BT-Drucksache 18/7460

Umsetzung des Antragsverfahrens für eine Anerkennungsleistung an sowjetische Kriegsgefangene

Vom 28. Januar 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/7460
18. Wahlperiode 28.01.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jan Korte, Ulla Jelpke, Wolfgang Gehrcke, Sevim Dağdelen,
Dr. André Hahn, Katrin Kunert und der Fraktion DIE LINKE.

Umsetzung des Antragsverfahrens für eine Anerkennungsleistung an sowjetische
Kriegsgefangene

Der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages hat am 20. Mai 2015 be-
schlossen, dass ehemalige sowjetische Kriegsgefangene eine symbolische finan-
zielle Anerkennungsleistung erhalten sollen. Angehörige der sowjetischen Streit-
kräfte, die während des Zweiten Weltkrieges in der Zeit vom 22. Juni 1941 bis
8. Mai 1945 als Kriegsgefangene in deutschem Gewahrsam waren, können seit
dem 30. September 2015 auf Antrag eine einmalige Leistung in Höhe von
2 500 Euro erhalten. Auf die Leistung besteht kein Rechtsanspruch, sie ist nicht
übertragbar und auch nicht vererblich. Nur der Betroffene selbst oder ein von ihm
Bevollmächtigter können einen Antrag stellen. Mit der Umsetzung wurde das
Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen (BADV) beauf-
tragt. Nach Auskunft des BADV-Präsidenten gegenüber den Fragestellern hatte
das BADV bis Mitte November über 800 Antragsformulare versandt (Antwort-
schreiben von BADV-Präsident Florian Scheurle an Jan Korte, MdB).
Nach Erkenntnissen der Fragesteller gibt es jedoch einige Schwierigkeiten bei der
Umsetzung des Bundestagsbeschlusses, denen die Bundesregierung – entspre-
chender politischer Wille vorausgesetzt – abhelfen könnte.
Dies betrifft beispielsweise die konkrete Unterstützung antragsberechtigter Per-
sonen. Nach Informationen des Vereins KONTAKTE-KOHTAKTbI e. V., der
seit Jahren in Verbindung mit ehemaligen Sowjetsoldaten, die in deutscher Ge-
fangenschaft waren, steht, fällt es den heute hochbetagten Personen mitunter
schwer, den Antrag auszufüllen auch wenn das Antragsformular vergleichsweise
einfach formuliert ist. Auch das Beschaffen notwendiger Dokumente (wie Nach-
weis der Kriegsgefangenschaft, Lebensnachweis) ist ihnen oftmals nur mit Hilfe
von Betreuern möglich. Insbesondere der Nachweis der Kriegsgefangenschaft ist
für manche problematisch: Sofern den Überlebenden kein Wehrpass mehr vor-
liegt, müssen sie darauf setzen, in postsowjetischen Archiven einen solchen
Nachweis zu erhalten bzw. sonst „plausible“ Darlegungen zu machen.
Das Angebot der BADV, sie telefonisch zu kontaktieren, ist nicht für alle Über-
lebenden geeignet, schon weil nicht alle ein Telefon haben. Dem Verein KON-
TAKTE-KOHTAKTbI e. V. ist bekannt, dass manche Überlebenden die Kom-
munikation nur mittels Hilfspersonen bewältigen. Wer eine solche nicht hat, kann
von der Anerkennungsleistung womöglich keinen Gebrauch machen.
Die auf Seiten der Bundesregierung oder auch des BADV offenbar vorherr-
schende Vorstellung, die Erfahrung des BADV mit der Anerkennungsleistung für
ehemalige Ghettoarbeiter befähige das BADV auch zur Abwicklung der Aner-

