BT-Drucksache 18/7719

Entwurf eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes zur Änderung des Sexualstrafrechts

Vom 25. Februar 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/7719
18. Wahlperiode 25.02.2016

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Cornelia Möhring, Frank Tempel,
Dr. André Hahn, Ulla Jelpke Jan Korte, Petra Pau, Martina Renner,
Kersten Steinke und der Fraktion DIE LINKE.

Entwurf eines … Strafrechtsänderungsgesetzes zur Änderung des
Sexualstrafrechts
(… StrÄndG)

A. Problem
Das Sexualstrafrecht schützt die sexuelle Selbstbestimmung nicht ausreichend.
Dies wird insbesondere im Hinblick auf den Vergewaltigungstatbestand des § 177
des Strafgesetzbuchs (StGB) deutlich, dessen integraler Bestandteil eine Nöti-
gung ist.
Mit der bisherigen Lösung wird die sexuelle Selbstbestimmung im Rahmen des
Vergewaltigungstatbestandes auf Fälle der sexuellen Nötigung mit Gewalt, Dro-
hung mit gegenwärtiger Leibes- oder Lebensgefahr oder unter Ausnutzung einer
Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist, be-
schränkt. Der bisherige § 177 StGB setzt sich mithin aus einer Nötigungs- und
einer sexuellen Komponente zusammen. Die Nötigungskomponente verlangt die
Überwindung des entgegenstehenden Willens des Opfers mit Zwangsmitteln.
Darüber hinaus wird für eine Strafbarkeit nach § 177 StGB verlangt, dass die Dul-
dung der sexuellen Handlung Folge einer Nötigung ist (objektiver Kausalzusam-
menhang). Die Duldung der sexuellen Handlung muss vom Täter schon bei der
Anwendung von Zwangsmitteln gewollt gewesen sein (subjektiver Finalzusam-
menhang).
Daraus folgt eine Schutzlücke vor allem in Fällen, bei denen objektiv keine
schutzlose Lage gegeben ist, auf eine Nötigung verzichtet wird, und in Fällen
überraschender sexueller Übergriffe.
So verlangt der Bundesgerichtshof (BGH) aufgrund der Tatbestandsformulierung
des § 177 Abs. 1 StGB, der in allen drei Varianten ein „Nötigen“ voraussetzt, das
Vorliegen einer objektiv schutzlosen Lage für die Strafbarkeit. Ist diese nicht ge-
geben, reicht ein einfaches „Nein“ oder ein beständiges Weinen, das die ableh-
nende Haltung deutlich erkennen lässt, nicht aus, um eine Strafbarkeit nach § 177
StGB zu begründen. Es sind auch solche Fälle nicht erfasst, in denen das Opfer
wegen früherer Gewalt, die bei der konkreten Tat aber nicht ausgeübt oder ange-
droht wird, die sexuelle Handlung duldet. Darunter fallen vor allem Gewaltbezie-
hungen, in denen zu früheren Zeitpunkten sexuelle Handlungen erzwungen wur-
den und allein aus Angst vor weiteren gewalttätigen Handlungen lediglich ein
„Nein“ ausgesprochen, aber auf weitere Abwehrhandlungen verzichtet wird.

Drucksache 18/7719 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Ebenfalls nicht erfasst sind Fälle, in denen ein Finalzusammenhang zwischen Ge-
walt und Duldung einer sexuellen Handlung nicht gegeben ist. Das sind zum Bei-
spiel Fälle, in denen der Täter zwar Gewalt ausübt oder damit droht oder das Opfer
in schutzloser Lage zur Duldung nötigt, sein Entschluss zur Vornahme sexueller
Handlungen jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt gefasst wird, das Opfer aber
aufgrund der vorherigen Gewaltanwendung, -drohung oder Nötigung einge-
schüchtert ist.
Zudem fallen nach der Rechtsprechung des BGH auch überraschende sexuelle
Übergriffe nicht in den Anwendungsbereich des § 177 StGB. Dies meint Fälle, in
denen das Opfer aus verschiedenen Gründen (z. B. Schlaf, Krankheit, Behinde-
rung) nicht in der Lage ist einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu be-
tätigen. Wenn aber kein entgegenstehender Wille gebildet oder betätigt werden
kann, kann auch keine Willensbeugung im Sinne einer Nötigung stattfinden. Da-
mit sind unter anderem Fälle zunächst einvernehmlicher sexueller Handlungen
gemeint, bei denen der Täter durch den plötzlichen Übergang zu sexuellen Vari-
ationen den Willen des Opfers missachtet.
Die sexuelle Selbstbestimmung bedarf aber eines umfassenden Schutzes. Der
Grundsatz „ein Nein ist ein Nein“ muss deshalb gesetzlich verankert werden.
Überraschungsfälle und andere Fälle, bei denen eine Willensbildung nicht mög-
lich ist, müssen ebenso einer Strafbarkeit unterliegen.

B. Lösung
Der vorliegende Gesetzentwurf schafft eine gesetzliche Grundlage dafür, die se-
xuelle Selbstbestimmung umfassend zu schützen. Durch einen Grundtatbestand
der Strafbarkeit nicht einvernehmlicher sexueller Handlungen und Vergewalti-
gung wird der gesetzgeberische Wille zum Ausdruck gebracht, dass ein „Nein“
auch Nein heißt und sexuelle Handlungen gegen den erkennbaren Willen einer
anderen Person sowie Überraschungsfälle und andere Fälle, in denen sich bei-
spielsweise wegen Drogeneinflusses oder aufgrund geistiger Behinderung kein
Willen bilden konnte, unter Strafe gestellt werden.
Die Formulierung eines neuen Grundtatbestandes der Strafbarkeit nicht einver-
nehmlicher sexueller Handlungen und Vergewaltigung bringt es zwingend mit
sich, dass das Sexualstrafrecht neu gestaltet und systematisch angepasst werden
muss. Neben dem Grundtatbestand werden Qualifizierungstatbestände eingeführt.
Diese gehen im Regelfall auf die derzeit geltende Rechtslage zurück.
Der unverhandelbare und im Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes (Art. 20
Abs. 3 GG) verankerte Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“ (sogenannter
In-dubio-pro-reo-Grundsatz) bringt es mit sich, dass die vorgeschlagene Geset-
zesänderung in sog. Zweierkonstellationen nicht zwingend zu mehr Verurteilun-
gen führen wird. Dies muss ehrlichkeitshalber dazu gesagt werden. Denn bei Se-
xualdelikten ist die mangelnde Beweisbarkeit häufig das Problem. Oftmals kön-
nen Beweismittel nicht gesichert werden und es entsteht ohne die Anwesenheit
von Zeuginnen oder Zeugen häufig eine Aussage-gegen-Aussage-Situation von
zwei Personen. In Fällen, bei denen aber zusätzliche Beweismittel zur Verfügung
stehen und die bisher allein wegen der erwähnten Strafbarkeitslücken ungestraft
blieben, werden künftig Verurteilungen ermöglicht.
Im Hinblick auf das Ultima-Ratio-Prinzip des Strafrechts, erst als letztes Mittel
zur Ahndung von Verhaltensweisen und zur Sicherstellung des Rechtsfriedens zur
Anwendung zu kommen, werden darüber hinaus sozial nicht adäquate Handlun-
gen, die aber wegen ihres relativ geringen Unrechtsgehalts nicht zwingend der

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/7719

Antwort mit dem Strafrecht bedürfen, aus dem StGB gestrichen und in das Ord-
nungswidrigkeitengesetz überführt. Das betrifft exhibitionistische Handlungen
(§ 183 StGB) und die Erregung öffentlichen Ärgernisses (§ 183a StGB).

