BT-Drucksache 18/7542

zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Terrorismusbekämpfung und zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/475/JI zur Terrorismusbekämpfung KOM(2015) 625 endg.; Ratsdok. 14926/15 hier: Stellungnahme gemäß Artikel 6 des Protokolls Nr. 2 zum Vertrag von Lissabon (Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit)

Vom 16. Februar 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/7542
18. Wahlperiode 16.02.2016
Antrag
der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Frank Tempel, Dr. André Hahn, Andrej
Hunko, Ulla Jelpke, Jan Korte, Petra Pau, Martina Renner, Kersten Steinke
und der Fraktion DIE LINKE.

zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates
zur Terrorismusbekämpfung und zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses
2002/475/JI zur Terrorismusbekämpfung
KOM(2015) 625 endg.; Ratsdok. 14926/15

hier: Stellungnahme gemäß Artikel 6 des Protokolls Nr. 2 zum Vertrag von Lissabon
(Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit)

Der Bundestag wolle beschließen:

In Kenntnis der Unterrichtung auf Bundestagsdrucksache 18/7422 Nr. A.9 wolle der
Bundestag folgende Entschließung gemäß Protokoll Nr. 2 zum Vertrag von Lissabon
i. V. m. § 11 des Integrationsverantwortungsgesetzes annehmen:

„1. Der Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates
zur Terrorismusbekämpfung und zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/475/JI
zur Terrorismusbekämpfung, KOM(2015) 625 endg.; Ratsdok. 14926/15 verletzt
nach Auffassung des Deutschen Bundestages die Grundsätze der Subsidiarität und
Verhältnismäßigkeit gemäß Artikel 6 des Protokolls Nr. 2 zum Vertrag von Lissa-
bon.

2. Der Deutsche Bundestag bittet seinen Präsidenten, diesen Beschluss der Kommis-
sion, dem Europäischen Parlament und dem Rat zu übermitteln.“

Berlin, den 16. Februar 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Drucksache 18/7542 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Begründung

Gemäß Artikel 6 des Protokolls Nr. 2 über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhält-
nismäßigkeit zum Vertrag über die Europäische Union (EUV) und zum Vertrag über die Arbeitsweise der Eu-
ropäischen Union (AEUV) können die nationalen Parlamente in einer begründeten Stellungnahme darlegen,
weshalb der Entwurf eines Gesetzgebungsakts ihres Erachtens nicht mit dem Subsidiaritätsprinzip vereinbar ist.
Der Deutsche Bundestag ist der Auffassung, dass der Prüfungsmaßstab, den die nationalen Parlamente insofern
anwenden, umfassend zu verstehen ist: Er beinhaltet die Wahl der Rechtsgrundlage, die Einhaltung des Subsi-
diaritätsprinzips im engeren Sinne gemäß Artikel 5 Absatz 3 EUV sowie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
gemäß Artikel 5 Absatz 4 EUV.
Der Deutsche Bundestag sieht ebenfalls die Notwendigkeit einer stärkeren Zusammenarbeit der EU-Mitglied-
staaten bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Dieser Richtlinienvorschlag verletzt allerdings die
vorgenannten Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit des Vertrags von Lissabon.
Insgesamt betrachtet der Deutsche Bundestag die angesichts der terroristischen Bedrohung beständige Auswei-
tung der staatlichen Befugnisse und Überwachungsinstrumente im Bereich des Strafrechts, des Gefahrenab-
wehrrechts und des Rechts der Geheimdienste im Hinblick auf die Aushebelung rechtsstaatlicher Garantien und
einer Entwicklung zum sogenannten gläsernen Bürger mit großer Sorge.

