BT-Drucksache 18/74

Residenzpflicht bei Unterbringung in Asylerstaufnahmeeinrichtungen

Vom 20. November 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 18/74
18. Wahlperiode 20.11.2013
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Katrin Kunert, Dr. Petra Sitte,
Kersten Steinke, Frank Tempel, Halina Wawzyniak, Jörn Wunderlich
und der Fraktion DIE LINKE.

Residenzpflicht bei Unterbringung in Asylerstaufnahmeeinrichtungen

Seit Mitte 2010 wurde die räumliche Aufenthaltsbeschränkung für Asyl-
suchende und geduldete Ausländerinnen und Ausländer in 14 Bundesländern
gelockert, in zehn Flächenstaaten wurde sie auf das Gebiet des Bundeslandes
erweitert. Zwischen Berlin und Brandenburg sowie zwischen Bremen und Nie-
dersachsen gilt wechselseitig Reisefreiheit. Diese Lockerungen gelten jedoch
nur für Asylsuchende, die nicht mehr verpflichtet sind, in einer Erstaufnahme-
einrichtung zu wohnen. Asylsuchende in Erstaufnahmeeinrichtungen sind wei-
terhin nach § 57 des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) einer restriktiven Auf-
enthaltsbeschränkung unterworfen. Für sie kann eine Verlassenserlaubnis nach
§ 57 AsylVfG nur erteilt werden, wenn „zwingende Gründe“ vorliegen sowie
bei Terminen bei Bevollmächtigten, beim Hohen Flüchtlingskommissar der Ver-
einten Nationen und bei Organisationen, die sich mit der Betreuung von Flücht-
lingen befassen. Termine bei Behörden und Gerichten, die ein persönliches
Erscheinen erfordern, können ohne Erlaubnis wahrgenommen werden. Persön-
liche Belange, wie Besuche bei Verwandten, werden für diese Gruppe bei der
Erteilung einer Verlassenserlaubnis nicht berücksichtigt.
Hinzu kommt, dass der zugelassene Aufenthaltsbereich nur den Kreis oder die
Stadt umfasst, in dem die Erstaufnahmeeinrichtung liegt (einzige Ausnahme
unter den Flächenstaaten bildet das Saarland, in dem sich auch die Bewohne-
rinnen und Bewohner der Erstaufnahmeeinrichtung im gesamten Land bewegen
können). Das führt zu einer Kriminalisierung einer großen Zahl von Asyl-
suchenden schon in den ersten Wochen ihres Aufenthalts in Deutschland. Als
Beispiel sei die Antwort der Landesregierung Brandenburg auf eine Kleine
Anfrage des SPD-Abgeordneten Ralf Holzschuher vom 10. November 2008
genannt (Antwort der Landesregierung Brandenburg, Ducksache 4/7027 vom
15. Dezember 2008), wonach in den Jahren 2004 bis 2008 gegen 50,5 Prozent
der Asylsuchenden in der Erstaufnahmeeinrichtung Eisenhüttenstadt ein Straf-
verfahren wegen wiederholter Verletzung der räumlichen Aufenthaltsbeschrän-
kung eingeleitet wurde. Genauere Angaben zur Strafverfolgung von Asyl-
suchenden und Geduldeten wegen Verletzungen der Residenzpflicht konnte die
Bundesregierung in der Antwort auf die Kleine Anfrage auf Bundestagsdruck-
sache 17/2991 nicht machen, nach Recherchen und Einschätzung der Sozial-
wissenschaftlerin Beate Selders („Keine Bewegung!“, 2009, S. 89) handelt es
sich bei Verstößen gegen § 85 AsylVfG jedoch ganz überwiegend um Verstöße
gegen die Beschränkung der räumlichen Bewegungsfreiheit.
Die Abschaffung der Residenzpflicht ist auch eine der Hauptforderungen protes-
tierender Flüchtlinge (vgl. auch den dies unterstützenden Antrag der Fraktion

Drucksache 18/74 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache 17/11589). Sie sehen sich in ihren
Menschenrechten verletzt, ihre gemeinsame und auch länderübergreifende
demokratische Protestbewegung wird behindert und kriminalisiert (zuletzt vor
allem in Bayern; vgl. http://refugeestruggle.org/de).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie viele Personen sind derzeit von der so genannten Residenzpflicht (ge-

meint sind Beschränkungen der Bewegungsfreiheit und nicht der Wohnsitz-
nahme) betroffen (bitte nach Bundesländern und Aufenthaltsstatus differen-
zieren)?

2. Gegen wie viele Asylsuchende wurde seit dem Jahr 2009 laut Polizeilicher
Kriminalitätsstatistik (PKS) nach § 85 AsylVfG ermittelt, und in wie vielen
Fällen kam es zu entsprechenden Verurteilungen (bitte nach Jahren und Bun-
desländern differenzieren)?

3. Gegen wie viele Geduldete wurde seit dem Jahr 2009 laut Polizeilicher
Kriminalitätsstatistik bzw. wegen „sonstiger Verstöße gegen das Aufenthalts-
gesetz“ (PKS-Schlüssel 725900) ermittelt, und in wie vielen Fällen kam es zu
entsprechenden Verurteilungen (bitte nach Jahren und Bundesländern diffe-
renzieren)?

4. Wie viele Strafgefangene waren seit dem Jahr 2009 bis heute jeweils zum
Stichtag 30. Juni bzw. 31. Dezember wegen Verstößen gegen das Asylverfah-
rensgesetz bzw. wegen „sonstiger Verstöße“ gegen das Aufenthalts- bzw.
Ausländergesetz in Haft (bitte nach Jahren, Bundesländern und genauer
Rechtsgrundlage differenzieren)?

5. Wie viele Asylsuchende haben im Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis heute in
Erstaufnahmeeinrichtungen gewohnt (bitte nach Bundesländern, Erstaufnah-
meeinrichtungen und Jahren aufschlüsseln)?

6. Wie viele Asylsuchende in Erstaufnahmeeinrichtungen haben vom 1. Januar
2010 bis heute einen Antrag auf eine Verlassenserlaubnis gestellt (bitte nach
Bundesländern, Erstaufnahmeeinrichtungen und Jahren differenzieren)?

7. Bei wie vielen Asylsuchenden in Erstaufnahmeeinrichtungen wurde vom
1. Januar 2010 bis heute der Antrag auf Verlassenserlaubnis nicht bewilligt
(bitte nach Bundesländern, Erstaufnahmeeinrichtungen und Jahren differen-
zieren)?

8. Gegen wie viele Asylsuchende in Erstaufnahmeeinrichtungen wurde vom
1. Januar 2010 bis heute ein Bußgeld nach § 86 Absatz 1 AsylVfG angeord-
net (bitte nach Bundesländern, Erstaufnahmeeinrichtungen und Jahren diffe-
renzieren)?

9. Gegen wie viele Asylsuchende in Erstaufnahmeeinrichtungen wurde vom
1. Januar 2010 bis heute Strafantrag wegen wiederholten Verstoßes nach § 85
Nummer 2 AsylVfG gestellt (bitte nach Bundesländern, Erstaufnahmeein-
richtungen und Jahren differenzieren)?

Berlin, den 18. November 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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