BT-Drucksache 18/6868

Mobilitätspartnerschaften und das Grenzmanagement der Europäischen Union

Vom 30. November 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/6868
18. Wahlperiode 30.11.2015

Kleine Anfrage

der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Annette Groth, Heike Hänsel, Inge Höger,
Andrej Hunko, Niema Movassat und der Fraktion DIE LINKE.

Mobilitätspartnerschaften und das Grenzmanagement der Europäischen Union

Ein zentraler Bestandteil des seit dem Jahr 2005 bestehenden Gesamtansatzes für
Migration und Mobilität (GAMM – Global Approach to Migration and Mobility),
der einen Rahmen für die Zusammenarbeit der Europäischen Union (EU) mit
Drittländern in den Bereichen Migration und Asyl darstellt und als Ergänzung der
EU-Politik in außen- und entwicklungspolitischen Angelegenheiten dient, sind
sogenannte Mobilitätspartnerschaften (www.consilium.europa.eu/de/meetings/
international-summit/2015/11/11-valletta-summit-press-pack/). Sie sollen die ge-
zielte Suche nach Arbeitskräften mit Übereinkünften darüber verbinden, dass die
„Partnerländer“ ihre Bürgerinnen und Bürger nach Ablauf von deren Arbeitsvisa
„zurücknehmen“ und ansonsten in Kooperation mit der EU Maßnahmen zur Ver-
hinderung unerwünschter Migration durch den Aufbau von Kapazitäten, gemein-
same operative Maßnahmen, die Verbesserung der Grenzüberwachung und des
Grenzmanagements und eine grenzüberscheitende Zusammenarbeit durchführen
(www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2012_S25_adt.pdf).
Mobilitätspartnerschaften sind von der EU bisher mit Kap Verde (2008), Moldau
(2008), Georgien (2009), Armenien (2011), Aserbaidschan (2013) und Marokko
(2013) geschlossen worden. Im Jahr 2014 wurden Abkommen mit Tunesien
(März) und Jordanien (Oktober) unterzeichnet. Mit Ausnahme von Kap Verde
und Aserbaidschan ist Deutschland an allen Mobilitätspartnerschaften beteiligt
(www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Publikationen/EMN/Nationale-Berichte/
emn-policy-report-2014-germany.pdf?__blob=publicationFile).

Der Begriff Mobilitätspartnerschaft und die Rede vom erleichterten Personenver-
kehr sind jedoch trügerisch: Europas zentrales Interesse liege darin, im Rahmen
der Partnerschaft ein sogenanntes Rückübernahmeabkommen zu schließen, das
Abschiebungen erleichtert (www.proasyl.de/de/news/detail/news/eu_schliesst
_mobilitaetspartnerschaft_mit_tunesien/).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Spielten für die Bundesregierung die sogenannten Mobilitätspartnerschaften
bei den Verhandlungen auf dem EU-Afrika-Gipfel in Valletta eine besonders
hervorgehobene Rolle?

2. Teilte nach Kenntnis der Bundesregierung die Europäische Kommission die
möglicherweise besondere Betonung der Mobilitätspartnerschaften?

Wenn nein, warum nicht?

Drucksache 18/6868 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

 

3. Mit welchen afrikanischen Ländern müssten nach Auffassung der Bundesre-
gierung in welchem Zeitrahmen entsprechende Mobilitätspartnerschaften ab-
geschlossen werden, um eine nach den Vorstellungen der Bundesregierung
„gesteuerte Migration“ zu ermöglichen?

4. Beteiligt sich Deutschland an der „Mobilitätspartnerschaft“ der EU mit Tu-
nesien, vor dem Hintergrund, dass sich die Bundesregierung von Anfang an
konstruktiv und aktiv in die Verhandlungen eingebracht und eine Teilnahme
Deutschlands in Aussicht gestellt hatte, weil Tunesien nicht nur ein wichtiger
politischer Partner, sondern auch ein bedeutendes Transitland für Migranten
sei (Bundestagsdrucksache 18/270)?

