BT-Drucksache 18/7479

Straftaten in der Silvesternacht 2015/2016

Vom 2. Februar 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/7479
18. Wahlperiode 02.02.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Dr. André Hahn, Jan Korte, Katrin Kunert,
Birgit Wöllert und der Fraktion DIE LINKE.

Straftaten in der Silvesternacht 2015/2016

In der Nacht vom 31. Dezember 2015 auf den 1. Januar 2016 kam es in mehreren
Städten Deutschlands zu teilweise massiven Übergriffen von Gruppen junger
Männer auf Frauen. Zum jetzigen Zeitpunkt wird über Hunderte von Sexual- und
Eigentumsdelikten berichtet.
Die Vorkommnisse sind in der politischen Diskussion rasch unter dem Gesichts-
punkt einer zukünftigen Verschärfung der Asyl-, Ausländer- bzw. Auslieferungs-
gesetze betrachtet worden. Ausschlaggebend dafür waren Berichte über ein
„nordafrikanisches“ bzw. „arabisches“ Erscheinungsbild der mutmaßlichen Tä-
ter. Eine empirische Auswertung der Tatverdächtigen gibt es aber bis heute nicht
und kann es auch nicht geben, weil die Ermittlungen noch andauern. Die Frage-
steller treten entschieden dafür ein, sexuelle Übergriffe zurückzuweisen und so-
wohl gesellschaftlich als auch polizeilich und strafrechtlich zu bekämpfen. Sie
lehnen aber eine Ethnisierung dieses Deliktes, wie jeglicher Kriminalitätsform,
ab. Bei sexueller Nötigung ist allenfalls das Geschlecht von Tatverdächtigen re-
levant. Eine Relevanz des ethnischen oder nationalen Hintergrundes der Tatver-
dächtigen können die Fragesteller allenfalls dann erkennen, wenn es um die Fahn-
dung nach konkreten Personen geht.
Sie halten eine Versachlichung der Debatte über die Vorkommnisse in der Sil-
vesternacht für dringend erforderlich. Dazu muss zunächst einmal eine Übersicht
über die tatsächlichen Ereignisse gewonnen werden. Hierzu gibt es laut „Süddeut-
scher Zeitung“ vom 23. Januar 2016 einen Lagebericht des Bundeskriminalamtes
(BKA), der ausführt, dass es Eigentums- und Sexualstraftaten nicht nur in Nord-
rhein-Westfalen, sondern auch in einer Reihe anderer Bundesländer gegeben hat.
Dabei gebe es weder Erkenntnisse zu Verabredungen unter den Tätern noch zu
Organisierter Kriminalität.
Der Lagebericht verdeutlicht laut „Süddeutscher Zeitung“ auch die Problematik,
die sich aus der Anforderung ergibt, den Migrationshintergrund der Tatverdäch-
tigen anzugeben. So wird mal von „arabischem Erscheinungsbild“, mal von
„nordafrikanischem/arabischem/südeuropäischem/osteuropäischem Aussehen“
oder allgemein von „ausländischem Erscheinungsbild“ gesprochen, „ohne zu er-
läutern, worin dieser Augenschein besteht oder wodurch vom Aussehen der Per-
son auf seine Nationalität zu schließen war.“ Die Fragesteller weisen darauf hin,
dass ihrer Kenntnis nach zuletzt die Nazis versucht haben, durch „rassekundliche“
Untersuchungen von äußeren Merkmalen auf Ethnie oder Nationalität (bzw. im
Nazijargon „Rasse“) von Individuen zu schließen. Das ist weder wissenschaftlich
haltbar noch politisch wünschenswert.

Drucksache 18/7479 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
 

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Ist die Bundesregierung bereit, dem Deutschen Bundestag den erwähnten La-

gebericht des BKA zu übermitteln (bitte begründen, wenn nicht)?
2. Wie lautete der Auftrag an das BKA bei der Erstellung des Lageberichts?

Welche Kriterien wurden dabei genannt, und wie wurden diese definiert?
3. Welche grundlegenden Erkenntnisse und ggf. Schlussfolgerungen enthält der

BKA-Lagebericht?
4. In welchen Bundesländern wurden in Bezug auf die Nacht vom 31. Dezem-

ber 2015 auf den 1. Januar 2016 wie viele und welche Delikte angezeigt,
(bitte mindestens nach Sexual- und Eigentumsdelikten aufgliedern)?
Falls hierin Mehrfacherfassungen enthalten sind: Um wie viele Opfer von
angezeigten Sexual- und Eigentumsdelikten geht es dabei?

5. Inwiefern unterscheidet sich die Zahl oder die Art der Tatausführung dieser
Delikte im jeweiligen Bundesland von Zahl und Tatausführung zu vergleich-
baren Anlässen in der Vergangenheit (Silvester, Karneval und andere Gro-
ßereignisse)?
Welche weiteren relevanten Singularitäten der Kriminalitätslage in der Sil-
vesternacht 2015/2016 ergeben sich aus dem Lagebericht?

