BT-Drucksache 18/7608

Bilanz und Ausblick zur Chancengleichheit im Wissenschaftssystem

Vom 17. Februar 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/7608
18. Wahlperiode 17.02.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Kai Gehring, Ulle Schauws, Özcan Mutlu,
Beate Walter-Rosenheimer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Bilanz und Ausblick zur Chancengleichheit im Wissenschaftssystem

Im Jahr 2006 appellierte der damalige Präsident der Deutschen Forschungsge-
meinschaft e. V. (DFG) Professor Dr. Ernst-Ludwig Winnacker an die sich bei
der Exzellenzinitiative beteiligenden Universitäten, ihre Aktivtäten zur Ge-
schlechtergleichstellung zu forcieren. Zuvor hatten die internationalen Gutachte-
rinnen und Gutachter massiv kritisiert, dass der Gleichstellungsaspekt in den
meisten eingereichten Antragsskizzen völlig unzureichend behandelt worden
war. 2006 ist auch das Jahr, in dem das Professorinnen-Programm von Bund und
Ländern startete und sich die großen Forschungsorganisationen mit der „Offen-
sive für Chancengleichheit“ dazu verpflichteten, deutlich mehr Wissenschaftle-
rinnen an der Forschung zu beteiligen.
Zehn Jahre später stellt sich nach wie vor das Problem, dass gleichstellungspoli-
tische Veränderungen im Wissenschaftssystem nur sehr zögerlich greifen – und
das trotz weiterer gleichstellungspolitischer Impulse wie den DFG-Gleichstel-
lungsstandards aus dem Jahr 2008 und der Verpflichtung der außeruniversitären
Forschungseinrichtungen auf das Kaskadenprinzip durch die Gemeinsame Wis-
senschaftskonferenz (GWK) 2011. Zahlreiche Berichte belegen, wie die Erfolge
hinter den Erfordernissen zurückbleiben.
So stellt der jüngste GWK-Datenreport zu Frauen in Hochschulen und außerhoch-
schulischen Forschungseinrichtungen aus dem Jahr 2015 fest, dass insbesondere
bei den Professuren mit einer Steigerung des Frauenanteils von jährlich durch-
schnittlich 0,77 Prozentpunkten in den letzten zehn Jahren nur ein begrenzter
Zuwachs zu verzeichnen sei (Materialien der GWK, Heft 45: Chancengleich-
heit in Wissenschaft und Forschung, 19. Fortschreibung des Datenmaterials –
2013/2014 –, S. 11). Im aktuellen Monitoring-Bericht zum Pakt für Forschung
und Innovation konstatieren Bund und Länder bei allen Forschungsorganisatio-
nen Nachholbedarf, ihre gleichstellungsbezogenen Instrumente zu optimieren,
um die selbstgesetzten Zielquoten zu erreichen (GWK-Heft 42: Monitoring-Be-
richt 2015, S. 17). Und der kürzlich vorgelegte Imboden-Bericht zur Evaluation
der Exzellenzinitiative bilanziert, dass sich das Problem der „leaky pipeline“, also
das Phänomen der über den Karriereverlauf abnehmenden Frauenanteile, in
Deutschland während der vergangenen zehn Jahre zwar leicht gebessert habe,
aber immer noch größer als in anderen europäischen Ländern sei (Evaluation der
Exzellenzinitiative, Endbericht der Internationalen Expertenkommission, 2016,
S. 29).
CDU, CSU und SPD haben sich in ihrem Koalitionsvertrag explizit darauf ver-
ständigt, dass sie bei Vereinbarungen über neue Förderinstrumente für die Wis-
senschaft künftig verstärkt die Einhaltung von Gleichstellungsstandards und die

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Festlegung konkreter Ziele für mehr Frauen in Führungspositionen verankern
werden.
Dies alles veranlasst, nach Bilanz und Ausblick zu fragen.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie bewertet die Bundesregierung den aktuell erreichten Stand der Gleich-

stellung
a) an den deutschen Hochschulen,
b) an den außeruniversitären Forschungseinrichtungen und
c) an den Ressortforschungseinrichtungen?