5. Inwieweit gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung bereits konkrete Re-
gelungen bezüglich der mit Tunesien nach Abschluss der Mobilitätspartner-
schaft einhergehenden Mandate

a) zur Aushandlung eines Rückübernahmeabkommens zwischen der EU und
Tunesien,

b) zur Verhandlung von Visaerleichterungen, z. B. durch die Möglichkeit
zur Erteilung von Visa für mehrfache Einreisen oder für längerfristige
Aufenthalte und zur Gewährung einer Befreiung von den Antragsgebüh-
ren für bestimmte Personengruppen,

c) zur Unterstützung der Stärkung der Fähigkeiten der tunesischen Behörden
im Bereich Grenzmanagement, Dokumentensicherheit und Korruptions-
bekämpfung, um sogenannte irreguläre Migration weiter einzudämmen,

d) zur Unterstützung bei der Bekämpfung krimineller Vereinigungen, die in
Schleusung, Menschenhandel und sonstige Arten der transnationalen Kri-
minalität verwickelt sein sollen,

e) zur Unterstützung beim Umgang mit Opfern von Menschenhandel,

f) zur Unterstützung der tunesischen staatlichen Stellen im Bereich Asyl und
internationaler Schutz wie unter anderem die Weiterentwicklung der ein-
schlägigen nationalen Rechtsvorschriften Tunesiens im Einklang mit den
internationalen Standards, insbesondere dem Genfer Abkommen von
1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und dem zugehörigen Pro-
tokoll von 1967, und im Einklang mit der tunesischen Verfassung sowie

g) zur Unterstützung Tunesiens bei der Schaffung nationaler Verwaltungs-
kapazitäten für die Durchführung dieser Rechtsinstrumente und die För-
derung der Zusammenarbeit der Verwaltungsstellen mit dem Hohen
Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, UNHCR (Bundestags-
drucksache 18/270)?

6. Wann genau sollen nach Kenntnis der Bundesregierung die Verhandlungen
zur Vereinbarung eines Visaerleichterungsabkommens sowie eines Rück-
übernahmeabkommens mit Tunesien beginnen, und wer wird an den einzel-
nen Verhandlungsrunden teilnehmen?

7. Was ist der Bundesregierung über Beteiligte eines dreijährigen Projektes der
Europäischen Kommission zur Reform des Sicherheitssektors in Tunesien
bekannt, das im Rahmen des laufenden Aktionsplans 23 Mio. Euro umfassen
soll (Bundestagsdrucksache 18/6421)?

a) Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus den Berichten
von zwei zugrunde liegenden Peer Reviews zur Evaluierung des Sicher-
heitssektors sowie des Grenzmanagements, deren Aussagen von ihr
grundsätzlich mitgetragen werden?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/6868

 

b) Welche Ergebnisse des Berichts bilden „eine wesentliche Grundlage“ für
die bilaterale Unterstützung der Bundesregierung „beim Kapazitätsaufbau
Grenzschutz in Tunesien“?

c) Für welche „laufenden Polizei- und Grenzpolizei-Projekte“ in Tunesien
ist „eine Fortführung“ für das Jahr 2016 geplant, und welche entsprechen-
den Vorbereitungen sind hierzu „im Gange“?

d) Welchen neuen Stand kann die Bundesregierung zu Verhandlungen über
die Neuauflage des deutschtunesischen bilateralen Sicherheitsabkom-
mens mitteilen, und wann soll es unterzeichnet werden?

8. Welche einzelnen Teilvorhaben zur Modernisierung des Sicherheitssektors
im Allgemeinen und der Verbesserung der Grenzsicherheit sind nach Kennt-
nis der Bundesregierung geplant (Bundestagsdrucksache 18/6421)?

a) Welche näheren Einzelheiten kann die Bundesregierung zur Errichtung
von drei Lagezentren an den Grenzen zu Algerien und Libyen mitteilen,
und mit welchem Ergebnis wurden die Verhandlungen „seitens der EU-
Kommission mit der tunesischen Seite“ hierzu abgeschlossen?

b) Wann genau soll das Projekt begonnen werden?

