BT-Drucksache 18/7775

30 Jahre Tschernobyl - Aktuelle Situation in der Ukraine

Vom 25. Februar 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/7775
18. Wahlperiode 25.02.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Marieluise Beck (Bremen),
Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, Matthias Gastel, Oliver Krischer,
Christian Kühn (Tübingen), Steffi Lemke, Peter Meiwald, Dr. Julia Verlinden
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

30 Jahre Tschernobyl – Aktuelle Situation in der Ukraine

Am 26. April 2016 jährt sich die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl zum
30. Mal. Hunderttausende verloren damals ihre Heimat und noch immer sind Re-
gionen in der Ukraine und in Belarus durch die damals freigesetzte Strahlung ver-
seucht. Tschernobyl wird für immer ein Symbol für die unkalkulierbaren Risiken
der Atomenergie bleiben. Immer noch gibt es viele Problemfelder auf der Anlage.
Die damaligen Sicherungsbauten sind in die Jahre gekommen und brüchig ge-
worden. Seit Jahren bemüht sich deshalb die internationale Gemeinschaft ge-
meinsam mit der Ukraine darum, die andauernden Risiken nuklearer Verseu-
chung mit neuen Sicherungsmaßnahmen einzudämmen. Die Finanzierung der Ar-
beiten in Tschernobyl wird im Rahmen des Chernobyl Shelter Fund (CSF) auch
über deutsche Steuergelder geregelt. Tschernobyl wird auch für kommende Ge-
nerationen eine große Herausforderung darstellen. Seine Sicherung wird erhebli-
che Finanzmittel in Anspruch nehmen und von dem weiterhin strahlenden Reak-
tor eine anhaltende Umweltgefährdung ausgehen. Tschernobyl ist damit ein mah-
nendes Beispiel für die mit der Atomenergie verbundenen Risiken und für die
Bürde, die wir mit ihrer Nutzung kommenden Generationen auferlegen. Es ist
besorgniserregend, dass die Ukraine trotz dieser Katastrophe und der aktuell un-
sicheren Lage im Land noch immer an der Atomkraft als wichtigsten Energieträ-
ger des Strom-Mix festhält.
Ebenso bedenklich ist, dass Belarus ein erstes Kernkraftwerk in unmittelbarer
Nachbarschaft und gegen den Widerstand Litauens zu bauen begonnen hat. Da
das Land 70 Prozent der Verstrahlung durch Tschernobyl zu erleiden hatte, dürfte
auch die Unterstützung in der belarussischen Bevölkerung für die Nutzung der
Kernenergie denkbar gering sein.
Bei dieser Kleinen Anfrage soll auch das spezifische Wissen der Gesellschaft für
Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) gGmbH abgefragt werden, die bis heute
im Auftrag des Bundesumweltministeriums in verschiedenen Projekten in
Tschernobyl aktiv ist. Daher sollen insbesondere auch die Erkenntnisse, die der
Bundesregierung als Hauptauftraggeberin der GRS vorliegen, mit in die Beant-
wortung der Kleinen Anfrage einbezogen werden.

Drucksache 18/7775 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Arbeiten werden nach Kenntnis der Bundesregierung derzeit zur
Überführung des Unfallstandorts Tschernobyl in ein ökologisch sicheres Ge-
biet durchgeführt, und wie weit sind die Maßnahmen jeweils fortgeschritten
(bitte mit genauer Angabe, um welche einzelnen Maßnahmen es sich handelt
und durch wen sie bis wann realisiert werden sollen)?

2. Müssen nach Kenntnis der Bundesregierung derzeit spezielle Stabilisie-
rungsmaßnahmen auf dem Gelände durchgeführt werden?

3. An welchen baulichen Maßnahmen ist die Bundesregierung mit Kosten
direkt bzw. über den Chernobyl Shelter Fund beteiligt?

