BT-Drucksache 18/7025

Rolle deutscher Nachrichtendienste bei der Globalen Islamischen Medienfront

Vom 10. Dezember 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/7025
18. Wahlperiode 10.12.2015

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Wolfgang Gehrcke, Christine Buchholz,

Andrej Hunko, Halina Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE.

Rolle deutscher Nachrichtendienste bei der Globalen Islamischen Medienfront

In seinem 2015 veröffentlichten Buch „Der Dschihadist“ beschreibt Irfan Peci
aus Weiden in der Oberpfalz seine Zeit in der salafistischen und dschihadistischen
Szene. So war der deutsche Staatsbürger mit bosnischen Wurzeln seit 2007
Deutschland-Chef der sogenannten Globalen Islamischen Medienfront (GIMF),
die Propaganda- und Drohvideos der Terrororganisation Al Qaida im Internet ver-
breitete. 2009 wurde Irfan Peci, der zu dem Zeitpunkt wegen mutmaßlicher Be-
teiligung an einer Gewalttat und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung
in Untersuchungshaft saß, vom Bundesamt für Verfassungsschutz angeworben.
Vom Winter 2009 bis zum Herbst 2010 war er dann eine der wichtigsten und mit
bis zu 3 000 Euro monatlich plus Spesen bestbezahlten Quellen in der deutschen
Islamistenszene. Er lieferte dem Geheimdienst unter anderem Informationen über
Terrorverdächtige in Berlin wie die „Berliner Gruppe“ und die „Deutschen Tali-
ban Mujaheddin“. Im Verfahren gegen die „Berliner Gruppe“ und Unterstützer
der GIMF wurde Irfan Peci als V-Mann enttarnt.

Gegenüber dem ZDF und dem „Stern“ gab Irfan Peci an, ein dafür vorgesehenes
„Extrageld“ vom Verfassungsschutz als Spende an seinen Al-Qaida-Kontakt-
mann weitergeleitet zu haben, um dessen Vertrauen zu gewinnen. Sollte diese
indirekte Terrorfinanzierung durch den Geheimdienst zutreffen, würde es sich um
einen Verstoß gegen die „Dienstvorschrift für die Beschaffung“ des Bundesamtes
für Verfassungsschutz handeln, wonach sich V-Leute ebenso wie die Mitarbeiter
der Behörde selbst an Recht und Gesetz halten müssen.

Irfan Peci gibt an, am 2. Juli 2010 gemeinsam mit Freunden aus der Islamisten-
szene im Bahnhof Berlin Friedrichstrasse einen US-Soldaten zusammengeschla-
gen und verletzt zu haben. Sein V-Mann-Führer vom Verfassungsschutz habe im
Gespräch mit der Polizei dafür gesorgt, dass die Straftat ungesühnt blieb, um
seine Quelle nicht zu gefährden. Eine den Vorfall betreffende Aktennotiz bei der
Berliner Polizei, deren Vorgangsnummer sich noch bei der formal zuständigen
Bundespolizei findet, ist verschwunden. Sollte die Berliner Polizei sich hier dem
Druck des Verfassungsschutzes gebeugt haben, hätte sich dieser der Strafvereite-
lung schuldig gemacht.

Während seiner Zeit als V-Mann nahm Irfan Peci nach eigenen Angaben im Früh-
jahr 2010 an einem Waffentraining in einem salafistischen Camp in Bosnien teil,
wo unter anderem das Schießen mit Kalaschnikow-Sturmgewehren geübt wurde.

Die deutschsprachige Plattform der GIMF lief nach der Verhaftung ihres bishe-
rigen Chefs aus Wien und der Übernahme ihrer Leitung durch Irfan Peci über
einen Server in Malaysia. Dieser wurde der GIMF über einen im Auftrag des
Bundesnachrichtendienstes (BND) unter Decknamen handelnden Mitarbeiter
der US-Sicherheitsfirma SITE Intelligence Group zur Verfügung gestellt. Im

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Gegenzug übermittelte der SITE-Mitarbeiter die so gesammelten Informationen
an den BND (www.zdf.de/frontal-21/islamist-im-staatsauftrag-ex-v-mann-
des-verfassungsschutzes-bricht-sein-schweigen-40498878.html; www.zdf.de/
ZDF/zdfportal/blob/40530794/1/data.pdf; www.stern.de/politik/deutschland/
dschihadist-arbeitete-auch-als-v-mann--erhebt-schwere-vorwuerfe-gegen-
verfassungsschutz-6198656.html).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die V-Mann-Tätigkeit von
Irfan Peci für das Bundesamt für Verfassungsschutz innerhalb der islamisti-
schen bzw. dschihadistischen Szene?

