BT-Drucksache 18/7638

Europäische Forschungen für eine "intelligente Polizei"

Vom 17. Februar 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/7638
18. Wahlperiode 17.02.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Andrej Hunko, Herbert Behrens, Eva Bulling-Schröter,
Annette Groth, Inge Höger, Ulla Jelpke, Jan Korte, Caren Lay, Birgit Menz,
Alexander Ulrich und der Fraktion DIE LINKE.

Europäische Forschungen für eine „intelligente Polizei“

Laut Medienberichten wollen die Regierungen Frankreichs und Deutschlands
neue Anwendungen zur „Terrorforschung“ unternehmen, um öffentliche Plätze,
Einkaufszentren oder Schulen besser zu schützen (Deutsche Welle vom 7. Feb-
ruar 2016). Der Bundesministerin für Bildung und Forschung, Prof. Dr. Johanna
Wanka, zufolge würden „Mittel und Maßnahmen“ gebraucht, damit „Städte si-
cherer werden, Polizei und Feuerwehr die Bevölkerung besser schützen können“.
Um welche Anwendungen es sich konkret handelt, bleibt offen. Näheres hat das
Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) am 8. Februar 2016 in
einer Pressemitteilung umrissen. Demnach startet das Bundesministerium mit der
französischen nationalen Forschungsagentur ANR ein Programm „Zukünftige Si-
cherheit in Urbanen Räumen“. Zu den Teilnehmenden gehörten „Expertinnen und
Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Praxis“. Von den Forschungen sollten
auch Verkehrsbetriebe und private Sicherheitsdienstleister profitieren. Der deut-
sche Bundesminister des Innern hatte bereits im Sommer 2015 angekündigt, die
Europäische Kommission zu einem Forschungsprojekt zu Vorhersagesoftware
bewegen zu wollen (www.youtube.com/watch?v=OEREECb8WHY). Auch das
Bundeskriminalamt (BKA) will sich demnach daran beteiligen. Frankreich habe
laut dem Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Ole Schröder „bereits Erfahrung
mit dem Thema ‚Predictive Policing’“, daher habe der französische Innenminister
„dazu eingeladen, sich auf Expertenebene über das Thema auszutauschen“. Die
französischen Behörden hätten vorgeschlagen, den Nutzen von Vorhersagesoft-
ware in einem „Expertenkreis im G6+1-Format“ (die sechs einwohnerstärksten
EU-Staaten plus die USA) zu untersuchen (Bundestagsdrucksache 18/5599).
Konkrete Forschungen seien aber noch nicht begonnen worden (Bundestags-
drucksache 18/7319). Auf ähnliche Weise will die EU-Polizeiagentur Europol die
Auswertung offener Quellen im Internet mithilfe von Software erleichtern. Die
Agentur nimmt dafür als Teilnehmerin an drei Vorhaben des EU-Förderpro-
gramms für Forschung und Innovation „Horizont 2020“ teil. Das Bundesministe-
rium des Innern (BMI) hat die Projekte auf Bundestagsdrucksache 18/7466 be-
nannt (e-FighTer – Decision Support Platform for Detecting Radicalisation and
Over/Cover Terrorist Communications through the Internet –, RED-Alert – Real-
Time Early Detection and Alert System for Online Terrorist Content based on
Social Network Analysis and Complex Event Processing –, DETECT-IT – DE-
tecting TErrorist ContenT on the InterneT). Welche Funktionen oder Verfahren
beforscht werden, ist nicht bekannt, die weiteren Teilnehmer sind deshalb eben-
falls unklar. Ähnliche Inhalte wurden zuvor im Bevölkerungsscanner INDECT
oder den Projekten CAPER und PROACTIVE behandelt (Telepolis vom 7. Februar
2014). An den inzwischen abgeschlossenen Forschungen waren unter anderem

