BT-Drucksache 18/7016

Die deutschen Beziehungen zu Kasachstan

Vom 7. Dezember 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/7016
18. Wahlperiode 07.12.2015

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Annette Groth, Dr. André Hahn,

Dr. Alexander S. Neu, Alexander Ulrich und der Fraktion DIE LINKE.

Die deutschen Beziehungen zu Kasachstan

Am 1. Januar 2016 wird Deutschland den Vorsitz der Organisation für Sicherheit
und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) übernehmen. In einer Zeit, die von Aus-
einandersetzungen und Spaltungen im OSZE-Raum gekennzeichnet ist, kommt
der Bundesregierung die Verantwortung zu, den Vorsitz für eine neue Entspan-
nungspolitik und eine Annäherung zu nutzen. Dazu gehört die Vertiefung der Be-
ziehungen zu den Nachfolgestaaten der Sowjetunion, darunter Kasachstan. Mit
Blick auf die geplante Tagung der Gemeinsamen deutsch-kasachischen Wirt-
schaftskommission im Mai 2016 in Schwerin bietet es sich an, Überlegungen über
die Weiterentwicklung der Beziehungen mit Kasachstan anzustellen.

Kasachstan gehört zu den wirtschaftlich erfolgreicheren Staaten im postsowjeti-
schen Raum. Ende der 1990er Jahre endete die wirtschaftliche Talfahrt, die die
ersten Jahre der Unabhängigkeit gekennzeichnet hatte. Seither wuchs das Brutto-
nationaleinkommen konstant um 6 bis 9 Prozent pro Jahr – mit Ausschlägen nach
oben (2001: + 13,5 Prozent) und, während der Weltwirtschaftskrise, nach unten
(2009: + 1,2 Prozent). Kasachstan ist eines der rohstoffreichsten Länder der Erde.
Es verfügt über bedeutende Vorkommen an Erdöl, Erdgas, Steinkohle, Uran und
vielen weiteren Rohstoffen. Das Land gehört zu den zehn wichtigsten Erdölliefe-
ranten Deutschlands.

Kasachstan hat seine Getreideproduktion in den letzten 15 Jahren stark ausgebaut
und exportiert 4 bis 5 Millionen Tonnen Getreide im Jahr. Kasachstan ist Anrai-
ner der neuen Seidenstraße. Handelswege, die die Volksrepublik China mit Eu-
ropa verbinden, führen durch Kasachstan und machen das Land zu einem gefrag-
ten Partner für Staaten und Unternehmen, die in Zentralasien investieren wollen.

Kasachstan ist in der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit eng mit den
entscheidenden Akteuren geostrategischer Veränderungen in der Welt, China,
Russland und Indien, verbunden. Der kasachische Präsident, Nursultan Nasarba-
jew, gilt als Initiator für die Eurasische Union.

In Kasachstan leben noch 180 000 Menschen, die sich der deutschen Minderheit
zurechnen. Gedeihliche deutsch-kasachische Beziehungen können eine Brücke
bauen zwischen der deutschen Minderheit in Kasachstan und jenen Kasachs-
tan-Deutschen, die nach Deutschland ausgereist sind. Eine Möglichkeit dafür se-
hen Verantwortliche darin, in Kasachstan deutschsprachige Ausbildungsgänge,
besonders im Gesundheitswesen und in der Landwirtschaft einzurichten. Eine
weitere Möglichkeit könnte darin bestehen, Kasachstan-Deutsche gezielt für die
Arbeit in Projekten der deutsch-kasachischen Zusammenarbeit anzuwerben.
Auch auf der zivilgesellschaftlichen Ebene bestehen Potenziale, die auszubauen

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und für die Weiterentwicklung der Beziehungen zu nutzen wären, etwa im Ju-
gend- und Studierendenaustausch, in der Zusammenarbeit im Sport und im Tou-
rismus.

Kasachstan hat 2015 die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert und unter-
nimmt zahlreiche Aktivitäten für deren Umsetzung, um Menschen mit Behinde-
rungen Chancengleichheit, Selbstbestimmung und umfassende Teilhabe am Le-
ben in der Gesellschaft zu ermöglichen. Das Parlament, die Regierung sowie die
Behindertenorganisationen Kasachstans sind sehr an den Erfahrungen aus
Deutschland auf dem Gebiet der Behindertenpolitik interessiert. Seit mehreren
Jahren gibt es diesbezüglich auch verschiedene Aktivitäten, unter anderem einen
regelmäßigen Erfahrungsaustausch mit dem Allgemeinen Behindertenverband in
Deutschland e. V. Wünsche bestehen auch zum Austausch von Erfahrungen hin-
sichtlich der Entwicklung des Barrierefreien Tourismus, gegebenenfalls auch mit
einem gemeinsamen Pilotprojekt mit „Tourismus für Alle Deutschland e. V. –
NatKo“ im Zusammenhang mit der EXPO 2017 in der Hauptstadt Astana.

Zum gesellschaftlichen Dialog zwischen Deutschland und Kasachstan gehört
auch die Auseinandersetzung mit der gemeinsamen Geschichte. Als Republik der
Sowjetunion hat auch Kasachstan Anteil an der Niederschlagung des deutschen
Faschismus. 1,2 Millionen Kasachinnen und Kasachen dienten während des
Zweiten Weltkriegs in der Roten Armee. Hunderttausende, die aus den westlichen
Frontgebieten der Sowjetunion evakuiert oder zwangsumgesiedelt wurden, muss-
ten in Kasachstan aufgenommen werden, darunter fast 1 Million Polen und Deut-
sche.

