BT-Drucksache 18/7534

Proteste und politische Gefangene in der Republik Moldau

Vom 15. Februar 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/7534
18. Wahlperiode 15.02.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Andrej Hunko, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken,
Christine Buchholz, Annette Groth und der Fraktion DIE LINKE.

Proteste und politische Gefangene in der Republik Moldau

Spätestens seit dem Jahr 2015 befindet sich die Republik Moldau in einer tiefen
politischen Krise. Zahlreiche ohne Neuwahlen getätigte Regierungswechsel,
kommissarische Regierungen und verschärfte politische Konfrontationen sind zu
deren sichtbarsten Ausdrücken geworden (neues-deutschland.de, 6. Novem-
ber 2015, „Staatskrise in der Republik Moldau“). Insbesondere das Gewicht ver-
schiedener Oligarchen hat in diesem Zusammenhang zugenommen (junge-
welt.de, 6. Februar 2016, „Tauziehen um Moldau“). Der US-amerikanische
Think-Tank „Jamestown Foundation“ sprach im Oktober 2015 gar von einem
„Kollaps der Rechtsstaatlichkeit“ in dem osteuropäischen Land (jamestown.org,
19. Oktober 2015, „Moldovan Political Leader Filat Arrested in Intra-Coalition
Coup“).
Durch einen häufig als „Bankraub des Jahrhunderts“ bezeichneten Korruptions-
skandal, bei dem staatliche Kredite an Banken offenbar auf Offshore-Konten um-
geleitet wurden, verschwanden Ende 2014 etwa 1,3 Mrd. US-Dollar aus den öf-
fentlichen Kassen (spiegel.de, 24. Oktober 2015, „Milliardenskandal in Republik
Moldau: Geplünderter Staat, wütendes Volk“). Diese Summe entspricht über
40 Prozent des moldauischen Staatshaushaltes und etwa 15 Prozent der Wirt-
schaftskraft des Landes. Die anhaltende Staatskrise wird von einer wirtschaftli-
chen Rezession begleitet.
Zugleich ist die Macht der Oligarchen in der Republik Moldau ungebrochen und
vieles deutet darauf hin, dass der Unternehmer Vladimir Plahotniuc – der Medi-
enberichten zufolge mächtigste Oligarch des Landes – seine Machtposition in
Staat und Wirtschaft weiter ausbauen konnte, nachdem der zweitmächtigste Oli-
garch Vlad Filat inhaftiert wurde (tagesschau.de, 23. Januar 2016, „Ein Mann
kauft einen Staat – mit Haut und Haar“).
Angesichts dieser Entwicklungen haben sich seit dem Sommer 2015 immer wie-
der Massenproteste gegen die jeweilige Regierung, aber vor allem auch gegen die
Korruption und die sich verschlechternde soziale Situation entwickelt (spiegel.de,
7. September 2015, „Republik Moldau: Protestcamper erhöhen Druck auf Regie-
rung“). In diesem Zusammenhang kam es zu zahlreichen Festnahmen von Teil-
nehmerinnen und Teilnehmern der Proteste.
Unter den Festgenommenen ist auch Grigore Pentrenco, von 2005 bis 2014 Ab-
geordneter des Parlaments der Republik Moldau, bis Anfang 2015 Mitglied der
Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) und ehemaliger stell-
vertretender Vorsitzender der Europäischen Linken (EL). Seit September 2015
befindet er sich in Untersuchungshaft, weil er sich an Protesten vor dem Sitz der
Staatsanwaltschaft beteiligt hatte (moldnews.md, 8. September 2015, „Soţia ex-

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deputatului Petrenco arestat: Este o comandă politică!“). Ihm wird trotz des fried-
lichen Charakters der Proteste vorgeworfen, „Massenunruhen“ organisiert zu ha-
ben, und ihm drohen bis zu acht Jahre Haft. Die Haftbedingungen sind katastro-
phal, wie der Abgeordnete Andrej Hunko bei einem Besuch im November 2015
feststellen musste. Eigenen Aussagen zufolge ist der inhaftierte Politiker Schika-
nen ausgesetzt. Aus Sicht der Fragestellerinnen und Fragesteller ist Petrenco als
politischer Gefangener zu betrachten. Im Dezember 2015 wurde er in das Pro-
gramm „Parlamentarier schützen Parlamentarier“ des Ausschusses für Men-
schenrechte und humanitäre Hilfe des Deutschen Bundestags aufgenommen.
Vorläufiger Höhepunkt der Proteste waren die Mobilisierungen im Januar dieses
Jahres, an denen sich anlässlich einer erneuten Regierungsbildung unter Premier-
minister Pavel Filip aus dem Lager des Oligarchen Vladimir Plahotniuc zehntau-
sende Menschen beteiligten (tagesschau.de, 21. Januar 2016, „Massenprotest ge-
gen neue Regierung“). Am Tag der Wahl des neuen Regierungschefs durch das
Parlament kam es zu Massendemonstrationen, die teilweise in Ausschreitungen
umschlugen. Einige Demonstrantinnen und Demonstranten stürmten Medienbe-
richten zufolge das Parlament (rferl.org, 21. Januar 2016, „Protesters Enter Mol-
dovan Parliament Building After Pro-EU Government Approved“).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Über welche eigenen Erkenntnisse verfügt die Bundesregierung zu Ausmaß