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kennungsleistung für ehemalige sowjetische Kriegsgefangene, verkennt die Un-
terschiede zwischen den beiden Opfergruppen und die unterschiedlichen Res-
sourcen, die ihnen zur Verfügung stehen.
Weitere Probleme kann das vom BADV verlangte Erfordernis einer Bankverbin-
dung mit sich bringen, weil nicht alle Überlebenden über ein Konto verfügen,
jedenfalls nicht eines, mit dem sie am internationalen Zahlungsverkehr teilneh-
men können. So besitzt z. B. in Russland jeder Rentner ein Konto bei einer
Sberbank-Filiale, auf das Renten eingezahlt werden, aber diese Konten eignen
sich nicht für Fremdwährungen, so dass dafür kostenpflichtig Extrakonten bean-
tragt werden müssen. Bestehende Steuergesetze in einigen Nachfolgestaaten der
Sowjetunion könnten zudem dazu führen, dass die Anerkennungsleistung nur
zum Teil bei den Antragstellern ankommt. So soll z. B. nach Informationen der
belorussischen Botschaft bei jeder Überweisung von 2 500 Euro an belorussische
Antragsteller das belorussische Finanzamt Steuern geltend machen. In Armenien
wiederum werden nach Informationen von KONTAKTE-KOHTAKTbI e. V. die
Renten in den Postfilialen ausgezahlt, was für die Hochbetagten in abgelegenen
Bergdörfern z. T. nicht mehr persönlich möglich ist und deshalb durch eine Hilfs-
organisation abgewickelt wird. Alle 135 noch lebenden ehemaligen sowjet-arme-
nischen Kriegsgefangenen hätten in ihren formlosen Anträgen an die BADV des-
halb ihr Einverständnis erklärt, dass ihre Selbsthilfeorganisation das Geld über-
mitteln könne.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie viele Antragsformulare wurden bisher vom BADV verschickt (bitte

wenn möglich nach Staaten der Empfänger gesondert aufführen)?
2. Wie viele formlose Anträge hat das BADV bislang erhalten, und wie wurde

seitens des BADV damit umgegangen?
3. Wie viele ausgefüllte Antragsformulare sind bereits eingegangen (bitte wenn

möglich nach Staaten gesondert aufführen), und wie viele dieser Anträge
wurden bislang
a) positiv beschieden,
b) abgelehnt,
c) noch nicht abschließend bearbeitet?

4. Wie viele Antragsteller haben bislang die Anerkennungsleistung erhalten
(bitte wenn möglich nach Staaten der Antragsteller gesondert aufführen)?

5. Mit wie vielen Anträgen bis zum 30. September 2017 rechnet die Bundesre-
gierung insgesamt?

6. Wie lange ist bislang die durchschnittliche Bearbeitungszeit?
7. Welche Gründe sind bislang ursächlich für verzögerte Bearbeitungen?

Informationen welcher Art muss das BADV bei den Antragstellern oder
(welchen?) Behörden einholen?

8. Wie wurden und werden die Betroffenen über die Möglichkeit der Antrag-
stellung informiert?

9. Wurden Anzeigen in Zeitungen oder elektronischen Medien geschaltet, und
wenn ja, in welchen, und welche Kosten sind hierbei entstanden?
Werden die Kosten für diese Anzeigen aus dem Budget von 10 Mio. Euro
entnommen, das für die Anerkennungsleistung bestimmt ist, oder aus einem
(welchem?) anderen Budget?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/7460

10. Reichen nach Einschätzung der Bundesregierung die bisherigen Maßnahmen

zur Information des betreffenden Personenkreises aus oder müssen diesbe-
züglich weitere Anstrengungen unternommen werden, und welche Pläne gibt
es hierfür bereits (bitte begründen bzw. die entsprechenden Pläne darlegen)?

11. Hält die Bundesregierung eine Betreuung der Antragsteller beispielsweise
durch die nationalen Stiftungen, die infolge der Zwangsarbeiterentschädi-
gung entstanden sind, oder vergleichbare Stiftungen für möglich, und wenn
ja:
a) Wird sie sich für eine entsprechende Kooperation einsetzen?
b) Aus welchen Mitteln soll dann die Erstattung der Auslagen der Koopera-

tionspartner erfolgen?
c) Wenn nein, warum nicht?

12. Arbeitet die Bundesregierung, bzw. das mit dem Antragsverfahren beauf-
tragte BADV bereits mit gemeinnützigen vertrauenswürdigen Nichtregie-
rungsorganisationen (NGO) und (ehemaligen) Partnern der Stiftung „Erin-
nerung, Verantwortung und Zukunft“ (EVZ), insbesondere bei der Auszah-
lung der Gelder an die Antragsberechtigten, in den Nachfolgestaaten der
Sowjetunion zusammen?
Wenn ja, mit welchen NGO in welchen Staaten, und fallen dabei auch Kosten
(z. B. Personalkosten) an (bitte nach Staat, NGO, Art der Zusammenarbeit
und Kosten entsprechend aufschlüsseln)?
Wenn nein, warum nicht?

13. Gab es seitens der ehemaligen sowjetischen Kriegsgefangenen Beschwerden
über das Antragsverfahren?
Wenn ja, welche waren dies, und wie wurde darauf jeweils reagiert?

