BT-Drucksache 18/6797

Mögliche rechtsextreme Tendenzen innerhalb der Alternative für Deutschland

Vom 18. November 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/6797
18. Wahlperiode 18.11.2015

Kleine Anfrage

der Abgeordneten Ulla Jelpke, Frank Tempel, Sevim Dağdelen, Kerstin Kassner,
Katrin Kunert, Halina Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE.

Mögliche rechtsextreme Tendenzen innerhalb der Alternative für Deutschland

Der Essener Parteitag der Alternative für Deutschland (AfD) im Juli 2015 sowie
der nachfolgende Parteiaustritt ihres früheren Vorsitzenden Bernd Lucke werden
vielfach als Rechtsruck der zuvor schon in deutlicher Nähe zur islam- und frem-
denfeindlichen PEGIDA-Bewegung stehenden Partei interpretiert. So wurde die
Debatte über den Umgang mit einer gestiegenen Zahl von Flüchtlingen von der
AfD zur Stimmungsmache gegen die Schutzsuchenden und die Bundesregierung
genutzt. In diesem Zusammenhang sprach sich der nordrhein-westfälische Lan-
desvorsitzende der AfD Marcus Pretzell für den Einsatz von „Waffengewalt“ ge-
gen Flüchtlinge zur Verteidigung der deutschen Grenze als „Ultima Ratio“ aus –
eine Position, der Parteivize Alexander Gauland ausdrücklich beipflichtete
(www.spiegel.de/politik/deutschland/afd-auch-gauland-fuer-schusswaffengebrauch-
gegen-fluechtlinge-a-1060718.html).

Politiker von CDU und SPD – wie der hessische Ministerpräsident Volker Bouf-
fier (CDU) und Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) – aber auch Parteienforscher
sehen die AfD mittlerweile in die „rechtsextreme Ecke“ abrutschen bzw. „offen
rechtsradikal“ auftreten. Der nach dem Essener Parteitag ausgetretene frühere
AfD-Vize-Vorsitzende Hans-Olaf Henkel bezeichnete die von ihm mitbegrün-
dete Partei gar als „eine Art NPD-light“ (www.abendblatt.de/politik/article
206551875/AfD-rutscht-in-rechtsextreme-Ecke-ab.html; www.zeit.de/politik/
deutschland/2015-10/afd-rechtsradikal-gabriel; www.stuttgarter-nachrichten.de/
inhalt.interview-die-afd-ist-auf-der-kippe-zum-rechtsextremismus.878d1cd4-088f-
498e-8a75-43693afa50f1.html; www.n-tv.de/politik/Henkel-sieht-in-AfD-eine-
NPD-light-article16309276.html).

Tatsächlich beteiligten sich mehrfach NPD-Mitglieder und andere Neo-
nazis an AfD-Demonstrationen. Der „Deutschlandfunk“ berichtet von Hooli-
gans, rechten Kameradschaften und Mitgliedern des Thüringer NPD-Landes-
vorstandes auf Demonstrationen der AfD in Erfurt. Das Rechercheportal
thüringen-rechtsaussen.net zählte dort unter mehreren Tausend Demonstrations-
teilnehmerinnen und -teilnehmern Neonazis im unteren dreistelligen Bereich so-
wie Vertreterinnen und Vertreter anderer extrem rechter Gruppierungen wie der
„Identitären Bewegung“, der „Europäischen Aktion“ sowie der Neonazipartei
„Die Rechte“. Gegenüber antifaschistischen Gegendemonstrantinnen und -de-
monstranten sei es aus der AfD-Demonstration heraus zu Rufen wie „Geht
doch ins Gas!“, „Ihr seid die ersten, die an die Wand gehören!“, „Deutsch-
land den Deutschen!“, „Ausländer raus!“ und „Judenpack!“ gekommen. Zudem
seien Hitlergrüße gezeigt worden (www.deutschlandfunk.de/demonstration-in-
erfurt-afd-und-npd-gemeinsam-gegen-die.862.de.html?dram:article_id=333406;

Drucksache 18/6797 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

 

thueringenrechtsaussen.wordpress.com/2015/09/21/thuringer-afd-demonstriert-
gemeinsam-mit-neonazis-eine-auswahl/).

An einer bundesweit mobilisierten AfD-Demonstration gegen die Flüchtlingspo-
litik der Bundesregierung mit rund 5 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern am
7. November 2015 beteiligten sich eine größere Gruppe erkennbarer Neonazis
einschließlich eines Berliner NPD-Landesvorstandsmitglieds sowie eine Reihe
von rechtsgerichteten Hooligans unter anderem des Berliner „Bündnis Deutscher
Hools“ sowie Anhängerinnen und Anhänger der extrem rechten Identitären Be-
wegung. Am Rande des Aufzugs kam es zu Übergriffen von rund 60 bayerischen
AfD-Anhängern auf Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer antirassistischen Ge-
genkundgebung. Medienvertreter wurden mehrfach beschimpft und bedrängt
(www.neues-deutschland.de/artikel/990520.afd-aufmarsch-mit-pfefferspray-
durchgesetzt.html).

