BT-Drucksache 18/7345

Entwicklung der Zahl per Haftbefehl gesuchter Neonazis

Vom 20. Januar 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/7345
18. Wahlperiode 20.01.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Frank Tempel, Katrin Kunert, Halina Wawzyniak
und der Fraktion DIE LINKE.

Entwicklung der Zahl per Haftbefehl gesuchter Neonazis

In den vergangenen Jahren hat sich die Fraktion DIE LINKE. mehrfach in Form
von Kleinen Anfragen danach erkundigt, wie viele per Haftbefehl gesuchte Neo-
nazis sich ihrer Festnahme entziehen. Zum Zeitpunkt der letzten Kleinen Anfrage
nannte die Bundesregierung im August 2014 die Zahl von 253 Personen (Bun-
destagsdrucksache 18/2283). 70 von diesen wurden wegen eines politisch moti-
vierten Deliktes (Politisch motivierte Kriminalität, PMK) gesucht, 64 wegen ei-
nes Gewaltdeliktes. Bei einer Aktualisierung wurden 372 Personen genannt, da-
von ebenfalls 70 wegen eines PMK-Deliktes, allerdings 98 wegen einer Gewalttat
(Antwort der Bundesregierung auf die Schriftlichen Fragen 27 des Abgeordneten
Frank Tempel vom 28. Dezember 2015 und 23 der Abgeordneten Irene Mihalic
vom 29. Dezember 2015 auf Bundestagsdrucksache 18/7211).
Kennzeichnend für die diesbezüglichen Statistiken ist zwar eine hohe Fluktua-
tion, d. h. die Mehrzahl der Haftbefehle erledigt sich (durch Festnahme oder Auf-
hebung) innerhalb weniger Monate. Festzustellen ist aber auch, dass ein bemer-
kenswert hoher Anteil der Gesuchten sich seiner Festnahme über längere Zeit
entzieht. 106 von insgesamt 329 Haftbefehlen (Stand: 31. März 2014) wurden im
Jahr 2012 oder früher erlassen. Betroffen davon waren 82 Personen (gegen die
z. T. mehrere Haftbefehle vorlagen), von denen wiederum 19 wegen eines Ge-
waltdeliktes gesucht wurden (Bundestagsdrucksache 18/2547). 25 dieser Perso-
nen galten polizeilich als gewaltbereit.
Die Frage, ob diese Zahlen als Hinweis zu deuten sind, dass ein relevanter Anteil
gewalttätiger Neonazis bewusst untergetaucht ist, konnte die Bundesregierung
aber nicht beantworten. Die Sicherheitsbehörden tauschten sich diesbezüglich le-
diglich „im Einzelfall“ aus (Antwort zu Frage 4 auf Bundestagsdrucksache
18/2547). Über etwaige Einschätzungen der Arbeitsgruppen im Gemeinsamen
Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus (GAR) konnte oder wollte die Bun-
desregierung nichts sagen. Die Fragestellerinnen und Fragesteller sehen hierin ei-
nen vergleichsweise nonchalanten Umgang mit der Problematik, der nach den
Erfahrungen mit den Nazi-Terroristen des sog. Nationalsozialistischen Unter-
grundes (NSU) unangemessen ist. Wenn es schon solche Arbeitsgruppen zum
Austausch über rechtsextremistische Kriminelle gibt, an denen sich auch Einrich-
tungen des Bundes beteiligen, müsste es auch möglich sein, den Deutschen Bun-
destag über deren Erkenntnisse zu unterrichten.
Angesichts zunehmender rechtsextremer Gewalt insbesondere gegen Asyl-
suchende ist ein intensiver und zeitnaher Austausch über das Phänomen des
Rechtsextremismus unerlässlich.

Drucksache 18/7345 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
 

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie untergliedern sich die Haftbefehle in solche zur Sicherung des Strafver-

fahrens, zur Strafvollstreckung und zur Durchführung asyl- oder aufenthalts-
rechtlicher Bestimmungen?
a) Gegen wie viele Personen lagen Haftbefehle wegen eines PMK-Deliktes

vor (bitte angeben, wenn gegen manche Personen mehrfache Haftbefehle
vorlagen)?

b) Bei wie vielen der 98 Gewaltdelikte handelt es sich um ein PMK-Delikt
(falls möglich, die Gewaltdelikte näher bezeichnen)?

2. Wie erklärt sich die Bundesregierung den signifikanten Anstieg der offenen
Haftbefehle von 253 auf 372 bei gleichzeitig konstanter Zahl (also relativem
Rückgang) der PMK-Einstufung?
Ist dies nach Kenntnis oder Einschätzung der Bundesregierung eher darauf
zurückzuführen, dass Rechtsextreme häufiger (nichtpolitisch motivierte)
Straftaten begehen, oder darauf, dass die Zahl von Rechtsextremisten gene-
rell angestiegen ist, oder auf welche anderen Faktoren?

3. In welchen einschlägigen Datenbanken deutscher Sicherheitsbehörden sind
jeweils wie viele dieser mit offenem Haftbefehl gesuchten Personen gespei-
chert (bitte auch die personengebundenen Hinweise wie „Straftäter rechts-
motiviert“, „gewalttätig“ usw. angeben)?

4. Wie viele der gesuchten Personen sind nach Kenntnis der Bundesregierung
Angehörige bzw. Mitglieder rechtsextremer Parteien oder Kameradschaften,
der Musikszene oder anderer rechtsextremer Organisationen bzw. Subkultu-
ren (soweit möglich, bitte auch die Namen dieser Parteien oder Zusammen-
schlüsse angeben)?

5. Bei wie vielen jener Personen, die per Stand vom 31. März 2014 mit Haftbe-
fehl gesucht wurden, hat sich dieser bis heute erledigt, und wie viele Perso-
nen, die mit offenem Haftbefehl gesucht wurden, sind seither neu hinzuge-
kommen?

6. Wie gestaltet sich die Fahndungsdifferenzierung nach terroristischen, Ge-
walt- und sonstigen Delikten?

7. In welchen Jahren sind die aktuellen Haftbefehle jeweils ausgestellt worden
(dabei bitte Anzahl der gesuchten Personen nennen und zusätzlich angeben,
ob der Haftbefehl wegen eines Gewaltdeliktes bzw. eines PMK-Gewaltde-
liktes ausgestellt wurde und ob die jeweils gesuchte Person als gewaltbereit
gilt)?

8. Welche Anstrengungen haben die Sicherheitsbehörden unternommen, um
zeitnah feststellen zu können, wie viele neue Haftbefehle gegen Neonazis
erlassen worden sind, und in welchem Rhythmus wird die Übersicht über
offene Haftbefehle gegen Neonazis erstellt?

9. Haben sich die Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern sowie im GAR
nach Kenntnis der Bundesregierung mit der Frage beschäftigt, ob sich Neo-
nazis gezielt einem Haftbefehl entziehen und ob dies Rückschlüsse auf einen
rechtsextremen Untergrund zulässt, und wenn ja, welche Angaben kann die
Bundesregierung dazu machen, und welche Rückschlüsse zieht sie daraus?
Inwiefern haben die Bundessicherheitsbehörden diesbezüglich eine Ein-
schätzung?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/7345
 

10. Welche (ggf. weiteren) Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus
den aktuellen Zahlen?

Berlin, den 19. Januar 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.