Drucksache 18/7638 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
 

das Bayerische Landeskriminalamt und die Universität der Bundeswehr München
beteiligt. Zur Koordination von Forschungsaufgaben für die Polizeien der Mit-
gliedstaaten hat die Europäische Union vor drei Jahren eine „Technologie-
Beobachtungsstelle“ gestartet (netzpolitik.org vom 20. August 2013). Die Abtei-
lung ist beim „Europäischen Netz technischer Dienste für die Strafverfolgung“
(ENLETS) angesiedelt, das wiederum einer Arbeitsgruppe des Rates angehört.
Ziel ist die verstärkte Einbeziehung der für die innere Sicherheit zuständigen Be-
hörden „in die sicherheitsbezogene Forschung und Industriepolitik“.
Die beschriebenen neuen Technologien werden als „intelligente Polizei“ („Smart
Police“) bezeichnet. Einige der Anwendungen hatte das Bundeskriminalamt
(BKA) am 24./25. November 2015 auf dem 5. Internationalen Symposium
„Smart World – Smart Media – Smart Police“ in Wien vorgestellt (Ankündigung
auf der Webseite des BKA ohne Datum).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche weiteren Details zu Plänen der Regierungen Frankreichs und

Deutschlands hinsichtlich der gemeinsamen „Terrorforschung“ im Pro-
gramm „Zukünftige Sicherheit in Urbanen Räumen“ kann die Bundesregie-
rung mitteilen?
a) Mit welchen „Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft

und Praxis“ wollen das Bundesministerium für Bildung und Forschung
und die französische nationale Forschungsagentur ANR nach gegenwär-
tigem Stand kooperieren?

b) Welche einzelnen Projekte oder Stränge hinsichtlich von Anwendungen
für Notfallorganisationen, Verkehrsbetriebe und private Sicherheits-
dienstleister sollen dabei im Vordergrund stehen?

c) Wann und wo wurden die Pläne für einzelne Vorhaben erörtert und be-
schlossen?

d) Wer ist mit der Umsetzung beauftragt?
e) In welchen Arbeitsgruppen sollen die Pläne der gemeinsamen „Terrorfor-

schung“ konkretisiert werden, und wer ist bzw. wird daran beteiligt?
2. Im Rahmen welcher einzelnen Vorhaben oder Ziele werden bei den neuen

Plänen der Regierungen Frankreichs und Deutschlands die folgenden Felder
beforscht:
a) Verbesserung von automatisierten Verfahren des „Data Minings“,
b) Verarbeitung von „Massendaten“ in (nahezu) Echtzeit,
c) „Prediktive Analyse“ bzw. „Vorhersagende Schlussfolgerungen“ oder

Ausgabe von kriminalistischen „Hypothesen“,
d) Computergestützte Auswertung von sozialen Medien (darunter Twitter,

Facebook),
e) Analyse sozialer Netzwerke oder Suchmaschinen zum Aufspüren von Ge-

fahren,
f) Visuelle Darstellung öffentlich zugänglicher Open-Source-Informationen

als automatisiertes datenbankgestütztes Tool zur Datensammlung, Aus-
wertung, Analyse,

g) Intelligente Auswertung von Sensoren im öffentlichen Raum?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/7638
 

3. Auf welche Weise ist die beim ENLETS angesiedelte „Technologie-Be-
obachtungsstelle“ der EU-Mitgliedstaaten in entsprechende Forschungen
eingebunden, und welche konkreten Verfahren werden beforscht, bzw. wel-
che Forschungen wurden beauftragt?

4. Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, inwiefern das Thema „Predic-
tive Policing“ auf EU-Ebene oder auch in einer deutsch-französischen Partner-
schaft inzwischen weiterbehandelt wird (Bundestagsdrucksachen 18/5599 und
18/7319)?
a) Welche Forschungsprojekte wurden hierzu inzwischen aufgelegt bzw.

vorbereitet, und wer nimmt daran teil?
b) Sofern der „Austausch auf Expertenebene“ bislang noch nicht stattgefun-

den hat, wann ist dieser geplant, und um welche „Experten“ welcher Ein-
richtungen handelt es sich dabei?

c) Auf welche Weise wird bzw. will sich das BKA an den Forschungspro-
jekten zu Vorhersagesoftware beteiligen?

5. Welche Anwendungen welcher Hersteller nutzen die Bundespolizei und das
BKA zur automatischen Sprecheridentifizierung, zum Caller-ID-Spoofing,
zum automatischen Filtern relevanter Informationen abgehörter Telefonate,
zur forensischen Suche in Videoarchiven, zur Textanalyse, zum beweissi-
cheren Umgang mit Videomassendaten und Metadaten, zur Analyse von
Kurznachrichten in der polizeilichen Fallarbeit sowie zur Aufbereitung von
Massendaten (Konferenz „Smart World – Smart Media – Smart Police“, An-
kündigung auf der Webseite des BKA ohne Datum)?