C. Alternativen
Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Bundestagsdrucksa-
che 18/5384) und Referentenentwurf des Bundesministeriums für Justiz und Ver-
braucherschutz.
Auch der Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Bundestags-
drucksache 18/5384 (vgl. http://dip21.bundes-
tag.de/dip21/btd/18/053/1805384.pdf), regelt in § 177 Absatz 2 StGB den Grund-
satz „Nein heißt Nein“, in dem auf das zum Ausdruckbringen des entgegenste-
henden Willens des Opfers abgestellt wird. Allerdings stellt er zunächst in Fort-
führung der bisherigen Rechtslage in Absatz 1 auf eine Drohung mit einem emp-
findlichen Übel ab. Die erforderliche Signalwirkung, dass ein „Nein“ auch Nein
heißt, kommt gesetzessystematisch damit nicht klar genug zum Ausdruck. Dar-
über hinaus sieht der Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
eine Höchststrafe von bis zu fünf Jahren für die Fälle des Grundtatbestandes vor.
Da das gleiche Strafmaß auch für die Fälle von sexueller Nötigung vorgesehen
ist, geht der Unterschied im Unrechtsgehalt verloren. Eine getrennte Behandlung
von Fällen ohne Willensbildung und Fällen mit Willensbildung erscheint aus ge-
setzessystematischen Gründen gegenüber der gemeinsamen Behandlung in einem
Straftatbestand § 177 StGB, wie in diesem Gesetzentwurf vorgesehen, vorzugs-
würdig.
Der Referentenentwurf des Bundesministeriums für Justiz und Verbraucherschutz
(vgl. http://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Doku-
mente/RefE_SchutzSexuelleSelbstbestimmung.pdf?__blob=publication-
File&v=4) regelt zwar den sexuellen Missbrauch unter Ausnutzung besonderer
Umstände und versucht damit das Problem des bisherigen § 177 Abs. 1 Nr. 3
StGB zu lösen, der nicht alle strafwürdigen Fälle erfasst, unterlässt es aber eine
gesetzliche Festschreibung des Grundsatzes „Nein heißt Nein“ vorzunehmen.

D. Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand
Keine.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/7719

Entwurf eines … Strafrechtsänderungsgesetzes zur Änderung des
Sexualstrafrechts

(… StRÄndG)

Vom …

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1

Änderung des Strafgesetzbuches

Das Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), das
zuletzt durch … (BGBl. I S. …) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
1. In der Inhaltsübersicht wird der Dreizehnte Abschnitt wie folgt gefasst:

„Dreizehnter Abschnitt
Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

§ 174 Nichteinvernehmliche sexuelle Handlungen, Vergewaltigung
§ 174a (weggefallen)
§ 174b (weggefallen)
§ 174c (weggefallen)
§ 175 Sexuelle Nötigung
§ 176 Sexuelle Nötigung und Vergewaltigung mit Todesfolge
§ 176a (weggefallen)
§ 176b (weggefallen)
§ 177 Sexuelle Handlungen unter Ausnutzung besonderer Umstände
§ 178 Sexueller Mißbrauch von Schutzbefohlenen
§ 178a Sexueller Mißbrauch von Gefangenen, behördlich Verwahrten oder Kranken und Hilfsbedürftigen

in Einrichtungen
§ 178b Sexueller Mißbrauch unter Ausnutzung einer Amtsstellung
§ 178c Sexueller Mißbrauch unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnis-

ses
§ 179 Sexueller Mißbrauch von Kindern
§ 179a Schwerer sexueller Mißbrauch von Kindern
§ 179b Sexueller Mißbrauch von Kindern mit Todesfolge
§ 180 Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger
§ 180a Ausbeutung von Prostituierten
§§ 180b und 181 (weggefallen)
§ 181a Zuhälterei
§ 181b Führungsaufsicht
§ 181c Vermögensstrafe und Erweiterter Verfall
§ 182 Sexueller Mißbrauch von Jugendlichen

Drucksache 18/7719 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

§ 183 (weggefallen)
§ 183a (weggefallen)
§ 184 Verbreitung pornographischer Schriften
§ 184a Verbreitung gewalt- oder tierpornographischer Schriften
§ 184b Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Schriften
§ 184c Verbreitung, Erwerb und Besitz jugendpornographischer Schriften
§ 184d Zugänglichmachen pornographischer Inhalte mittels Rundfunk oder Telemedien; Abruf kinder- und

jugendpornographischer Inhalte mittels Telemedien
§ 184e Veranstaltung und Besuch kinder- und jugendpornographischer Darbietungen
§ 184f Ausübung der verbotenen Prostitution
§ 184g Jugendgefährdende Prostitution
§ 184h Begriffsbestimmungen“.

2. In § 5 Nr. 8 werden die Wörter „§ 174 Absatz 1, 2 und 4, der §§ 176 bis 179“ durch die Wörter „§§ 174 bis
177, 178 Absatz 1, 2 und 4 sowie § 179“ ersetzt,

3. In § 66 Abs. 3 werden die Wörter „§§ 174 bis 174c, 176, 179 Absatz 1 bis 4“ durch die Wörter „§§ 177
Absatz 1 bis 4, § 179“ ersetzt.

4. In § 78b Absatz 1 Nr. 1 werden die Wörter „§§ 174 bis 174c, 176 bis 179“ durch die Wörter „§§ 174 bis
177, 178 bis 178c und 179“ ersetzt.

5. In § 140 werden die Wörter „§ 176 Abs. 3, nach den §§ 176a und 176b, nach den §§ 177 und 178 oder nach
§ 179 Absatz 3, 5 und 6“ durch die Wörter „§§ 174 bis 176, 177 Absatz 3, 5 und 6 oder nach § 179 Absatz 3“
ersetzt.

6. § 174 wird wie folgt gefasst:

㤠174
Nichteinvernehmliche sexuelle Handlungen, Vergewaltigung

(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person
vornimmt oder an sich vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung einer sexuellen Hand-
lung an oder mit einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe
bestraft.

(2) In besonders schweren Fällen ist die Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren. Ein besonders schwe-
rer Fall liegt in der Regel vor, wenn
1. der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer

vornimmt oder an sich vornehmen lässt, die das Opfer besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie
mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder

2. die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.
(3) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter eine Waffe oder ein

anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt oder das Opfer durch die Tat in die Gefahr einer schweren
Gesundheitsschädigung bringt.

(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter
1. bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder
2. das Opfer

a) bei der Tat körperlich misshandelt oder
b) durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.
(5) In minder schweren Fällen des Absatzes 2 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf

Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 3 und 4 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn
Jahren zu erkennen.“

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/7719
7. § 175 wird wie folgt gefasst:

㤠175
Sexuelle Nötigung

(1) Wer eine andere Person durch Drohung mit einem empfindlichen Übel nötigt, sexuelle Handlun-
gen des Täters oder eines Dritten an sich zu dulden oder an dem Täter oder einem Dritten vorzunehmen,
wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Wird die Tat durch Gewalt oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben
oder unter Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers begangen, beträgt die Freiheitsstrafe mindes-
tens ein Jahr.