9. Was ist der Bundesregierung über einzelne Beiträge der britischen und itali-
enischen Regierung zur Mobilitätspartnerschaft bzw. zum Grenzmanage-
ment in Tunesien bekannt, die laut einem Ratsdokument „Unterstützung
im Bereich des Grenzmanagements“ sowie technische Ausrüstung zur
Verbesserung der Grenzüberwachung anbieten (Kommissionsdokument
SWD(2014) 173 final)?

10. Inwiefern sind nach Kenntnis der Bundesregierung im Rahmen des EU-Pro-
gramms auch Pilotprojekte hinsichtlich der freiwilligen Rückkehr nach Tu-
nesien geplant, und um welche handelt es sich dabei?

11. Wer soll nach Kenntnis der Bundesregierung an der „Formulierung einer na-
tionalen Strategie für Migrationsmanagement“ und einem entsprechenden
Aktionsplan mitarbeiten (Kommissionsdokument SWD(2014) 173 final)?

a) Was ist der Bundesregierung über Beteiligte und Ziele einer „Analyse
zum Grenzmanagement“ bekannt?

b) Was ist der Bundesregierung über Pläne zur Einrichtung einer „Internet-
plattform zu Migration“ in Tunesien bekannt?

12. Wie ist nach Kenntnis der Bundesregierung der aktuelle Stand der Gespräche
hinsichtlich geplanter bzw. angestrebter Mobilitätspartnerschaften mit
Ghana und Senegal?

13. Waren „Rückführungen“ und „Rückübernahmen“ für die Bundesregierung
in den Verhandlungen auf dem EU-Afrika-Gipfel in Valletta von besonders
herausragender Bedeutung für den zu beschließenden Aktionsplan?

Wenn ja, warum konnte sich die Bundesregierung nicht durchsetzen, so dass
der entsprechende Abschnitt erst unter Punkt 5. und damit als letzter Punkt
aufgeführt wird (www.statewatch.org/news/2015/nov/eu-council-valletta-
version-5-13768-15.pdf)?

14. Wurde der Abschnitt zu „Rückführungen“ und „Rückübernahmen“ als letz-
ter Punkt aufgeführt, um damit gegenüber den afrikanischen Staaten entge-
genzukommen, weil diese zum Teil lediglich eine freiwillige Rückkehr ak-
zeptieren bzw. den Vorrang einräumen würden (www.tagesspiegel.de/politik
/gipfel-auf-malta-europa-und-afrika-kontinente-im-clinch/12573226.html)?

Drucksache 18/6868 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

 

15. Inwieweit trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass viele der am
EU-Afrika-Gipfel teilnehmenden afrikanischen Staaten nicht nur Herkunfts-
und Transitländer, sondern zugleich mehrheitlich Aufnahmeländer sind, die
für die Deckung der Bedürfnisse der Migrantinnen und Migranten sowie
Flüchtlinge auf Unterstützung angewiesen sind?

16. Inwieweit gab es nach Kenntnis der Bundesregierung im vor, während
und/oder nach dem Gipfel in Valletta Kritik afrikanischer Staaten an der Po-
litik der EU und der Bundesregierung, die Verantwortung für Flüchtlinge so-
wie Migrantinnen und Migranten an andere Staaten abzuschieben oder Ent-
wicklungszusammenarbeit zu missbrauchen, um migrationspolitische Ko-
operationen im Sinne enggeführter, europäischer und deutscher Interessen
durchzusetzen (fluechtlingsforschung.net/folgen-der-eu-fluechtlingspolitik/)?

17. Auf welche konkrete Art und Weise hat sich die Bundesregierung im Rah-
men ihres „Migrationsdialoges“ mit der Türkei dafür eingesetzt, dass die
Ziele des EU-Aktionsplans zur Türkei erreicht werden (Bundestagsdrucksa-
che 18/6695)?

