „DIE WELT“ vom 12. März 2016 erklärte der Bundesinnenminister,
auf diese Weise einen größeren Nutzen aus dem Schengener Informationssystem
(SIS), der Fingerabdruckdatei EURODAC oder dem Visa-Informationssystem
(VIS) ziehen zu wollen. Auch soll die Europäische Union laut dem Bundesinnen-
minister Dr. Thomas de Maizière „endlich“ ein Passagierdatenregister (EU-PNR)
einrichten. Mit der Forderung einer „Verknüpfung“ von europäischen Datenban-
ken widerspricht der Bundesinnenminister seiner Staatssekretärin. Zwei Wochen
zuvor hatte der Abgeordnete Dr. Alexander S. Neu gefragt, inwiefern EU-Daten-
banken untereinander vernetzt werden könnten oder sollten (Schriftliche Frage 20
auf Bundestagsdrucksache 18/7842). Laut der Staatssekretärin im Bundesminis-
terium des Innern, Dr. Emily Haber, nehme die Bundesregierung solche Überle-
gungen lediglich „zur Kenntnis und prüft sie jeweils eingehend“.
Außerdem fordert der Bundesinnenminister die baldige Einführung eines „Rei-
seregisters“. Die Europäische Kommission und der Rat arbeiten hierzu an der Er-
richtung eines Systems „Intelligente Grenzen“ für den Schengen-Raum. Von al-
len Einreisenden – auch Touristen, Geschäftsreisenden oder Studierenden – sol-
len Fingerabdrücke und womöglich das Gesichtsbild abgenommen und gespei-
chert werden. Auch „Intelligente Grenzen“ war eigentlich zum Zweck der Mi-
grationskontrolle angekündigt worden. Auch Polizeibehörden sollen nach derzei-
tigem Stand zugreifen dürfen. Frankreich fordert sogar die Ausweitung auf
Staatsangehörige der Europäischen Union. Für die Administration von VIS,
EURODAC und SIS hat die Europäische Union in Riga eine „Agentur für das
Betriebsmanagement von IT-Großsystemen“ eingerichtet. Dort würde auch das
System „Intelligente Grenzen“ angesiedelt. Am 23. März 2016 will die Europäi-
sche Kommission hierzu einen erneuerten Vorschlag präsentieren.
Laut dem Bundesministerium des Innern (BMI) habe ein Pilotprojekt des Systems
„Intelligente Grenzen“ schwere Mängel aufgezeigt (Bundestagsdrucksache
18/7835). So seien unerwartet viele „fachliche Sonderfälle“ aufgetreten, etwa
Reisende mit mehreren gültigen Visa, Personen mit mehreren Pässen oder Aus-
nahmen aufgrund bilateraler Abkommen. Auch sei ein signifikanter Anteil von
mangelhaften Dokumentendaten sowie von falsch gespeicherten Daten festge-
stellt worden. Eine Korrektur bei der Kontrolle der Betroffenen sei zu aufwändig
und sollte laut der Staatssekretärin Dr. Emily Haber besser an ein „Back Office“
verlagert werden. Nähere Erläuterungen zu diesem vorgeschlagenen „Hinter-
grundbüro“ fehlen.

Drucksache 18/8016 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
 

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Mit welchem Ergebnis hat die Bundesregierung die von der Europäischen

Kommission und dem Rat unter verschiedenen Präsidentschaften vorge-
brachten Überlegungen zur Verbesserung der Interoperabilität und Inter-
konnektivität der Systemlandschaft auf EU-Ebene hinsichtlich der Verknüp-
fung der existierenden Datenbanken EURODAC, SIS II, Prüm sowie ein
noch zu errichtendes EU-PNR-System jeweils geprüft (Schriftliche Frage 20
des Abgeordneten Dr. Alexander S. Neu auf Bundestagsdrucksache 18/7842)?

2. Inwiefern kann die Antwort der Bundesregierung auf die Schriftliche
Frage 20 auf Bundestagsdrucksache 18/7842 so verstanden werden, dass die
Bundesregierung sich stets reaktiv mit der etwaigen Verknüpfung existieren-
der oder noch zu errichtender Datenbanken befasst hat, eine solche Verknüp-
fung in Bezug auf EURODAC, SIS II, Prüm oder EU-PNR aber wie in ihrer
Antwort unerwähnt niemals selbst anregte?
a) Sofern die Bundesregierung die Europäische Kommission oder den Rat

demgegenüber um Prüfung einer möglichen Verknüpfung von Polizeida-
tenbanken bat, wem gegenüber wurde dies vorgetragen?

b) Wann könnten Ergebnisse vorliegen?
c) Sofern die Bundesregierung die Europäische Kommission oder den Rat

demgegenüber um Prüfung einer möglichen Verknüpfung von Polizeida-
tenbanken bat, aus welchem Grund wurde dies trotz Nachfrage nicht in
der Antwort der Bundesregierung auf die Schriftliche Frage 20 auf Bun-
destagsdrucksache 18/7842 erwähnt?

