BT-Drucksache 18/7671

Nationale Verlängerung des von der Europäischen Kommission geführten Pilotprojekts "Intelligente Grenzen"

Vom 18. Februar 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/7671
18. Wahlperiode 18.02.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Andrej Hunko, Herbert Behrens, Frank Tempel, Jan van Aken,
Eva Bulling-Schröter, Annette Groth, Inge Höger, Ulla Jelpke, Jan Korte,
Birgit Menz und der Fraktion DIE LINKE.

Nationale Verlängerung des von der Europäischen Kommission geführten
Pilotprojekts „Intelligente Grenzen“

Das EU-Pilotprojekt des Systems „Intelligente Grenzen“ soll bis Ende des Jahres
2016 verlängert werden. Dies teilte das beteiligte Unternehmen secunet Security
Networks AG in einer Pressemitteilung mit (10. Februar 2016). Betroffen sind
die „Pilotinstallationen“ an den EU-Außengrenzkontrollstellen am Flughafen
Frankfurt und dem Kreuzfahrt-Terminal in Rostock-Warnemünde.
Ursprünglich wurde das Pilotprojekt an mehreren europäischen Flug- und Fähr-
häfen im Auftrag der Europäischen Kommission von der Europäischen Agentur
für das Betriebsmanagement von IT-Großsystemen (eu-LISA) durchgeführt, die
für die Einrichtung des Systems „Intelligente Grenzen“ zuständig ist. Erprobt
wurden verschiedene technische Konzepte zur Zahl der abgenommenen Finger-
abdrücke und deren Kombination mit dem Gesichtsbild (Bundestagsdrucksache
18/4287). In Deutschland hatten sich daran die Bundespolizei, das Bundesamt für
Sicherheit in der Informationstechnik und das Bundesverwaltungsamt beteiligt.
Die EU-Grenzagentur FRONTEX hat der Bundesregierung zufolge eine „bera-
tende Rolle“ wahrgenommen (Bundestagsdrucksache 18/7291).
Ziel des Systems „Intelligente Grenzen“ ist die Einführung neuer Technologien
zum Grenzkontrollmanagement an den Schengen-Außengrenzen. Mithilfe bio-
metrischer Verfahren und einer Berechnung der zulässigen (Rest-)Aufenthalts-
dauer sollen sogenannte Overstayer identifiziert werden (Bundestagsdrucksache
18/7291). Gemeint sind Drittstaatsangehörige, die zwar mit einem Visum einrei-
sen, den Schengen-Raum aber nicht innerhalb der in den Dokumenten vermerkten
Frist verlassen. Die Kontrollen erfolgen mit einem „Ein- und Ausreisesystem“
(Entry/Exit System, EES). Zum Gesamtsystem gehört auch ein Programm für
„vertrauenswürdige Vielreisende“ („Registered Traveller Program“, RTP). Zu-
dem ist geplant, dass die biometrische Datensammlung auch von Polizeien und
Geheimdiensten genutzt werden kann.
Die neunmonatige Erprobung des Systems „Intelligente Grenzen“ im Rahmen des
von eu-LISA verantworteten Pilotprojektes wurden nach Aussage des Bundesmi-
nisteriums des Innern Ende September 2015 abgeschlossen (Bundestagsdrucksa-
che 18/7291). In der Pressemitteilung von secunet Security Networks AG heißt
es hingegen, das Pilotprojekt sei erst im November 2015 beendet worden. Am 11.
Dezember 2015 hatte die Agentur eu-LISA einen Abschlussbericht „Smart Bor-
ders Pilot Project: Report on the technical conclusions of the Pilot“ veröffentlicht
(www.eulisa.europa.eu/Newsroom/News/Pages/Smart-Borders-Report-Publised-
Today.aspx). Laut secunet Security Networks AG hatten die deutschen Behörden
im Vergleich zu den anderen am Pilotprojekt beteiligten Staaten den Umfang des

