BT-Drucksache 18/7239

Bildungszeit PLUS - Weiterbildung für alle ermöglichen, lebenslanges Lernen fördern

Vom 13. Januar 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/7239
18. Wahlperiode 13.01.2016
Antrag
der Abgeordneten Beate Walter-Rosenheimer, Kai Gehring, Özcan Mutlu,
Brigitte Pothmer, Dr. Franziska Brantner, Katja Dörner, Ulle Schauws,
Tabea Rößner, Elisabeth Scharfenberg, Maria Klein-Schmeink, Kordula
Schulz-Asche, Dr. Harald Terpe, Doris Wagner, Ekin Deligöz und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Bildungszeit PLUS – Weiterbildung für alle ermöglichen, lebenslanges
Lernen fördern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Weiterbildung und lebenslanges Lernen werden in Zeiten des Wandels von der In-
dustrie- zur Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft immer wichtiger. Digitalisie-
rung, technischer und gesellschaftlicher Fortschritt verändern die Anforderungen im
Arbeitsalltag rasant. Immer mehr Information entsteht, Wissen veraltet schneller;
was Menschen erst gestern gelernt haben, ist morgen oft schon nicht mehr aktuell.
Anders als noch vor wenigen Jahrzehnten endet die Ausbildung heute nicht mehr
mit dem Schul- oder Berufsabschluss. Nur wer sich weiterbildet, hält Schritt mit der
modernen Gesellschaft, kann beruflich aufsteigen und sich persönlich weiterentwi-
ckeln. Von Weiterbildung profitieren aber nicht nur die Menschen, sondern auch
Gesellschaft und Wirtschaft. Eine möglichst hohe Weiterbildungsbeteiligung ist vor
dem Hintergrund einer alternden Gesellschaft auch volkswirtschaftlich notwendig,
um heute die Fachkräfte von morgen zu sichern und die sozialen Sicherungssysteme
zukunftsfest zu machen.
Trotz dieser positiven Effekte bilden sich längst nicht alle weiter. Die Abhängigkeit
des Bildungszugangs in Deutschland von sozialer Herkunft und Status setzt sich bei
der Weiterbildung fort. Während Gutverdienende und Hochqualifizierte breiten Zu-
gang zu betrieblichen Angeboten haben oder die Kosten für ihre Weiterbildung
selbst tragen können, nehmen ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Gering-
qualifizierte, Frauen in typischen „Frauenberufen“ mit niedrigem gewerkschaftli-
chen Organisationsgrad, Alleinerziehende und Menschen mit Einwanderungsge-
schichte nur sehr selten am lebenslangen Lernen teil. Nach Schule und Ausbildung
bleiben sie aus individuellen und strukturellen Gründen von weiterführenden Bil-
dungsangeboten weitgehend ausgeschlossen. Die mangelnden Zugangschancen zu
Weiterbildungsangeboten schwächen wiederum die Arbeitsmarktchancen und ver-
hindern berufliches Fortkommen und persönliche Entwicklung. „Aufstieg durch Bil-
dung“ bleibt in der „Bildungsrepublik Deutschland“ damit immer noch viel zu we-
nigen vorbehalten.

Drucksache 18/7239 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Die Bundesregierung hat mit der Novellierung des Aufstiegsfortbildungsförderungs-
gesetzes (AFBG), kurz „Meister-BAföG“, nun zwar einige sinnvolle Verbesserun-
gen auf den Weg gebracht. So sind die geplante Erhöhung von Leistungen und Frei-
beträgen, mehr Unterstützung beim Unterhalt und höhere Kostengrenzen bei Kurs-
und Prüfungsgebühren zu begrüßen. Insgesamt leistet der Gesetzentwurf aber weder
einen signifikanten Beitrag zur Erhöhung der generellen Bildungsmobilität noch
kann er als wegweisender Schritt hin zu mehr Weiterbildungsbeteiligung betrachtet
werden. Zudem ist nicht vorgesehen, zukünftig auch ausländischen Teilnehmerinnen
und Teilnehmern von Anpassungs- und Nachqualifizierungen nach dem Berufsqua-
lifikationsfeststellungsgesetz (BQFG) Zugang zu finanzieller Förderung zu gewäh-
ren. Vor dem Hintergrund steigender Flüchtlingszahlen, der damit einhergehenden
Notwendigkeit einer zügigen und umfassenden Integration in Arbeitsmarkt und Ge-
sellschaft sowie zunehmender Fachkräfteengpässe auf Seiten der Wirtschaft ist dies
integrationspolitisch kontraproduktiv und auch volkswirtschaftlich unsinnig.
Ziel einer strukturell wirksamen Reform der Weiterbildungsförderung muss es sein,
insbesondere jenen Menschen, die bisher weitgehend vom lebenslangen Lernen aus-
geschlossen sind, Zugänge zu Weiterbildung zu ermöglichen.
Es ist die gemeinsame Aufgabe von Bund, Ländern und Sozialpartnern, dass die
Teilhabe an Bildung in Zukunft nicht mehr an Zeit- und Informationsmangel oder
fehlenden finanziellen Möglichkeiten scheitert. Der Bundesregierung kommt dabei
eine zentrale Rolle zu.
Die Novellierung des Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes muss nun genutzt
werden, um die unübersichtliche Weiterbildungsarchitektur in Deutschland zu öff-
nen und auf ein tragfähiges Fundament zu stellen. Damit aus einem „Meister-BA-
föG“ für wenige eine zukunftsfähige Weiterbildungsförderung für alle wird, sollte
das Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz zu einer Bildungszeit PLUS umgebaut
werden, die als Förderinstrument allen Interessierten offensteht und flexibel auf die
individuelle Lebens-, Einkommens- und Vermögenssituation eingeht. Gute Bil-
dungsangebote kosten Zeit und Geld. Für viele Menschen ist aber beides Mangel-
ware. Mit einem sozial gestaffelten individuellen Mix aus Zuschuss und Darlehen
muss es in Zukunft allen Menschen ermöglicht werden, die Kosten für Maßnahme
und Lebensunterhalt während der Bildungsphase aufzubringen. Des Weiteren sind
flankierende Maßnahmen notwendig, damit Beschäftigte unter anderem für eine
Fort- und Weiterbildung leichter als bisher ihren Arbeitszeitumfang vorübergehend
bedarfsgerecht reduzieren können, damit die Teilnahme an Bildungsangeboten nicht
aus Sorge um spätere Nachteile scheitert.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung deshalb auf:

