BT-Drucksache 18/6672

Stand Kohlereserve und dessen energie- und klimapolitischer Nutzen

Vom 4. November 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/6672
18. Wahlperiode 04.11.2015

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Oliver Krischer, Annalena Baerbock, Dr. Julia Verlinden,
Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl, Christian Kühn (Tübingen), Steffi Lemke,
Peter Meiwald und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Stand Kohlereserve und dessen energie- und klimapolitischer Nutzen

Anfang Juli 2015 haben die Parteivorsitzenden der Regierungsfraktionen von
CDU/CSU und SPD eine Reihe von Maßnahmen zur zukünftigen Ausgestaltung
des Strommarktes beschlossen. Wesentliche Fragen sollen in einem Strommarkt-
gesetz beantwortet werden, welches nach Informationen der Fragesteller im No-
vember 2015 im Bundeskabinett beschlossen und dann dem Deutschen Bundes-
tag zugeleitet werden soll. Besonders umstritten sind die geplanten Subventionen
an Braunkohlekraftwerksbetreiber auf Kosten der Stromkunden. Große Teile der
Energiewirtschaft und die Umweltverbände sprechen sich gegen diese Lösung
aus (siehe dazu u. a. die Stellungnahmen zum Referentenentwurf des Strom-
marktgesetzes, www.bmwi.de/DE/Themen/Energie/Strommarkt-der-Zukunft/
Strommarkt-2-0/stellungnahmen-gesetzentwurf.html).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Korrespondenz (Gespräche, Briefwechsel, E-Mail-Verkehr) zwi-
schen der Bundesregierung und den Energieunternehmen RWE, Vattenfall
und MIBRAG gab es im Hinblick auf die Einrichtung der Sicherheitsbereit-
schaft von Braunkohlekraftwerken (Kohlereserve; bitte Teilnehmerinnen
bzw. Teilnehmer, Datum und wesentlichen Inhalt angeben)?

2. Auf welcher Grundlage ist das Bundesministerium für Wirtschaft und Ener-
gie „zuversichtlich“, dass die Kohlereserve „beihilferechtlich genehmi-
gungsfähig ist und in dem laufenden formellen Verfahren abschließend ge-
klärt werden kann“ (www.bmwi.de/DE/Presse/pressemitteilungen,did=
736020.html)?

3. Welche Gespräche zwischen der Bundesregierung und der Europäischen
Kommission gab es zur Beihilfeproblematik (bitte Teilnehmerinnen bzw.
Teilnehmer, Datum und wesentlichen Inhalt angeben), und welche konkreten
Bedenken wurden diesbezüglich von Seiten der Europäischen Kommission
geäußert?

4. Was unternimmt die Bundesregierung, falls im laufenden Verfahren die
Europäische Kommission die Kohlereserve als nicht genehmigungsfähig er-
achtet (etwa wie im Fall der PKW-Maut geschehen), und wie will sie dann
die CO2-Reduktionsziele erreichen?

5. Von welchen Entschädigungsansprüchen gegenüber den Braunkohlekonzer-
nen geht die Bundesregierung aus, wenn die Braunkohlereserve aufgrund ih-
rer Nicht-EU-Konformität unzulässig ist?

Drucksache 18/6672 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
6. Nach welchen Kriterien erfolgte die Auswahl der Kraftwerksblöcke im Rah-
men der Kohlereserve bei den Gesprächen zwischen der Bundesregierung
und den Kraftwerksbetreibern?

7. Rechnet die Bundesregierung damit, dass die Kraftwerksbetreiber von der
Möglichkeit der vorzeitigen endgültigen Stilllegung nach § 13g Absatz 6 des
Strommarktgesetzes Gebrauch machen, und wie begründet sie diese Mög-
lichkeit angesichts der angeblichen Notwendigkeit der Kohlereserve für die
Systemstabilität?

8. Welche Stelle oder Institution soll nach Auffassung der Bundesregierung
operativ und unabhängig die Prüfung der Emissionsreduktion nach § 13g
Absatz 8 Satz 1 des Energiewirtschaftsgesetzes (neu; EnWG) übernehmen
und wird das Ergebnis dieser Prüfung zum 30. Juni 2018 öffentlich zugäng-
lich gemacht werden, und wenn ja, wo?

