BT-Drucksache 18/7050

Keine Behinderung des Windenergieausbaus durch Radaranlagen

Vom 16. Dezember 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/7050
18. Wahlperiode 16.12.2015

Antrag
der Abgeordneten Oliver Krischer, Dr. Julia Verlinden, Stephan
Kühn (Dresden), Annalena Baerbock, Matthias Gastel, Markus Tressel,
Dr. Valerie Wilms, Harald Ebner, Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl, Christian
Kühn (Tübingen), Steffi Lemke, Nicole Maisch, Peter Meiwald, Friedrich
Ostendorff und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Keine Behinderung des Windenergieausbaus durch Radaranlagen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das Repowering und die Neuerrichtung von Windenergieanlagen wird in vielen Tei-
len Deutschlands durch die Deutsche Flugsicherung (DFS) und den Deutschen Wet-
terdienst (DWD) verhindert. Diese berufen sich auf eine vermeintliche Störung von
Funkfeuer- und Radaranlagen durch die Windenergieanlagen.

Eine Untersuchung des Bundesverbands Windenergie (BWE) hat ergeben, dass im
Jahr 2015 insgesamt 799 Windenergieanlagen mit einer Gesamtleistung von 2.333
MW verhindert worden sind, mit der Argumentation, es würden VOR- oder DVOR-
Anlagen beeinträchtigt. Dies entspricht einer Gesamtenergieleistung von zwei A-
tomkraftwerken.

Betrachtet man darüber hinaus alle zivilen und militärischen Navigations-, Radaran-
lagen und Navigationsräume sowie die Radaranlagen des DWD, so wurden im Jahr
2015 sogar insgesamt 1.422 Windenergieanlagen mit einer installierten Leistung von
4.120 MW verhindert.

Die DFS beruft sich bei ihrem Veto gegen die Errichtung der Windenergieanlagen
auf eine Empfehlung der Internationalen Luftfahrtorganisation (ICAO). Diese hatte
im Jahr 2009 empfohlen, einen Schutzradius von 15 km um jede Funkfeueranlage
einzurichten. Nach der Empfehlung sei innerhalb dieses Radius zu prüfen, ob eine
Beeinträchtigung tatsächlich zu erwarten sei. Die Festlegung auf eine 15-km-Schutz-
zone erfolgte jedoch ohne hinreichende wissenschaftliche Begründung. Zudem ist
die Bindungswirkung der Empfehlung der ICAO für die Verwaltung und die gericht-
liche Überprüfung umstritten. So gibt es sich widersprechende Rechtsprechung zu
der Frage, ob die DFS oder das BAF eine Einschätzungsprärogative hat (die Prü-
fungsergebnisse der DFS bzw. des BAF also gerichtlich inhaltlich nicht überprüft
werden) oder ob die Störung der Radaranlage durch die Windenergieanlage vom
Betroffenen dargelegt und bewiesen werden muss.

Aufgrund der Vielzahl von betroffenen Anlagen, der Beschaffenheit der einzelnen
oft bebauten Gebiete und weil eine nähere Begründung des Ablehnungsbescheides
der DFS den Betroffenen und der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht wird oder

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fehlt, ist es zweifelhaft, ob von dem Prüfauftrag gewissenhaft Gebrauch gemacht
wird. Ein offengelegter Nachweis der Störung wird nicht geführt.

Fachleute bezweifeln, dass derart hohe Pauschalabstandsforderungen tatsächlich
notwendig sind. So bestätigen einschlägige Gutachten, dass Störungen der Radaran-
lage durch Rotorbewegungen nicht nachweisbar sind und eine Störung durch die
Windenergieanlage an sich außerhalb eines 3-km-Radius nicht zu erwarten ist („Gut-
achten zur Interaktion von Windenergieanlagen und dem DVOR Michaelsdorf“,
Auftraggeber: LLUR, Auftragnehmer: Flight Calibration Services; „Flugsicherheits-
analyse der Wechselwirkungen von Windenergieanlagen und Funknavigationshilfen
DVOR/VOR der Deutschen Flugsicherung GmbH“, Auftraggeber Ministerium für
Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume Schleswig-Holstein,
Auftragnehmer TU-Berlin).

Bisher wurde noch in keinem Fall nachgewiesen, dass tatsächlich eine maßgebliche
Störung durch Windenergieanlagen vorliegt.

Die bereits weit vorangeschrittene wissenschaftliche Aufarbeitung der Probleme
wird durch die DFS allerdings nur zögerlich behandelt und begleitet. Bisherige Gut-
achten externer Gutachter, die die möglichen Störwirkungen über Simulationsver-
fahren berechnen, werden von der DFS nicht anerkannt. Stattdessen werden ständig
weitere Untersuchungen gefordert.