Der Brandenburger AfD-Landtagsabgeordnete Andreas Kalbitz beteiligte sich
Anfang November 2015 in der ersten Reihe hinter einem Transparent mit der Bot-
schaft „Wenn eine Regierung ihr Volk austauscht, muss das Volk seine Regierung
austauschen“ an einer fremdenfeindlichen Demonstration, an der auch NPD-Mit-
glieder teilnahmen. Andreas Kalbitz ist zudem wegen seines Vorsitzes des als
rechtsextrem eingestuften Vereins „Kultur- und Zeitgeschichte, Archiv der Zeit“
in die Kritik geraten (www.maz-online.de/Brandenburg/Der-Brandenburger-
AfD-Landtagsabgeordnete-Andreas-Kalbitz-geraet-wegen-einer-Mitgliedschaft
-in-einem-rechten-Verein-unter-Druck; www.maz-online.de/Brandenburg/
Asylfeindliche-Proteste-mit-Hunderten-Teilnehmern).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche verfassungsschutzrelevanten Erkenntnisse liegen der Bundesregie-
rung über die Alternative für Deutschland (AfD) vor?

2. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Übernahme von Funk-
tionärsposten bei der AfD durch (ehemalige) Mitglieder rechtsextremer Par-
teien?

3. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über eine frühere Mitgliedschaft
von AfD-Mandatsträgerinnen und AfD-Mandatsträgern in rechtsextremen
Parteien?

4. Sind der Bundesregierung Äußerungen rassistischen, fremdenfeindlichen
oder volksverhetzenden Charakters durch Vertreterinnen und Vertreter der
AfD oder deren Veröffentlichungen bekannt, und wenn ja, welche, wann und
von wem?

5. Bestehen nach Kenntnis der Bundesregierung Kontakte der AfD oder einzel-
ner ihrer führenden Funktionärinnen und Funktionäre oder Mandatsträgerin-
nen und Mandatsträger zu rechtsextremen oder rechtsextrem beeinflussten
Vereinigungen, und wenn ja, zu welchen, und welcher Art sind diese Kon-
takte?

6. Bestehen nach Kenntnis der Bundesregierung Kontakte der AfD oder einzel-
ner ihrer führenden Funktionärinnen und Funktionäre oder Mandatsträgerin-
nen und Mandatsträger zu rechtsextremen Personen im In- und Ausland, und
wenn ja, zu welchen, und welcher Art sind diese Kontakte?

7. Inwieweit bestehen nach Kenntnis der Bundesregierung Kontakte der AfD
oder einzelner ihrer führenden Funktionärinnen und Funktionäre oder Man-
datsträgerinnen und Mandatsträger ins rechtsgerichtete Hooligan-Milieu,
und wenn ja, welche im Einzelnen?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/6797

 

8. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über eine Teilnahme von
AfD-Mitgliedern, -Funktionärinnen und -Funktionären sowie -Mandatsträ-
gerinnen und -Mandatsträgern an rechtsextremen oder rechtsextrem beein-
flussten Aufzügen (bitte Ort, Datum, Thema und Veranstalter des Aufzuges
sowie teilnehmende AfD-Funktionäre oder -Mandatsträger benennen)?

9. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über eine Beteiligung von Ne-
onazis und Rechtsextremisten oder Angehörigen rechtsextrem beeinflusster
Gruppierungen an AfD-Aufzügen oder -Veranstaltungen (bitte Ort, Datum,
Thema und Art der Veranstaltung/des Aufzugs sowie teilnehmende rechts-
extreme Gruppierungen benennen)?

a) Wie hat sich nach Kenntnis der Bundesregierung die AfD auf Bundes-
ebene und jeweils in den Ländern zur Beteiligung von Rechtsextremen an
ihren Aufzügen oder Veranstaltungen positioniert?

Gibt es Hinweise, wonach die AfD solche Gruppierungen oder Einzelper-
sonen sogar aktiv eingeladen oder deren Beteiligung zumindest billigend
in Kauf genommen hat?

b) Inwieweit kam es nach Kenntnis der Bundesregierung anlässlich von
AfD-Aufzügen oder -Veranstaltungen zu einschlägigen Straf- oder Ge-
walttaten von Seiten von Teilnehmerinnen und Teilnehmern (bitte Ort,
Datum, Thema und Art der Veranstaltung/des Aufzugs sowie Art der
Straftat benennen)?

c) Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über verbale Beschimpfungen
und Drohungen oder physische Bedrängungen einschließlich Angriffen
gegen Vertreterinnen und Vertretern der Medien durch Teilnehmerinnen
und Teilnehmer von AfD-Aufzügen?

d) Wie hat sich die AfD-Führung nach Kenntnis der Bundesregierung ange-
sichts möglicher Gewalttaten, Angriffe auf Journalistinnen und Journalis-
ten, fremdenfeindlicher oder volksverhetzender Äußerungen oder Trans-
parente auf AfD-Aufzügen positioniert?

10. Wie begründet der Vizekanzler Sigmar Gabriel seine Äußerung, die AfD sei
„offen rechtsradikal“, und welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesre-
gierung gegebenenfalls aus dieser Einschätzung (www.zeit.de/politik/
deutschland/2015-10/afd-rechtsradikal-gabriel)?

11. Falls die Bundesregierung an ihrer Einschätzung festhält, es handele sich bei
der AfD nicht um eine rechtsextremistische Bestrebung bzw. eine Bestre-
bung im Sinne des § 3 Absatz 1 Nummer 1 des Bundesverfassungsschutzge-
setzes, hält sie die dem Extremismusansatz verpflichtete Konzeption des
Verfassungsschutzes angesichts der Gefährdung von Flüchtlingen und ihren
Unterstützerinnen und Unterstützern im Geist einer „gruppenbezogenen
Menschenfeindlichkeit“ im Milieu dieser Partei noch für zeitgemäß?

Berlin, den 18. November 2015

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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