6. Wann wurden die jeweiligen Anzeigen zu Straftaten in der Silvesternacht
gestellt (bitte angeben, an welchem Tag in welchem Bundesland wie viele
Anzeigen hinsichtlich Eigentums- sowie Sexualdelikten eingingen)?
a) Wie viele der anzeigenden Opfer sind Frauen, wie viele Männer?
b) Wie detailliert waren diese Anzeigen, was Beschreibung des Tathergangs,

der Tatumstände und mutmaßlicher Täter betrifft?
c) In welchem Umfang wurden die Anzeigen direkt persönlich in Polizei-

dienststellen aufgegeben, bzw. in wie vielen Fällen gingen die Anzeigen
über das Internet ein?
Wie viele wurden anonym aufgegeben?

7. Inwiefern ist auch bei den Opfern ein möglicher Migrationshintergrund er-
fasst worden, und welche näheren Angaben dazu kann die Bundesregierung
machen?

8. Ergeben sich nach Einschätzung der Bundesregierung Hinweise auf einen
überregionalen Zusammenhang der Straftaten in den verschiedenen Orten,
auf Verabredungen der Täter oder gar auf Formen der Organisierten Krimi-
nalität?

9. Wie viele Anzeigen enthalten Angaben zu den Tatverdächtigen, und um wel-
che Erkenntnisse handelt es sich dabei?
Insofern hierbei von „Migrationshintergründen“ usw. im Sinne der Fragen 7
und 8 die Rede ist: Inwieweit geht die Bundesregierung davon aus, dass diese
Zuschreibungen verlässlich sind?
Inwiefern kann sie ausschließen, dass Personen, bei denen von Seiten des
Opfers oder der Polizei ein „Migrationshintergrund“, „ausländisches Ausse-
hen“ und dergleichen vermutet wird, tatsächlich deutsche Staatsbürger sind,
deren Familien unter Umständen schon seit mehreren Generationen in
Deutschland leben?

10. In wie vielen Fällen sind Tatverdächtige mittlerweile identifiziert, und wel-
che Maßnahmen wurden gegen sie ergriffen (bitte mindestens nach Sexual-
und Eigentumsdelikten aufgliedern)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/7479
 

11. Sofern die Täter in Gruppen vorgingen: Wie groß waren diese Gruppen nach
Kenntnis oder Einschätzungen der Bundesregierung?

12. Von wie vielen Tätern gehen die Sicherheitsbehörden nach Kenntnis der
Bundesregierung insgesamt aus (bitte möglichst pro Bundesland sowie min-
destens nach Sexual- und Eigentumsdelikten aufgliedern und in Nord-
rhein-Westfalen zusätzlich Köln hervorheben)?

13. Welche Rückschlüsse zieht die Bundesregierung aus dem Lagebericht?
14. Inwiefern enthält der Lagebericht Angaben zu möglichen Migrationshinter-

gründen von Tatverdächtigen, und welche Hilfestellungen sind gegeben wor-
den, einen solchen Hintergrund zu identifizieren?

15. Ist der Begriff „Antanzdiebstahl“ definiert, und wenn ja, wie?
16. Welche verlässlichen Methoden gibt es nach Einschätzung bzw. Kenntnis

der Bundesregierung, allein vom Ansehen einer Person Rückschlüsse auf de-
ren Nationalität, Ethnie, Staatsbürgerschaft oder etwaigen Migrationshinter-
grund zu ziehen?

17. Bis in welche Generation hinein ist es nach Einschätzung der Bundesregie-
rung sinnvoll oder legitim, Migrationshintergründe anzugeben? Inwiefern
gilt dies für alle Herkunftsregionen oder nur für bestimmte (bitte angeben für
welche Herkunftsregionen)?

18. Welchen zusätzlichen Nutzen zur Kriminalitätsprävention und -bekämpfung
hat, abgesehen von konkreten Personenfahndungen, eine Aufschlüsselung
von Tatverdächtigen nach Kriterien wie Ethnie, Staatsbürgerschaft, Aufent-
haltsstatus und dergleichen?

19. Inwiefern ist eine Beschreibung wie „nordafrikanisches/arabisches/südeuro-
päisches/osteuropäisches Aussehen“ nach Einschätzung der Bundesregie-
rung sinnvoll oder zielführend zur Ermittlung von Tatverdächtigen oder der
Aufklärung von Straftaten?
Welche gängigen Definitionen bzw. Beschreibungen eines nordafrikani-
schen, arabischen, südeuropäischen und osteuropäischen Aussehens gibt es
nach ihrer Kenntnis?

20. Wodurch ergibt sich nach Kenntnis der Bundesregierung ein „augenschein-
licher Migrationshintergrund“ sowie ein „ausländisches Erscheinungsbild“
(bitte Kriterien nennen), und inwiefern ist ein solcher Begriff innerhalb der
Polizei klar umschrieben und definiert?

21. Wie ist nach Einschätzung der Bundesregierung der Begriff „Migrationshin-
tergrund“ definiert?

Berlin, den 2. Februar 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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