BT-Drucksache 18/7490

Mindestvorschriften und Mindestnormen der EU-Mitgliedstaaten für kriminaltechnische Tätigkeiten "vom Tatort bis zum Gerichtssaal"

Vom 5. Februar 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/7490
18. Wahlperiode 05.02.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Andrej Hunko, Halina Wawzyniak, Jan van Aken,
Annette Groth, Alexander Ulrich und der Fraktion DIE LINKE.

Mindestvorschriften und Mindestnormen der EU-Mitgliedstaaten für
kriminaltechnische Tätigkeiten „vom Tatort bis zum Gerichtssaal“

Immer mehr machen die zuständigen kriminaltechnischen Institute von digitalen
Spuren Gebrauch, häufig kommen dabei Data Mining-Verfahren zur Suche nach
Kreuztreffern in verschiedenen Datenbanken zur Anwendung (Bundestagsdruck-
sachen 17/11582, 17/13441, 18/6239). Allerdings sind die Formate der Datens-
ätze in den Mitgliedstaaten häufig unterschiedlich, auch die von der Kriminal-
technik eingesetzte Software variiert. Dies betrifft auch den Bereich der Forensik,
also die Sicherstellung und Auswertung von Beweisen vor Gericht. Im Jahr 2011
hatten die Innen- und Justizminister deshalb mit der Initiative „Europäischer Kri-
minaltechnischer Raum“ („European Forensic Science Area, EFSA) die Quali-
tätssicherung und Standardisierung der Auswerteverfahren beschlossen (Schluss-
folgerungen des Rates für Justiz und Inneres, Brüssel am 13. und 14. Dezember
2011). In den unter polnischer Präsidentschaft verabschiedeten Ratsschlussfolge-
rungen stand der damals bereits praktizierte polizeiliche Austausch von Finger-
abdrücken und DNA-Profilen im Rahmen des Prüm-Verfahrens im Mittelpunkt.
Die Europäische Kommission finanziert entsprechende Forschungen auch zur
Analyse von Finanzströmen, Ballistik, Sprengstoffen, Suchtstoffen, Handschrif-
ten, gestohlenen Fahrzeugen oder Banknoten (www.cepol.europa.eu/sites/
default/files/science-research-bulletin-10.pdf). „Innovative kriminaltechnische
Untersuchungen“ werden besonders gefördert. Im Mittelpunkt stehen Verfahren
zur „digitalen/rechnergestützten Kriminaltechnik“. Digitale Spuren können etwa
auf beschlagnahmten Telefonen und Rechnern, aber auch in Video- und Audio-
dateien vorliegen (Bundestagsdrucksache 18/7285). Strafverfolger machen über-
dies von automatisierten Überwachungsmethoden Gebrauch, etwa zur Nummern-
schilderkennung oder zur musterbasierten Analyse der Videoüberwachung.
Nun sollen über das letztes Jahr gestartete EU-Forschungsprogramm Horizont 2020
weitere Gelder in die Kriminaltechnik fließen („Die Europäische Sicherheitsa-
genda“, COM/2015/0185 final). Ziel ist die Festlegung kriminaltechnischer Min-
destvorschriften und Mindestnormen für alle Schritte kriminaltechnischer
Tätigkeiten „vom Tatort bis zum Gerichtssaal“. Begünstigt werden die Fo-
rensik-Abteilungen der Mitgliedstaaten, die sich im Europäischen Netz der kri-
minaltechnischen Institute (ENFSI) zusammengeschlossen haben. Beteiligt sind
außer dem Bundeskriminalamt mehrere Landeskriminalämter, darunter Düssel-
dorf, Hamburg und Berlin (www.enfsi.eu/sites/default/files/files/net.enfsi_
raport2014.pdf). Auch die Strafverfolger forschen an neuen Methoden zur Ver-
folgung und Auswertung digitaler Spuren, zuständig ist dafür das Europäische
Netz technischer Dienste für die Strafverfolgung (ENLETS). Dabei geht es unter
anderem um Möglichkeiten des grenzüberschreitenden Trackings mit Peilsendern
oder den Einsatz von Drohnen (www.europol.europa.eu/sites/default/files/

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publications/edoc-775774-v1-redacted_version_cs_argos_overall_conference_
hq_141126-28_agenda.pdf).
Vor der Festlegung und Bewilligung neuer Forschungsprojekte hatte die Ratsar-
beitsgruppe Strafverfolgung, zu der die beiden Polizeinetzwerke ENFSI und
ENLETS gehören, einen Fragebogen in den Mitgliedstaaten zirkuliert (Ratsdo-
kument 5154/16). Abgefragt wurden die dort vorhandenen Methoden und Struk-
turen, aber auch ob die europäische Standardisierung freiwillig sein soll oder vor-
geschrieben werden sollte. Die Teilnehmenden der Umfrage befürworteten eine
Roadmap zur Schaffung eines „Europäischen Kriminaltechnischen Raums 2020“.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche kriminaltechnischen Institute werden von den dem Bundesministe-

rium des Innern, dem Bundesministerium der Verteidigung oder dem Bun-
deskanzleramt nachgeordneten Behörden betrieben?

