BT-Drucksache 18/7811

Schutz von Flüchtlingen in Deutschland

Vom 7. März 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/7811
18. Wahlperiode 07.03.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Dr. Petra Sitte, Kersten Steinke,
Halina Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE.

Schutz von Flüchtlingen in Deutschland

Straftaten gegen Asylsuchende und ihre Unterkünfte haben in Deutschland im
vergangenen Jahr massiv zugenommen. Im Vergleich zum Jahr 2014 haben die
Landespolizeibehörden eine Verfünffachung solcher Straftaten verzeichnet. Die
Zahl von Gewalttaten ist sogar überproportional auf über 170 angestiegen. Das
Leben von Flüchtlingen ist in Deutschland einer immer stärkeren Gefährdung
ausgesetzt.
Besorgnis erregt nicht nur diese Radikalisierung, sondern auch der Umstand, dass
es für offenen Rassismus zunehmende Akzeptanz gibt. Dies wurde etwa deutlich
darin, dass Anwohner angesichts einer brennenden Flüchtlingsunterkunft in Bau-
tzen offen applaudierten. Im sächsischen Clausnitz versuchte ein rassistischer
Mob die Ankunft von Flüchtlingen zu verhindern (vgl. Berichterstattung z. B. in
DER TAGESSPIEGEL, 21. Februar 2016, Süddeutsche Zeitung, 20. Feb-
ruar 2016).
Diese demokratiegefährdende Entwicklung verlangt nicht nur nach gesellschaft-
lichen und politischen Gegenstrategien, sondern auch nach kurzfristigen Maßnah-
men zum Schutz der betroffenen Flüchtlinge.
Das Bundeskriminalamt (BKA) selbst warnt schon seit Monaten davor, dass sich
ein rechtsextremistischer Terror herausbilden könnte. Es warnt auch vor neuen
Formen rassistischer Gewalt wie etwa der Blockade von Zufahrtswegen, um die
Ankunft von Flüchtlingen zu verhindern (DIE WELT, 22. Oktober 2015 und
21. Februar 2016). Genau solch ein Szenario hat sich in Clausnitz ereignet.
Die Fragestellerinnen und Fragesteller teilen die Sorge vor der Herausbildung ei-
nes rechten Terrors und weiterer rassistischer Gewalt, vermissen aber bislang ein
polizeiliches Sicherheitskonzept, um Flüchtlinge effektiv vor solcher Gewalt zu
schützen.
In Clausnitz wurde deutlich, dass die Behörden, die in der Flüchtlingsfrage enga-
giert sind, auf die Aufgabe des Schutzes der ihnen Anvertrauten teilweise nicht
vorbereitet, im schlimmsten Fall nicht einmal dazu bereit sind. So ist es den Fra-
gestellerinnen und Fragestellern unerklärlich, dass zum Leiter der Flüchtlingsun-
terkunft in Clausnitz ausgerechnet ein Mitglied der rechtspopulistischen AfD er-
nannt wurde, der nach Medienberichten schon mehrfach öffentlich gegen den an-
geblichen „Einmarsch“ von „Wirtschaftsflüchtlingen“ gehetzt und auf einer AfD-
Kundgebung unter dem Motto „Asylchaos stoppen“ aufgetreten war (Süddeut-
sche Zeitung, 20. Februar 2016). Der zuständige Landkreis hatte daran nichts aus-
zusetzen und äußerte sich vielmehr dahingehend, die Bewerbung des AfD-Politi-
kers auf die Stelle zeige, „dass er eine gute Grundeinstellung habe“ – ohne die

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Erwägung anzustellen, ob der AfD-Mann womöglich gleichsam als U-Boot von
Asylgegnern agieren und den Flüchtlingen Schaden zufügen wollte.
Bei den Ereignissen in Clausnitz hat sich das Fehlen eines Konzeptes zum Um-
gang mit solchen Situationen offenbart. Die Polizeikräfte sind, auch nachdem sie
verstärkt worden waren, nicht gegen den rassistischen Mob vorgegangen, sondern
haben vielmehr gegen einige der betroffenen Flüchtlinge Maßnahmen des kör-
perlichen Zwangs angewandt, um sie gewaltsam aus dem Bus zu holen. Die Fra-
gestellerinnen und Fragesteller halten dieses Verhalten für völlig verfehlt. Es
muss sichergestellt werden, dass der Schutz von Flüchtlingen vor einem deut-
schen Mob zu den Aufgaben der Polizei zählt.
Aussagen von sämtlichen Polizeigewerkschaften weisen zudem darauf hin, dass
die Polizei mit dem effektiven Schutz von Flüchtlingsunterkünften überfordert
ist. Angesichts der großen Bedeutung nicht nur des Grundrechts auf körperliche
Unversehrtheit, sondern auch der Bekämpfung rassistischer Gewalt darf die Bun-
desregierung die Länder bei diesem Thema nicht allein lassen.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wann wurde in der Bundespolizei, im BKA oder in Gemeinsamen Zentren

erstmals vor einer möglichen Eskalation rassistischer Gewalt im Zusammen-
hang mit der Flüchtlingsdebatte gewarnt?

2. Wann wurde in diesem Zusammenhang erstmals vor Szenarien wie Blocka-
den gewarnt, wie sie sich jetzt in Clausnitz ereignet haben?

3. Welche allgemeinen wie konkreten Hinweise hatte das BKA, die auf solche
bzw. ähnliche Szenarien hindeuteten?
Inwiefern liegen dem BKA mittlerweile verdichtete Hinweise auf die Pla-
nung solcher Aktionen vor?
Inwiefern erfolgen solche Planungen organisiert, und welchen Einfluss ha-
ben hierbei jeweils die rechtsextreme Szene und rechtspopulistische Kräfte
(bitte benennen)?