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Projekts auf eigene Initiative erweitert. Deutschland sei demnach „der einzige
Mitgliedstaat, welcher die EES-spezifischen Kontrollprozesse vollständig Ende-
zu-Ende erprobte“ (Pressemitteilung vom 10. Februar 2016). Auch werde der
Einfluss auf den geplanten Grenzkontrollprozess gesondert evaluiert. Die secunet
Security Networks AG habe dabei Prozesse konzeptioniert und betreut sowie
„moderne Grenzkontrolltechnik“ geliefert. Hierzu gehörten das automatisierte
Grenzkontrollsystem „easygate“, die Integration von Fingerabdruckscannern und
Gesichtsbildkamera, weitere Installationen zum Dokumentenmanagement und
entsprechende Server zur Verarbeitung biometrischer Daten sowie die Anbin-
dung an die reguläre Grenzkontrolle.
Im Frühjahr 2016 sollen die Ergebnisse in einen neuen Vorschlag der Europäi-
schen Kommission zur Errichtung des Systems „Intelligente Grenzen“ münden.
Mittlerweile haben sich die EU-Innen- und Justizministerinnen und -Minister auf
Initiative Frankreichs dafür ausgesprochen, das System „Intelligente Grenzen“
auch auf Staatsangehörige von EU-Mitgliedstaaten auszuweiten (Ratsdokument
14406/15). Frankreich begründete den Vorstoß mit einem gestiegenen Passagier-
aufkommen, „Migrationsdruck“ und „erhöhter Bedrohung durch Terrorismus“
(Ratsdokument 12272/15). Unklar ist, ob die EU-Staatsangehörigen im zentralen
EES-System bei der Agentur eu-LISA in Estland oder aber im Schengener Infor-
mationssystem (SIS II) gespeichert würden.
Nun soll die Europäische Kommission einen Vorschlag vorlegen, wie eine Über-
prüfung biometrischer Daten von Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern an den
Außengrenzen des Schengen-Raums rechtlich umgesetzt werden kann (Bundes-
tagsdrucksachen 18/7291 und 18/4033).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche vorläufigen und endgültigen Schlussfolgerungen zieht die Bundes-

regierung zu den Ergebnissen des Abschlussberichts „Smart Borders Pilot
Project: Report on the technical conclusions of the Pilot“ zu den Pilotprojek-
ten des Systems „Intelligente Grenzen“?

2. Welche besonderen Fehleranfälligkeiten wurden in der deutschen Pilotstudie
bemerkt, und wie könnten diese behoben werden?

3. Inwiefern sind der Bundesregierung mittlerweile weitere nationale Pilotstu-
dien bekannt?

4. Welche Details kann die Bundesregierung zu Beginn und Ende des von der
Europäischen Kommission geführten Pilotprojekts „Intelligente Grenzen“
und zu Beginn und Ende eines eigenen, nationalen Pilotprojekts mitteilen?

5. Wann und aus welchen Erwägungen hat sich die Bundesregierung zur Fort-
führung des Projekts in Eigenregie entschlossen?

6. Welche Aufgaben werden dabei von der Bundespolizei, dem Bundesamt für
Sicherheit in der Informationstechnik und dem Bundesverwaltungsamt über-
nommen?

7. Inwiefern trifft die Aussage des Unternehmens secunet Security Networks
AG zu, wonach die deutschen Behörden im Vergleich zu den anderen am
Pilotprojekt beteiligten Staaten den Umfang des Projekts auf eigene Initiative
erweitert hätten?
a) Was ist damit gemeint wenn es heißt, die deutschen Behörden hätten „die

EES-spezifischen Kontrollprozesse vollständig Ende-zu-Ende erprobt“?
b) Auf welche Weise, und von welchen Beteiligten wurde der Einfluss auf

den geplanten Grenzkontrollprozess gesondert evaluiert?

