BT-Drucksache 18/7770

Beteiligung von Russlanddeutschen an Demonstrationen gegen Flüchtlinge

Vom 26. Februar 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/7770
18. Wahlperiode 26.02.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Wolfgang Gehrcke, Christine Buchholz,
Inge Höger, Katrin Kunert, Martina Renner, Jörn Wunderlich und der Fraktion
DIE LINKE.

Beteiligung von Russlanddeutschen an Demonstrationen gegen Flüchtlinge

Am 24. und 25. Januar 2016 kam es in verschiedenen Städten der Bundesrepublik
Deutschland zu Demonstrationen gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregie-
rung, an denen sich insbesondere sogenannte Russlanddeutsche – also aus der
früheren Sowjetunion und ihren Nachfolgestaaten nach Deutschland übergesiedelte
deutsche bzw. deutschstämmige Aussiedler bzw. Spätaussiedler – beteiligten. In
Berlin protestierten rund 700 Russlanddeutsche gemeinsam mit der rechtsextremen
Bärgida, dem Berliner Pegida-Ableger, mit Parolen wie „Wir sind gegen Flücht-
linge!“ vor dem Bundeskanzleramt. Überwiegend in Süddeutschland kam es in ei-
ner Reihe von Städten zu weiteren Kundgebungen von vornehmlich Russlanddeut-
schen gegen Flüchtlinge. Auch am folgenden Wochenende gab es entsprechende
Demonstrationen insbesondere in Süddeutschland. Zur Berliner Kundgebung vor
dem Bundeskanzleramt hatte ein 2002 gegründeter „Internationaler Konvent der
Russlanddeutschen“ mobilisiert, dessen in Kasachstan geborener Vorsitzender
Heinrich Grout zu weiteren Protesten „gegen die bösartige Überflutung Deutsch-
lands und anderer europäischer Staaten mit Migranten“ aufruft. Offizielle Vertreter
von Verbänden der Russlanddeutschen distanzierten sich von den flüchtlingsfeind-
lichen Demonstrationen (www.sueddeutsche.de/politik/fluechtlinge-zweifelhafter-
bericht-schuert-aengste-unter-russlanddeutschen-1.2834562; www.berliner-
zeitung.de/berlin/angebliche-vergewaltigung-einer-13-jaehrigen-das-miese-spiel-
der-rechten-russlanddeutschen,10809148,33610246.html).
Auslöser der Proteste waren Berichte des russischen Fernsehsenders „Perwij Ka-
nal“ über die angebliche Entführung und Vergewaltigung einer russlanddeutschen
Schülerin am 11. Januar 2016 in Berlin-Marzahn. Zwar hatte es nach Ansicht der
ermittelnden Berliner Polizei „keine Entführung und keine Vergewaltigung“ gege-
ben. Doch eine – angebliche – Tante des Mädchens behauptet dagegen in einem am
16. Januar 2016 in den russischen Abendnachrichten ausgestrahlten Bericht, das
Mädchen sei von einem „Mann mit arabischen Aussehen“ entführt und von diesem
gemeinsam mit zwei ausländisch aussehenden Komplizen „30 Stunden lang“ ver-
gewaltigt worden. Der Fernsehbericht zeigt zudem Ausschnitte von einem „spon-
tanen Volksauflauf“ – in Wahrheit einer NPD-Kundgebung –, an der offenbar auch
Russlanddeutsche teilnahmen. Ergänzt wurde der Fernsehbericht mit der Behaup-
tung, solche Taten seien in Deutschland derzeit keine Einzelfälle. Der Bericht des
russischen Senders wurde mit deutschen Untertiteln versehen von der rechten
Gruppe „Anonymous Community“ über soziale Netzwerke verbreitet (www.nzz.ch/
international/wie-putins-propaganda-die-russlanddeutschen-aufhetzt-1.18683335).

Drucksache 18/7770 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Ende Januar 2016 wurde geklärt, dass die Angaben des Mädchens über seine Ver-
gewaltigung frei erfunden waren und dieses sich vielmehr aufgrund von Schulprob-
lemen nicht nach Hause getraut und bei einem Bekannten übernachtet hatte
(www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2016-01/maedchen-russlanddeutsche-
vergewaltigung-verdacht-berlin).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Aufzüge von Russlanddeutschen, also deutschstämmigen Aussied-

lern oder Spätaussiedlern aus der Sowjetunion und ihren Nachfolgestaaten,
im Januar 2016 zur Flüchtlingsthematik oder der Thematik der inneren
Sicherheit sind der Bundesregierung bekannt (bitte Datum und Ort, Teilneh-
merzahl, Veranstalter und genaues Thema benennen)?
a) Wie beziehungsweise über welche Medien wurde jeweils nach Kenntnis

der Bundesregierung auf diese Aufzüge mobilisiert?
b) An wie vielen und welchen dieser Aufzüge beteiligten sich nach Kenntnis

der Bundesregierung wie viele Personen aus dem rechtsextremistischen
Spektrum (bitte die jeweiligen rechtsextremen bzw. rechtsextrem beein-
flussten Gruppierungen benennen)?