4. Welche Messungen zur Radioaktivität werden nach Kenntnis der Bundesre-
gierung in Tschernobyl durchgeführt?

5. Welche Messdaten zu Freisetzungen von Radioaktivität liegen nach Kennt-
nis der Bundesregierung vor (insbesondere zu Radioaktivitätsmessungen in-
nerhalb und in der unmittelbaren Umgebung des Sarkophags)?

6. Wie ist nach Kenntnis der Bundesregierung der Zustand des Sarkophags?
7. Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung Probleme beim Sarkophag, die

für einen schnelleren Verfall der Gebäudestruktur sorgen könnten (wie z. B.
eindringendes Wasser oder anderweitige Feuchtigkeit)?

8. Wie viel Wasser oder andere Feuchtigkeit dringt nach Kenntnis der Bundes-
regierung in das Reaktorgebäude 4 ein, und welche Probleme ergeben sich
dadurch?

9. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung zum unterirdischen Lehm-
wall, der den Fluss Prypjat vor radioaktivem Wasser schützen soll, und wie
wirksam ist die Maßnahme nach ihrer Kenntnis?

10. Wie weit sind nach Kenntnis der Bundesregierung die Arbeiten an der Er-
richtung der neuen Schutzhülle, dem sogenannten New Safe Confinement
(NSC) vorangeschritten, und wie weit hat sich die offizielle Fertigstellung
mittlerweile verzögert?

11. Woran wird nach Kenntnis der Bundesregierung derzeit gearbeitet bzw. wo-
ran muss noch gearbeitet werden?

12. Welche baulichen und finanziellen Probleme gab und gibt es bei der Errich-
tung des NSC?

13. Wie belastbar ist nach Kenntnis der Bundesregierung eine Fertigstellung bis
2017?

14. Welche Gefahren sieht die Bundesregierung bezüglich der späten Fertigstel-
lung des NSC (unter Berücksichtigung der Tatsache, dass dem bisherigen
Betonschutz lediglich eine Standfestigkeit von maximal 25 Jahren, also bis
2011, bescheinigt wurde)?

15. Konnten nach Kenntnis der Bundesregierung alle Finanzierungslücken ge-
schlossen werden bzw. wie viel Geld fehlt ihrer Kenntnis nach derzeit noch,
um den NSC fertigzustellen?

16. Welche Optionen hat die Bundesregierung mit ihren Partnern entwickelt, um
die Finanzierung für den NSC dauerhaft zu gewährleisten?

17. Welche Auswirkungen hat laut Einschätzung der Bundesregierung der Aus-
schluss Russlands aus der Gruppe der G8 auf die Finanzierung sowie Arbei-
ten in Tschernobyl?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/7775

18. Wie genau sollen nach Kenntnis der Bundesregierung Korrosionen im NSC

verhindert werden?
19. Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung einen Plan für den Rückbau des

alten Sarkophags, und wenn ja, welche Phasen und welchen Zeitplan umfasst
dieser?

20. Welche weiteren Problemfelder gibt es nach Einschätzung der Bundesregie-
rung auf der Anlage in Tschernobyl?

21. Gibt es bei diesen Maßnahmen nach Kenntnis der Bundesregierung ebenfalls
bekannte Verzögerungen, und wenn ja, welche und welche Kosten ziehen sie
nach sich?

22. Wie weit sind nach Kenntnis der Bundesregierung die Planung und der Bau
des Langzeitzwischenlagers für abgebrannte Brennelemente Interim Spent
Fuel Storage Facility (ISF-2) fortgeschritten?

23. Wie viele schwach- und mittelaktive Abfälle werden nach Kenntnis der Bun-
desregierung derzeit im Endlager Buryakovka gelagert, das sich 13 Kilome-
ter entfernt vom AKW-Standort befindet, und sollen dort weitere Einlagerun-
gen stattfinden, was möglicherweise eine Erweiterung des Lagers erforder-
lich machen würde?