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8. Welche Kosten werden für die weiteren Tests voraussichtlich entstehen, und
wie werden diese übernommen (bitte aufschlüsseln)?

9. Inwiefern hat die Bundesregierung für Studien oder Erprobungen im Zusam-
menhang mit dem System „Intelligente Grenzen“ gegenüber der Europäi-
schen Kommission die Übernahme von Kosten beantragt?

10. Inwiefern sollen bei den weiteren Tests auch Körperscanner genutzt werden?
11. Auf welche Weise wird an dem weiteren Pilotprojekt auch die Grenzagentur

FRONTEX einbezogen?
12. Wann sollen die neuen Verordnungsvorschläge der Europäischen Kommis-

sion für das System „Intelligente Grenzen“ nach Kenntnis der Bundesregie-
rung endgültig vorliegen?

13. Inwiefern hat die Bundesregierung weitere Überlegungen angestellt, welche
der verschiedenen in der bereits abgeschlossenen technischen Studie unter-
suchten Optionen für das „Maßnahmenpaket intelligente Grenzen“ sie für am
besten geeignet hält (Bundestagsdrucksache 18/7291)?

14. Inwiefern hat die Bundesregierung weitere Überlegungen angestellt oder
rechtliche Prüfungen vorgenommen, inwiefern der Zugang von Polizei- und
Strafverfolgungsbehörden zum „Maßnahmenpaket intelligente Grenzen“ un-
ter biometrischer Erfassung aller kurzfristig einreisenden Drittstaatsangehö-
rigen den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts bzw. des Europäischen
Gerichtshofs (EuGH) zur Vorratsdatenspeicherung und dem Grundrecht auf
informationelle Selbstbestimmung zuwider laufen könnte (Bundestags-
drucksache 18/7291)?

15. Sofern die Bundesregierung diese Frage „nicht abstrakt, sondern nur in Be-
zug auf einen konkreten Regelungsvorschlag“ (Bundestagsdrucksa-
che 18/7291) beantworten möchte, inwiefern hält sie die Verfahren der von
ihr vorgenommen Pilotstudie für vereinbar mit den Vorgaben des Bundes-
verfassungsgerichts bzw. des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Vor-
ratsdatenspeicherung und dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestim-
mung?

16. Welche datenschutzrechtlichen Vorkehrungen müssten aus Sicht der Bun-
desregierung getroffen werden, falls ein Zugang zu Zwecken der Verhütung
und Verfolgung von Straftaten vorgesehen werden sollte?

17. Welche Haltung vertritt die Bundesregierung zur Frage, inwiefern im Rah-
men des „Maßnahmenpakets intelligente Grenzen“ auch die bisherige Praxis
des Stempelns von Reisedokumenten (teilweise) abgeschafft werden könnte?

18. Welche Haltung vertritt die Bundesregierung zur Frage, unter welchen Um-
ständen eine Reiseerlaubnis statt mit Stempeln zukünftig auf elektronischen
Geräten, etwa auf Smartphones oder Tablets, gespeichert und nachgewiesen
werden könnte?

19. Welche Haltung vertritt die Bundesregierung zur Frage, inwiefern und unter
welchen Umständen die europäische Polizeiagentur Europol auf das System
„Intelligente Grenzen“ zugreifen sollte?

20. Welche Haltung vertritt die Bundesregierung zur Frage, inwiefern das Sys-
tem „Intelligente Grenzen“ mit bestehenden EU-Datenbanken kompatibel
sein sollte, und um welche Datenbanken könnte oder müsste es sich dabei
handeln?

21. Welche außenpolitischen Auswirkungen erwartet die Bundesregierung für
das System „Intelligente Grenzen“, wenn wie geplant auch visafreireisende
Staatsangehörige zur Abgabe von Fingerabdrücken verpflichtet werden?