2. Welche genuin neuen Initiativen und Maßnahmen hat die Bundesregierung
seit Beginn der 18. Legislaturperiode auf den Weg gebraucht, um Gleichstel-
lung in der Wissenschaft zu befördern?

3. Welche neuen weiteren Initiativen und Maßnahmen plant die Bundesregie-
rung noch für die laufende Legislaturperiode?

4. Wie hoch sind die Mittel, die die Bundesregierung seit dem Jahr 2013 jähr-
lich für Wirksamkeitsstudien aufwendet, die gleichstellungspolitische Maß-
nahmen und Instrumente in der Forschungsförderung auf ihr Wirkpotenzial
analysiert?

5. Zu welchen gleichstellungspolitischen Programmen oder Instrumenten, die
die Bundesregierung in dieser Legislaturperiode befördert, liegen Ergebnisse
der Wirkungsforschung vor, welche Erkenntnisse wurden gewonnen und wo
wurden oder sollen diese Ergebnisse zu einer evidenzbasierten Weiterent-
wicklung der gleichstellungspolitischen Maßnahmen wie genutzt werden?

6. Was plant die Bundesregierung nach Auslaufen des Professorinnen-Pro-
gramms 2017?
Soll das Programm fortgesetzt werden, und wenn ja, welche Überlegungen
bestehen zum Konzept?
Gibt es andere Überlegungen anstelle oder in Ergänzung des Professorinnen-
Programms?

7. Welchen statistischen Effekt hat das Professorinnen-Programm seit seinem
Bestehen zur zusätzlichen Steigerung des Frauenanteils bei den Professuren?

8. Welches Fazit zieht die Bundesregierung aus den Forschungsergebnissen der
Förderlinie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung „Frauen an
die Spitze“?

9. Was plant die Bundesregierung nach dem Auslaufen der Förderlinie „Frauen
an die Spitze“?
Welche inhaltlichen Schwerpunkte sollen im Anschluss gesetzt, und was ge-
fördert werden?

10. Welche Überlegungen bestehen seitens der Bundesregierung, Geschlechter-
gerechtigkeit beim geplanten Bund-Länder-Programm für den Wissen-
schaftsnachwuchs zu verankern?

11. Inwieweit wurde das gleichstellungspolitische Ziel aus der Bund-Länder-
Vereinbarung zur Exzellenzinitiative erreicht?
Welche messbaren Erfolge wurden erreicht?

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12. Inwiefern hält es die Bundesregierung für erforderlich, dass bei einer Ver-
einbarung zwischen Bund und Ländern zur Neuauflage der Exzellenzinitia-
tive Geschlechtergerechtigkeit nachhaltig und verstärkt verankert wird?
Was sind nach Auffassung der Bundesregierung mögliche Instrumente?

13. Welche messbaren Ziele sollten nach Auffassung der Bundesregierung bei
der Fortsetzung der Exzellenzinitiative erreicht werden?

14. Wie beurteilt die Bundesregierung die bisherige Umsetzung der gleichstel-
lungspolitischen Ziele im Rahmen des Hochschulpakts?
Warum variiert die Steigerung der Frauenanteile so stark zwischen den Län-
dern?

15. Wie lange wird es nach Auffassung der Bundesregierung unter den Annah-
men der jetzigen Entwicklung im Hochschulpakt dauern, bis es zu einem an-
nähernden Gleichstand zwischen Frauen und Männern bei den Professuren
insgesamt, und insbesondere in der W3-Stufe, gekommen sein wird?

16. Ist dieser Zeitraum für die Zielerreichung angemessen, oder welche weiteren
Maßnahmen müssen ergriffen werden, um das Ziel eines annähernden
Gleichstands bis zum Jahr 2030 zu erreichen?

17. Wie schneidet Deutschland bei der Repräsentanz von Frauen in der Wissen-
schaft im internationalen Vergleich ab, und wie bewertet die Bundesregie-
rung den Stand?

18. Hält die Bundesregierung die Verpflichtung der außeruniversitären For-
schungseinrichtungen auf das Kaskadenmodell trotz Kritik der GWK im Mo-
nitoring-Bericht zum Pakt für Forschung und Innovation 2015 an der teil-
weise mangelnden Ambitioniertheit bei dessen Umsetzung für ausreichend,
welche Schlüsse zieht sie aus der Kritik, und inwiefern hält sie mehr Ver-
bindlichkeit bzw. mehr Vorgaben bei dem Instrument zur Erreichung von
Zielquoten für angeraten?