c) In wie vielen und welchen Fällen beteiligten sich nach Kenntnis der Bun-
desregierung Russlanddeutsche an Aufzügen welcher rechtsextremisti-
schen Gruppierungen?

d) In wie vielen und welchen Fällen fanden die Aufzüge nach Kenntnis der
Bundesregierung vor oder in der Nähe von Flüchtlingsunterkünften statt?

e) Inwieweit kam es bei diesen Aufzügen nach Kenntnis der Bundesregie-
rung zu einschlägigen Straf- und Gewalttaten?

f) Welche russlanddeutschen Verbände beteiligten sich nach Kenntnis der
Bundesregierung jeweils an diesen Aufzügen?

g) Welche Stellungnahmen von welchen Verbänden der Russlanddeutschen
zu diesen Aufzügen oder den dort vorgetragenen Forderungen sind der
Bundesregierung bekannt?

h) Wie viele vergleichbare Aufzüge von Russlanddeutschen zu diesen oder
ähnlichen Themen fanden nach Kenntnis der Bundesregierung wann bzw.
zu welchen Anlässen innerhalb der letzten fünf Jahre statt?

2. Welche rechtsextremen oder rechtsextrem beeinflussten Vereinigungen von
Russlanddeutschen (deutschen Aussiedlern und Spätaussiedlern aus der
Sowjetunion und ihren Nachfolgestaaten) sind der Bundesregierung bekannt;
über wie viele Anhängerinnen und Anhänger bzw. welchen Einfluss inner-
halb der russlanddeutschen Community verfügen diese nach ihrer Kenntnis,
und inwieweit bestehen Verbindungen dieser Gruppierungen zu rechtsextre-
men Parteien oder Organisationen in Deutschland oder Russland sowie zu
russischen staatlichen Stellen?
a) Welche diesbezüglichen Erkenntnisse hat die Bundesregierung über das

„Internationale Konvent der Russlanddeutschen“?
b) Welche diesbezüglichen Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die

„Russlanddeutschen Konservativen“ und das Internetportal „Volksdeut-
sche Stimme“?

c) Welche diesbezüglichen Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die
„Schutzgemeinschaft Deutsche Heimat der Deutschen aus Russland
e. V.“?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/7770
d) Welche diesbezüglichen Erkenntnisse hat die Bundesregierung über den
„Arbeitskreis der Russlanddeutschen in der NPD“?

e) Welche diesbezüglichen Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die
„Deutsch-russische Friedensbewegung europäischen Geistes“?

3. Welche Haltung nehmen nach Kenntnis der Bundesregierung rechtsextreme
und rechtsextrem beeinflusste deutsche Organisationen und Bewegungen in
der Bundesrepublik Deutschland gegenüber Russlanddeutschen ein, und in-
wieweit gab oder gibt es Versuche der Zusammenarbeit, der Wähler- oder
Mitgliedergewinnung unter Russlanddeutschen (bitte nach Organisationen
und Bewegungen aufschlüsseln, also z. B. NPD, rechtsextreme Pegida-Ab-
leger, Pro-Bewegung, Partei Die Rechte, Partei III. Weg etc.), und welche
Resonanz hatten diese Versuche nach Kenntnis der Bundesregierung?

4. Welche Rolle spielen nach Kenntnis der Bundesregierung die Themen
„Flüchtlinge“ und „Migration“ innerhalb der russlanddeutschen Community
in der Bundesrepublik Deutschland und inwieweit hat sich hier in der letzten
Zeit eine Wandlung oder Entwicklung in der politischen Einstellung erge-
ben?

5. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über besondere Ängste unter
Russlanddeutschen gegenüber Flüchtlingen und Zuwanderung?
a) Was ist nach Kenntnis der Bundesregierung gegebenenfalls die Ursache

oder Auslöser für solche Ängste?
b) Sind der Bundesregierung Studien oder ähnliche Dokumentationen zu

Fremdenfeindlichkeit und Rassismus unter Russlanddeutschen bekannt,
und wenn ja, welche?

c) Welche Maßnahmen planen die Bundesregierung – und nach ihrer Kennt-
nis die Länder – um unter Russlanddeutschen eine gezielte Aufklärungs-
arbeit zur Flüchtlingsthematik zu leisten?

Berlin, den 25. Februar 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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