9. Kann die Bundesregierung ausschließen, dass neben den Gesamtkosten von
„230 Mio. Euro pro Jahr über sieben Jahre“ (www.bmwi.de/DE/ Presse/
pressemitteilungen,did=736020.html) keine weiteren Kosten anfallen, ge-
rade vor dem Hintergrund von vorherigen Zahlen bzgl. einer Einmalzahlung
an die Kohlekraftwerksbetreiber?

10. Erachtet die Bundesregierung die von RWE angegebene Zahl von bis zu
1 000 wegfallenden Arbeitsplätzen infolge der Kohlereserve (www.welt.de/
regionales/nrw/article148056944/Aus-fuer-Braunkohle-Revier-bangt-um-
3000-Jobs.html) als realistisch, während Vattenfall entsprechende betriebs-
bedingte Kündigungen ausschließt (www.rbb-online.de/wirtschaft/thema/
2014/kohle/welzow/beitraege/zwei-bloecke-weniger-in-jaenschwalde.html),
und wenn nein, mit welchen Zahlen rechnet die Bundesregierung?

11. Wie ist es aus Sicht der Bundesregierung zu begründen, dass beim ersten
Vorschlag der Kohleabgabe sechsstellige Arbeitsplatzverluste angegeben
wurden (www.mdr.de/nachrichten/bsirske-protest-braunkohle-klimaabgabe-
gabriel100.html), während beim aktuellen Vorschlag mit bis zu 4 000 direk-
ten und indirekten Arbeitsplatzverlusten kalkuliert wird (www.focus.de/
finanzen/boerse/wirtschafts-news-ifo-konjunkturindex-truebt-sich-ein_id_
5038384.html)?

12. Erachtet die Bundesregierung es als gerechtfertigt, dass die Wälzung der
Kohlereserve über die Netzentgelte stattfindet, vor dem Hintergrund, dass
dabei die Verbraucherinnen und Verbraucher stärker als die Industrie durch
die Befreiungen der Industrie in § 19 Absatz 2 der Stromnetzverordnung
(StromNEV) belastet werden (bitte begründen)?

13. Welcher Anteil der Gesamtkosten von über 1,6 Mrd. Euro für die Kohlere-
serve wird nach Kenntnis der Bundesregierung auf die von Ausnahmetatbe-
ständen entlastete Industrie entfallen, und wie hoch wäre dieser Anteil, gäbe
es die Ausnahmen nicht?

14. Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Fragesteller, dass die Kosten
der Kohlereserve und der weiteren Instrumente mindestens das Doppelte des
ursprünglich geplanten Klimabeitrages betragen, und falls nein, von welcher
Mehrbelastung geht die Bundesregierung aus?

15. Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Fragesteller, dass mit den
Braunkohlekraftwerken Frimmersdorf und Niederaußem (die laut Szenario-
rahmen des Netzentwicklungsplans in keinem der Szenarien 2025 mehr
Strom liefert und Niederaußem dort bereits 2019 stillgelegt werden soll)
Kraftwerksblöcke in die Reserve kommen, die infolge ihres Alters ohnehin
hätten abgeschaltet werden müssen (bitte begründen)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/6672
16. Hatte die Bundesregierung Kenntnis davon, dass RWE bereits mehrmals an-
gekündigt hat, Frimmersdorf bereits 2018 stillzulegen bzw. dass die Blöcke
in Niederaußem bereits zur Stilllegung angemeldet sind (Hintergrundpapier
der Klima Allianz zu Frimmersdorf „Abschaltung von Braunkohlekraftwer-
ken – Klima-Allianz warnt vor Trickserei und fordert weitere Stilllegungen)
bzw. Stilllegungsliste der BNetzA), und wenn ja, warum werden die Kraft-
werke dennoch in eine Reserve aufgenommen?

17. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass mit dem Auslaufen des Ta-
gebaus Schöningen nach 2016 das Braunkohlekraftwerk Buschhaus
(MIBRAG) sowieso stillgelegt worden wäre, und wie rechtfertigt sie in die-
sem Zusammenhang die Subvention über die Kohlereserve?

18. Ist nach Ansicht der Bundesregierung die in § 13i Absatz 5 EnWG (neu)
benannte „weitere Einsparung von bis zu 1,5 Millionen Tonnen CO2“ klima-
politisch in jedem Fall ausreichend zur Erreichung des durch die Reserve zu
erreichenden Reduktionszieles (von 12,5 Millionen Tonnen CO2) und wenn
ja, auf welche Berechnungen gründet sich diese Einschätzung?