(3) In besonders schweren Fällen ist die Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren. Ein besonders schwe-
rer Fall liegt in der Regel vor, wenn
1. der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vor-

nimmt oder an sich von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere, wenn sie
mit dem Eindringen in den Körper verbunden sind, oder

2. die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.
(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1. eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
2. sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt

oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder
3. das Opfer durch die Tat in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.

(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter
1. bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder
2. das Opfer

a) bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder
b) durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.
(6) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von mindestens sechs Mo-

naten, in minder schweren Fällen des Absatzes 3 ist auf Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr, in minder
schweren Fällen der Absätze 4 und 5 auf Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren zu erkennen. Der
Versuch des Absatzes 1 ist strafbar.“

8. § 176 wird wie folgt gefasst:

㤠176
Sexuelle Nötigung und Vergewaltigung mit Todesfolge

Verursacht der Täter durch die sexuelle Nötigung (§ 175) oder die Vergewaltigung (§ 174 Abs. 2) we-
nigstens leichtfertig den Tod des Opfers, so ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren zu erkennen.“

9. § 177 wird wie folgt gefasst:

㤠177
Sexuelle Handlungen unter Ausnutzung besonderer Umstände

(1) Wer unter Ausnutzung einer Lage, in der eine andere Person
1. aufgrund ihres körperlichen oder psychischen Zustandes zur Bildung eines erkennbaren Willens außer

Stande oder zum Widerstand unfähig ist,

Drucksache 18/7719 – 8 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

2. aufgrund der überraschenden Begehung der Tat zur Bildung eines erkennbaren Willens außer Stande
oder zum Widerstand unfähig ist,

sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von dieser Person vornehmen lässt, wird mit Freiheits-
strafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer eine zur Bildung eines erkennbaren Willens außer Stande oder zum
Widerstand unfähige Person (Absatz 1) dadurch missbraucht, dass er sie unter Ausnutzung dieser Zustände
dazu bestimmt, sexuelle Handlungen an einem Dritten vorzunehmen oder von einem Dritten an sich vorneh-
men zu lassen.

(3) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr zu erkennen. Ein be-
sonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn
1. der Täter die Lage ausnutzt, in der das Opfer einer Gewalteinwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert

ist, oder
2. die Bildung eines erkennbaren Willens oder die Widerstandsunfähigkeit nach Absatz 2 Nummer 1 auf

einer Behinderung des Opfers beruht.
(4) Der Versuch ist strafbar.
(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren ist zu erkennen, wenn

1. der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer oder
sich vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere, wenn sie mit dem Eindringen in
den Körper verbunden sind (Vergewaltigung),

2. die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird oder
3. der Täter das Opfer durch die Tat in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung oder einer er-

heblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung bringt.
(6) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nummer 2 ist auf Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu

fünf Jahren und in minder schweren Fällen des Absatzes 5 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn
Jahren zu erkennen.

(7) § 175 Absatz 5 und § 176 gelten entsprechend.“
10. Die §§ 174 bis 174b werden die §§ 178 bis 178c.
11. § 179 wird aufgehoben.
12. § 176 wird § 179.
13. Die §§ 176a und 176b werden die §§ 179a und 179b.
14. § 181b wird wie folgt gefasst:

„181b
Führungsaufsicht

In den Fällen der §§ 174 bis 181a und 182 kann das Gericht Führungsaufsicht anordnen (§ 68 Abs. 1).“
15. § 183 wird aufgehoben.
16. § 183a wird aufgehoben.
17. § 240 Absatz 4 wird wie folgt geändert:

a) Nummer 1 wird aufgehoben.
b) Die Nummern 2 und 3 werden die Nummern 1 und 2.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 9 – Drucksache 18/7719

Artikel 2

Änderung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten

Das Gesetz über Ordnungswidrigkeiten in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Februar 1987 (BGBl. I
S. 602), das zuletzt durch … (BGBl. I S. …) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
1. Der Dritte Teil des Zweiten Abschnitts in dem Inhaltsverzeichnis wird wie folgt gefasst:

„Zweiter Abschnitt
Verstöße gegen die öffentliche Ordnung § 116
Öffentliche Aufforderung zu Ordnungswidrigkeiten § 117
Unzulässiger Lärm § 118
Erregung öffentlichen Ärgernisses § 118a
Grob anstößige und belästigende Handlungen § 119
Exhibitionistische Handlungen § 119a
Verbotene Ausübung der Prostitution, Werbung für Prostitution § 120
Halten gefährlicher Tiere § 121
Vollrausch § 122
Einziehung; Unbrauchbarmachung § 123“.

2. Nach § 118 wird folgender § 118a eingefügt:

㤠118a
Erregung öffentlichen Ärgernisses

(1) Ordnungswidrig handelt, wer öffentlich sexuelle Handlungen vornimmt und dadurch absichtlich
oder wissentlich ein Ärgernis erregt.

(2) Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße bis zu eintausend Euro geahndet werden.“
3. Nach § 119 wird folgender § 119a eingefügt:

㤠119a
Exhibitionistische Handlungen

(1) Ordnungswidrig handelt, wer eine andere Person durch eine exhibitionistische Handlung belästigt.
(2) Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße bis zu eintausend Euro geahndet werden.“

Artikel 3

Änderung der Strafprozessordnung

Die Strafprozessordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, 1319),
die zuletzt durch … (BGBl. I S. …) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
1. § 53 Abs. 2 Nr. 2 StPO wird wie folgt gefasst:

„2. eine Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174, 175, 177, 178 bis 179 des Strafge-
setzbuches oder“

Drucksache 18/7719 – 10 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
2. § 100a Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe f wird wie folgt gefasst:

„f) Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung in den Fällen des § 175 Abs. 3 Nr. 2, § 177 Abs. 5
Nr. 3, der §§ 179a und 179b,“.

3. § 100c Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe d wird wie folgt gefasst:
„d) Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung in den Fällen des § 175 Abs. 3 Nr. 2, § 177 Abs. 5

Nr. 2, § 179a Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 3,“.
4. § 112a Abs. 1 Nr. 1 wird wie folgt gefasst:

„1. eine Straftat nach § 174 Abs. 2 bis 4, § 175 Abs. 2 bis 5, §§ 176, 177, 178, 178a, 179 bis 179b oder
nach § 238 Abs. 2 und 3 des Strafgesetzbuches oder“.

5. § 397a Abs. 1 Nr. 1 wird wie folgt gefasst:
„1. durch ein Verbrechen nach § 174 Abs. 2 bis 4, § 175 Absatz 2 bis 5, den §§ 177, 232 und 233 des

Strafgesetzbuches“.

Artikel 4

Änderung des Achten Buches Sozialgesetzbuch

In § 72a Abs. 1 des Achten Buches Sozialgesetzbuch – Kinder und Jugendhilfe – in der Fassung der Be-
kanntmachung vom 11. September 2012 (BGBl. I S. 2022), das zuletzt durch geändert … (BGBl. I S. …) geändert
worden ist, werden die Wörter „174 bis 174c, 176 bis 180a“ durch die Angabe „174 bis 179, 180, 180a“ ersetzt.

Artikel 5

Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes

§ 74 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Mai
1975 (BGBl. I S. 1077), das zuletzt durch geändert … (BGBl. I S. …) geändert worden ist, wird wie folgt gefasst:
1. „ des sexuellen Missbrauchs von Kindern mit Todesfolge (§ 179b des Strafgesetzbuches),
2. der sexuellen Nötigung und Vergewaltigung mit Todesfolge (§ 176 des Strafgesetzbuches),
3. des sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung besonderer Umstände mit Todesfolge (§ 177 in Verbindung

mit § 176 des Strafgesetzbuches),“.