1. das Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz mittelfristig zu einem Gesetz für le-
benslanges Lernen im Sinne einer Bildungszeit PLUS auszubauen und
a) es für alle zertifizierten Fort- und Weiterbildungen zu öffnen, die zu einem

anerkannten Abschluss führen;
b) darin einen individuellen Mix aus Darlehen und Zuschuss zu verankern, mit

dem Menschen, die sich weiterbilden, bei Maßnahmekosten und Lebensun-
terhalt sozial gestaffelt unterstützt werden. Dabei gilt der Grundsatz: wer we-
niger hat, bekommt mehr;

c) als Zugangsvoraussetzung die Inanspruchnahme einer zertifizierten Bil-
dungsberatung zu setzen;

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/7239

d) aus den Erfahrungen der Bildungsprämie zu lernen und die dort gewonnenen
Erkenntnisse und erfolgreichen Ansätze, wie gerade gering verdienende Er-
werbstätige und Selbständige erreicht und bei individueller beruflicher Wei-
terbildung unterstützt werden können, im Rahmen einer Bildungszeit PLUS
zu verstetigen;

e) begleitend gemeinsam mit den Ländern die Transparenz auf dem Weiterbil-
dungsmarkt kontinuierlich voranzubringen, damit über die bisherige Koope-
ration von fünf Ländern mit dem Bund hinaus bundesweit eine niedrigschwel-
lige, bürgernahe Weiterbildungsberatung zugänglich wird, die gute und aktu-
elle Information und Beratung garantiert. Dabei sollten bestehende Strukturen
genutzt und Kooperationen ausgeweitet werden;

f) flankierend vorübergehende Arbeitszeitreduzierungen für Fort- oder Weiter-
bildungen deutlich zu erleichtern. Dazu muss eine befristete Teilzeit bzw. ein
Rückkehrrecht auf den alten Stundenumfang im Teilzeit- und Befristungsge-
setz verankert werden sowie den Beschäftigten durch Wahlarbeitszeiten –
also einen bedarfsgerecht gestaltbaren Arbeitsumfang innerhalb eines Stun-
denkorridors – mehr Flexibilität bei der Gestaltung ihrer Arbeitszeiten einge-
räumt werden;

2. für Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Anpassungs- und Nachqualifizierun-
gen nach dem Berufsqualifikationsfeststellungsgesetz (BQFG)
a) das Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz kurzfristig so zu überarbeiten,

dass sie durch Zuschüsse und Darlehen für Lebenshaltungs- und Maßnahme-
kosten die für sie notwendigen Angebote tatsächlich nutzen können,

b) eine Verschuldensobergrenze im Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz ein-
zuziehen, so dass Interessierte nicht durch das Risiko einer zu hohen Ver-
schuldung abgeschreckt werden, das Förderprogramm „Integration durch
Qualifizierung (IQ)“ weiterzuentwickeln und die notwendigen Qualifizie-
rungsmaßnahmen im Kontext des Anerkennungsgesetzes in ausreichendem
Umfang anzubieten; dabei ist zu gewährleisten, dass gerade auch Migrantin-
nen und Migranten, die absehbar keine Gleichwertigkeit im Anerkennungs-
verfahren erreichen werden, umfassenden Zugang zu weiterführenden fachli-
chen und sprachlichen Unterstützungsangeboten erhalten, damit auch ihnen
die Chance auf einen anerkannten Berufsabschluss und damit der Schritt in
qualifizierte Beschäftigung gelingen kann;

3. die Kern- und Basisaufgabe der allgemeinen Weiterbildung, die Alphabetisie-
rung und Grundbildung Erwachsener, gemeinsam mit den Ländern und den an-
deren Partnern der Strategie für Alphabetisierung und Grundbildung Erwachse-
ner voranzubringen, indem Bildungsangebote zur Alphabetisierung verbreitert
und Unterstützungsangebote vertieft werden, die ihre Nutzung erleichtern bzw.
ermöglichen.

Berlin, den 12. Januar 2016

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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