a) Wann und wo wurde Irfan Peci von wem für welche Tätigkeit genau beim
Verfassungsschutz angeworben, und wann und warum endete seine
V-Mann-Tätigkeit?

b) Inwieweit hing Irfan Pecis Freilassung aus der Untersuchungshaft bzw.
die damalige Einstellung eines Ermittlungsverfahrens wegen Unterstüt-
zung einer terroristischen Vereinigung mit Irfan Pecis Einwilligung zu-
sammen, als Quelle für den Verfassungsschutz zu arbeiten?

c) Inwieweit entsprach das Anwerben von Irfan Peci während der Untersu-
chungshaft im Jahr 2009 den damaligen Gepflogenheiten des Verfas-
sungsschutzes beim Gewinnen von Quellen?

d) Inwieweit und unter welchen Voraussetzungen hält die Bundesregierung
das Anwerben von Untersuchungsgefangenen als V-Leute für den Ver-
fassungsschutz generell für ein legitimes Verfahren?

e) Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen für einen zukünftigen
Umgang mit V-Leuten zieht die Bundesregierung gegebenenfalls aus der
damaligen Anwerbung eines V-Mannes in Untersuchungshaft?

f) Wie viele Gelder (Honorare, Spesen, Sonderzahlungen etc.) zu welchen
genauen Zwecken erhielt Irfan Peci wann während seiner V-Mann-Tätig-
keit?

g) Wurde Irfan Peci im Herbst 2010 nach Kenntnis der Bundesregierung auf
Bitte des Generalbundesanwalts als V-Mann abgeschaltet, um den anste-
henden Prozess gegen die sogenannte Berliner Gruppe nicht zu gefähr-
den?

2. Welche Informationen zur sogenannten Berliner Gruppe, den Deutschen Ta-
liban Mujaheddin und Al Qaida sowie gegebenenfalls weiteren dschihadisti-
schen Gruppierungen hat Irfan Peci als V-Mann dem Verfassungsschutz ge-
liefert?

a) Inwieweit dienten diese Informationen zur Verhinderung welcher konkre-
ten Anschlagspläne?

b) Inwieweit dienten diese Informationen zur Verhinderung von sonstigen
Straftaten (bitte einzeln angeben)?

c) Inwieweit dienten diese Informationen zur Strafverfolgung von Angehö-
rigen des dschihadistisch-terroristischen Spektrums?

d) Welchem sonstigen Zweck dienten die von Irfan Peci an den Verfassungs-
schutz weitergegebenen Informationen?

e) Inwieweit wurden die von Irfan Peci gelieferten Informationen an auslän-
dische Sicherheitsbehörden weitergegeben?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/7025

3. Inwieweit treffen nach Kenntnis der Bundesregierung Angaben des früheren
V-Mannes Irfan Peci zu, wonach er vom Bundesamt für Verfassungsschutz
neben seinem Agentenlohn und Spesen ein „Extrageld“ erhalten hatte, um
sich durch Spenden an einen Al-Qaida-Kontaktmann das Vertrauen der Ter-
rororganisation zu erkaufen?

a) Wann, von wem und zu welchem genauen Zweck hat Irfan Peci entspre-
chende Gelder in welcher Höhe erhalten, und an wen genau wurden diese
wann weitergegeben?

b) Von wem stammte der Vorschlag, und wer traf die Entscheidung, durch
Spenden das Vertrauen von Al Qaida zu erkaufen?

c) Inwieweit war das Bundesamt für Verfassungsschutz über die genaue
Verwendung dieser Gelder, informiert?

d) Wer bzw. welche Organisation war nach Kenntnis der Bundesregierung
Endempfänger der Gelder, und wofür wurden diese im Einzelnen verwen-
det?

e) Inwieweit und durch wen sieht die Bundesregierung in einer möglichen
Weitergabe von Geldern des Verfassungsschutzes durch den V-Mann
Irfan Peci an einen Al-Qaida-Vertreter einen Verstoß gegen die Dienst-
vorschrift für Beschaffung oder andere Regularien oder Gesetze?

f) Inwieweit sieht die Bundesregierung in einer Weitergabe von Geldern des
Verfassungsschutzes durch einen V-Mann an einen Al-Qaida-Vertreter
eine Form der Terrorfinanzierung?

g) Welche Schlussfolgerungen für den Umgang mit V-Leuten zieht die Bun-
desregierung aus der möglichen Weitergabe von Geldern des Verfas-
sungsschutzes durch einen V-Mann an eine terroristische Organisation?

4. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über einen Überfall von Angehö-
rigen des salafistisch-dschihadistischen Spektrums einschließlich des
V-Mannes des Verfassungsschutzes, Irfan Peci, auf einen US-Soldaten am
2. Juli 2010 im Untergeschoss des S-Bahnhofs Berlin Friedrichstrasse, bei
dem das Opfer Verletzungen davontrug?

a) Inwieweit trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass entspre-
chende Ermittlungen der Polizei nach einer Intervention des Verfassungs-
schutzes eingestellt wurden, um Irfan Peci als Quelle nicht zu gefährden?

b) Inwieweit und auf welcher gesetzlichen Grundlage war der Verfassungs-
schutz im Jahr 2010 befugt, bei einer Polizeibehörde die Einstellung eines
Ermittlungsverfahrens wegen Körperverletzung oder anderer Straftaten
zu erbitten, um eine Quelle nicht zu gefährden?

c) Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus einer mögli-
chen Beteiligung eines V-Mannes des Verfassungsschutzes an einer sol-
chen Straftat für den zukünftigen Umgang mit V-Leuten?

5. Wusste das Bundesamt für Verfassungsschutz von der Teilnahme seines
V-Mannes Irfan Peci an einer Nahkampf- und Waffenausbildung einschließ-
lich des Schießtrainings mit einem Sturmgewehr in einem salafistischen
Ausbildungscamp in Bosnien im Frühjahr 2010?

a) Wenn ja, wann und durch wen bzw. auf welche Weise erfuhr der Verfas-
sungsschutz von der Teilnahme Irfan Pecis an dem Camp?

b) Wenn nein, welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der
Tatsache, dass ein V-Mann ohne Wissen seiner Führungsleute im Ge-
heimdienst an einer Terrorausbildung teilnehmen konnte, für den zukünf-
tigen Umgang mit V-Leuten?

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6. Inwieweit trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass ein Mitarbei-
ter der US-Firma SITE Intelligence Group im Auftrag des BND der deutsch-
sprachigen Abteilung der GIMF einen ausländischen Server zur Verfügung
gestellt hatte?

a) Welche Beziehungen im Einzelnen unterhielten oder unterhalten Bundes-
behörden zur Firma Site Intelligence Group, etwaigen Firmenablegern
und Tochterfirmen oder einzelnen ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbei-
ter?

b) Welche Gelder des BND in welcher Höhe aus welchem Etat flossen wann
und zu welchem Zweck an die Firma SITE?

c) Wann und aus welchem Grund endete die Unterstützung des BND für die
GIMF?

d) Welche Informationen im Einzelnen wurden dem BND über die SITE In-
telligence Group oder deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter übermit-
telt?

e) Inwieweit kann die Bundesregierung ausschließen, dass die auf diese
Weise gewonnenen Informationen nicht auch über SITE an US-Behörden
weitergeleitet wurden?

f) Inwieweit und in welcher Höhe wurden die Betriebskosten des Servers,
über den die deutschsprachige GIMF-Propaganda lief, oder weitere bitte
aufzuschlüsselnde Kosten für die GIMF durch den BND oder eine andere
deutsche Behörde getragen?

g) Inwieweit trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass die GIMF
nach der Inhaftierung ihres österreichischen Leiters unter Übernahme der
Verantwortung für die deutschsprachige Propaganda durch Irfan Peci mit
Unterstützung des BND weiterarbeiten konnte?

h) Welchen generellen Einfluss hatte nach Kenntnis der Bundesregierung
die unter der Leitung von Irfan Peci über die GIMF verbreitete Propa-
ganda auf die Radikalisierung von Islamistinnen und Islamisten im
deutschsprachigen Raum?

i) Inwieweit hält die Bundesregierung die Beihilfe zur Betreibung eines In-
ternetportals zur Verbreitung von Propaganda für Al Qaida durch den
BND generell mit den gesetzlichen Grundlagen und mit den Aufgaben der
Behörde für vereinbar?

j) Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der möglichen
Beihilfe des BND zur Verbreitung von Al-Qaida-Propaganda im Internet
für den zukünftigen Umgang der Geheimdienste mit derartigen Projek-
ten?

7. Über welche Arbeitsgruppen, Foren, Datensysteme wurden zwischen dem
Bundesamt für Verfassungsschutz und dem BND Daten und operative Infor-
mationen ausgetauscht, und auf welcher Rechtsgrundlage fand die Zusam-
menarbeit statt?

8. Mit welcher Software wurden die in Zusammenhang mit Irfan Peci gewon-
nenen Daten, insbesondere solche aus sozialen Netzwerken, Internetforen,
Chats etc. gewonnenen Daten, jeweils beim Bundesamt für Verfassungs-
schutz und beim BND ausgewertet?

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9. In welchem Umfang und zu welchem Zeitpunkt wurden die zuständigen Gre-
mien des Deutschen Bundestages über die Vorgänge im Zusammenhang mit
Irfan Peci und der GIMF unterrichtet?

Berlin, den 10. Dezember 2015

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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