Artikel 6

Änderung des Gendiagnostikgesetzes

In § 17 Abs. 6 des Gendiagnostikgesetzes vom 31. Juli 2009 (BGBl. I S. 2529, 3672), das zuletzt durch …
(BGBl. I S. …) geändert worden ist, werden die Wörter „§§ 176 bis 179 des Strafgesetzbuches“ durch die Wörter
„§ 174 Abs.2, den §§ 175 bis 177 und 179 bis 179b des Strafgesetzbuches“ ersetzt.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 11 – Drucksache 18/7719

Artikel 7

Inkrafttreten

Das Gesetz tritt am Tag nach seiner Verkündung in Kraft.

Berlin, den 24. Februar 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Drucksache 18/7719 – 12 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Begründung

A. Allgemeiner Teil

I. Zielsetzung und wesentlicher Inhalt des Entwurfs
Derzeit reicht ein „Nein“ im Hinblick auf sexuelle Handlungen nicht aus, um eine Strafbarkeit bei nichteinver-
nehmlichen sexuellen Handlungen oder einer Vergewaltigung zu begründen. Die sexuelle Selbstbestimmung ist
aber ein im Rahmen einer Demokratie essentielles Grundrecht. Die durch die derzeitige gesetzliche Regelung
existierende Rechtslücke muss geschlossen werden.
Das zentrale Manko liegt in der Formulierung des bisherigen § 177 StGB, der für alle in Betracht kommenden
Fälle eine Nötigungshandlung verlangt. Damit sind die Fälle nicht erfasst, in denen das Opfer den entgegenste-
henden Willen zwar artikuliert, der Täter sich aber ohne Ausübung von Zwang durch schlichte Nichtbeachtung
über diesen entgegenstehenden Willen hinwegsetzt. Im Hinblick auf die Tatbestandsalternativen des § 177 StGB
ist für die Strafbarkeit wegen sexueller Nötigung und wegen Vergewaltigung als besonders schwerer Fall eine
Nötigung mit Gewalt (Nr.1), die Nötigung durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben (Nr. 2)
oder die Nötigung unter Ausnutzung einer Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert
ist (Nr. 3), erforderlich. Die Schutzlücke besteht vor allem in Fällen, bei denen objektiv keine schutzlose Lage
gegeben ist, auf eine Nötigung verzichtet wird und in Fällen überraschender sexueller Übergriffe.
In der Kommentarliteratur heißt es diesbezüglich, dass der Einsatz bestimmter, in den Nummern 1-3 abschließend
aufgezählter Nötigungsmittel erforderlich ist, um auf den Willen des anderen (zwangsweise) einzuwirken (vgl.
BeckOK, StGB, § 177, Rdn. 8). Der Schutz der Freiheit der sexuellen Selbstbestimmung ist nicht vollständig
gewährt (vgl. Schönke/Schröder-Eisele, StGB, § 177, Rdn. 2). Die Rechtsprechung des BGH konnte die in der
Formulierung des § 177 StGB liegenden Probleme nicht beheben. Dies wäre auch rechtsstaatlich bedenklich, da
der Gesetzgeber mit dem Bestehen auf der Nötigung auch in der Tabestandsalternative der Nr. 3 in Absatz 1 einen
klaren gesetzgeberischen Willen zum Ausdruck gebracht hat.
Insbesondere im Hinblick auf § 177 Absatz 1 Nr. 3 (Ausnutzung einer Lage, in der das Opfer der Einwirkung des
Täters schutzlos ausgeliefert ist) hält der BGH entsprechend dem Wortlaut der Norm an der Notwendigkeit einer
Nötigung fest. Er hat beispielsweise ausgeführt: „Erforderlich ist stets, dass sich das Opfer aus Angst vor körper-
licher Beeinträchtigung nicht gegen den Täter zur Wehr setzt; es genügt nicht, dass es dies aus Angst vor der
Zufügung anderer Übel unterlässt, vgl. BGH, Beschluss vom 27.03.2003 (3 StR 446/02)- .: (Angst des Opfers vor
Zerstörung seiner Ehe durch den Täter). Eine Auslegung des Tatbestandsmerkmals des Ausnutzens einer schutz-
losen Lage dahingehend, dass es auch Fälle erfasst, in denen der Verzicht auf möglichen Widerstand allein darauf
beruht, dass das Opfer Nachteile nichtkörperlicher Art befürchtet, würde der Vorschrift des § 177 StGB die innere
Stimmigkeit nehmen, da auch die Nötigungsvariante des § 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB auf Drohungen mit gegenwär-
tiger Gefahr für Leib oder Leben beschränkt ist. Für Willensbeugungen anderer Art kommt lediglich der Tatbe-
stand der Nötigung, § 240 Abs. 1 und 4 StGB, in Betracht.“, vgl. BGH,Beschluss vom 04.04.2007 –(4 StR 345/06)
Rdn. 28, http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Ge-
richt=bgh&Art=en&sid=a8788a322310142525d3666849c61a74&nr=40191&pos=3&anz=51&Blank=1.pdf).
In einem Urteil vom 25.06.2006,(2 StR 345/05), http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtspre-
chung/document.py?Ge-
richt=bgh&Art=en&sid=a8788a322310142525d3666849c61a74&nr=35434&pos=9&anz=51&Blank=1.pdf) hat
der BGH ausgeführt: „Auf den Umstand des Alleinseins von zwei Personen in einer Wohnung oder einer anderen
nach außen abgegrenzten Räumlichkeit kann aber, wie der Senat schon im Urteil vom 21. Dezember 2005 (2 StR
245/05) – ausgeführt hat, nicht schon ohne weiteres die Feststellung gestützt werden, die betroffene Person habe
sich in einer Lage befunden, in welcher sie den Einwirkungen der anderen Person schutzlos ausgeliefert war.
Hierfür kommt es vielmehr auf eine Gesamtwürdigung aller tatbestandsspezifischen Umstände an. […] Es kommt
vielmehr allein darauf an, dass das Tatopfer nach objektiver ex -ante-Prognose möglichen nötigenden Gewaltein-
wirkungen des Täters schutzlos ausgeliefert wäre, d. h. ihnen weder mit Aussicht auf Erfolg körperlichen Wider-