19. Können im Rahmen der vorgesehenen Evaluation 2018 weitere Kraftwerks-
stillegungen bzw. Überführungen in eine Reserve in Erwägung gezogen wer-
den, und wenn ja, könnten nach Ansicht der Bundesregierung daraus zusätz-
lich erwachsende der Reduktionen über die in § 13i Absatz 5 EnWG (neu)
benannte „weitere Einsparung von bis zu 1,5 Millionen Tonnen CO2“ hin-
ausgehen?

20. Hält die Bundesregierung es für gerechtfertigt, dass der fossile Kraftwerks-
park, der für gut ein Drittel der derzeitigen rund 900 Millionen Tonnen CO2
verantwortlich ist, nun lediglich eine Emissionsminderung von 11 bis
12,5 Millionen Tonnen erbringen soll, obwohl im Aktionsprogramm Klima-
schutz das Doppelte vorgesehen war?

21. Welche zusätzlichen Maßnahmen im fossilen Kraftwerkspark wird die Bun-
desregierung unternehmen, um die 22 Millionen Tonnen CO2-Reduktion ge-
mäß des Aktionsprogramms Klimaschutz zu erreichen?

22. Wie hoch ist nach Kenntnis der Bundesregierung der Emissionsminderungs-
effekt der Kohlereserve (bitte nach einzelnen Kraftwerksblöcken aufschlüs-
seln)?

23. Wie hoch sind die Kosten pro zusätzlicher eingesparter Tonne CO2 nach
Kraftwerksblöcken, und welche anderen Instrumente führen nach Berech-
nungen der Bundesregierung bzw. ihr bekannten Berechnungen zu geringe-
ren Kosten pro eingesparter Tonne CO2?

24. Wie will die Bundesregierung Planungssicherheit für die betroffenen Unter-
nehmen und Beschäftigten sicherstellen, wenn die Betreiber geeignete zu-
sätzliche Maßnahmen vorschlagen sollen, sofern sich bis 2018 die CO2-Re-
duktion nicht wie geplant entwickelt hat?

25. Erachtet die Bundesregierung die Zeitspanne von zehn Tagen bis zur Be-
triebsbereitschaft bzw. elf Tagen bis zur Nettonennleistung von Kohlekraft-
werken in der Kohlereserve als angemessen angesichts des immer höher wer-
denden Anteils erneuerbarer Energien und der damit erforderlichen schnellen
und flexiblen Fahrweise von Kraftwerken?

26. Wie lange braucht ein durchschnittliches fossiles Kraftwerk (bitte unter-
scheiden nach Brennstoffart) zum Erreichen der Betriebsbereitschaft, der
Mindestteilleistung und der Nettonennleistung, und wie lange brauchen nach
Kenntnis der Bundesregierung die in § 13g Absatz 1 EnWG (neu) aufgeführ-
ten Kraftwerksblöcke?

Drucksache 18/6672 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
27. Auf Grundlage welcher Berechnungen hat sich die Bundesregierung auf die
zehn bzw. elf Tage festgelegt, und welche weiteren Optionen standen im
Raum?

28. Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Fragesteller, dass dies eine In-
flexibilität darstellt, die keinen wesentlichen Beitrag zur Versorgungssicher-
heit leistet (bitte begründen)?

29. Wie präzise ist in Bezug auf Zeit und Erzeugungsmenge die Prognose zur
Erzeugung von Wind und Solar heute?

30. Was geschieht mit dem Strom, welcher zum Anfahren der Kohlekraftwerke
auf Mindestlast unweigerlich produziert wird, und wo wird dieser Strom ver-
äußert bzw. genutzt, und welche Effekte ergeben sich daraus, und wird diese
Stromproduktion, welche ggf. veräußert wird, gegen die Subventionen an die
Kohlekraftwerksbetreiber gegengerechnet, falls nein, warum nicht?

31. Kann die Bundesregierung definitiv ausschließen, dass Kohlekraftwerke
nach Ende der Kontrahierung in der Kohlereserve unter Erstattung der erhal-
tenen Zahlungen und gegebenenfalls einer Pönale an den Strommarkt zu-
rückkehren?

32. Weshalb soll die Betriebsbereitschaft im Rahmen der Kohlereserve bei über
zehn Tagen liegen und bei der Kapazitätsreserve nur acht Stunden, und wäre
nicht eine schnellere Betriebsbereitschaft bei der Kohlereserve angebracht?

Berlin, den 4. November 2015

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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