14. Gab es Fälle in denen die Abgabe der eidesstattlichen Erklärung kritisiert
oder sogar verweigert wurde?
Wenn ja, wie häufig kam so etwas vor, und wie wurde damit umgegangen?

15. Reicht es nach Kenntnis der Bundesregierung aus, dass das Antragsformular
bisher nur auf Deutsch, Englisch oder Russisch abrufbar ist oder muss hier
ggf., und in welcher Form, noch nachgebessert werden?

16. Welche Probleme sind bislang im Verfahren aufgetaucht, und wie wurde da-
rauf jeweils reagiert?

17. Hält die Bundesregierung die dargestellte Problematik, dass es zumindest ei-
nem Teil der antragsberechtigten Personen schwerfällt, die Anträge selbstän-
dig, ohne Hilfe durch andere Personen, auszufüllen, für plausibel, und wenn
ja, inwiefern erwägt sie, hierfür Abhilfe zu schaffen?
a) Ist die Bundesregierung bereit, Stiftungen im Ausland zu unterstützen, um

Antragsberechtigten Unterstützung zu gewähren?
b) Inwiefern sind Behörden in den jeweiligen Heimatländern der Antragsbe-

rechtigten nach Kenntnis der Bundesregierung bereit und in der Lage, sol-
che Hilfestellungen zu gewähren?

18. In welchem Umfang trifft es nach Einschätzung der Bundesregierung zu,
dass antragsberechtigte Personen nicht über ein Girokonto verfügen, auf das
Zahlungen aus dem Ausland eingehen könnten?
Ist das Vorhandensein eines Kontos, das am internationalen Zahlungsverkehr
teilnimmt, unerlässliche Voraussetzung für die Zahlung der Anerkennungs-
leistung, oder inwiefern prüft die Bundesregierung alternative Möglichkeiten
der Auszahlung?

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19. Inwiefern ist der Erhalt der Anerkennungsleistung in

a) Russland,
b) der Ukraine,
c) Belarus,
d) Georgien,
e) weiteren Nachfolgestaaten der Sowjetunion,
f) den USA und
g) Australien
steuerpflichtig bzw. steuerbefreit und wird auf etwaige Sozialleistungen an-
gerechnet bzw. ist anrechnungsfrei, und inwiefern steht die Bundesregierung
in Verhandlungen mit den jeweiligen Regierungen, um eine grundsätzliche
Befreiung von Steuerpflicht und Anrechnung auf Sozialleistungen zu errei-
chen?

20. Welche Nachweise über Kriegsgefangenschaft können Antragsteller vorle-
gen?

21. Welche Nachweis-Anforderungen werden an solche Kriegsgefangene ge-
stellt, die zwischen ihrer Gefangennahme und ihrer Registrierung durch die
Wehrmacht fliehen konnten?

22. Wie viele Kriegsgefangene wurden nach Einschätzung der Bundesregierung
niemals von der Wehrmacht registriert, und welche Möglichkeiten haben sie
bzw. welche Anforderungen werden an sie gestellt, ihre Kriegsgefangen-
schaft nachzuweisen?

23. Wie geht das BADV mit solchen Antragstellern um, die von der Wehrmacht
willkürlich oder irrtümlicherweise für Rotarmisten gehalten und in Kriegs-
gefangenschaft verbracht wurden, was nach Kenntnis der Fragesteller bis-
weilen etwa bei anderen Uniformträgern (Polizisten, Eisenbahner, Postbe-
dienstete usw.) vorgekommen ist?

24. Wie lange dauert es nach Kenntnis der Bundesregierung in der Regel, bis die
zuständigen Archive in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion Anträge auf
Aushändigung von Unterlagen, die Nachweis über erlittene Kriegsgefangen-
schaft enthalten, aushändigen?
Inwiefern sind damit Kosten verbunden?

25. Welche weiteren Probleme bei der Auszahlung der Leistung bzw. bei der
Bearbeitung der Anträge, dem Nachweis der Kriegsgefangenschaft usw. sind
der Bundesregierung bekannt, und wie wird diesen begegnet?

26. Welche Formen politischer Anerkennung (feierliche Übergabe an die ersten
Antragsteller durch die Botschaften etc., Gedenkveranstaltungen, Ausstel-
lungen, Erklärungen, …) wurden bereits praktiziert oder werden derzeit von
der Bundesregierung geplant bzw. über welche wird derzeit nachgedacht?

27. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus den bisherigen
Erfahrungen mit der Anerkennungsleistung?

Berlin, den 28. Januar 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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