BT-Drucksache 18/7083

zu der Beratung des Antrags der Bundesregierung - Drucksachen 18/6743, 18/6946 - Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz Resolute Support für die Ausbildung, Beratung und Unterstützung der afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte in Afghanistan

Vom 15. Dezember 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/7083

18. Wahlperiode 15.12.2105
Entschließungsantrag

der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Christine Buchholz,

Sevim Dağdelen, Dr. Diether Dehm, Annette Groth, Heike Hänsel, Inge Höger,
Andrej Hunko, Katrin Kunert, Stefan Liebich, Niema Movassat, Dr. Alexander S.

Neu, Alexander Ulrich und der Fraktion DIE LINKE.

zu der Beratung des Antrags der Bundesregierung

– Drucksachen 18/6743, 18/6946 –

Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte am

NATO-geführten Einsatz Resolute Support für die Ausbildung, Beratung

und Unterstützung der afghanischen nationalen Verteidigungs-

und Sicherheitskräfte in Afghanistan

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die Eskalation der Kriegshandlungen in Afghanistan und die Kehrtwende
der NATO, der erneute „Ausstieg aus dem Ausstieg“ nach 14 Jahren militä-
rischer Präsenz, dokumentieren erneut das Scheitern der westlichen Strategie
des sogenannten Kriegs gegen den Terror. Die Taliban beherrschen momen-
tan mehr Territorium in Afghanistan als vor der NATO-Intervention 2001.
Die Zellen des islamistischen Terrorismus sind längst wiedererstanden –
z. B. in westeuropäischen Großstädten. Auch in Afghanistan selbst beginnt
der IS Fuß zu fassen. Mehr als je zuvor mangelt es dem Handeln der Staaten
des Westens, darunter der Bundesrepublik Deutschland, an Legitimität in
den Ländern des Nahen und Mittleren Ostens. Mehr denn je strömen junge
Menschen in die Arme des militanten Islamismus. Die fortgesetzte Präsenz
westlicher Truppen, darunter auch Truppen der Bundeswehr, bestätigt für
viele der Einwohnerinnen und Einwohner Afghanistans und für viele Men-
schen muslimischen Glaubens in der Welt das Narrativ von der Besetzung
und Entrechtung islamisch geprägter Länder und Menschen. Sie ist das per-
fekte Rekrutierungsmittel für den militanten Islamismus. Die Verstärkung
der militärischen Kontingente und die „engere Beratung“ von afghanischer
Armee und Polizei durch die Staaten der NATO werden diese Tendenz nicht
bremsen, sondern nur verstärken. Zur selben Zeit verweigert sich die Bun-
desregierung jeglicher politischer Selbstreflexion. Eine wirklich kritische

Drucksache 18/7083 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Aufarbeitung der Art und Weise, wie die Bundesrepublik Deutschland in den
Krieg gegen den Terror involviert wurde und was heute seine Ergebnisse
sind, findet nicht statt. Denn die Geschichte des Einsatzes in Afghanistan
bestätigt: Krieg gebiert Terror und bekämpft ihn nicht. Vor diesem Hinter-
grund ist eine Aufstockung des Kontingents der Bundeswehr in Afghanistan,
die geplante engere operative Konsultation mit den afghanischen Sicher-
heitskräften ein Beitrag zu mehr Unsicherheit, nicht zu mehr Sicherheit in
Afghanistan. Eine Verlängerung des Mandats für eine Teilnahme der Bun-
deswehr an der Mission Resolute Support ist daher abzulehnen.