und Urheber des Korruptionsskandals in der Republik Moldau, bei dem
knapp 1 Mrd. Euro veruntreut worden sein soll?

2. Welche Analysen, Studien oder sonstigen Untersuchungen liegen ihr hierzu
vor?

3. Inwieweit und mit welchem Ergebnis haben sich deutsche Behörden oder
Behörden der Europäischen Union an Untersuchungen oder Ermittlungen be-
züglich des Korruptionsskandals beteiligt?

4. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über den Aufstieg des Oligar-
chen Vladimir Plahotniuc zur politisch und wirtschaftlich mutmaßlich mäch-
tigsten Person der Republik Moldau?

5. Welche eigenen Beziehungen hat die Bundesregierung in der Vergangenheit
zu Vladimir Plahotniuc unterhalten?

6. Wie sind nach Kenntnis der Bundesregierung die mit dem Assoziierungsab-
kommen zwischen der EU und der Republik Moldau eingegangenen Ver-
pflichtungen zur Reform des Rechtssystems in der Republik Moldau umge-
setzt worden?

7. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Haftbedingungen von
Grigore Petrenco?
Stimmen diese nach ihrer Ansicht mit den einschlägigen internationalen Nor-
men, insbesondere der Europäischen Menschenrechtskonvention, überein,
zu denen sich die Republik Moldau verpflichtet hat?

8. Inwieweit ist die Inhaftierung von Grigore Petrenco Gegenstand von Gesprä-
chen zwischen der Bundesregierung und der moldauischen Regierung gewe-
sen?

9. Inwiefern teilt die Bundesregierung die Einschätzung der Fragestellerinnen
und Fragesteller, dass Grigore Petrenco als politischer Gefangener zu be-
trachten ist, und wenn nein, bitte begründen?

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10. In welcher Form wird sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass die
Haftbedingungen von Grigore Petrenco verbessert werden, ein rechtsstaatli-
ches Verfahren garantiert ist und er aus der Untersuchungshaft entlassen
wird?

11. Welche politischen Organisationen stehen nach Kenntnis der Bundesregie-
rung hinter den Massenprotesten, die sich insbesondere seit dem Sommer
2015 in der Republik Moldau entwickelt haben?

12. Inwieweit bestehen oder bestanden Kontakte der Bundesregierung oder ihr
unterstehender Stellen zu Organisatoren der Proteste?

13. Welche – auch nachrichtendienstlichen – Erkenntnisse hat die Bundesregie-
rung zur ausländischen (vor allem aus Deutschland getätigten) Finanzierung
der derzeitigen politischen und sozialen Proteste in der Republik Moldau (de-
tektor.fm, 25. Januar 2016, „Oligarchie unter europäischem Deckmantel“)?

14. Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass es sich bei dem Transnistrienkon-
flikt um „hybride Kriegführung“ Russlands gehandelt hat (FAZ, 8. Feb-
ruar 2016, „Moskaus hybride Machtspiele“)?
a) Welche Gründe hat die Bundesregierung für ihre Einschätzung?
b) Teilt die Bundesregierung die Ansicht, dass es sich beim Transnistrien-

konflikt um einen ethnisch aufgeladenen politischen Konflikt zwischen
der ukrainischen und russischen Minderheit im Dnjestr-Tal und der mol-
dauischen Mehrheitsbevölkerung im Rest der Republik Moldau handelt
(Kolstø, Pål & Andrei Malgin: „The Transnistrian Republic: A Case of
Politicized Regionalism“, Nationalities Papers, Jahrgang 26, 1998, S. 103
bis 128)?

Berlin, den 12. Februar 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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