6. Inwiefern existieren aus Sicht der Bundesregierung Defizite in der Wir-
kungsweise der Anwendungen, weshalb die Bundespolizei und das BKA et-
waige Neubeschaffungen oder -entwicklungen erwägen?

7. In welchen Vorhaben forschen Behörden des BMI und des Bundesministeri-
ums der Verteidigung – BMVg – (auch die Universitäten der Bundeswehr)
derzeit zu den Feldern
a) Verbesserung von automatisierten Verfahren des „Data Minings“,
b) Verarbeitung von „Massendaten“ in (nahezu) Echtzeit,
c) „Prediktive Analyse“ bzw. „Vorhersagende Schlussfolgerungen“ oder

Ausgabe von kriminalistischen „Hypothesen“,
d) Computergestützte Auswertung von sozialen Medien (darunter Twitter,

Facebook),
e) Analyse sozialer Netzwerke oder Suchmaschinen zum Aufspüren von Ge-

fahren,
f) Visuelle Darstellung öffentlich zugänglicher Open-Source-Informationen

als automatisiertes datenbankgestütztes Tool zur Datensammlung, Aus-
wertung, Analyse,

g) Intelligente Auswertung von Sensoren im öffentlichen Raum (Bundes-
tagsdrucksache 18/707)?

8. Welche Zielsetzung verfolgen die Projekte, und wer nimmt daran teil?
a) Welchen finanziellen Umfang haben die Projekte, und wie werden diese

finanziert?
b) Welche dieser Vorhaben werden unter dem EU-Forschungsrahmenpro-

gramm ,,Horizon 2020“ gefördert bzw. werden dort beantragt?

Drucksache 18/7638 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
 

9. An welchen weiteren Vorhaben des Strangs „Secure societies – Protecting
freedom and security of Europe and its citizens“ im EU-Forschungsrahmen-
programm ,,Horizon 2020“ sind welche deutschen Behörden beteiligt bzw.
reichen dort entsprechende Anträge ein?
a) Wann wurden bzw. werden die Projekte begonnen, wann enden sie, wel-

ches Finanzvolumen haben sie bzw. könnten sie haben, und wie werden
sie anteilig finanziert?

b) Welche Ziele werden in den Projekten verfolgt, und wer ist (auch vermut-
lich) daran beteiligt?

10. Welche Nicht-EU-Staaten sind nach Kenntnis der Bundesregierung derzeit
mit dem EU-Forschungsrahmenprogramm ,,Horizon 2020“ assoziiert?

11. Welchen Fortgang nehmen die Forschungen an schlangenförmigen Landro-
botern gegen „Guerillas, Rebellen, Partisanen und Terroristen“, die als Auf-
klärungssystem „Wireless self-organised electrorheological Micro-Sensor-
system“ (WOERMS) von der Helmut-Schmidt-Universität, Universität der
Bundeswehr Hamburg entwickelt werden und auf Mikrohydraulik basieren
(Bundestagsdrucksache 18/819)?
a) Welche weiteren Teilnehmenden gehörten (auch als Beobachter) zum

Projekt eines schlangenförmigen Landroboters gegen „Guerillas, Rebel-
len, Partisanen und Terroristen“?

b) Wann sollen die Untersuchungen des Wehrwissenschaftlichen Instituts
für Werk- und Betriebsstoffe an der Helmut-Schmidt-Universität abge-
schlossen sein, und für wann wird ein Bericht erwartet?

12. Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, welche Anwendungen bzw.
Verfahren zur Geolokalisierung die Polizeiagentur Europol nutzt, um wie bei
den jüngsten Anschlägen in Paris 366 aktive Accounts von sozialen Medien
im Umfeld der Bataclan-Konzerthalle ausfindig zu machen (www.iiea.com/
events/europol-and-its-role-in-countering-terrorism)?
a) In welchen Ermittlungen bzw. Maßnahmen zur Gefahrenabwehr und in

welchem Umfang nutzen auch die Bundespolizei und das BKA Anwen-
dungen bzw. Verfahren zur Geolokalisierung von Internetnutzern?

b) Welche Soft- und Hardwarelösungen kommen dabei zum Einsatz?
c) An welchen Forschungsprojekten mit welchen weiteren Beteiligten neh-

men die Bundespolizei und das BKA teil, um die Geolokalisierung von
Internetnutzern zu verbessern?