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 13 – Drucksache 18/7719
stand entgegen setzen noch sich ihnen durch Flucht entziehen noch auf die Abwendung durch Hilfe dritter Perso-
nen hoffen könnte.“ (Rdn. 11). Weiter heißt es: „Voraussetzung einer vollendeten Nötigung ist, dass das Tatopfer
durch die Nötigungshandlung zu einem seinem Willen entgegen stehenden Verhalten veranlasst wird, dass also
das Vornehmen eigener oder Dulden fremder Handlungen auf einem dem Täter zuzurechnenden Zwang beruht.
Diese kausale Verknüpfung ist nach Ansicht des Senats auch für die beiden Varianten des Nötigungstatbestands
des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht entbehrlich. Da der Einsatz eines spezifischen Zwangsmittels hier aber – anders
als in § 177 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 – nicht vorausgesetzt ist, muss sich die Zwangswirkung aus den Umständen
ergeben, welche die Lage konstituieren, in der das Opfer möglichen Gewalt-Einwirkungen des Täters schutzlos
ausgeliefert ist.“ (Rdn. 20) Der BGH stellt klar: „Wie in den Fällen des § 177 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB ist
daher für die Vollendung der Variante des Abs. 1 Nr. 3 ein funktionaler und finaler Zusammenhang zwischen
objektivem Nötigungselement (Schutzlosigkeit vor Gewalteinwirkungen), Opferverhalten (Dulden oder Vorneh-
men einer sexuellen Handlung) und Täterhandlung erforderlich. Das bloße objektive Vorliegen von Schutzlosig-
keit – als Gesamtbewertung äußerer und in den Personen liegender Umstände – reicht nicht aus, wenn die be-
troffene Person ihre tatbestandsspezifische Schutzlosigkeit gar nicht erkennt oder sexuelle Handlungen nicht aus
Furcht vor drohenden >Einwirkungen<, sondern aus anderen Gründen duldet oder vornimmt, oder wenn eine
Person durch sexuelle Handlungen in einer Situation, in welcher es sich ihrer nicht versieht, überrascht wird, ohne
dass das Bewusstsein von der Schutzlosigkeit eine Zwangswirkung entfaltet. Der objektive Tatbestand des § 177
Abs. 1 Nr. 3 StGB setzt vielmehr voraus, dass das Tatopfer unter dem Eindruck seines schutzlosen Ausgelieferts-
eins aus Furcht vor möglichen Einwirkungen des Täters auf einen ihm grundsätzlich möglichen Widerstand ver-
zichtet. Der subjektive Tatbestand setzt zumindest bedingten Vorsatz dahin gehend voraus, dass das Tatopfer in
die sexuelle Handlung nicht einwilligt und dass es gerade im Hinblick auf seine Schutzlosigkeit auf möglichen
Widerstand verzichtet.“ (Rdn. 26) Mit Beschluss vom 4. April 2007 (4 StR 345/06) hat der BGH zudem entschie-
den: „Allein die auslandsspezifische Hilflosigkeit eines Tatopfers und dessen Angst vor ausländer- und strafrecht-
lichen Konsequenzen seines illegalen Aufenthalts begründen noch keine schutzlose Lage im Sinne des § 177
Abs. 1 Nr. 3 StGB.“ (http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Ge-
richt=bgh&Art=en&sid=0045e187310cd9a09f54d89521c4e1f9&nr=40191&pos=3&anz=51&Blank=1.pdf). In
den Urteilsgründen wird ausgeführt: „Eine Auslegung des Tatbestandsmerkmals des Ausnutzens einer schutzlo-
sen Lage dahin, dass es auch Fälle erfasst, in denen der Verzicht auf möglichen Widerstand allein darauf beruht,
dass das Opfer Nachteile nichtkörperlicher Art befürchtet, würde der Vorschrift des § 177 StGB die innere Stim-
migkeit nehmen, da auch die Nötigungsvariante des § 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB auf Drohungen mit gegenwärtiger
Gefahr für Leib oder Leben beschränkt ist.“ (a.a.O., Rdn. 28).
In einem weiteren Urteil des BGH (3 StR 260/05) wurde das Ausnutzen einer schutzlosen Lage verneint, weil
„nicht die jeweilige Tatsituation sondern die Unsicherheit des Mädchens über die Reaktion des Angeklagten im
Falle seiner Zurückweisung entscheidend dafür (war), dass es entgegen dem eigenen Willen dem sexuellen Ver-
langen des Angeklagten nachkam“. (http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Ge-
richt=bgh&Art=en&sid=0045e187310cd9a09f54d89521c4e1f9&nr=34236&pos=10&anz=51&Blank=1.pdf,
S. 5).
In folgendem Überraschungsfall lehnte der BGH mit Beschluss vom 08.11.2011 (4 StR 445/11) ebenfalls eine
Strafbarkeit wegen § 177 StGB ab, weil er es als nicht belegt ansah, dass der Täter unter Ausnutzung einer Lage,
in der das Mädchen seiner Einwirkung schutzlos ausgeliefert gewesen ist, genötigt hat, den Beischlafs zu dulden.
Denn der objektive Tatbestand des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB setze voraus, dass das Tatopfer unter dem Eindruck
seines schutzlosen Ausgeliefertseins aus Furcht vor möglichen Einwirkungen des Täters auf einen ihm grundsätz-
lich möglichen Widerstand verzichtet. Der Angeklagte gab vor, das Opfer, ein 14-jähriges Mädchen, als Modell
zeichnen zu wollen. „Nachdem das Mädchen sein Einverständnis erklärt hatte, forderte er es auf, „sich mit ausei-
nander gestellten Beinen und an der Wand abgestützten Armen mit dem Gesicht zur Wand zu stellen.” Das Mäd-
chen kam dieser Aufforderung nach. Kurze Zeit später trat der Angeklagte – von den Mädchen unbemerkt – hinter
sie, zog ihr plötzlich und für sie völlig unerwartet die Jogginghose und den Slip herunter, er drang von hinten mit
seinem erigierten Penis ohne Kondom in ihre Scheide ein und führte den Geschlechtsverkehr bis zum Samener-
guss durch. Er wusste, dass dies gegen den Willen des „paralysierten Mädchens” geschah. Hierbei nutzte er plan-
gemäß den Umstand, dass beide in dem Anwesen allein waren, sowie das Überraschungsmoment aus.“
Diese Beispiele verdeutlichen die Strafbarkeitslücke. Um die sexuelle Selbstbestimmung umfassend zu sichern,
ist es daher erforderlich, eine gesetzgeberische Regelung zu treffen, die klar und unmissverständlich zum Aus-
druck bringt, dass die Gesellschaft verlangt, den Grundsatz „Nein heißt Nein“ auch zu akzeptieren.

