BT-Drucksache 18/8011

Beiträge der Bundesregierung zur Verbesserung der sozialen Situation von NS-Opfern

Vom 29. März 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/8011
18. Wahlperiode 29.03.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Frank Tempel, Kerstin Kassner, Jan Korte,
Dr. Petra Sitte, Kersten Steinke und der Fraktion DIE LINKE.

Beiträge der Bundesregierung zur Verbesserung der sozialen Situation
von NS-Opfern

Bei der Konferenz des European Shoah Legacy Institute (ESLI) in Prag
(26./27. Mai 2015) bekräftigten alle Teilnehmer, darunter auch die Bundesrepublik
Deutschland, dass Überlebende des Holocaust und andere Opfer von Verfolgung
durch die Nazis einen Anspruch darauf haben, ihre letzten Lebensjahre frei von
Entbehrungen zu verbringen. Die Teilnehmer erkannten es als ihre Verpflichtung
an, die persönliche Würde der Überlebenden zu respektieren und verwiesen ins-
besondere auf die Dringlichkeit unmittelbarer Erfüllung der dringenden Bedürf-
nisse, einschließlich medizinischer, sozialer und emotionaler Unterstützung
(Concluding Statement der Vorsitzenden, vgl. shoahlegacy.org).
Der Appell ist leider nötig, weil Tausende von Überlebenden des NS-Terrors
heute in Armut leben. Vor allem in Osteuropa ist ihre soziale Situation häufig
prekär, aber nach Angaben der Jewish Claims Conference (JCC) ist auch in Nord-
amerika ein Viertel aller Überlebenden bedürftig („Help for Needy Holocaust
Survivors In Doubt as Donor Conference Scrapped“, Forward vom 14. Juni
2013).
Die Bundesregierung sieht sich bislang nicht in der Verantwortung, ihre Beiträge
in dieser Richtung zu stärken. Auf eine Schriftliche Frage der Abgeordneten Ulla
Jelpke im August 2015 verwies sie darauf, es liege „insbesondere in der jeweili-
gen nationalen Verantwortung […], eine umfassende Fürsorge für die Opfer des
Holocaust sicherzustellen.“
Im Schlusswort der Vorsitzenden wird allerdings ausgeführt, es sei eine „gemein-
same internationale, europäische und nationale Verantwortung“, die Überleben-
den zu ehren und sie zu unterstützen. Schon aus Gründen der historischen Ver-
antwortung kann Deutschland die Frage des Wohlergehens von überlebenden
NS-Verfolgten nicht allein jenen Staaten überlassen, in denen zwischen 1939 und
1945 Wehrmacht und SS bzw. deren einheimische Kollaborateure gewütet haben.
Die Fragesteller halten es für die Pflicht Deutschlands, insbesondere die osteuro-
päischen Staaten zu unterstützen, damit die Überlebenden ihre letzten Lebens-
jahre in Würde verbringen können. Auch in Deutschland sollte es nicht sein, dass
NS-Opfer, die bereits zu Beginn ihres Lebens kaum vorstellbare Entbehrungen
erlitten haben, am Ende ihres Lebens in Armut leben. Das ist nach Einschätzung
der Fragesteller aber insbesondere bei jüdischen Angehörigen der sog. Kontin-
gentflüchtlinge sowie unter Sinti und Roma der Fall.

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Die ESLI-Konferenz hat dafür geworben, durch einen „neuen Typ von Partner-
schaft“ zwischen europäischen Institutionen, Staaten, Nichtregierungs- und Inter-
nationalen Organisationen“ die gemeinsamen Anstrengungen zur Verbesserung
der sozialen Situation der Überlebenden zu intensivieren.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Mit welcher Motivation hat sich die Bundesregierung an der ESLI-Wohl-

fahrtskonferenz im Mai 2015 in Prag beteiligt?
2. Wie wird das ESLI nach Kenntnis der Bundesregierung finanziert, und mit

welchen Beiträgen beteiligt sich Deutschland daran (bitte soweit möglich
Beiträge aller Staaten differenziert darstellen)?
Inwiefern und aus welchen Gründen beabsichtigt die Bundesregierung, ihre
Unterstützung zu modifizieren?
Inwiefern leistet das ESLI nach Einschätzung der Bundesregierung konkrete
Unterstützung für die NS-Opfer, und wo besteht ggf. noch Verbesserungs-
potenzial?

3. Wie viele NS-Opfer sind heute nach Kenntnis der Bundesregierung bzw. nach
Einschätzung von Betroffenenvereinigungen noch am Leben, und in welchen
Ländern leben diese (bitte soweit wie möglich vollständig angeben)?

4. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung zur Frage, inwiefern überle-
bende NS-Opfer heute in Armut leben oder von Armut bedroht sind
a) in Deutschland,
b) in Europa und Israel,
c) außerhalb von Europa
(bitte jeweils soweit wie möglich, auch geschätzte, Angaben zur Zahl der
betroffenen Personen machen und erläutern, wie der Begriff Armut bzw. dro-
hende Armut für das jeweilige Land definiert ist)?

5. Welche Defizite sieht die Bundesregierung in der Versorgung bzw. sozialen
Absicherung von NS-Opfern (bitte ggf. auf die Situation in einzelnen Län-
dern eingehen)?