2. Welche Forensik-Abteilungen welcher deutschen Behörden beteiligen sich
nach Kenntnis der Bundesregierung am „Europäischen Netz der kriminal-
technischen Institute“ (ENFSI)?
a) An welchen (Unter-)Arbeitsgruppen oder sonstigen Projekten nehmen die

Polizeien teil?
b) Welche dieser (Unter-)Arbeitsgruppen werden von den deutschen Poli-

zeien geleitet?
c) Welche weiteren Behörden welcher Mitgliedstaaten nehmen an diesen

(Unter-)Arbeitsgruppen teil?
3. Welche Defizite existieren aus Sicht der Bundesregierung hinsichtlich deut-

scher kriminaltechnischer Mindestvorschriften und Mindestnormen für alle
Schritte kriminaltechnischer Tätigkeiten „vom Tatort bis zum Gerichtssaal“?

4. Welche Techniken, Vorhaben oder Maßnahmen werden aus Sicht der Bun-
desregierung in Forschungen des ENFSI zu wenig gewichtet oder fehlen?

5. Für welche Projekte erhielten welche deutschen kriminaltechnischen Insti-
tute nach Kenntnis der Bundesregierung EU-Fördergelder aus dem For-
schungsrahmenprogramm FP 7 oder Horizont 2020 oder aus dem Fonds für
die Innere Sicherheit – ISF-Polizei-Programm?

6. Auf Ebene welcher Institute des internationalen Normungswesens werden
nach Kenntnis der Bundesregierung schon jetzt forensische Verfahren inter-
national vereinheitlicht, und um welche handelt es sich dabei?

7. Welche Defizite existieren aus Sicht der Bundesregierung hinsichtlich der
europäischen Zusammenarbeit der kriminaltechnischen Institute?

8. Inwiefern könnten die Akkreditierung kriminaltechnischer Bereiche oder die
Zertifizierung von Sachverständigen aus Sicht der Bundesregierung etwaige
Defizite verringern?

9. Im Rahmen welcher Informationsaustauschsysteme auf EU-Ebene sind ent-
sprechende Daten oder Austauschverfahren mittlerweile standardisiert, und
um welche Mindestnormen oder sonstigen Vorschriften handelt es sich da-
bei?

10. Welchen Stellenwert hat aus Sicht der Bundesregierung das Problem, dass
aus den EU-Mitgliedstaaten angeforderte oder ungefragt gelieferte kriminal-
technische Daten mitunter von schlechter Qualität sind (bitte etwaige auftre-
tende Probleme erläutern)?

11. Wie hat sich die Bundesregierung in dem Fragebogen zur Einrichtung eines
„Europäischen Kriminaltechnischen Raums“ (EFSA) positioniert?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/7490
 

12. Welche Haltung vertritt die Bundesregierung zur Frage, welche Mindestnor-
men oder bewährten Verfahren freiwillig und welche vorgeschrieben werden
sollten?

13. Welche Fragen oder offenen Punkte sollen nach Kenntnis der Bundesregie-
rung in einem „way forward“-Dokument der Europäischen Kommission
angesprochen oder geregelt werden?

14. Was ist der Bundesregierung über Beteiligte und Zeitplan eines „way for-
ward“-Dokumentes der Europäischen Kommission bekannt?

15. Welche Konferenzen oder sonstigen Treffen zur Einrichtung eines „Europäi-
schen Kriminaltechnischen Raums“ sollen nach Kenntnis der Bundesregie-
rung im Jahr 2016 stattfinden?

16. Welche weiteren Fördergelder aus welchen „Finanztöpfen“ hat die Europäi-
sche Kommission nach Kenntnis der Bundesregierung für die Umsetzung ei-
nes „Europäischen Kriminaltechnischen Raums“ in Aussicht gestellt?

17. Hinsichtlich welcher Verfahren teilt die Bundesregierung die Einschätzung
der Europäischen Kommission, dass bei zukünftigen Forschungen Projekte
zur „digitalen/rechnergestützten Kriminaltechnik“ im Mittelpunkt stehen
müssten?
a) Welche Defizite existieren aus Sicht der Bundesregierung hinsichtlich des

grenzüberschreitenden Zugangs und der Sicherstellung von elektroni-
schen Beweismitteln (etwa Cloud-Daten, Vorratsdaten oder Telekommu-
nikationsüberwachung)?

b) Auf welche Weise sollten aus Sicht der Bundesregierung die Budapester
Konvention gegen Datennetzkriminalität oder die Europäische Ermitt-
lungsanordnung zur Erleichterung des Zugangs und der Sicherstellung
von elektronischen Beweismitteln genutzt oder ausgebaut werden?

c) Inwiefern hält die Bundesregierung daran fest, dass für die Beantragung
des Zugangs und für die Sicherstellung von elektronischen Beweismitteln
der Sitz des Diensteanbieters oder auch der betroffenen Personen zu-
grunde liegen sollten und nicht der Standort der Server, auf dem sich die
Daten befinden?