Drucksache 18/7719 – 14 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Um diesem Anspruch gerecht zu werden, wird in einem Grundtatbestand § 174 Absatz 1 StGB klar geregelt, dass
sexuelle Handlungen gegen den erkennbaren Willen einer betroffenen Person dem Strafrecht unterfallen. Die
Bezugnahme auf den erkennbaren Willen genügt dem Bestimmtheitsprinzip und lässt verschiedene Varianten der
Kundgabe des entgegenstehenden Willens zu. Denkbar sind insoweit sowohl eine Abwehrbewegung, ein Weinen,
der Versuch dem Täter zu entkommen oder auch ein klar ausgesprochenes „Nein“. Die Formulierung ist auch
verhältnismäßig, da sie nicht allein auf die innere Einstellung des Opfers abstellt und durch die Strafbarkeitsvo-
raussetzung eines entgegenstehenden erkennbaren Willens potentiellen Täterinnen und Tätern klar die Schwelle
zur Strafbarkeit aufzeigt und die Strafbarkeit vorhersehbar macht. Durch diese Formulierung wird im Gegensatz
zur Formulierung „ohne Einverständnis“ auch nicht ein aktives Einholen eines Einverständnisses zu sexuellen
Handlungen verlangt, was weniger lebensnah wäre. Die sexuelle Handlung ist in § 184h StGB legal definiert.
Trotz des Vorhandenseins einer Erheblichkeitsschwelle in § 184h StGB ist diese Legaldefinition zur Erfassung
der strafwürdigen Fälle ausreichend. Der BGH stellt insoweit in seinem Urteil vom 1. 12. 2011 (5 StR 417/11)
auf ein sozial nicht mehr hinnehmbares Verhalten ab.. Dabei muss, so der BGH, eine am Schutzgut der sexuellen
Selbstbestimmung orientierte Bewertung durchgeführt werden, bei der auch „die gesamten Begleitumstände des
Tatgeschehens einzubeziehen und neben den näheren Umständen der Handlung die Beziehung zwischen den Be-
teiligten und die konkrete Tatsituation“ (Rdn. 9) zu berücksichtigen ist. Mit der vom BGH vorgenommenen Recht-
sprechung ist mithin möglich, ein Grapschen an Brust oder Gesäß als sexuelle Handlung einzustufen und zu ahn-
den. Das lockere Umarmen zur Begrüßung oder ein Kuss auf die Wange sind demnach aber nicht als sexuelle
Handlungen zu bewerten.
Durch die in Absatz 2 des Grundtatbestandes vorgenommene Normierung eines Regelbeispiels eines besonders
schweren Falls wird die Vergewaltigung darüber hinaus legaldefiniert. Eine Vergewaltigung liegt demnach dann
vor, wenn gegen den erkennbaren Willen der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder ähnliche sexuelle
Handlungen an dem Opfer oder sich vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie
mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind.
Durch die Schaffung eines Grundtatbestandes ist eine Neuordnung und Anpassung des Sexualstrafrechts erfor-
derlich. Die Qualifikationstatbestände des bisherigen Sexualstrafrechts werden an den neuen Grundtatbestand
angepasst, die sog. Missbrauchstatbestände müssen neu sortiert werden. Die sog. Überraschungsfälle werden in
einem neuen § 177 geregelt, der auch Fälle von Widerstandsunfähigkeit mit erfasst.
Bei sexuellen Handlungen beispielsweise, die gerade eben die Erheblichkeitsgrenze gemäß § 184h StGB über-
schreiten, kann im Rahmen einer Gesamtbewertung der Tatumstände der Strafrahmen im Wege der Annahme
eines minder schweren Falls nach den Regelungen der §§ 174 Abs. 5, § 175 Abs. 6 und § 177 Abs. 6 StGB her-
abgesenkt werden.
Um den Gesetzentwurf nicht zu überfrachten und auf den Kern einer notwendigen Änderung im Hinblick auf das
Prinzip „Nein heißt Nein“ zu fokussieren wurde auf eine Änderung der Regelungen in den §§ 180 ff. verzichtet,
obwohl auch hier gesetzgeberischer Handlungsbedarf gesehen wird.

II. Alternativen
Die vorliegenden Gesetzesentwürfe von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Bundesministeriums für Justiz
und Verbraucherschutz werfen entweder im Detail Probleme auf oder sind nicht ausreichend um das Problem zu
lösen.
Der Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit der Bundestagsdrucksache 18/5384 (vgl.
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/053/1805384.pdf) regelt in § 177 Abs. 2 StGB auch den Grundsatz „Nein
heißt Nein“, indem auf das zum Ausdruck bringen des entgegenstehende Willens des Opfers abgestellt wird.
Allerdings stellt er zunächst in Fortführung der bisherigen Rechtslage in Abs. 1 auf eine Drohung mit einem
empfindlichen Übel ab. Die erforderliche Signalwirkung, dass ein Nein auch Nein heißt kommt gesetzessystema-
tisch damit nicht klar genug zum Ausdruck. Darüber hinaus sieht der Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN eine Höchststrafe von bis zu fünf Jahren für die Fälle des Grundtatbestandes vor. Da das gleiche
Strafmaß auch für die Fälle von sexueller Nötigung vorgesehen ist, geht der Unterschied im Unrechtsgehalt ver-
loren. Es erscheint aber nicht sinnvoll keinerlei Unterscheidung im Hinblick auf das Strafmaß zwischen dem
Missachten eines erkennbaren Willens und dem Beugen eines erkennbaren Willens zu machen.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 15 – Drucksache 18/7719
Der Referentenentwurf des Bundesministeriums für Justiz und Verbraucherschutz (vgl.
http://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SchutzSexuelleSelbstbestim-
mung.pdf?__blob=publicationFile&v=4) regelt zwar den sexuellen Missbrauch unter Ausnutzung besonderer
Umstände und versucht damit das Problem des bisherigen § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB zu lösen, der nicht alle straf-
würdigen Fälle erfasst, unterlässt es aber eine gesetzliche Festschreibung des Grundsatzes „Nein heißt Nein“ vor-
zunehmen. Das Bundesministerium hat hinsichtlich der Prüfung einer gesetzlichen Verankerung des „Nein heißt
Nein“-Grundsatzes eine Expertenkommission eingesetzt (vgl. http://www.bmjv.de/SharedDocs/Arti-
kel/DE/2015/02202015_Stn_Reform_Sexualstrafrecht.html) und will auf deren Ergebnis warten
(http://www.spiegel.de/panorama/justiz/sexualstrafrecht-die-rechtliche-situation-im-ueberblick-a-
1071445.html).

III. Gesetzgebungskompetenz
Die Gesetzgebungszuständigkeit ergibt sich aus Artikel 74 Abs. 1 Nr. 1 Grundgesetz.

IV. Vereinbarkeit mit dem Recht der Europäischen Union und völkerrechtlichen Verträgen
Mit dem Gesetzentwurf wird das Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt
gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention) vom 11.05.2011 in nationales Recht umgesetzt.

B. Besonderer Teil

Zu Artikel 1 (Änderung des Strafgesetzbuches – StGB)
Zu Nummer 1 (Inhaltsverzeichnis)
Folgeänderungen aufgrund Schaffung neuer Straftatbestände und Streichung anderer im Abschnitt der Straftaten
gegen die sexuelle Selbstbestimmung.

Zu Nummer 2 (§ 5 StGB)
Folgeänderung in § 5 Nr. 8 StGB (Auslandstaten mit Inlandsbezug) auf Grund der Neuordnung des Sexualstraf-
rechts.

Zu Nummer 3 (§ 66 StGB)
Folgeänderung in § 66 Abs. 3 StGB (Unterbringung in der Sicherungsverwahrung) auf Grund der Neuordnung
des Sexualstrafrechts.

Zu Nummer 4 (§ 78b StGB)
Folgeänderung in § 78b Abs. 1 (Ruhen der Verjährung) auf Grund der Neuordnung des Sexualstrafrechts.

Zu Nummer 5 (§ 140 StGB)
Folgeänderung in § 140 StGB (Belohnung und Billigung von Straftaten) auf Grund der Neuordnung des Sexual-
strafrechts.

Zu Nummer 6 (§ 174 StGB)
Mit § 174 StGB wird der Grundsatz „Nein heißt Nein“ durch den neuen Straftatbestand „Nichteinvernehmliche
sexueller Handlungen, Vergewaltigung“ gesetzlich verankert und somit eine Schutzlücke des bisherigen § 177
StGB geschlossen. Die Schutzlücke der sog. Überraschungsfälle wird im § 177 StGB geschlossen.
Strafbar sind sexuelle Handlungen gegen den erkennbaren Willen eines Anderen. Dies umfasst das Vornehmen
oder vornehmen lassen sexueller Handlungen gegen den erkennbaren Willen eines Anderen ebenso wie das Be-
stimmen einer anderen Person zur Vornahme oder Duldung einer sexuellen Handlung an oder mit einem Dritten.