13. Welche Details kann die Bundesregierung hinsichtlich von Finanzermittlun-
gen und Netzwerkanalyse erläutern, inwiefern von Banken, Kredit- und an-
deren Finanzinstituten an Europol oder das BKA gelieferte Daten zu Finanz-
strömen auch Namen, Adressen, Telefonnummern und E-Mail-Adressen ent-
halten (Interview mit dem Europol-Vizechef Wil van Gemert, De Telegraaf
vom 2. Februar 2016)?

14. Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, auf welche Weise die Erken-
nung von Internetinhalten im „European Expert Network on Terrorism
Issues“ (EENeT) beforscht wird (Bundestagsdrucksache 18/7466)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/7638
 

15. Welche Details kann die Bundesregierung zu einem EEnET-Projekt zur „In-
formationsgewinnung in Sozialen Medien“ („Social Media intelligence“)
und zur Verarbeitung der anfallenden Massendaten („handling of mass data
processing“) mitteilen (Bundestagsdrucksache 18/7466)?
a) Welche weiteren Teilnehmenden gehören zu den beiden Projekten?
b) Welche Arbeiten oder Verantwortlichkeiten werden hierzu vom BKA

übernommen?
16. In welchen Vorhaben forschen Behörden des BMI und des BMVg (auch die

Universitäten der Bundeswehr) derzeit an Vorhaben, die (auch testweise)
eine Datenbank mit „terroristischen“ oder sonstigen Störungen der öffentli-
chen Sicherheit errichten, damit Anwendungen der „prädiktiven Analyse“
daraus Vorhersagen bzw. Prognosen oder andere Analysen generieren?

17. Sofern die deutschen Behörden solche Datenbanken (auch testweise)
nicht selbst eingerichtet haben, inwiefern haben sie hierzu (auch im Rahmen
einer „Marktsichtung“) Kontakt zu privaten oder behördlichen Betreibern
entsprechender Anwendungen (ähnlich dem „GDELT Project“, www.
gdeltproject.org) aufgenommen?

18. Wo ist nach Kenntnis der Bundesregierung die unter Beteiligung der Bun-
deswehr im EU-Sicherheitsforschungsprojekt PROACTIVE genutzte „Ter-
roristic Indicators Event Database“ angesiedelt (Bundestagsdrucksache
18/707)?
a) Wie und von wem wurden die dort gespeicherten Daten beschafft?
b) Sofern die Daten wie im vom BKA beobachteten EU-Projekt CAPER

(Bundestagsdrucksache 18/707) aus unterschiedlichen „Open-Source-
Quellen“ wie z. B. Suchmaschinen oder sozialen Netzwerken stammen,
wie wurden diese Quellen ausgesucht und ausgelesen?

c) Welche konkreten Datenfelder können in die Datenbank eingetragen wer-
den?

19. Welche Projekte hat das BKA (auch im Rahmen einer „Marktsichtung“) be-
obachtet, bei denen die „Feststellung der Funktionalität des im Projekt avi-
sierten Prototyps“ zur Auswertung von digitalen „Open-Source-Quellen“ be-
forscht wird, beobachtet (Bundestagsdrucksache 18/707)?

20. Welche Schlussfolgerungen zieht das BKA hinsichtlich „eine[r] mögliche[n]
Unterstützung bei der Aufgabenerfüllung innerhalb der BKA-Zuständigkeit“
(Bundestagsdrucksache 18/707)?

21. Was kann die Bundesregierung zur Funktionsweise und Nutzung des im
Rahmen von PROACTIVE entwickelten „Terrorist Reasoning Kernel“ mit-
teilen, der laut einer Projektbeschreibung zur „Detektion von Online- und
Offline-Bedrohungen“ („online and offline potential threat detection“) ge-
nutzt wurde (www.fp7-proactive.eu)?

22. Welche Daten welcher Quellen wurden von dem „Terrorist Reasoning
Kernel“ verarbeitet?

Berlin, den 17. Februar 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.