3. Wie definiert die Bundesregierung die „Interoperabilität“ von polizeilichen
und grenzpolizeilichen Datenbanken?

4. Welche Position vertritt die Bundesregierung zur Frage, hinsichtlich welcher
Zielsetzung die Rechtsrahmen für das SIS II und EURODAC überarbeitet
werden müssen?

5. Welche Haltung vertritt die Bundesregierung zur Frage, inwiefern Europol
auch im SIS II vorhandene Daten in eigene Informationssysteme übertragen
dürfte?

6. Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, über welche Schnittstellen
Europol den technischen Zugang zum SIS II, VIS und zu EURODAC erhält?

7. Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, inwiefern die Polizeiagentur
Europol (etwa zur Umsetzung der Schlussfolgerungen des Rates vom
20. November 2015) bereits daran arbeitet, systematische, nicht manuelle
Suchen nach Kreuztreffern („cross-checks“) im Batch-Verfahren im SIS II,
VIS oder in EURODAC vornehmen zu können?
a) Welche technische Infrastruktur wird hierfür errichtet?
b) Wann sollen diese Vorbereitungen abgeschlossen sein, und wann könnte

der Wirkbetrieb erfolgen?
c) Inwiefern werden dabei auch auch Informationen verarbeitet, die Europol

von US-Behörden erhält?
8. Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, inwiefern Europol selbst über

eine Schnittstelle seiner Datensammlungen zur ebenfalls bei Europol ange-
siedelten Zentralstelle für Geldwäsche-Verdachtsanzeigen (FIU.NET) ver-
fügt (Bundestagsdrucksache 18/7707)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/8016
 

9. Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, inwiefern die Polizeiagentur
Europol bereits daran arbeitet, systematische, nicht manuelle Suchen nach
Kreuztreffern („cross-checks“) ihrer Datensammlungen mit dem FIU.NET
vornehmen zu können?

10. Welche Haltung vertritt die Bundesregierung zur Frage, inwiefern das SIS II
weitere Datenfelder enthalten sollte, etwa „ausländische Kämpfer“, „Ausrei-
severbot“ oder „Gefährder“, und welche technischen und rechtlichen Ände-
rungen schlägt sie hierzu vor?
a) Inwiefern machen Bundes- und Landesbehörden davon Gebrauch, alle

„ausländischen Kämpfer“ systematisch in das SIS II einzustellen?
b) Auf welche Weise könnten aus Sicht der Bundesregierung Fahndungen

oder Feststellung von „ausländischen Kämpfern“ im SIS II angesiedelt
oder abgebildet werden?

11. Welche Mitgliedstaaten sind an der nach den Anschlägen im November 2015
in Paris gebildeten „Taskforce Fraternité“ beteiligt, und auf welche Weise
haben Bundes- und Landesbehörden an der Arbeit der Taskforce teilgenom-
men?

12. Welche Haltung vertritt die Bundesregierung zur Frage, inwiefern Europol
auch selbst Daten in das SIS II einstellen dürfte, und welche Einschränkun-
gen sollten für Ausschreibungen nach Artikel 36 des Ratsbeschlusses zum
SIS II (verdeckte Fahndung) gelten?

13. Wie verteilen sich die deutschen Ausschreibungen nach Artikel 36 des Rats-
beschlusses zum SIS II hinsichtlich der Bundespolizei, dem Bundeskriminal-
amt, dem Bundesamt für Verfassungsschutz, dem Zollkriminalamt und den
Zollfahndungsämtern (bitte auch nach Ausschreibungen gemäß Artikel 36
Absatz 2 und 3 des Ratsbeschlusses zum SIS II aufschlüsseln)?

14. Aus welchen Gründen ist es nach Kenntnis der Bundesregierung möglich
oder nicht möglich, eine Person per Artikel 36 des Ratsbeschlusses zum
SIS II im SIS II zur verdeckten Kontrolle auszuschreiben, wenn eine solche
Ausschreibung bereits durch eine andere Stelle erfolgte, und inwiefern
schlägt die Bundesregierung hierzu eine andere Regelung vor?

15. Inwiefern hat das Bundeskriminalamt mittlerweile nationale Experten oder
Verbindungsbeamte an das Europäische Zentrum für Terrorismusbekämp-
fung (ECTC) entsandt (Bundestagsdrucksachen 18/6737, 18/6223), und wel-
che Aufgaben werden dort übernommen?
a) Welche weiteren Mitgliedstaaten haben nach Kenntnis der Bundesregie-

rung nationale Experten oder Verbindungsbeamte an das ECTC entsandt?
b) Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, auf welche Weise das

US-amerikanische Federal Bureau of Investigation – FBI mit dem ECTC
kooperieren will, und welchen Inhalt soll ein entsprechendes Abkommen
haben (Ratsdokument 7188/16)?

16. Welche Haltung vertritt die Bundesregierung zur Frage, ob auch die
EU-Agentur Eurojust mit den Europol-Focal-Points „Travellers“ oder
„Hydra“ assoziiert werden sollte, und welche Einschränkungen hält sie
hierzu für sinnvoll?

