BT-Drucksache 18/7045

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum Europäischen Rat am 17./18. Dezember in Brüssel

Vom 15. Dezember 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/7045

18. Wahlperiode 15.12.2015

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Heike Hänsel, Wolfgang Gehrcke, Frank
Tempel, Jan van Aken, Christine Buchholz, Dr. Diether Dehm, Annette Groth,
Inge Höger, Andrej Hunko, Ulla Jelpke, Katrin Kunert, Stefan Liebich, Niema
Movassat, Dr. Alexander S. Neu, Alexander Ulrich und der Fraktion
DIE LINKE.

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin

zum Europäischen Rat am 17./18. Dezember 2015 in Brüssel

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die EU-Kommission hat angekündigt, ein neues Kapitel der Beitrittsverhandlun-
gen mit der Türkei noch im Dezember 2015 eröffnen zu wollen. Im Frühjahr 2016
sollen weitere fünf Beitrittskapitel eröffnet werden, um die Verhandlungen für einen
Beitritt der Türkei zur EU weiter voranzutreiben. Dies ist umso unverständlicher, als
der jüngste Fortschrittsbericht der EU-Kommission zur Türkei vor allem von Rück-
schritten bei Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit berichtet.

2. Auf dem EU-Türkei-Gipfel am 29. November 2015 wurde vereinbart, dass die EU
und ihre Mitgliedstaaten drei Mrd. Euro an die Türkei für die Versorgung syrischer
Flüchtlinge zahlen und die Türkei im Gegenzug einen Aktionsplan zur Flüchtlings-
abwehr umsetzt. Der deutsche Anteil an der Zahlung beträgt 532 Mio. Euro, er
könnte sich aber noch massiv erhöhen, da viele Mitgliedstaaten bereits angekündigt
haben, nicht in die Finanzierung einsteigen zu wollen oder zu können. Vor dem Hin-
tergrund der Entwicklung der menschenrechtlichen Situation in der Türkei ist diese
Form der Kooperation mit der Türkei abzulehnen. Die Wahrscheinlichkeit, dass die
übertragenen Mittel in den Ausbau des Repressionsapparats fließen, ist hoch.

3. Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan treibt die Türkei weiter in
Richtung eines autoritären Unterdrückungsstaats und einer Präsidialdiktatur. Seine
Partei, die AKP, schreckt nicht davor zurück, Schlägertrupps in kritische Zeitungs-
redaktionen zu schicken.

4. Die türkische Regierung führt unter dem Vorwand der Bekämpfung des Terroris-
mus einen Krieg gegen die Kurdinnen und Kurden im Osten der Türkei, bei dem
auch aus Deutschland stammende Rüstungsgüter eingesetzt werden. Die Bevölke-
rung wird mit Terror und Gewalt eingeschüchtert, damit sich die AKP als Kraft für
Recht und Ordnung darstellen kann. Jüngstes Beispiel dieser Strategie der Spannung
ist die Ermordung des Präsidenten der Anwaltskammer von Diyarbakir, Tahir Elci.

Drucksache 18/7045 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

5. Regierung und Präsident lassen Oppositionelle in der Türkei massiv verfolgen.
Jüngstes Beispiel ist die Inhaftierung des Chefredakteurs der Zeitung Cumhuriyet,
Can Dündar. Dündar wurde angeklagt, weil er Fotos veröffentlicht hat, die türkische
Waffenlieferungen an den so genannten Islamischen Staat (IS) zeigen.

6. Im Syrien-Krieg spielt die Türkei eine gefährliche Rolle. Erdoğan tritt als Terror-
pate auf. Die Türkei hat durch den Abschuss eines russischen Kampfflugzeugs an
der türkisch-syrischen Grenze die Gefahr einer Ausweitung des Krieges in Syrien
riskiert. Sie bombardiert kurdische Verbände und damit genau diejenigen, die sich
dem barbarischen IS in der Region am entschiedensten entgegenstellen. Wenn
Deutschland künftig als Teil der internationalen Allianz gegen den IS in Syrien Auf-
klärungsdaten an die Türkei weitergibt, wie es das Bundeswehrmandat vorsieht,
kann weder ausgeschlossen werden, dass diese von der türkischen Luftwaffe gegen
die Kurden genutzt werden, noch gar, dass sie in die Hände des IS gelangen. Die
Türkei liefert weiter Waffen an islamistische Terrormilizen in Syrien und im Irak.
Der Ölverkauf des IS läuft über türkisches Territorium. Vor diesem Hintergrund sind
die Überlegungen der NATO zur Stärkung der türkischen Luftabwehr erst recht ver-
fehlt.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

− sich in der EU dafür einzusetzen, dass die Vereinbarung vom EU-Türkei-Gipfel
über die EU-Finanzhilfen an die Türkei und der Aktionsplan zur Flüchtlingsab-
wehr zurückgenommen werden und die Türkei weder zum sicheren Herkunfts-
staat noch zum sicheren Drittstaat erklärt wird;

− die vollständige Umsetzung der Genfer Flüchtlingskonvention durch die Türkei
einzufordern;

− die Initiative zu ergreifen, damit die 3 Mrd. Euro, die im Rahmen des EU-Tür-
kei-Abkommens zur Verfügung gestellt werden sollen, über den UNHCR und
das Welternährungsprogramm zur Verbesserung der Lage der syrischen Flücht-
linge in der Türkei und in der Region fließen;

− sich nicht an der Seite der Türkei an einem völkerrechtswidrigen Krieg in Syrien
zu beteiligen;

− sich nicht an einer Verstärkung der türkischen Luftabwehr durch die NATO zu
beteiligen und sich in der NATO gegen eine solche Stärkung einzusetzen;

− die Waffenexporte in die Türkei sofort zu unterbinden;
− sich dafür einzusetzen, dass die türkischen Verantwortlichen für den Ölhandel

mit dem IS strafrechtlich verfolgt werden;

− sich gegen die Eröffnung weiterer Beitrittskapitel einzusetzen, solange der Krieg
gegen die Kurdinnen und Kurden in der Türkei, die Verfolgung von Oppositio-
nellen, kritischen Journalisten und Gewerkschaftern wie auch die Unterstützung
islamistischer Terrormilizen durch die türkischen Behörden anhält;

− sich für eine Wiederaufnahme des Friedensprozesses in der Türkei einzusetzen
und auf eine Freilassung der politischen Gefangenen in der Türkei zu dringen,
auch derer, die wegen der Berichte zu türkischen Waffenlieferungen an den IS
inhaftiert sind;

− sich auf EU-Ebene für eine Aufhebung des Verbots der Kurdischen Arbeiter-
partei (PKK) einzusetzen.

Berlin, den 15. Dezember 2015

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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