BT-Drucksache 18/7545

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum Europäischen Rat am 18./19. Februar 2016 in Brüssel

Vom 16. Februar 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/7545
18. Wahlperiode 16.02.2016
Entschließungsantrag
der Abgeordneten Andrej Hunko, Dr. Diether Dehm, Alexander Ulrich,
Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Christine Buchholz, Sevim Dağdelen,
Annette Groth, Heike Hänsel, Inge Höger, Katrin Kunert, Stefan Liebich,
Niema Movassat, Dr. Alexander S. Neu und der Fraktion DIE LINKE.

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin
zum Europäischen Rat am 18./19. Februar 2016 in Brüssel

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Nach dem von beiden Häusern des britischen Parlaments beschlossenen Referen-
dumsgesetz sollen die Bürgerinnen und Bürger des Vereinigten Königreichs von
Großbritannien spätestens am 31. Dezember 2017 über die Frage abstimmen: „Soll
das Vereinigte Königreich Mitglied der EU bleiben oder die EU verlassen?“ Die
Regierung des Vereinigten Königreichs hat zu einem etwaigen Verbleib Bedingun-
gen formuliert, bei deren Erfüllung durch die EU und ihre Organe sie sich bereit
erklären würde, für eine weitere Mitgliedschaft Großbritanniens in der EU einzutre-
ten. Über diese Bedingungen wurden inzwischen Verhandlungen mit dem Präsiden-
ten des Europäischen Rates geführt, deren Ergebnisse in dessen „Entwurf eines Be-
schlusses der im Europäischen Rat vereinigten Staats- und Regierungschefs“ (EUCO
4/16) festgehalten sind.

2. Der Beschlussentwurf enthält keinen Hinweis zum im Jahre 1984 eingeführten
„Britenrabatt“ auf die Beitragszahlungen des Vereinigten Königreichs an die EU,
der trotz der bis 2013 erfolgten Absenkung immer noch beträchtlich im Widerspruch
dazu steht, dass das Vereinigte Königreich inzwischen zu den reichsten EU-Ländern
zählt.

3. Der Beschlussentwurf enthält hingegen verbindliche Regelungen zu Veränderun-
gen der EU-Verträge bzw. zu Protokollen für diese Verträge, die selbst als unmittel-
bares EU-Vertragsrecht gelten. Das gilt insbesondere für das zur Sicherung des Sub-
sidiaritätsgrundsatzes in Artikel 5 des EU-Vertrags aufgenommene „Protokoll über
die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit“. Der-
artige Änderungen können nach Maßgabe des Artikels 48 des „Vertrags über die
europäische Union“ (EU-Vertrag) nur in Kraft treten, wenn sie im ordentlichen Ver-
tragsänderungsverfahren „von allen Mitgliedstaaten nach Maßgabe ihrer verfas-
sungsrechtlichen Vorschriften ratifiziert worden“ sind (Artikel 48 EU-Vertrag). In
Deutschland bedarf es insoweit nach Artikel 23 des Grundgesetzes der Ratifizierung
durch ein Gesetz. Trotz dieser eindeutigen Rechtslage geht der vom Präsidenten des
Europäischen Rats vorgelegte Entwurf des Beschlusses davon aus, dass die in ihm

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enthaltenen Veränderungen keiner ausdrücklichen Vertragsänderung nach dem EU-
Vertrag und auch keiner Ratifizierung entsprechend den mitgliedstaatlichen Verfas-
sungen bedürften.

4. Eine Beschränkung des Umfangs der auf die EU übertragenen Kompetenzen und
auch eine Stärkung der Rechtspositionen der mitgliedstaatlichen Parlamente schei-
nen grundsätzlich erwägenswert. Ob das auch für den Vorschlag gilt, bei einer Sub-
sidiaritätsrüge von „mehr als 55 % der den nationalen Parlamenten zugewiesenen
Stimmen“ Änderungen nach einer Diskussion im Rat zu ermöglichen, ist indes schon
deshalb zweifelhaft, weil nach Artikel 7 des Subsidiaritätsprotokolls jedes Parlament
unabhängig von der Einwohnerzahl des Landes zwei Stimmen hat, bei einem Zwei-
Kammer-System jede Kammer eine Stimme. Auch würde die Realisierung eines sol-
chen Vorschlags ebenfalls ein ausdrückliches Vertragsänderungsverfahren erfor-
dern, das den EU-rechtlichen wie den verfassungsrechtlichen Anforderungen der
Mitgliedstaaten entspricht.