Drucksache 18/8016 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
 

17. Welche Haltung vertritt die Bundesregierung zur Frage, inwiefern Europol
ähnlich wie in „Archimedes“ oder „Blue Amber“ zukünftig verstärkt an „Ge-
meinsamen Aktionstagen“ („Joint Action Days“) mit Polizeien der Mitglied-
staaten partizipieren sollte?
a) Welche Planungen für „Joint Action Days“ sind der Bundesregierung für

das Jahr 2016 bereits bekannt (bitte Name, Datum, Zielsetzung, Leiter und
Co-Leiter angeben)?

b) An welchen dieser „Joint Action Days“ werden sich nach derzeitigem
Stand auch Bundesbehörden beteiligen?

18. Wie viele Fingerabdrücke sind nach Kenntnis der Bundesregierung im SIS II
gespeichert, und wie viele davon wurden von deutschen Behörden einge-
stellt?

19. Auf welche Weise und in welchem Umfang nutzen deutsche Bundes- und
Landespolizeien nach Kenntnis der Bundesregierung die Fingerabdruckda-
tenbank EURODAC mittlerweile für die Strafverfolgung?
a) Welche Strafverfolgungsbehörden verfügen über entsprechenden Zu-

griff?
b) Welche Behörden fungieren dabei als Prüfstelle?

20. Welche Haltung vertritt die Bundesregierung zur Frage, inwiefern die
EU-Richtlinie zur Errichtung eines Passagierdatensystems (EU-PNR) noch
vor der Frist von zwei Jahren umgesetzt werden sollte oder könnte?
a) In welchem Zeitrahmen wäre die deutsche PNR-Zentralstelle für den An-

schluss an das System bereit?
b) Welche technischen Kapazitäten sind hierfür bereits vorhanden und wel-

che weiteren müssten errichtet werden?
c) Auf welche Weise nehmen Bundesbehörden an Pilotprojekten zur Ein-

führung eines PNR- oder API-Systems (API: Vorab-Passagier-Informati-
onssystem) teil?

21. Auf welche Weise bereiten Bundesbehörden die bei jedem Übertritt einer
EU-Außengrenze vorgeschriebene Abfrage der Interpol-Datenbank „Stolen
and Lost Travel Documents Database“ (SLTD) vor (Bundestagsdrucksache
18/4033)?
a) Wo finden etwaige Testbetriebe statt, und wer führt diese durch?
b) Wann soll der Wirkbetrieb begonnen werden?
c) In welchem Verhältnis stehen die von deutschen Behörden angelieferten

SLTD-Daten zum Gesamtbestand?
d) Auf welche Weise könnten bestehende europäische Datenbanken aus

Sicht der Bundesregierung miteinander „verknüpft“ werden, und welche
Datenbanken kämen hierfür infrage?

22. Über welche über das als Pilot getestete EU-System „Intelligente Grenzen“
verfügt ein vom Bundesverwaltungsamt als „rudimentäres“ Ein- und Ausrei-
sesystem programmiertes System (Bundestagsdrucksache 18/7835)?
a) Auf welche Weise soll die Anwendung die Kontrollen „noch realitätsnä-

her gestalten“?
b) Welche Unternehmen erhielten jeweils Aufträge für die „technische Ent-

wicklung und Integration von Kiosk-Systemen“, „Erweiterung der EES-
PC-Anwendung für die Grenzkontrolle“ (EES: Entry/Exit System), „In-
formationsmaßnahmen und Beratungsleistungen“ und „Erweiterung der
im Jahr 2015 im Pilotbetrieb genutzten begrenzten Hintergrundsysteme“?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/8016
 

23. Was ist damit gemeint, wenn die Bundesregierung in ihrer Antwort auf Bun-
destagsdrucksache 18/7835 hinsichtlich der Erfahrungen mit dem Pilotpro-
jekt zu einem EU-Ein- und Ausreiseregister davon spricht, die gefundenen
Fehler im Echtbetrieb durch Auslagerung an eine „separate Instanz (‚Back
Office‘) zu verlagern“, und wo könnte ein solches „Back Office“ aus Sicht
der Bundesregierung angesiedelt werden?

24. Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, inwiefern auch die geheim-
dienstliche „Counter Terrorism Group“ (CTG) das SIS II und ein zukünftiges
EU-PNR-System verstärkt nutzen wollen, und welche Schlussfolgerungen
oder Verabredungen sind ihr hierzu bekannt?
a) An welchen Treffen der CTG oder der von ihr errichteten „Plattform“ eu-

ropäischer Geheimdienste in Den Haag hat nach Kenntnis der Bundesre-
gierung der EU-Koordinator für die Terrorismusbekämpfung teilgenom-
men (Bundestagsdrucksache 18/7930)?

b) Welche „Möglichkeiten für eine engere Zusammenarbeit“ mit Europol
hat nach Kenntnis der Bundesregierung die CTG „sondiert“ (Bundestags-
drucksache 18/7930)?

c) Wie ist die Zusammenarbeit der CTG mit Europol und dem EU-Koordi-
nator für die Terrorismusbekämpfung aus Sicht der Bundesregierung da-
mit vereinbar, dass die Europäische Union gemäß dem EU-Vertrag über
kein Mandat für die Zusammenarbeit der Geheimdienste verfügt?

Berlin, den 29. März 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
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