1. Rechtsgrundlage
Die Rechtsgrundlage für das Strafrecht ist grundsätzlich in Art. 83 Abs.1 und Art. 82 Abs. 2c AEUV zu sehen.
Nach Art. 83 Abs. 1 AEUV können das Europäische Parlament und der Rat gemäß dem ordentlichen Gesetz-
gebungsverfahren durch Richtlinien Mindestvorschriften zur Festlegung von Straftaten und Strafen in Berei-
chen besonders schwerer Kriminalität festlegen, die aufgrund der Art oder der Auswirkungen der Straftaten
oder aufgrund einer besonderen Notwendigkeit, sie auf einer gemeinsamen Grundlage zu bekämpfen, eine
grenzüberschreitende Dimension haben. Zu diesen Kriminalitätsbereichen gehört unter anderem der Terroris-
mus. Nach Art. 82 Abs. 2 AEUV können das Europäische Parlament und der Rat gemäß dem ordentlichen
Gesetzgebungsverfahren durch Richtlinien Mindestvorschriften festlegen, soweit dies zur Erleichterung der ge-
genseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen und der polizeilichen und justiziellen Zu-
sammenarbeit in Strafsachen mit grenzüberschreitender Dimension erforderlich ist. Die Vorschriften betreffen
u. a. die Zulässigkeit von Beweismitteln auf gegenseitiger Basis zwischen den Mitgliedstaaten, die Rechte des
Einzelnen im Strafverfahren und die Rechte der Opfer von Straftaten. Die Richtlinie regelt teilweise Mindest-
vorschriften in diesen Bereichen.
Durch die Richtlinie werden aber auch objektiv neutrale Vorbereitungshandlungen und damit Verhaltensweisen
unter Strafe gestellt, die weit vor der eigentlichen Rechtsgutsverletzung, weit vor dem Versuch einer solchen
und sogar weit vor einer konkreten Rechtsgutsgefährdung liegen. Dabei handelt es sich der Sache nach um
Gefahrenabwehr und nicht um die dem Strafrecht immanente Aufklärung und Verfolgung bereits begangenen
Unrechts. Der Europäischen Union steht keine Ermächtigungsgrundlage für Harmonisierungsmaßnahmen in
diesem Bereich zu (vgl. Antrag der Fraktion DIE LINKE. im Sächsischen Landtag, Landtagsdrucksa-
che 6/3967).

2. Subsidiaritätsprinzip im engeren Sinne
Die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips im engeren Sinne ist zweifelhaft. Maßnahmen auf dem Gebiet der
Freiheit, der Sicherheit und des Rechts fallen gemäß Artikel 4 Absatz 2 AEUV in die geteilte Zuständigkeit der
EU und der Mitgliedstaaten. Daher ist das in Artikel 5 Absatz 3 EUV festgelegte Subsidiaritätsprinzip anwend-
bar, demzufolge die Union in den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, nur tätig
wird, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen von den Mitgliedstaaten weder auf
zentraler noch auf regionaler oder lokaler Ebene ausreichend verwirklicht werden können, sondern vielmehr
wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen auf Unionsebene besser zu verwirklichen sind. Beide Vorausset-
zungen müssen kumulativ vorliegen.
Die Kommission führt in dem Richtlinienvorschlag zum einen aus, dass der Rahmenbeschluss 2002/475/JI zur
Terrorismusbekämpfung überarbeitet werden müsse, um wirksamer gegen die zunehmende terroristische Be-
drohung vorzugehen und neuen internationalen Standards Rechnung zu tragen. Zu letzteren zählt die Kommis-
sion insbesondere die Resolutionen 2178 (2014), 2249 (2015) und 2199 (2015) des VN-Sicherheitsrates sowie
das von der EU am 22. Oktober 2015 unterzeichnete Zusatzprotokoll zum Übereinkommen des Europarates zur