Drucksache 18/7719 – 16 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Der Grundsatz „Nein heißt Nein“ wird durch die Formulierung „gegen den erkennbaren Willen“ im Gesetz ver-
ankert. Die Bezugnahme auf den erkennbaren Willen genügt dem Bestimmtheitsprinzip und lässt verschiedene
Varianten der Kundgabe des entgegenstehenden Willens zu. Denkbar sind insoweit sowohl eine Abwehrbewe-
gung, ein Weinen, der Versuch dem Täter zu entkommen oder auch ein klar ausgesprochenes „Nein“. Die For-
mulierung ist auch verhältnismäßig, da sie nicht allein auf die innere Einstellung des Opfers abstellt und durch
die Strafbarkeitsvoraussetzung eines entgegenstehenden erkennbaren Willens dem Bestimmtheitsgrundsatz ge-
nüge getan wird. Durch diese Formulierung wird im Gegensatz zur Formulierung „ohne Einverständnis“ auch
nicht ein aktives Einholen eines Einverständnisses zu sexuellen Handlungen verlangt, was weniger lebensnah
wäre.
Die sexuelle Handlung ist in § 184h StGB legal definiert. Trotz des Vorhandenseins einer Erheblichkeitsschwelle
in § 184h StGB ist diese Legaldefinition ausreichend. Der BGH stellt insoweit in seinem Urteil vom 1. Dezember
2011 (5 StR 417/11) auf ein sozial nicht mehr hinnehmbares Verhalten ab). Dabei muss, so der BGH, eine am
Schutzgut der sexuellen Selbstbestimmung orientierte Bewertung durchgeführt werden, bei der auch „die gesam-
ten Begleitumstände des Tatgeschehens einzubeziehen und neben den näheren Umständen der Handlung die Be-
ziehung zwischen den Beteiligten und die konkrete Tatsituation“ (Rdn. 9) zu berücksichtigen ist. Mit der vom
BGH vorgenommenen Rechtsprechung ist mithin möglich, das strafwürdige Grapschen an Brust oder Gesäß als
sexuelle Handlung anzusehen ebenso wie ein aufgezwungener Zungenkuss, das lockere Umarmen zur Begrüßung
oder ein Kuß auf die Wange sind aber nicht als sexuelle Handlungen zu bewerten.
Das Mindeststrafmaß des Absatz 1 von bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe berücksichtigt, dass der bisherige § 177
StGB eine Strafe von mindestens einem Jahr Freiheitsentzug vorgesehen hat. In den Fällen des bisherigen § 177
StGB war aber eine Beugung eines erkennbar entgegenstehenden Willens für die Strafbarkeit durch eine Nöti-
gungshandlung erforderlich. Es erscheint nicht sachgerecht bei einer Missachtung eines erkennbar entgegenste-
henden Willens ohne weitere Nötigungsmittel das gleiche Strafmaß anzuwenden. Dies umso mehr, als im Falle
des Abs. 2, also des besonders schweren Falls und damit der Vergewaltigung, das Strafmaß des bisherigen § 177
Abs. 2 von Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren Anwendung finden soll.
Der Absatz 2 regelt die besonders schweren Fälle. Bei den genannten Regelbeispielen handelt es sich um den Fall
der gemeinschaftlichen Begehung und der Vergewaltigung. Die Vergewaltigung wird legaldefiniert als Beischlaf
oder ähnlichen sexuellen Handlungen, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind.
Neben der Vergewaltigung unterfallen Absatz 2 auch andere besonders schwere Fälle bei denen der der Täter mit
dem Opfer zwar nicht den Beischlaf vollzieht aber ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer oder sich vorneh-
men lässt, die dieses besonders erniedrigen. Wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind wie
beim Oral- und Analverkehr ist die Erniedrigung offensichtlich, so dass eine ausdrückliche Erörterung im Urteil
entbehrlich ist (BGH Beschluss vom 17.12.1999 (3 StR 524/99)). Gleiches gilt beim Einführen eines Fingers in
Scheide oder After vgl. ebenda, überdies BGH, Urteil vom 28.01.2004 (2 StR 351/03),). Auf den Beischlaf bezieht
sich das Merkmal der besonderen Erniedrigung ohnehin nicht, so dass das Regelbeispiel beim Vaginalverkehr
stets erfüllt ist. Eine eigenständige Bedeutung kann das Merkmal „besondere Erniedrigung“ dagegen im Hinblick
auf sonstige sexuelle Handlungen, die nicht mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind, erhalten z. B.
bei der sog. „Fäkalerotik“ oder auch bei sadistischen, auf Demütigung gerichteten Rollenspielen. Entscheidend
ist hierbei nicht die Sichtweise des Opfers, sondern eine objektive Betrachtung (vgl. Münchener Kommentar,
StGB, § 177, Rdn. 69, Fischer, StGB, § 177 StGB, Rdn 70; Schönke/Schröder/Perron/Eisele, StGB,§ 177 , Rdn.
20).
Die Absätze 3 bis 5 entsprechen im Wesentlichen den bisherigen Absätzen 3 bis 5 des § 177, allerdings hat eine
Anpassung an die Systematik des Grundtatbestandes der Nichteinvernehmlichen sexuellen Handlung stattgefun-
den. So entfällt der bisherige § 177 Abs. 3 Nr. 2 StGB (Werkzeug oder Mittel bei sich führen, um den Widerstand
einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung zu verhindern oder zu überwinden) an dieser Stelle. Insoweit
wird nämlich wieder eine Nötigung verlangt, auf die im vorgeschlagenen § 174 StGB aber gerade verzichtet wird.
Nach Abs. 5 gibt es keinen minder schweren Fall des Absatzes 1. Ein minder schwerer Fall ist in Bezug auf
sexuelle Handlungen gegen den erkennbaren Willen jenseits der Fälle der Absätze 2 bis 4 nicht vorstellbar und
mangels eines Mindeststrafmaßes auch nicht regelbar.

Zu Nummer 7 (§ 175 StGB)
Der § 175 StGB regelt die sexuelle Nötigung.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 17 – Drucksache 18/7719
Im Abs. 1 wird die Nötigung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel erfasst und mit Freiheitsstrafe von
sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. Die Mindestfreiheitsstrafe macht den im Hinblick auf § 174 StGB
erhöhten Unrechtsgehalt der Tat deutlich. Das Strafmaß entspricht darüber hinaus dem bisherigen § 240 Abs. 4
Nr. 1 StGB.
Im Absatz 2 findet sich die Regelung des bisherigen § 177 Abs. 1 StGB wieder. Das Mindeststrafmaß entspricht
dem Strafmaß des bisherigen § 177 Abs. 1 StGB.
Die Absätze 3 bis 6 entsprechen im Wesentlichen dem bisherigen § 177 Abs. 3 bis 5. Dies gilt auch für das Straf-
maß. Auf eine Strafbarkeit des Versuchs der Handlung in Abs. 1 wurde verzichtet. Dabei wurde berücksichtigt,
dass eine Drohung mit Gewalt oder gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben in Abs. 2 als Verbrechen ausge-
staltet wurde und der Versuch eines Verbrechens nach § 22 StGB immer strafbar ist.

Zu Nummer 8 (§ 176 StGB)
Der § 176 StGB entspricht dem bisherigen § 178 StGB und regelt die sexuelle Nötigung und Vergewaltigung mit
Todesfolge. Es sind lediglich redaktionelle Änderungen vorgenommen worden.