2. Die Sicherheitslage in Afghanistan ist katastrophal und verschlimmert sich
weiter. Der letzte UNAMA-Bericht vom August dieses Jahres dokumentiert
im dritten Jahr in Folge eine Zunahme von zivilen Opfern des Krieges (UN-
AMA 2015, Mid-Year Report). Allein bis August dieses Jahres haben die
Kampfhandlungen 5000 Tote und Verletzte unter Zivilisten gefordert, mehr
als bisher auch durch Regierungs- oder regierungsnahe Kräfte. Durch ihre
Verstrickung in die Warlord-Strukturen der jeweiligen Provinzen sind die
sogenannten afghanischen Sicherheitskräfte in den Augen vieler Afghanin-
nen und Afghanen vollständig diskreditiert. Sie werden als Teil des Problems
gesehen, nicht als Teil der Lösung. Die von Human Rights Watch dokumen-
tierten Aufrufe des Oberkommandierenden der afghanischen Armee vor Of-
fizieren in Kunduz, nunmehr ohne Rücksicht Artillerie auch gegen Wohnge-
biete einzusetzen, und des Polizeichefs der Provinz Baghlan, gefangene Ta-
liban generell zu exekutieren, sind Belege einer fortschreitenden Missach-
tung von Menschenrechten und humanitärem Völkerrecht durch die Kräfte
der afghanischen Regierung: Allein bei den Kämpfen von April bis Juni die-
ses Jahres im Umkreis von Kunduz gingen 64 Prozent der zivilen Opfer auf
das Konto von Aktionen der Regierungstruppen (UN High Commissioner
for Human Rights, news release, 29.9.2015). Dies gilt auch für die Bundes-
wehr, deren Berater offensichtlich nicht willens oder in der Lage sind, die
Brutalisierung des Vorgehens afghanischer Sicherheitskräfte und der mit
ihnen verbündeten marodierenden Söldnermilizen zu sanktionieren: Durch
eine weitere Intensivierung der Beraterfunktionen wird noch mehr als zuvor
die Gefahr bestehen, dass Bundeswehrangehörige bei der Truppenführung
durch Kollaboration oder stillschweigende Duldung mitverantwortlich für
Kriegsverbrechen und andere Menschenrechtsverletzungen werden. Vor
dem Hintergrund dieser Sicherheitssituation ist der von Bundeskanzlerin
Merkel gegenüber Präsident Ghani eingeforderte Einsatz der afghanischen
Sicherheitskräfte zur Bekämpfung „illegaler Migration“ nur als praktizierter
Zynismus zu bezeichnen. Auch die von Bundesinnenminister de Maizière
vorgebrachte Einschätzung, die Bundeswehr trage in Afghanistan zu einem
sicheren Umfeld bei, da könne man „erwarten, dass die Afghanen in ihrem
Land bleiben“ (www.bundesregierung.de vom 28.10.2015) erweist sich als
eine groteske Verzerrung der Realitäten vor Ort. Ebenso erweist sich die u. a.
von Kanzleramtschef und Flüchtlingskoordinator Altmaier vorgebrachte I-
dee, innerhalb Afghanistans könne es „sichere Zonen“ geben bzw. könnten
diese etabliert werden, als absurd. Die Schnelligkeit, mit der sich die Kämpfe
um Kunduz entwickelten, und die ständigen Bombenanschläge in praktisch
allen Teilen des Landes belegen dies hinlänglich.

3. Die auf der Basis solcher irrführenden Einschätzungen erfolgte Einigung der
Parteivorsitzenden der Koalition, in Afghanistan „innerstaatliche Fluchtal-
ternativen“ zu schaffen, um „eine Intensivierung der Rückführungen“ –
sprich: Abschiebungen – zu erreichen, ist daher unverantwortlich und ge-
fährdet das Leben Schutzbedürftiger. Überdies widerspricht nicht zuletzt der
jetzt bekannt gewordene Bericht des Auswärtigen Amts zur „asyl- und ab-

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/7083

schieberelevanten Lage“ in Afghanistan der Darstellung des eigenen Bun-
desinnenministers und des Flüchtlingskoordinators. Der Bericht zeichnet ein
düsteres Bild mit weitgreifender Korruption, bestechlicher Justiz und Miss-
brauch von Frauen und Jugendlichen. Hinzu kommen die Belastungen, die
das Land durch seine mehr als 1,5 Mio. Binnenflüchtlinge schultern muss.
Die Bedrohungslage in Afghanistan habe sich dramatisch verschärft, urteilte
auch die deutsche Botschaft in Kabul („Prekäre Sicherheitslage: Auswärti-
ges Amt zweifelt an Rückführung afghanischer Flüchtlinge“, DER SPIE-
GEL, 12. November 2015). – Die aus Afghanistan geflüchteten Menschen
brauchen einen wirksamen Schutz und einen schnellen Zugang zu Integrati-
onsmaßnahmen. Mehr als 86 Prozent der afghanischen Asylsuchenden er-
halten derzeit vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) einen
Schutzstatus (Bundestagsdrucksache 18/6860, Antwort zu Frage 1b). Trotz
der hohen Anerkennungschancen wird ihnen ein Zugang zu Integrationskur-
sen verweigert. Verantwortliches Regierungshandeln muss sich aber an den
auswärtigen Realitäten orientieren und nicht an innenpolitisch motivierten
Interessen mit dem Ziel der Verweigerung notwendigen Schutzes.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die Beteiligung von bewaffneten deutschen Streitkräften am NATO-Einsatz
Resolute Support nicht zu verlängern. Die in Afghanistan stationierten Ein-
heiten der Bundeswehr werden umgehend und vollständig aus Afghanistan
abgezogen;

2. den Bundesminister des Innern zu beauftragen, sich für einen Abschiebe-
stopp und eine sichere Aufenthaltsregelung für afghanische Flüchtlinge ein-
zusetzen und afghanischen Asylsuchenden einen Zugang zu Integrationskur-
sen zu ermöglichen; das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge anzuwei-
sen, keine Widerrufe von Asyl- und Flüchtlingsanerkennungen oder subsidi-
ärem Schutzstatus bei afghanischen Flüchtlingen unter Hinweis auf eine an-
geblich positiv veränderte Lage oder angeblich sichere Fluchtalternativen im
Herkunftsland vorzunehmen und den Schutzbedarf afghanischer Asylsu-
chender in beschleunigten, soweit möglich schriftlichen Prüfverfahren fest-
zustellen;

3. umgehend eine Gesamtbilanzierung (und nicht nur halbjährliche Fort-
schrittsberichte) des bisherigen Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan
seit 2001 vorzulegen, die die Situation an den selbst verlautbarten politischen
Vorgaben und Zielen zu Beginn des Einsatzes misst.

Berlin, den 15. Dezember 2015

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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