Im Jahr 2010 war Kasachstan Gastgeber des Gipfeltreffens der OSZE. Das Land
kann eine aktive Rolle als Vermittler zwischen Ost und West einnehmen. Im Zu-
sammenhang mit der Suche nach Lösungswegen für die Ukrainekrise wird immer
häufiger die Idee einer neuen europäischen Sicherheitsarchitektur erörtert. Die
kasachischen Erfahrungen in Vorbereitung und Durchführung der OSZE-Gipfel-
konferenz in Astana dürften dabei von Interesse sein.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Anstrengungen werden unternommen, um den Warenaustausch zwi-
schen Deutschland und Kasachstan zu fördern?

2. Welche Anstrengungen werden unternommen, um deutsche Investitionen in
Industrie, Landwirtschaft, Wissenschaft und Bildung sowie Tourismus zu er-
höhen?

3. Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Energiewirt-
schaft?

4. Wie verpflichtet die Bundesregierung die deutschen Unternehmen, die in Ka-
sachstan investieren, zur Einhaltung von arbeitsrechtlichen, sozialen und
ökologischen Mindeststandards?

Welche Erfahrungen gibt es in dieser Hinsicht in der Zusammenarbeit mit
staatlichen Stellen in Kasachstan?

5. Welche Überlegungen werden angestellt, um sich an Projekten der Seiden-
straße zu beteiligen?

6. Welche Zusammenarbeit gibt es zwischen Kasachstan und Deutschland in
der Raumfahrt?

7. Wie nimmt die Bundesregierung die Auswirkungen der EU-Sanktionen ge-
gen Russland auf die Wirtschaft Kasachstans und auf seine wirtschaftlichen
Beziehungen zu Deutschland und anderen EU-Staaten wahr?

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8. Wie können gegebenenfalls solche negativen Auswirkungen eingedämmt
oder ausgeglichen werden?

9. Welche Vorstellungen hat die Bundesregierung davon, wie die von der Bun-
deskanzlerin Dr. Angela Merkel in ihrer Rede in Davos im Januar 2015 dar-
gelegte Vision eines Wirtschaftsraums von „Wladiwostok bis Lissabon“ zu
realisieren wäre?

10. Welche Überlegungen hinsichtlich einer neuen europäischen Sicherheitsar-
chitektur, die vertrauensbildend wirkt, werden in Vorbereitung des deutschen
OSZE-Vorsitzes angestellt?

11. Wie sieht die Bunderegierung die Situation der Menschenrechte in Kasachs-
tan und deren Entwicklung in den zurückliegenden Jahren?

12. Gibt es seitens der Bundesregierung Überlegungen, im Bildungssektor mit
Kasachstan zusammenzuarbeiten und dabei auch die deutsche Minderheit so-
wie das Thema „Inklusive Bildung“ ins Blickfeld zu nehmen?

13. Gibt es seitens der Bundesregierung Überlegungen, in der Zusammenarbeit
mit Kasachstan verstärkt auf die Expertise von kasachisch-stämmigen Deut-
schen zu setzen?

14. Welche politische und finanzielle Unterstützung erfährt der Eurasische Klub
in Berlin, der 2012 von Präsident Nasarbajew eröffnet worden war, durch die
Bundesregierung?

15. Wie wird der Reformprozess in Kasachstan bewertet und in der Zusammen-
arbeit begleitet?

16. Welche Städtepartnerschaften existieren zwischen Deutschland und Kasach-
stan (bitte die Städte und den Beginn der Partnerschaften nennen), und wel-
che Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, solche Partnerschaften zu för-
dern?

17. Kann die Bundesregierung den Stand des Jugend- und Studierendenaustau-
sches zwischen Kasachstan und Deutschland sowie die Potenziale eines wei-
teren Ausbaus der entsprechenden Instrumente darstellen?

18. Welche Aktivitäten hat die Bundesregierung seit 2009 zur Förderung des Er-
fahrungsaustauschens zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention
auf staatlicher und zivilgesellschaftlicher Ebene unternommen (bitte Jahr,
Aktivitäten und aufgewendete Bundesmittel nennen), und in welcher Weise
waren dabei die Behindertenorganisationen beider Staaten eingebunden?

Welche Aktivitäten sind diesbezüglich in den Jahren 2016 und 2017 geplant?

19. Kann die Bundesregierung den Stand und die Entwicklungsmöglichkeiten in
der sportpolitischen Zusammenarbeit darstellen, mit besonderer Berücksich-
tigung des Behindertensports?

20. Welche Formen und Aktivitäten der Zusammenarbeit auf tourismuspoliti-
schem Gebiet sind der Bundesregierung bekannt und welche Aktivitäten (seit
dem Jahr 2013) wurden durch sie gefördert bzw. unterstützt?

Welche Rolle spielen dabei Fragen der Ökologie sowie des barrierefreien
Tourismus?

21. In welcher Form findet eine gemeinsame Aufarbeitung der Geschichte, ins-
besondere des Zweiten Weltkrieges, statt?

 

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22. Wie sieht die Bundesregierung die Rolle Kasachstans in der internationalen
Politik, insbesondere in Zentralasien vor dem Hintergrund der Mitgliedschaft
in der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit?

Berlin, den 4. Dezember 2015

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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