4. Welche Vorbereitungen bzw. Maßnahmen wurden im Bereich der Bundes-
polizei getroffen, um sich auf solche Szenarien vorzubereiten?

5. Welche Vorbereitungen wurden nach Kenntnis der Bundesregierung im Be-
reich der Länderpolizeien getroffen, um sich auf solche Szenarien vorzube-
reiten, insbesondere in den an Tschechien und Österreich grenzenden Län-
dern?

6. Inwiefern ist das Verhalten gegenüber einem rassistischen Mob, der Flücht-
linge bedroht oder Anfahrtswege blockiert, Bestandteil neu aufgelegter Fort-
bildungsprogramme für Polizisten oder soll es noch werden?

7. Hat das BKA ein Konzept entwickelt oder ist dies in Arbeit (bitte ggf. ange-
ben, bis wann es abgeschlossen sein soll), um die Polizei von Bund und Län-
dern auf die Herausforderungen in Zusammenhang mit den vom BKA selbst
beschriebenen Szenarien vorzubereiten?
Wenn ja, welche Angaben kann die Bundesregierung dazu machen, und
wenn nein, warum nicht?

8. Wurde ein solches Konzept nach Kenntnis der Bundesregierung im Bereich
der Länderpolizeien oder der Bundespolizei entworfen bzw. ist es in Arbeit,
und wenn ja, welche Angaben kann sie dazu machen?

9. Inwiefern wurde das Thema in (welchen) gemeinsamen Bund-Länder-Gre-
mien behandelt, und welche Verabredungen wurden dort getroffen?

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10. Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Fragestellerinnen und Frage-
steller, dass der Verzicht auf die Anwendung körperlichen Zwangs gegen
den rassistischen Mob in Clausnitz und die stattdessen erfolgte polizeiliche
Gewalt gegen einen Teil der Flüchtlinge dort darauf hindeutet, dass es im
polizeilichen Bereich Defizite bei der Bewältigung solcher Szenarien gibt
(bitte begründen)?

11. Welche über die vorangegangenen Angaben hinausgehenden Maßnahmen
will die Bundesregierung, ggf. gemeinsam mit den Ländern oder Dritten, er-
greifen, um eine Wiederholung von Szenarien wie in Clausnitz zu verhindern
und den effektiven Schutz von Flüchtlingen vor Blockaden, Straftaten,
Brandstiftungen und anderen Gewalttaten sicherzustellen?

12. Hält die Bundesregierung eine verstärkte (nicht unbedingt nachrichtendienst-
liche) Beobachtung der Tätigkeit von Rechtspopulisten für angezeigt (bitte
begründen), und was will sie hierzu ggf. unternehmen?

13. Inwiefern erfolgt von Seiten der Sicherheitsbehörden (Bund und Länder)
eine intensive Beobachtung des Internets, um dort Hinweise auf besonders
umstrittene (gefährdete) Flüchtlingsunterkünfte zu identifizieren (vor dem
Hintergrund, dass die geplante Unterkunft in Bautzen bereits u. a. auf der
Facebook-Seite „Bautzen steht auf“ nahezu unverblümt als Ziel eines An-
schlags dargestellt wurde, vgl. DER TAGESSPIEGEL 21. Februar 2016).

14. Inwieweit sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit für eine personelle
Aufstockung der Polizeien von Bund und ggf. Ländern?

15. Inwiefern sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit für eine Intensivie-
rung des Schutzes von Flüchtlingsunterkünften, ggf. auch durch private
Dienstleister, und welche über die derzeitigen Bestimmungen hinausgehen-
den Regelungen müssten für eine Qualitäts- und Zuverlässigkeitsprüfung pri-
vater Wachdienste getroffen werden?
Welche konkreten Maßnahmen unternimmt die Bundesregierung in diesem
Zusammenhang, ggf. gemeinsam mit den Ländern?

16. Inwiefern sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit einer intensiveren
Überprüfung von Personen, die als Leiter oder Mitarbeiter von Flüchtlings-
unterkünften ernannt werden sollen, nachdem in Clausnitz ausgerechnet ein
bekennender Gegner der Asylpolitik und Mitglied der rechtspopulistischen
AfD zum Leiter geworden war?
Welche Möglichkeiten sieht sie für ein entsprechendes Vorgehen, und was
unternimmt sie konkret in dieser Hinsicht?
Was wird nach ihrer Kenntnis diesbezüglich von den Behörden der Länder
unternommen?

17. Welche spezifischen Unterschiede gibt es aus Sicht der Bundesregierung für
die Gewährleistung eines effektiven Schutzes von Flüchtlingen in ländlichen
Gebieten im Vergleich zu großstädtischen Gebieten?
Welche realistischen Möglichkeiten zum effektiven Schutz abgelegener Un-
terkünfte in ländlichen Gebieten hat die Polizei überhaupt?

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18. Welche Herausforderungen stellen sich für eine Präventionsarbeit, die vor
dem Hintergrund, dass zahlreiche Tatverdächtige, die Straftaten gegen
Flüchtlingsunterkünfte begehen, staatsschutzmäßig noch nicht aufgefallen
sind, über bisherige Programme gegen Rechtsextremismus hinausgehen
müssen?
Was will die Bundesregierung unternehmen, um dem Rassismus in der so-
genannten Mitte der Gesellschaft entgegenzutreten, und inwiefern will sie
hier neue Programme auflegen bzw. bestehende verstärken?
Was wird in diesem Bereich nach Kenntnis der Bundesregierung in den Län-
dern unternommen?

Berlin, den 7. März 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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