BT-Drucksache 18/6650

EU-Trilogverhandlungen für mehr Patientensicherheit bei Medizinprodukten nutzen

Vom 11. November 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/6650
18. Wahlperiode 11.11.2015

Antrag
der Abgeordneten Kordula Schulz-Asche, Dr. Harald Terpe, Maria
Klein-Schmeink, Elisabeth Scharfenberg, Dr. Franziska Brantner,
Katja Dörner, Kai Gehring, Tabea Rößner, Ulle Schauws, Doris Wagner,
Beate Walter-Rosenheimer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

EU-Trilogverhandlungen für mehr Patientensicherheit bei
Medizinprodukten nutzen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Seit vielen Jahren wird in der Öffentlichkeit immer wieder über unzureichend ge-
prüfte, fehlerhafte oder sogar gefälschte Implantate berichtet. Die Geschädigten ha-
ben die damit verbundenen Schmerzen und zusätzliche Operationen zu ertragen. Ne-
ben den psychischen und physischen Belastungen, müssen die Geschädigten z. T.
die finanziellen Belastungen des Austauschs tragen, oder die Beitragszahlerinnen
und -zahler der Krankenkassen müssen einspringen, da die Haftung der Hersteller
nicht ausreicht. Wir haben es in Einzelfällen mit betrügerischem Handeln zu tun, wie
beispielsweise beim Skandal um mit Industriesilikon gefüllten Brustimplantaten des
französischen Produzenten PIP, der einer der größten Hersteller in diesem Bereich
war. Immer wieder wird über fehlerhafte Hüftimplantate berichtet und aktuell auch
über Bandscheibenprothesen (Hannoversche Allgemeine, 9.10.15, Schmerzensgeld
nach Prothesenpfusch?), die nach kurzer Zeit ausgetauscht werden müssen. Be-
troffene Patientinnen und Patienten werden in diesem Fall vermutlich keine Chance
auf Schadensersatz oder Schmerzensgeld haben, da der Hersteller insolvent sein soll.
Zu beobachten ist das Hopping von Herstellern zur nächsten Benannten Stelle, nach-
dem die erste eine Zertifizierung abgelehnt und/oder Studien verlangt hat, wie kürz-
lich bei einem Mikro-Herzschrittmacher (Spiegel, 23.7.15 gefährlicher Taktgeber)
geschehen, der nun trotz massiver Sicherheitsbedenken europaweit auf dem Markt
ist.

Dass Handlungsbedarf besteht, hat auch die Europäische Kommission gesehen, die
im September 2014 den Entwurf einer Medizinprodukteverordnung (COM(2012)
542 bzw. 2012/0266 (COD)) vorlegte. Vorgesehen sind dort u.a. strengere Auflagen
und Kriterien für die nationalen Behörden zur Benennung und Überwachung Be-
nannter Stellen, die Rückverfolgbarkeit durch eindeutige Identifikationsnummer so-
wie durch den Implantatepass und unangekündigte Inspektionen bei Herstellern.

Diese Vorschläge gehen in die richtige Richtung, reichen aber bei weitem nicht aus,
um die Sicherheit der Patientinnen und Patienten umfassend zu gewährleisten.

Das Europäische Parlament (April 2014) und der Europäische Rat (Oktober 2015)
haben zum vorgelegten Entwurf Ergänzungen vorgeschlagen. Das Parlament z. B.

Drucksache 18/6650 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

eine verpflichtende Produkthaftpflichtversicherung, spezialisierte „Besondere Be-
nannte Stelle“ für die Bewertung von Hochrisiko-Medizinprodukten, mehr Transpa-
renz über Ergebnisse aller klinischer Prüfungen inklusive einer laienverständlichen
Zusammenfassung, die explizite Festschreibung der Berücksichtigung ethischer
Grundsätze der medizinischen Forschung am Menschen und die Genehmigung kli-
nischer Prüfungen durch Ethikkommissionen. Vorschläge des Rates waren z. B. die
Einschränkung von Gleichartigkeitsbewertungen, damit mehr eigene klinische Prü-
fung vorgelegt werden müssen, oder die Berücksichtigung von Aspekten des „klini-
schen Nutzens“ bei der Zertifizierung.