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/7542
Verhütung des Terrorismus und die von der Financial Action Task Force (FATF) ausgesprochenen Empfehlun-
gen über die Strafbarmachung der Terrorismusfinanzierung.
Zum anderen verweist sie auf den grenzübergreifenden Charakter der terroristischen Bedrohung und die sich
daraus ergebende Notwendigkeit, den sachlichen Geltungsbereich der Straftatbestände – einschließlich jener,
die nicht aufgrund internationaler Verpflichtungen und Normen erforderlich sind – so aufeinander abzustim-
men, dass eine tatsächliche Wirkung erreicht wird. Diese Ziele könnten von den Mitgliedstaaten allein nicht
ausreichend verwirklicht werden, da durch allein auf nationaler Ebene geltende Rechtsvorschriften keine EU-
weit geltenden Mindeststandards für die Festlegung von Straftatbeständen und Sanktionen für terroristische
Straftaten geschaffen werden könnten.
Dagegen ist einzuwenden, dass es durch die bestehenden europäischen und internationalen Rechtsinstrumente
bereits zu einer weitgehenden Harmonisierung der Strafvorschriften im Bereich der Terrorismusbekämpfung
der Mitgliedstaaten gekommen ist (u. a. der Rahmenbeschluss 2002/475/JI, die UN-Resolutionen 2178 (2014),
2249 (2015) und 2199 (2015) sowie das von der EU im Oktober 2015 unterzeichnete Zusatzprotokoll zum
Übereinkommen des Europarates zur Verhütung des Terrorismus und die von der FATF ausgesprochenen Emp-
fehlungen über die Strafbarmachung der Terrorismusfinanzierung). Die Kommission bleibt den Nachweis dafür
schuldig, dass die als nicht ausreichend angesehene Effektivität der Terrorismusbekämpfung an mangelnden
einheitlichen und weitgehenden Straftatbeständen in den Mitgliedstaaten liegt. Dafür bedürfte es einer umfas-
senden Evaluation in allen Mitgliedstaaten bezüglich der bestehenden Straftatbestände und eines Rückschlusses
von der geringen Effektivität (Aufklärung, Verurteilung von terroristischen Straftaten) auf etwaige Strafbar-
keitslücken oder nicht harmonisierte Vorschriften. Problematisch ist meist nicht das Fehlen geeigneter Straftat-
bestände, sondern sind mangelnde Erkenntnisse über begangene Straftaten und Nachweisprobleme sowie man-
gelnder Informationsaustausch und mangelnde Kooperation zwischen den Behörden der Mitgliedstaaten oder
mit Drittstatten oder mangelndes Personal an den erforderlichen Stellen.

3. Verhältnismäßigkeit
Die Richtlinie ist nicht verhältnismäßig und verletzt damit die in Art. 5 EUV festgelegten Grundsätze.
Die kompetenzielle Verhältnismäßigkeit ist zweifelhaft. In deren Rahmen muss ermittelt werden, ob die Be-
schränkung mitgliedstaatlicher Autonomie durch die EU-Regelung gerechtfertigt werden kann. Das heißt die
Vorschriften des Änderungsvorschlags müssen im Hinblick auf das Ziel, die Sicherheit der EU-Bürger ohne
unnötige Einschränkungen des Binnenmarktes zu gewährleisten, geeignet, erforderlich und angemessen sein.
Die Erforderlichkeit und Angemessenheit sind zweifelhaft, da die Kommission nicht belegen konnte, dass die
als nicht ausreichend effektiv betrachtete Terrorismusbekämpfung ihre Ursache in der mangelnden Einheitlich-
keit oder Defiziten der Mitgliedstaaten im Bereich der Terrorismus-Straftatbestände hat (s. o.). Ebenso wenig
ersichtlich ist, inwiefern die bisherigen europäischen und internationalen Vorgaben in Bezug auf das materielle
Strafrecht nicht ausreichen.
Die Tendenz zur Vollharmonisierung ist gerade im Bereich des sensiblen und eingriffsintensiven Strafrechts
kritisch zu sehen.
Die grundrechtliche Verhältnismäßigkeit ist nicht gewahrt. Art. 5 S. 5 des Protokolls (Nr. 2) fordert, dass im
Hinblick auf die Verhältnismäßigkeitsprüfung die mit einem EU-Gesetzgebungsakt einhergehenden Belastun-
gen und Einschränkungen geschützter Rechtspositionen der Unionsbürger mit dem Nutzen der Maßnahme für
die Allgemeinheit abzuwägen sind. Insofern sind auch grundrechtliche Rechtspositionen und Rechtsstaatsga-
rantien zum Schutze der Unionsbürger und Unionsbürgerinnen zu berücksichtigen. Etwaige Einschränkungen
von Grundrechten unterliegen den in Artikel 52 Absatz 1 der Charta der Grundrechte festgelegten Bedingungen:
Sie müssen verhältnismäßig sein und den von der Union anerkannten, dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzun-
gen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen, gesetzlich
vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten. Die in der EU-Grundrechtecharta
normierten Grundrechte sind maßgeblich, im Bereich des Strafrechts insbesondere das Recht auf Achtung des
Privat- und Familienlebens (Artikel 7), das Recht auf den Schutz personenbezogener Daten (Artikel 8), das
Recht auf die Unschuldsvermutung und die Verteidigungsrechte (Artikel 48) sowie die Grundsätze der Gesetz-
mäßigkeit und der Verhältnismäßigkeit im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen (Artikel 49).
Die Richtlinie sieht gemäß Artikel 3 ff. vor, folgende Handlungen unter Strafe zu stellen: Versuch der Anwer-
bung und Ausbildung, Auslandsreisen zwecks Beteiligung an den Handlungen einer terroristischen Vereini-
gung, Finanzierung der verschiedenen in der Richtlinie definierten terroristischen Straftaten, alle zu terroristi-
schen Zwecken erfolgenden Auslandsreisen einschließlich Reisen innerhalb der EU und Reisen in den Wohn-
sitz- bzw. Herkunftsstaat.