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22. Inwiefern ist die Meinungsbildung der Bundesregierung zur Frage, inwiefern
eu-LISA weitere Datenbanken verwalten könnte und um welche es sich da-
bei handeln könnte, inzwischen fortgeschritten oder sogar abgeschlossen
(Bundestagsdrucksachen 18/1832, 18/7291)?

23. In welchen weiteren Ratsarbeitsgruppen, Ministertreffen oder sonstigen Gre-
mien ist das von der französischen Regierung vorgelegte Papier mit dem Ti-
tel „Smart Borders for all“ zur Erweiterung auf Angehörige von EU-Mit-
gliedstaaten bzw. das von der Europäischen Kommission am 15. Dezem-
ber 2015 vorgelegte „Grenzpaket“ mit entsprechenden Ausführungen zu
„Smart Borders for all“ nach Kenntnis der Bundesregierung nach November
2015 bereits beraten worden (Bundestagsdrucksache 18/7291)?

24. Wie wird sich die Bundesregierung für die hierzu anstehenden Verhandlun-
gen positionieren?

25. Inwiefern hat die Bundesregierung mittlerweile eine abschließende oder vo-
rübergehende Haltung zur Frage, inwiefern eine Erweiterung des Systems
einem „unvorhergesehenen Migrationsdruck“ und „erhöhter Bedrohung
durch Terrorismus“ entgegenwirken kann (bitte begründen)?

26. Was ist der Bundesregierung inzwischen darüber bekannt, aus welchen
Gründen Frankreich eine Speicherung von Unionsbürgern im Rahmen eines
„Smart Borders for all“ im Schengener Informationssystem vorschlägt?

27. Was ist der Bundesregierung über Hintergründe bekannt, dass die EU-
Grenzagentur FRONTEX im Rahmen des „EU-Politikzyklus“ und der „Eu-
ropean Multidisciplinary Platform against Criminal Threats“ EMPACT zu-
künftig selbst „Gemeinsame Polizei-Aktionstage“ („Joint Police Action
Days“) gegen „irreguläre Migration und Menschenhandel“ durchführen will
(Pressemitteilung FRONTEX vom 16. Februar 2016)?
a) Was ist der Bundesregierung über konkrete Planungen für „Gemeinsame

Polizei-Aktionstage“ an einer Luft- und einer Landgrenze bekannt, und
inwiefern wären davon auch EU-Binnengrenzen betroffen?

b) Wann und wo sollen diese „Aktionstage“ stattfinden, und wer wird nach
Kenntnis der Bundesregierung voraussichtlich zur Teilnahme eingela-
den?

c) Auf welche konkrete Weise hatte die EU-Grenzagentur FRONTEX wie
von der Agentur selbst beschrieben nach Kenntnis der Bundesregierung
an der von Europol geführten Operation „Blue Amber“ teilgenommen,
um „kriminelle Netzwerke hinter der begünstigten irregulären Migration“
(ebenda) zu bekämpfen?

28. Welche Haltung vertritt die Bundesregierung zur Neugründung einer Sparte
für Geschäfte mit Grenzsicherungssystemen als „Airbus Electronics and
Border Security GmbH“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 17. Februar
2015)?
a) Inwiefern trifft es wie von der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ be-

richtet zu, dass die Bundesregierung in Verhandlungen um die Neustruk-
turierung des Rüstungskonzerns Airbus Defence & Space „eng invol-
viert“ war?

b) Welche Technologien und Standorte des Konzerns müssen aus Sicht der
Bundesregierung in Deutschland verbleiben?

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c) Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, inwiefern die Regierungen
Saudi-Arabiens, Rumäniens und Algeriens über ein Mitspracherecht beim
Verkauf von Teilen des Konzerns verfügen und einen Eigentümerwechsel
blockieren können?

d) Auf welche Weise haben Bundesbehörden hierzu mit den Regierungen
Saudi-Arabiens, Rumäniens und Algeriens kommuniziert?

Berlin, den 17. Februar 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

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