5. Die unterbreiteten Vorschläge „zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit“, die
„Verwaltungsaufwand und die Befolgungskosten für die Wirtschaftsteilnehmer“
senken sollen, stellen angesichts fehlender Maßnahmen zur sozialen Verbesserung
für Lohnabhängige sowie für Bezieherinnen und Bezieher von Renten und Sozial-
leistungen Gefahren einer weiteren neoliberalen Verschärfung der auf Gewinn- und
Machtstreben ausgerichteten Wirtschaftsweise dar. Dass die erst vor kurzem einge-
führten Regelungen zur „Bankenunion“ überarbeitet werden sollen, erscheint dem-
gegenüber erwägenswert. Allerdings muss im Rahmen der Bewertungen hinsichtlich
weiterer etwaiger Vertragsänderungen dafür Sorge getragen werden, dass Nichtdis-
kriminierung, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern
(Artikel 2 EU-Vertrag) stärker als bisher in die Realität der EU umgesetzt werden.

6. Die im Beschlussentwurf enthaltenen „Bedingungen für den Zugang zu Sozial-
leistungen“ können nicht vom Europäischen Rat eingeschränkt werden. Hier gelten
mitgliedstaatliche Regelungen und im Rahmen des EU-Rechts erlassene sekundär-
rechtliche EU-Vorschriften. Insoweit wirken der Rat der EU und das Europäische
Parlament mit, das durch den Beschlussentwurf offensichtlich wiederum geschwächt
werden soll. Völlig inakzeptabel wäre es, insoweit Einschränkungen anzukündigen,
die sogar über die in dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 15. September
2015 – C 67/14 – genannten hinausgehen. Immerhin hatte sich der Gerichthof über
das Diskriminierungsverbot im Hinblick auf die Staatsangehörigkeit nach Artikel 18
und über die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschied-
lichen Behandlung nach Artikel 45 des „Vertrags über die Arbeitsweise der Europä-
ischen Union – AEUV“ hinweggesetzt.

7. Trotz der Verpflichtung zur umfassenden und frühestmöglichen Unterrichtung des
Bundetags liegen bisher von der Bundesregierung keine ausreichenden Informatio-
nen gemäß § 4 EuZBBG dazu vor, welche Haltung sie auf der unmittelbar bevorste-
henden Tagung des Europäischen Rats zu dem Beschlussentwurf einnehmen will.
Es fehlt auch jeder Hinweis, wie und zu welchem Zeitpunkt die Bundesregierung
dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme geben will (§ 9 Absatz 1 EuZBBG).

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. dem Bundestag Gelegenheit zu geben, in angemessener Zeit zum Beschluss-
entwurf des Präsidenten des Europäischen Rats Stellung zu nehmen,

2. unter Berücksichtigung der zu erwartenden Stellungnahme des Bundestags den
Beschlussentwurf des Präsidenten des Europäischen Rats abzulehnen,

3. in den Gremien und Institutionen der EU die Einberufung eines Konvents ge-
mäß Artikel 48 EU-Vertrag durchzusetzen, der die in dem Beschlussentwurf

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enthaltenen Vorschläge diskutiert und dazu gegebenenfalls einen Entschei-
dungsvorschlag für oder gegen etwaige Vertragsänderungen unterbreitet.

4. Zusätzlich sollte sich der Konvent umfassend mit den nachfolgenden Vorschlä-
gen für Vertragsänderungen auseinandersetzen und Vorschläge dazu unterbrei-
ten:
a. mit Maßnahmen zur Reform der Wirtschafts- und Währungsunion, durch

die wirtschaftspolitische Koordinierung und einheitliche Währung in Eu-
roraum und der EU wirksam und im Interesse der Menschen aufeinander
abgestimmt werden und eine Austeritätspolitik durch „Memoranden of
Understanding“ überflüssig wird,

b. mit Fördermaßnahmen der EU bzw. des grundlegend reformierten ESM
für einzelne Mitgliedstaaten das Ziel einer stärkeren Gewährleistung
gleichwertiger Lebensverhältnisse in der EU umzusetzen,

c. mit der Möglichkeit direkter, nicht über private Banken und deren Profit-
interessen vermittelter Vergabe von Krediten der Europäischen Zentral-
bank (EZB) an die Mitgliedstaaten und deren Untergliederungen,

d. mit Kapitalverkehrskontrollen und wirksamer Finanzmarktregulierung zur
Verhinderung und Vermeidung von Steuerhinterziehungen und Steuerver-
kürzungen und dem Erlass einer entsprechenden Verordnung,

e. mit den im EU-Vertrag enthaltenen Vorschriften über eine Gemeinsame
Sicherheits- und Verteidigungspolitik und insbesondere dem für den Mi-
litäreinsatz in Syrien missbrauchten Artikel 42 Absatz 7 des EUV, der ab-
geschafft werden sollte.

5. Weitere Vorschläge zur Behandlung von Vertragsänderungen sollten von den
verschiedenen Mitgliedstaaten zur Behandlung im Konvent unterbreitet und
von ihm behandelt werden können.

Berlin, den 17. Februar 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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