Drucksache 18/7542 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Nach Artikel 15 der Richtlinie soll es für die Strafbarkeit einer Straftat nach Artikel 4 bis 14, also aller in der
Richtlinie beschriebenen terroristischen Handlungsweisen, weder erforderlich sein, dass tatsächlich eine terro-
ristische Straftat begangen wird noch dass eine Verbindung zu einer bestimmten terroristischen Straftat oder,
soweit es um Auslandsreisen oder die Terrorismusfinanzierung nach Artikel 9 bis 11 geht, zu bestimmten Straf-
taten im Zusammenhang mit terroristischen Aktivitäten hergestellt wird (Artikel 15). Außerdem sieht die Richt-
linie in Artikel 16 weitgehende Bestimmungen über die Anstiftung, die Beihilfe und den Versuch der Begehung
einer terroristischen Straftat vor.
Ausfluss des im Grundgesetz (GG) verankerten Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 3 GG) und des Be-
stimmtheitsgrundsatzes (Art. 103 Absatz 2 GG) sind die Grundsätze des Tatstrafrechts, des Schuldprinzips so-
wie des Strafrechts als letztes Mittel zur Herstellung des Rechtsfriedens (Ultima-Ratio-Prinzip) und der Ver-
hältnismäßigkeitsgrundsatz.
Diese Prinzipien finden sich ebenso in Artikel 49 der EU-Grundrechtecharta (Grundsätze der Gesetzmäßigkeit
und der Verhältnismäßigkeit im Zusammenhang mit Straftaten) und gelten unmittelbar für die EU-Rechtsset-
zungsakte. Die Vorgaben des Artikels 49 der EU-Grundrechtecharta werden auf Art. 7 der Europäischen Men-
schenrechtskonvention (EMRK) gestützt. Nach Art. 52 Abs. 3 der Charta haben sie die gleiche Bedeutung und
Tragweite, wie sie ihnen in der EMRK verliehen werden. Insofern macht sich der Europäische Gerichtshof die
vom Europäischen Gerichtshof für Menschrechte entwickelten Leitlinien im Hinblick auf den Bestimmtheits-
grundsatz, das Schuldprinzip und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu eigen. Der vorliegende Richtlinienvor-
schlag verletzt aber diese Prinzipien durch die weite Vorverlagerung der Strafbarkeit vor eine auch nur konkrete
Gefährdung von Personen und der Kriminalisierung neutraler Handlungen, wie sie die Reisetätigkeit, das Sich-
Ausbilden-Lassen und die Finanzierung darstellen, auf eklatante Weise.
Nach der Richtlinie sollen die Ausreise und auch schon der Ausreiseversuch in ein sog. Terrorcamp und damit
die Vorbereitung einer Vorbereitungshandlung bestraft werden. So sollen Personen, die ein Flugticket z. B. in
ein Transitland wie die Türkei oder gar in ein sonstiges z. B. europäisches Land, in dem für einen Anschlag
nützliche Fertigkeiten wie die Flugzeugführung erlernt werden können, kaufen oder sich mit dem Pkw mit
entsprechendem Ziel auf die Reise begeben und den Sicherheitsbehörden terrorverdächtig erscheinen, schon
vor der Ausreise aus Deutschland festgenommen werden können. Es sollen gar Personen, die zwecks Beteili-
gung an einer künftigen terroristischen Tat ins Ausland reisen (auch EU-Ausland) bestraft werden können, die
sich noch nicht einmal die Beteiligung an einer in groben Zügen umrissenen Tat überlegt haben. Bei Geldspen-
den ist ebenso wenig erforderlich, dass sich der Spender schon Vorstellungen über eine künftige, zumindest in
groben Zügen umrissene Straftat gemacht hat. Nach Art. 15 der Richtlinie muss keine Verbindung zu bestimm-
ten Straftaten im Zusammenhang mit terroristischen Aktivitäten hergestellt werden, weder objektiv noch sub-