Das BAF – als zuständiges Aufsichtsamt gesetzlich mit der Kontrollfunktion ausge-
stattet – ist aufgrund seiner bisherigen personellen Ausstattung nicht in der Lage,
eine unabhängige Prüfung durchzuführen. Damit entscheidet ein kleiner Kreis, mit
einer selbsterstellten, zweifelhaften Berechnungsmethode, bei der DFS über die
Auswirkungen von Störungen auf die Drehfunkfeuer, ohne jegliche Kontrolle der
Richtigkeit.

Eine, aufgrund der volkswirtschaftlichen Dimension des Problems, angemessene
Reaktion der DFS und des BAF fehlt vollständig.

Selbst erwirkte, vollständige Abschaltungen von Drehfunkfeuern hatten bisher keine
Auswirkungen auf die Sicherheit des Flugverkehrs.

Die von der DFS angeführten Vorgaben aus den ICAO-Richtlinien werden von den
nationalen Behörden anderer Staaten vollständig unterschiedlich ausgelegt. So ist
z. B. in Belgien ein Schutzbereich von nur 7,5 km, anstatt der 15 km für DVOR zu
berücksichtigen. Nach den neusten Vorschlägen der ICAO in Europa werden auch
in den Richtlinien des EURO DOC die Schutzbereiche für DVOR auf 10 km redu-
ziert.

Die Deutsche Flugsicherung ist leider noch nicht soweit.

Der DWD betreibt einen Radarverbund aus 17 Wetterradaren. Der DWD fordert,
dass der nähere Umkreis von 5 km um die Wetterradarstandorte frei von WEA zu
halten ist. In einem Radius von 15 km werden für WEA Höhenbeschränkungen ge-
fordert, die jedoch überwiegend keine zeitgemäßen WEA ermöglichen. Problem sei,
dass im Gegensatz zu unbeweglichen Objekten der Einfluss von beweglichen Ob-
jekten nicht aus den Messwerten herausgerechnet werden könne. Dieses Problem
zeige sich vor allem bei der Erkennung von Gewitterzellen in der Nähe eines Wind-
parks/über einem Windpark.

Nach Einschätzung von Fachleuten sind diese Probleme allerdings in den Griff zu
bekommen, wenn der DWD bereit ist, weitere Datenquellen neben dem Wetterradar
zu nutzen und mit den Daten des Wetterradars zu verschneiden.

Nach einer Studie zu den Errichtungsmöglichkeiten von WEA im Schutzbereich der
Wetterradaranlage Türkheim, Auftraggeber: Baden-Württemberg, Auftragnehmer:
Dr.-Ing. A. Frye, vom 16.07.2015 konnten Verschattungen nachgewiesen werden,
allerdings ausschließlich in einem schmalen Richtungskorridor jenseits der WEA,

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bei größerer Entfernung der WEA zum Radarstandort ab ca. 5 km sind sie allerdings
nicht mehr praxisrelevant.

Im Gegensatz zu DFS und DWD ist der Diskussionsprozess zwischen der Windener-
giebranche und der Bundeswehr wesentlich weiter fortgeschritten. Anstelle von pau-
schalen Ablehnungen konnten durch die Kooperation zwischen Anlagenbetreibern
und der Bundeswehr und Betrachtung der Einzelfälle zahlreiche Windenergieanla-
gen ermöglicht werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

− dafür zu sorgen, dass das Berechnungsverfahren der DFS zur konkreten Berech-
nung der Störbeiträge für eine wissenschaftliche Bewertung offengelegt wird;

− von der Deutschen Flugsicherung und dem Bundesamt für Flugsicherheit und
dem Deutschen Wetterdienst ein wissenschaftlich nachgewiesenes und transpa-
rentes Bewertungssystem sowie transparente und nachvollziehbare Entscheidun-
gen zu verlangen;

− auf diese einzuwirken, Einzelfälle gewissenhaft zu prüfen und Ablehnungsent-
scheidungen hinreichend und nachvollziehbar zu begründen und zu veröffentli-
chen;

− insbesondere das BAF seinen gesetzlichen Auftrag der Kontrollfunktion wahr-
nehmen zu lassen und in die Lage zu versetzen, die gutachterlichen Stellungnah-
men der DFS und der externen Gutachter zu prüfen und abzuwägen. Die bishe-
rige Praxis entspricht nicht dem gesetzlichen Auftrag;

− die neuen Empfehlungen der ICAO und die anerkannten wissenschaftlichen Er-
kenntnisse umgehend in das Genehmigungsverfahren nach § 18a LuftVG und in
eine Neudefinition der Bereiche im Umfeld von Flugnavigationsanlagen, in de-
nen Störungen durch Bauwerke (vor allem Windenergieanlagen) zu erwarten
sind, einfließen zu lassen und damit den Prüfradius auf 10 km zu reduzieren.

Berlin, den 15. Dezember 2015

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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