18. Welche weiteren Treffen haben seit der Antwort auf Bundestagsdrucksache
18/6223 in dem vom Bundeskriminalamt bei Europol geleiteten Projekt
„Konsolidierung einer Internetauswertungskoordinierungsgruppe“ stattge-
funden, welche „Internetauswertegruppen“ welcher Behörden nahmen daran
teil, und was wurde dort besprochen?

19. Welche weiteren Details zu Beginn und Ende, Teilnehmenden, Leadern und
Co-Leadern sowie Zielsetzung der unter dem Programm Horizont 2020 ge-
förderten und unter Beteiligung von Europol durchgeführten Projekte
a) „e-FighTer“ (Decision Support Platform for Detecting Radicalisation and

Over/Cover Terrorist Communications through the Internet),
b) „RED-Alert“ (Real-Time Early Detection and Alert System for Online

Terrorist Content based on Social Network Analysis and Complex Event
Processing),

c) „DETECT-IT“ (DEtecting TErrorist ContenT on the InterneT)
sind der Bundesregierung bekannt (Bundestagsdrucksache 18/7466)?

Drucksache 18/7490 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
 

20. Welche weiteren Details zu den Inhalten der vom European Expert Network
on Terrorism Issues auf einer Veranstaltung in Budapest und Stockholm be-
handelten Themen „Role of online information for monitoring and coun-
tering terrorism“ und „Social Media intelligence and handling of mass data
processing“ sind der Bundesregierung bekannt (Bundestagsdrucksa-
che 18/7466), und welche Erläuterungen kann die Bundesregierung zum
Verständnis der Maßnahmen machen?

21. Welche Verfahren zum Data Mining, zur Verarbeitung von Massendaten, zur
Szenario-Modellierung, zur prediktiven Analyse oder zur Erstellung krimi-
nalistischer Hypothesen werden von den kriminaltechnischen Instituten der
Bundesregierung eingesetzt, und welche Software welcher Hersteller wird
dafür genutzt?

22. Welche Verfahren zur algorithmischen Bildverbesserung für die forensische
Analyse, zur interaktiven forensischen Suche in großen Videoarchiven (auch
in Echtzeit), werden von den kriminaltechnischen Instituten der Bundesre-
gierung eingesetzt, und welche Software welcher Hersteller wird dafür ge-
nutzt?

23. Welche Verfahren zur automatisierten forensischen Textanalyse werden von
den kriminaltechnischen Instituten der Bundesregierung eingesetzt, und wel-
che Software welcher Hersteller wird dafür genutzt?

24. Inwiefern kann die Antwort der Bundesregierung hinsichtlich staatlicher
Trojaner-Programme so verstanden werden, dass nicht nur die „Remote
Forensic Software User Group“ aufgelöst ist, sondern es auch keinerlei an-
dere Treffen, Telefonkonferenzen oder sonstige Zusammenkünfte von Zu-
sammenschlüssen zur internationalen Zusammenarbeit unter Beteiligung
deutscher Behörden zur Nutzung staatlicher Trojaner-Programme gegeben
hat (Bundestagsdrucksache 18/7466)?

25. Welche weiteren Regierungen wurden in den letzten fünf Jahren vom Bun-
deskriminalamt oder der Bundespolizei zum Thema „Strengthening capaci-
ties for using IMSI Catcher“ unterstützt (Bundestagsdrucksache 18/7466)?

26. Mit welchem Personal nahmen Bundesbehörden an der Konferenz „Follow
the money: Finanzermittlungen“ am 10. und 11. Februar 2016 in Amsterdam
teil (http://deutsch.eu2016.nl/aktuelles/kalender/2016/02/10/follow-the-
money-finanzermittlungen)?

27. Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, welche „praktische[n] Hilfs-
mittel“ die niederländische Ratspräsidentschaft auf der Konferenz vorstellte,
damit diese es der Polizei „ermöglichen, solche Ermittlungsmethoden häufi-
ger und effektiver einzusetzen“ (ebenda)?

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28. Welche Details kann die Bundesregierung zu der für Ende 2015 anvisierten
Eingliederung des FIU.NET-Projekts zu Europol mitteilen (Bundestags-
drucksache 18/6239)?
a) Was ist der Bundesregierung mittlerweile darüber bekannt, inwiefern in

dem neuen „Anti-Terrorismus-Zentrum“ bei Europol die „Ma3tch“-Tech-
nologie zur Analyse verdächtiger Geldströme genutzt wird?

b) Inwiefern hat das Bundeskriminalamt mittlerweile Daten zum Abgleich
über die „Ma3tch“-Funktionalität zur Verfügung gestellt?

c) Inwiefern plant auch das Bundeskriminalamt nach einer Prüfung der Zu-
lässigkeit die Einführung der „Ma3tch“-Technologie?

Berlin, den 4. Februar 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
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