19. Warum hat die Bundesregierung bei der Novellierung des Wissenschaftszeit-
vertragsgesetzes davon abgesehen, die so genannte familienpolitische Kom-
ponente im Sinne eines Rechtsanspruches auf Vertragsverlängerung für El-
tern mit Kind auszugestalten?

20. Verfügt der Bund als Zuwendungsgeber von Drittmitteln über eine ähnliche
Förderpraxis wie die DFG (s. DFG-Stellungnahme zur öffentlichen Anhö-
rung „Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG)
und Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses“ des Ausschusses für
Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundes-
tages vom 11. November 2015, Ausschussdrucksache 18(18)143 h, S.3), die
es durch die Übernahme eventueller Mehrkosten ermöglicht, dass Drittmit-
tel-finanzierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Elternzeiten neh-
men können, ohne dass dies auf Kosten ihrer Vertragslaufzeiten geht?
Wenn nein, warum nicht?

21. Teilt die Bundesregierung die den DFG-Gleichstellungsstandards zugrund-
liegende Prämisse, dass es heute zu den Grundlagen der Qualitätssicherung
in der Forschung gehört, durchgängig, transparent, wettbewerbsfähig und zu-
kunftsorientiert und kompetent für Gleichstellung Sorge zu tragen?

22. Zu welchem Ergebnis ist die Bundesregierung in ihren Überlegungen zu
Gleichstellungsstandards in den eigenen Förderkriterien gekommen (s. Be-
schlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages, Bundestagsdrucksa-
che 17/12365, S. 7), und wo hat sie ggf. Maßnahmen zur Umsetzung ergrif-
fen?

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23. Falls bislang keine Umsetzungsschritte eingeleitet wurden, warum hat die
Bundesregierung davon abgesehen?

24. Warum hat die Bundesregierung bislang davon abgesehen, das Kaskaden-
modell als Leitgedanke auf Ressortforschungseinrichtungen zu übertragen?

25. Welche Aktivitäten hat die Bundesregierung mittlerweile unternommen, um
verstärkt darauf zu achten, „dass die Notwendigkeit der Verankerung der
Genderdimension in den Forschungsprogrammen berücksichtigt wird“
(s. Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN „Chancengleichheit im europäischen Forschungsraum“ auf Bun-
destagsdrucksache 18/5651, S. 2)?

26. Wie hat sich das für die Gender-Forschung seitens der Bundesregierung auf-
gewendete Haushaltsvolumen in den letzten zehn Jahren entwickelt (bitte ab-
solute Werte und relativ zum Bundeshaushalt angeben)?

27. Welche neuen Fördermaßnahmen oder Programme bringt die im Jahr 2014
weiterentwickelte Hightech-Strategie für die Genderforschung, und wie wird
der Transfer der Forschungsergebnisse unterstützt?

28. Welche evaluationsgestützten Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über
die Wirksamkeit der Arbeitshilfe zu § 2 der Gemeinsamen Geschäftsordnung
der Bundesministerien (GGO) „Gender Mainstreaming in Forschungsvorha-
ben“ zur systematischen Verankerung von Genderforschung in der Ressort-
forschung vor, und wie bewertet sie den bisherigen Erfolg der querschnitts-
mäßigen Verankerung von Genderforschungsperspektiven in der Ressortfor-
schung?

29. Gibt es Überlegungen zu einer ausführlicheren Berichterstattung über geför-
derte Aktivitäten der Genderforschung im Rahmen des Berichts zu For-
schung und Innovation, als das bisher der Fall ist, und falls nein, warum
nicht?

30. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über antifeministische Grup-
pierungen, Einzelpersonen und rechtspopulistische oder rechtsradikale Par-
teien, die Genderforschung sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
aus der Genderforschung diffamieren, diskriminieren und sogar bedrohen?
Wie bewertet sie entsprechende Diffamierungen bzw. verbale und schriftli-
che Angriffe, und wie geht die Bundesregierung damit um?

Berlin, den 16. Februar 2016

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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