6. In welchen Bereichen (wie z. B. Pflege, psychosoziale Unterstützung,
Traumabehandlung, Projekte gegen Vereinsamung usw.) sieht die Bundes-
regierung diesbezüglich noch besondere Defizite bzw. Handlungsbedarf?
Inwiefern unterstützt die Bundesregierung entsprechende Projekte in diesen
Bereichen bzw. will sie diese Unterstützung ausbauen (bitte möglichst kon-
kret angeben)?

7. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung der Fragesteller,
Deutschland stehe in der Verantwortung, auch jene NS-Opfer zu unterstüt-
zen, die nicht in Deutschland leben, und dürfe diese Frage nicht allein der
jeweiligen nationalen Verantwortung überlassen (bitte begründen)?

8. Wie viele NS-Opfer erhalten laufende Leistungen aus Deutschland (bitte
möglichst nach rechtlicher Grundlage wie dem Bundesgesetz zur Entschädi-
gung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung – BEG, dem Gesetz
zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto –
ZRBG, Härterichtlinien des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes – AKG und
Entschädigungsprogrammen der JCC und ggf. anderen aufgliedern)?
a) Welche Höhe haben diese Leistungen im Monatsschnitt und pro Betroffe-

nem, und wie stellt sich die jeweilige Berechnungsgrundlage dar?
b) In welchen Ländern leben die Empfänger (bitte vollständig auflisten)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/8011
 

9. Wie schätzt die Bundesregierung das Verhältnis von noch lebenden
NS-Opfern und Empfängern laufender deutscher Entschädigungs- bzw.
ZRBG-Leistungen (inkl. JCC-Programme) ein?

10. Wie erklärt sich die Bundesregierung, dass trotz der Vereinbarungen insbe-
sondere mit der JCC immer noch jüdische NS-Opfer in Armut leben, und
welche Schlussfolgerungen zieht sie daraus?

11. Warum gibt es ähnliche Vereinbarungen wie mit der JCC, die Zahlungen an
jüdische Überlebende vorsehen, nicht auch mit Vertretern von anderen Op-
fergruppen, insbesondere von osteuropäischen Roma, die in aller Regel keine
laufenden Zahlungen aus Deutschland erhalten, und inwiefern will die Bun-
desregierung solche Vereinbarungen noch abschließen (wenn dies nicht ge-
plant ist, bitte begründen)?

12. Inwiefern teilt die Bundesregierung die Aussage der Vorsitzenden der
ESLI-Konferenz, die Fürsorge für die Überlebenden sei eine „gemeinsame
internationale, europäische und nationale Verantwortung“, und was unter-
nimmt sie ggf., um dieser Verantwortung nachzukommen?

13. Ist die Bundesregierung bereit, sich verstärkt dafür einzusetzen, dass überle-
bende NS-Opfer ihre letzten Lebensjahre nicht in Armut verbringen müssen,
und wenn ja, was will sie dafür konkret tun
a) für Betroffene in Deutschland,
b) für Betroffene im Ausland?

14. Inwiefern ist der angestrebte Länderaustausch über Best-Practice-Standards
der privaten Hilfsorganisationen und Betroffenenvereinigungen bislang
durchgeführt worden, welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung hieraus
gewonnen, und welche Schlussfolgerungen zieht sie daraus (bitte möglichst
umfassend darstellen)?

15. Welche Beiträge leistet die Bundesregierung zur Unterstützung staatlicher
wie privater Hilfsorganisationen sowie Betroffenenvereinigungen, die der
Unterstützung von NS-Opfern dienen (bitte vollständig und den Umfang der
jeweiligen Unterstützung angeben)?
Inwiefern beabsichtigt die Bundesregierung, ihr diesbezügliches Engage-
ment auszuweiten?

16. Was war nach Einschätzung der Bundesregierung mit der Formulierung vom
„neuen Typ von Partnerschaft“ zwischen europäischen Institutionen, Staa-
ten, NGOs und Internationalen Organisationen gemeint?
a) Welche Defizite in der bisherigen Kooperation zwischen Institutionen,

Staaten, NGOs und Internationalen Organisationen bzw. welchen Opti-
mierungsbedarf gibt es aus Sicht der Bundesregierung?

b) Welche Schritte zur Umsetzung dieses Vorhabens sind nach Kenntnis der
Bundesregierung bislang unternommen worden, und welche sind geplant?

c) Wie sieht der konkrete gegenwärtige oder zukünftige Beitrag der Bundes-
regierung hierzu aus?

17. Welche Maßnahmen unternimmt die Bundesregierung, um zu verhindern,
dass etwa ehemalige NS-Opfer unter osteuropäischen Kontingentflüchtlin-
gen oder Sinti und Roma in Deutschland nur auf die Grundsicherung ange-
wiesen sind?

18. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über spezifische Belastungen
von Angehörigen der zweiten bzw. dritten Generation, und was unternimmt
sie zur Unterstützung der Betroffenen?

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19. In welchen Staaten sind nach Kenntnis der Bundesregierung Renten bzw.
sonstige Zahlungen, die zugunsten von NS-Opfern erfolgen, nicht steuer-
bzw. anrechnungsfrei?

Berlin, den 29. März 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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