jektiv. Das trägt u. a. dem Schuldprinzip und dem Bestimmtheitsgrundsatz nicht Rechnung und macht es für
den Bürger nicht vorhersehbar, ab wann ein Verhalten strafbar ist. Reisende werden unter Terrorismus-Gene-
ralverdacht gestellt. Auch die Bundesregierung hat u. a. in der Sitzung des Unterausschusses Europarecht am
15. Januar 2016 Bedenken im Hinblick auf das Schuldprinzip geäußert. Diese Bedenken werden auch vom
Rechtsausschuss des Bundesrates geteilt, der dementsprechend eine Stellungnahme im Sinne der §§ 3, 5 EUZ-
BLG an den Bundesrat empfahl (Bundesratsdrucksache 643/1/15, http://www.bundesrat.de/SharedDocs/druck-
sachen/2015/0601-0700/643-1-15.pdf?__blob=publicationFile&v=1).
Durch die Richtlinie werden Verhaltensweisen unter Strafe gestellt, die weit vor der eigentlichen Rechtsgutver-
letzung, weit vor dem Versuch einer solchen und sogar weit vor einer konkreten Rechtsgutgefährdung liegen.
Solche frühen neutralen Vorbereitungshandlungen sind aber nicht strafwürdig, denn bis zur vermeintlich ange-
strebten terroristischen Tat sind noch sehr viele Zwischenschritte und die Überwindung der Hemmschwelle zum
maßgeblichen tödlichen Tatentschluss erforderlich.
Nach den Grundsätzen des Tatstrafrechts und des Schuldprinzips, die eine strafwürdige Handlung voraussetzen,
sowie dem Ultima-Ratio-Prinzip können Gegenstand von Straftatbeständen nur Handlungen und nicht bloße
Gedanken sein. Eine Bestrafung kann nur aufgrund von dem Einzelnen persönlich vorwerfbaren Handlungen
erfolgen, wobei sich das Maß der Strafe an dem verwirklichten Unrecht zu orientieren hat (vgl. Entschließungs-
antrag der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag zum GVVG-ÄndG, Bundestagsdrucksache 18/4710). Die von
der Richtlinie teilweise erfassten neutralen Handlungen wie beispielsweise der Kauf eines Flugtickets verletzen
aber für sich genommen keine grundlegenden Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens und begründen
daher kein Unrecht. Der kriminelle Gedanke darf nicht strafbegründend sein. Das käme einem Gesinnungsstraf-
recht gleich. Das wird aber durch die Pönalisierung objektiv neutraler Handlungsweisen erreicht. Die Richtlinie
stellt zudem noch nicht einmal besondere Anforderungen an den Vorsatz des Beschuldigten, ein Tatentschluss
bezüglich einer in groben Zügen umrissenen terroristischen Tat ist nicht erforderlich. Die weiten Versuchs- und

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/7542
Beteiligungsregelungen in Artikel 16 der Richtlinie verlagern die Handlungen noch weiter ins Vorfeld einer
Straftat.
Diese Nachteile für die Grundrechte der Unionsbürgerinnen und Unionsbürger, insbesondere die Eingriffe in
die Artikel 7, 8 und 49 der Grundrechtecharta, stehen außer Verhältnis zu einem lediglich vermuteten empirisch,
aber nicht belegten Mehr an Sicherheit.
Aufgrund der gegenüber dem Artikel 3 der Richtlinie beschränkten Tatbestände der §§ 89a ff. StGB und der
mangelnden Notwendigkeit der Verbindung zu einer staatsgefährdenden Gewalttat bei Auslandreisen, Finan-
zierung oder Ausbildung sowie der teilweise mangelnden Versuchsstrafbarkeit bei Delikten nach § 89a ff. StGB
und den Vorschriften zur Strafbarkeit von Auslandstaten nach Art. 21 der Richtlinie kann sich Umsetzungsbe-
darf für das deutsche Strafrecht ergeben.

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