Zu Nummer 9 (§ 177 StGB)
Der § 177 StGB entspricht im Wesentlichen dem Neuformulierungsvorschlag im Referentenentwurf des Bundes-
ministeriums für Justiz und Verbraucherschutz zu § 179 StGB. Mit der Neufassung wird die Schutzlücke im Hin-
blick auf die sog. Überraschungsfälle geschlossen. Durch die Neuformulierung des Tatbestandes als „Sexueller
Missbrauch unter Ausnutzung besonderer Umstände“ wird deutlich, dass es nicht allein um die Strafbarkeit des
sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen geht. Der Vorschlag im Referentenentwurf des BMJV
wurde vor dem Hintergrund des § 174 StGB redaktionell angepasst.
Aus dem Entwurf des BMJV ist in Abs. 1 die Nummer 3 nicht übernommen worden. Die Fälle, in denen das
Opfer im Falle des Widerstandes ein empfindliches Übel befürchtet werden schon von § 175 Abs. 1 StGB erfasst.
Dies macht systematisch auch Sinn, weil es sich gerade nicht um die Ausnutzung besonderer Umstände handelt,
sondern um eine Nötigung.
Das Strafmaß entspricht dem derzeitigen § 179 StGB und dem im Referentenentwurf des BMJV vorgesehenen
Strafmaß.

Zu den Nummern 10 bis 12
§ 178 StGB
Folgeänderung aus der Neustrukturierung des Sexualstrafrechts. Der Straftatbestand des sexuellen Missbrauchs
von Schutzbefohlenen wird von § 174 StGB zu § 178 StGB.

§ 178a StGB
Folgeänderung aus der Neustrukturierung des Sexualstrafrechts. Der Straftatbestand des sexuellen Missbrauchs
von Gefangenen, behördlich Verwahrten oder Kranken und Hilfebedürftigen in Einrichtungen wird von § 174a
StGB zu § 178a StGB.

§ 178b StGB
Folgeänderung aus der Neustrukturierung des Sexualstrafrechts. Der Straftatbestand des sexuellen Missbrauchs
unter Ausnutzung einer Amtsstellung wird von § 174b StGB zu § 178b StGB.

§ 178c StGB
Folgeänderung aus der Neustrukturierung des Sexualstrafrechts. Der Straftatbestand des sexuellen Missbrauchs
unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses wird von § 174c StGB zu § 178c
StGB.
Drucksache 18/7719 – 18 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
§ 179 StGB
Folgeänderung aus der Neustrukturierung des Sexualstrafrechts. Der Straftatbestand des sexuellen Missbrauchs
von Kindern wird von § 176 StGB zu § 179 StGB.

Zu Nummer 13
§ 179a StGB
Folgeänderung aus der Neustrukturierung des Sexualstrafrechts. Der Straftatbestand des schweren sexuellen
Missbrauchs von Kindern wird von § 176a zu § 179a StGB.

§ 179b StGB
Folgeänderung aus der Neustrukturierung des Sexualstrafrechts. Der Straftatbestand des sexuellen Missbrauchs
von Kindern mit Todesfolge wird von § 176b StGB zu § 179b StGB.

Zu Nummer 14 (§ 181b)
Redaktionelle Änderung in der Norm zur Führungsaufsicht.

Zu Nummer 15 (§ 183 StGB)
Der Straftatbestand der Exhibitionistischen Handlung wird aus dem Strafgesetzbuch gestrichen und in das Ord-
nungswidrigkeitenrecht überführt. Das Strafrecht hat eine ultima ratio Funktion. Die Exhibitionistische Handlung
ist als nicht sozialadäquate Handlung im Ordnungswidrigkeitenrecht besser aufgehoben. Eine exhibitionistische
Handlung ist im Regelfall nicht mit einem Eindringen in den Intimbereich einer anderen Person verbunden. In
seinem Urteil vom 29. Januar 2015 (4 StR 424/14) hat der BGH geurteilt, eine exhibitionistische Handlung sei
dadurch gekennzeichnet, „dass der Täter einem anderen ohne dessen Einverständnis sein entblößtes Glied vor-
weist, um sich dadurch oder zusätzlich durch Beobachten der Reaktion der anderen Person oder durch Masturbie-
ren sexuell zu erregen, seine Erregung zu steigern oder zu befriedigen“. Vor diesem Hintergrund scheint es aus-
reichend, sie im Ordnungswidrigkeitengesetz zu ahnden.

Zu Nummer 16 (§ 183a)
Der Straftatbestand der Erregung öffentlichen Ärgernisses wird aus dem Strafgesetzbuch gestrichen und als nicht
sozialadäquate Handlung in das Ordnungswidrigkeitengesetz überführt. Dies entspricht der ultima ratio Funktion
des Strafrechts. Die öffentliche Vornahme sexueller Handlungen, durch die sich mindestens eine Person unmit-
telbar verletzt fühlt, gehört vom Unrechtsgehalt her in das Ordnungswidrigkeitenrecht.

Zu Nummer 17 (§ 240 StGB)
Notwendige Folgeänderung aus der Änderung des 13. Abschnitts des StGB. Die Nötigung zu einer sexuellen
Handlung des § 240 Abs. 4 Nummer 1 wird durch die Neuregelung in § 175 StGB erfasst.

Zu Artikel 2 (Änderung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten – OwiG)
Zu Nummer 2 (§ 118a OWiG)
Die bisher in § 183a StGB unter Strafe gestellte Handlung der Erregung öffentlichen Ärgernisses wird in das
Ordnungswidrigkeitengesetz überführt.
Die bisher in § 183 StGB unter Strafe gestellte Exhibitionistische Handlung wird in das Ordnungswidrigkeiten-
gesetz überführt.
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 19 – Drucksache 18/7719
Zu Artikel 3 (Änderung der Strafprozessordnung – StPO)
Zu Nummer 1 (§ 53 StPO)
Redaktionelle Anpassung des Zeugnisverweigerungsrechtes für Berufsgeheimnisträger an die Neuregelung des
Sexualstrafrechts.

Zu Nummer 2 (§ 100a StPO)
Redaktionelle Anpassung der Regelung zur Telekommunikationsüberwachung bei schweren Straftaten an die
Neuregelung des Sexualstrafrechts.

Zu Nummer 3 (§ 100c StPO)
Redaktionelle Anpassung der Regelung zur akustischen Wohnraumüberwachung an die Neuregelung des Sexu-
alstrafrechts.

Zu Nummer 4 (§ 112a StPO)
Redaktionelle Anpassung der Regelungen zur Untersuchungshaft an die Neuregelung des Sexualstrafrechts. Eine
Handlung nach § 174 Abs. 1 StGB wird ausdrücklich als Haftgrund ausgeschlossen. Dies ergibt sich aus einer
Abwägung im Rahmen der Verhältnismäßigkeit.

Zu Nummer 5 (§ 397a StPO)
Redaktionelle Anpassung der Regelungen zur Bestellung eines Beistandes für den Nebenkläger an die Neurege-
lung des Sexualstrafrechts.

Zu Artikel 4 (Änderung des Achten Buches Sozialgesetzbuch – SGB VIII)
Redaktionelle Anpassung der Regelungen zum Tätigkeitsausschluss einschlägig vorbestrafter Personen in § 72a
an die Neuregelung des Sexualstrafrechts.

Zu Artikel 5 (Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes – GVG)
Redaktionelle Anpassung der Regelung in § 74 zur Zuständigkeit der Strafkammer als Schwurgericht an die Neu-
regelung des Sexualstrafrechts.

Zu Artikel 6 (Änderung des Gendiagnostikgesetzes – GenDG)
Redaktionelle Anpassung der Regelung zur Gentechnischen Untersuchung zur Abstammung in § 17 an die Neu-
regelung des Sexualstrafrechts.

Zu Artikel 7 (Inkrafttreten)
Regelung zum Inkrafttreten des Gesetzes.

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