18. Welche weiteren Angaben kann die Bundesregierung zu Projekten machen,
die im Rahmen der bilateralen Ausbildungs- und Ausstattungshilfe „zu
Gunsten der Türkei zur Verfügung gestellt“ werden und die vom Bundesmi-
nisterium des Innern mit „Schulungsmaßnahmen im Bereich der Grenzüber-
wachung (See-/Flussgrenze), Lehr- und Methodenkompetenz (Qualifizie-
rung und Betreuung von Personal für internationale Friedensmissionen) so-
wie polizeiliche Kommunikationsstrategien/Konfliktmanagement bei Groß-
veranstaltungen“ bezeichnet werden (Bundestagsdrucksache 18/6695)?

19. Worum handelte es sich bei der in der Zeit vom 9. bis 13. November 2015
durchgeführten Folgemaßnahme zum abgeschlossenen „EU-Twinningpro-
jekt Training of Border Police“ mit der Türkei zum Thema „Polizeiliche
Kommunikationsstrategie/Konfliktmanagement bei Großveranstaltungen“
(Bundestagsdrucksache 18/6695)?

20. Welche Ergebnisse zeitigten die Gespräche der Europäischen Union mit der
Türkei über eine vorzeitige Anwendung der völkervertraglich ab 1. Oktober
2017 bestehenden Verpflichtung zur Rückübernahme von Drittstaatsangehö-
rigen (Bundestagsdrucksache 18/6695)?

21. Welche weiteren Details kann die Bundesregierung zu Verhandlungen zur
„Vereinfachung der Anwendung des unmittelbar anwendbaren Rücküber-
nahmeabkommens“ mitteilen, welches die Bundesregierung derzeit mit der
Türkei verhandelt (Bundestagsdrucksache 18/6695)?

22. Welche Angaben bzw. Maßnahmen soll das angestrebte Durchführungspro-
tokoll zur Vereinfachung der Anwendung des unmittelbar anwendbaren
Rückübernahmeabkommens enthalten, das derzeit zwischen Deutschland
und der Türkei verhandelt wird (Bundestagsdrucksache 18/6695)?

23. Inwiefern wären auch Drittstaatenangehörige von dem bilateralen Rücküber-
nahmeabkommen zwischen Deutschland und der Türkei erfasst?

24. Inwieweit gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung bereits konkrete Be-
strebungen der EU zu den Verhandlungen mit Afghanistan über ein Rück-
übernahmeabkommen, wie von der Bundesregierung gewollt (www.faz.net/
aktuell/politik/kanzleramt-macht-druck-afghanen-sollen-abgeschoben-
werden-13874407.html)?

25. In welchen Gebieten und Regionen in Afghanistan genau befinden sich aus
Sicht der Bundesregierung sogenannte Schutzzonen, also Gebiete, die seitens
der Bundesregierung als sicher eingestuft werden, und wer sichert diese
aktuell (www.deutschlandfunk.de/peter-altmaier-zur-fluechtlingspolitik-wir-
koennen.694.de.html?dram:article_id=335741)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/6868

 

26. Inwieweit will die Bundesregierung diese sogenannten Schutzzonen zu „in-
nerstaatlicher Fluchtalternativen“ deklarieren, um die Entscheidungsgrund-
lagen für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) daran an-
zupassen (www.n-tv.de/politik/Wie-Deutschland-Afghanen-loswerden-will-
article16282116.html)?

27. Inwieweit sieht die Bundesregierung nach ihrer Kenntnis das Ziel der zwi-
schen der EU und Äthiopien am 11. November 2015 unterzeichneten Ge-
meinsamen Agenda für Migration und Mobilität (CAMM – Common
Agenda on Migration and Mobility), „die die Bedeutung von Äthiopien als
einem zentralen Herkunfts-, Transit- und Zielland für irreguläre Migranten
und Flüchtlinge vom Horn von Afrika“ widerspiegele, perspektivisch eine
Mobilitätspartnerschaft auszuhandeln (europa.eu/rapid /press-release_IP-
15-6050_de.htm)?

Berlin, den 30. November 2015

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
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