Bedauerlicherweise hat es weder im Europäischen Parlament noch im Rat eine
Mehrheit dafür gegeben, die Zulassung und Marktüberwachung implantierbarer
Hochrisiko-Medizinprodukten grundlegend zu reformieren. Dass durch eine staatli-
che Zulassung problematische Produkte schwerer auf den Markt kommen, zeigt der
Blick in die USA. Der Rat lehnt sogar den Vorschlag des Europaparlamentes ab,
diese Hochrisiko-Produkte zumindest durch „Besondere Benannte Stellen“, die z. B.
erhöhte (Personal)Anforderungen erfüllen müssen, zu bewerten. Das ist unverständ-
lich, denn wer an eine Einwegspritze (Risikoklasse IIa) das CE-Kennzeichen vergibt,
kann noch lange keinen Herzschrittmacher oder ein Hüftgelenk (Risikoklasse III)
und deren klinische Prüfung bewerten.

Deutschland und weitere europäische Staaten lehnen zudem eine verpflichtende Pro-
dukthaftpflichtversicherung der Hersteller ab. Sie nehmen damit in Kauf, dass Pati-
entinnen und Patienten trotz berechtigter Schadensansprüche mit leeren Händen da-
stehen, wenn Firmen Insolvenz anmelden.

Im Oktober 2015 begannen die Trilogverhandlungen der EU-Kommission, des Eu-
ropaparlaments und des Rates, die bis Ende 2015 beendet sein sollen. Dieser Prozess
sollte genutzt werden, um Patienteninteressen vor die der Hersteller zu stellen und
notwendige Verbesserungen vorzusehen.

Über diese Trilogverhandlungen hinausgehend, bleibt perspektivisch für implantier-
bare Hochrisiko-Medizinprodukte ein mit dem Arzneimittelbereich vergleichbares
staatliches System zur Marktzulassung und Marktüberwachung notwendig. Ebenso
besteht weiterhin nationaler Handlungsbedarf etwa die Einführung einer echten frü-
hen Nutzenbewertung und eines verpflichtenden Registers zur Langzeitbeobachtung
von implantierbaren Hochrisiko-Medizinprodukten sowie eine bessere Umsetzung
der geltenden Meldepflichten von Vorkommnissen inkl. Sanktionierung (siehe Bun-
destagsdrucksache 17/8920).

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

sich im Rat und hier insbesondere in der Ratsarbeitsgruppe Arzneimittel und Medi-
zinprodukte sowie im Ausschuss der Ständigen Vertreter

1. bei der Vorbereitung der aktuellen Trilogverhandlungen zur Medizinprodukte-
verordnung insbesondere dafür einzusetzen, dass

• ein für Hersteller verpflichtender Abschluss einer Produkthaftpflichtversiche-
rung mit ausreichender Deckung für alle Hochrisiko-Medizinprodukte und alle
Implantate verankert wird,

• für Hochrisiko-Medizinprodukte und Implantate deutlich höhere Anforderun-
gen an das Personal der Zertifizierungsstellen vorgesehen werden („Besondere
Benannte Stellen“),

• die ergänzende Bewertung der Expertenkommission nicht auf implantierbare
Medizinprodukte der Klasse III beschränkt wird, sondern für alle Medizinpro-
dukte der Risikoklasse III (z. B. auch für Herzkatheter) und alle Implantate (auch
der Risikoklasse IIb wie z. B. Intraokularlinsen) vorgesehen wird,

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/6650
• die Transparenz deutlich erhöht wird, das heißt, dass Informationen zu Konfor-
mitätsbewertungen und Vorkommnissen zugänglich gemacht werden sowie alle
Studien zu Medizinprodukten der Klasse III und Implantaten in einem Studien-
register erfasst und öffentlich zugänglich gemacht werden und um eine laien-
verständliche Zusammenfassung ergänzt werden,

• für Hochrisiko-Medizinprodukte und Implantate qualitativ hochwertige klini-
sche Prüfungen zum Nachweis der Wirksamkeit und nicht nur die technische
Leistungsfähigkeit und Sicherheit des Produkts verpflichtend durchgeführt wer-
den müssen,

• die ethischen Grundsätze des Weltärztebundes für die medizinische Forschung
am Menschen (Deklaration von Helsinki) bei klinischen Prüfungen explizit fest-
geschrieben und die Genehmigung klinischer Prüfungen von Medizinprodukten
durch Ethikkommissionen vorgesehen werden.

2. diese Punkte entsprechend angepasst auch in die Vorbereitungen des Rates zu
den Trilogverhandlungen der In-Vitro-Diagnostika-Verordnung COM(2012)
541 bzw. 2012/0267 (COD) einzubringen.

Berlin, den 10. November 2015

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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