24. Ist nach Kenntnis der Bundesregierung das Endlager im Komplex „Vektor“,
das einen großen Teil der kurzlebigen mittel- und schwachradioaktiven Ab-
fälle aus dem Betrieb und Rückbau von Tschernobyl aufnehmen soll, mitt-
lerweile in Betrieb?

25. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über weitere Deponien mit radio-
aktiven Materialien aus den Aufräumarbeiten direkt nach dem Unfall, die
sich nicht auf dem Gelände befinden?

26. Auf welchem Stand ist nach Kenntnis der Bundesregierung die ukrainische
Suche nach einem Endlager für schwach-, mittel- und hochradioaktiven
Atommüll?

27. Unterstützt die Bundesregierung, auch im Rahmen der G7, die Ukraine bei
der Konzeptionierung zur Entnahme der kontaminierten Materialien, und
wenn nein, wieso nicht (bitte mit Erläuterung)?

28. Wann ist nach Kenntnis der Bundesregierung mit einer Entnahme der konta-
minierten Materialien in Tschernobyl zu rechnen?

29. Wird sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass die Ukraine bei der Be-
seitigung der in Block 4 enthaltenen radioaktiven Abfälle unterstützt wird
(wenn nein, bitte begründen)?

30. Für wann und mit welchem Inhalt sind im vierten Quartal 2015 und ersten
sowie zweiten Quartal 2016 Besprechungen mit den G7-Partnern, der Euro-
päischen Kommission und der Europäischen Bank für Wiederaufbau und
Entwicklung (EBWE) zu den Arbeiten/der Finanzierung in Tschernobyl ge-
plant (bitte mit Angabe von Daten, Teilnehmerinnen bzw. Teilnehmern und
Tagesordnung)?

31. Welche Gespräche hat die Bundesregierung in der letzten Zeit zur Sicher-
heitslage an den ukrainischen Atomanlagen geführt, und falls sie welche ge-
führt hat, mit welchem Ergebnis?

32. Wie viele Gelder wurden nach Kenntnis der Bundesregierung der Ukraine
bis dato zur Instandhaltung ihrer Atomanlagen bewilligt, und durch wen
(bitte detaillierte Auflistung)?

33. Welche Modernisierungsarbeiten werden nach Kenntnis der Bundesregie-
rung derzeit an den weiteren ukrainischen Atomanlagen durchgeführt?

Drucksache 18/7775 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

34. Welche Auswirkungen hat nach Einschätzung der Bundesregierung der ak-

tuelle Konflikt zwischen Russland und der Ukraine (insbesondere in Bezug
auf die Wartung ukrainischer Anlagen, die mit russischer Technologie be-
trieben werden, z. B. die verbliebenen Reaktoren des Typs RBMK-1000)?

35. Hat die Bundesregierung Erkenntnisse über die Umsetzung des Espoo-Be-
schlusses (EIA/IC/CI/4) bezüglich einer grenzüberschreitenden Umweltver-
träglichkeitsprüfung für die im Fall des AKW Rivne erteilte Laufzeitverlän-
gerung?

36. In welchem Rahmen hat die Bundesregierung bereits mit der ukrainischen
Regierung über die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung in
diesem Fall gesprochen (wenn nein, bitte erläutern)?

37. Sind der Bundesregierung weitere geplante Laufzeitverlängerungen an den
ukrainischen Atomkraftwerken bekannt (wenn ja, bitte einzeln auflisten)?

38. Wenn ja, wird sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass ähnlich wie im
Fall AKW Rivne eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt werden
muss (wenn nein, bitte begründen)?

39. Wie bewertet die Bundesregierung den Zustand der Atomanlagen in der Rus-
sischen Föderation und weiteren Nachfolgestaaten der Sowjetunion, die
solche Anlagen aus dem vorhergehenden Staatenbund erbten, und in welcher
Weise kooperiert sie mit den betroffenen Staaten im Interesse höherer
Sicherheit mit dem Ziel, die Atomanlagen zu modernisieren oder diese mög-
lichst zeitig stillzulegen?

Berlin, den 23. Februar 2016

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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