BT-Drucksache 18/6648

Auf der Klimakonferenz in Paris die Weichen für mehr Klimaschutz und globale Gerechtigkeit stellen

Vom 11. November 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/6648
18. Wahlperiode 11.11.2015

Antrag
der Abgeordneten Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, Claudia
Roth (Augsburg), Uwe Kekeritz, Sylvia Kotting-Uhl, Oliver Krischer,
Christian Kühn (Tübingen), Steffi Lemke, Peter Meiwald, Dr. Julia Verlinden,
Harald Ebner, Matthias Gastel, Stephan Kühn (Dresden), Nicole Maisch,
Friedrich Ostendorff, Markus Tressel, Dr. Valerie Wilms und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Auf der Klimakonferenz in Paris die Weichen für mehr Klimaschutz
und globale Gerechtigkeit stellen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Auf der Klimakonferenz der Vereinten Nationen in Paris (COP 21) muss die Staa-
tengemeinschaft einen gewichtigen Beitrag dazu leisten, dass die Welt einen nach-
haltigen Entwicklungspfad einschlägt. Es geht dabei darum, ein neues internationa-
les Klimaabkommen zu beschließen, das das wenig ambitionierte Kyoto-Klimapro-
tokoll ablöst. Ziel ist es, ab 2020 alle Staaten der Welt zu einer wirksamen Minde-
rung von Treibhausgasemissionen zu verpflichten.

Angesichts der seit Jahren zähen und schwierigen Verhandlungen ist klar, dass die-
ser neue für Paris angestrebte Weltklimavertrag nicht zu allen Fragen konkrete Ver-
einbarungen enthalten wird. Mindestens jedoch muss eine Einigung erzielt werden,
die neben einem knappen völkerrechtlich bindenden Teil weitere ergänzende Ele-
mente unterschiedlicher Verbindlichkeit enthält sowie dem Prinzip der gemeinsa-
men, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten gerecht wird (CBDR). So kann es
gelingen, Länder mit einzubeziehen, die sich bisher einer umfassenden völkerrecht-
lichen Verpflichtung verweigert haben.

Die am 23. Oktober 2015 in Bonn zu Ende gegangene letzte Arbeitskonferenz des
Rahmenübereinkommens der Vereinten Nationen über Klimaänderungen (UN-
FCCC) hat gezeigt, dass in Paris noch viele Entscheidungen getroffen werden müs-
sen. Zwar wurde in Bonn ein Text verabschiedet, der die Verhandlungsgrundlage für
das Pariser Abkommen bildet. Doch das 51 Seiten lange Dokument enthält noch
zahlreiche Widersprüche und strittige Formulierungen, die es aufzulösen gilt.

Als weiteren Schritt in Vorbereitung auf die COP 21 hat das UNFCCC-Klimasekre-
tariat am 30. Oktober 2015 die nationalen Klimaschutzzusagen ausgewertet, die In-
tended Nationally Determined Contributions (INDCs), die 146 Länder bis zum
1. Oktober 2015 für die Verhandlungen in Paris eingereicht haben. Das Ergebnis
zeigt: Wir bewegen uns auf eine Welt zu, die im günstigsten Fall eine Erwärmung
von 2,7 Grad erreicht. Das ist zu wenig, um die Klimakrise abzuwenden.

Drucksache 18/6648 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Ein nüchterner Blick auf die Zahlen zeigt, wie ernst die Lage ist: Der Kohlendioxid-
Gehalt der Atmosphäre ist so hoch wie nie zuvor. Zum ersten Mal seit Beginn der
Klimaaufzeichnungen hat er im globalen Durchschnitt – also nicht nur an einzelnen
Messstellen – die kritische Marke von 400 parts per million überschritten. Auch
Deutschlands Beitrag dazu ist nicht unerheblich. In den ersten drei Monaten dieses
Jahres haben wir bereits so viele Treibhausgase ausgestoßen, wie uns 2050 für das
gesamte Jahr zur Verfügung stehen werden, wenn wir das 2-Grad-Limit nicht über-
schreiten wollen. Klimaexperten warnen vor den dramatischen Folgen, wenn wir so
weitermachen wie bisher: Anstieg des globalen Meeresspiegels um bis zu 50 Meter,
Hitzewellen und Dürren, Wirbelstürme, Fluten und Gewitter, ganz zu schweigen
vom Verlust von über einer Million Tier- und Pflanzenarten.

Vor diesem Hintergrund geht die internationale Organisation für Migration in ihren
mittleren Szenarien von über 200 Millionen Klimaflüchtlingen bis 2050 aus. Die
Klimakrise – die hauptsächlich von den Industrienationen verursacht wird – gefähr-
det damit die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Rechte großer und besonders
verwundbarer Bevölkerungsgruppen im globalen Süden. Die Erderwärmung zu be-
grenzen, ist daher vor allem auch eine Gerechtigkeitsfrage. Gerade deshalb ist die
Aufgabe der COP 21 nicht nur, Klimaschutz voranzutreiben, sondern zugleich glo-
bal gerechte Lösungen für die unvermeidbare Anpassung an den Klimawandel zu
erarbeiten. Den Industriestaaten kommt hierbei als historische Verursacher der Kli-
makrise eine besondere Verantwortung zu. Deshalb müssen sie einen herausgehobe-
nen Beitrag leisten, indem sie die Länder des globalen Südens bei der Anpassung an
den Klimawandel und bei der Emissionsminderung genauso unterstützen wie bei der
Bewältigung der Schäden aus der Klimakrise. Doch auch die Schwellenländer stehen
in der Verantwortung, ihren Beitrag zum Klimaschutz zu leisten.

Dabei gilt: Je später wir gegen Klimaerwärmung handeln, desto größer werden die
Herausforderungen, vor denen unsere Gesellschaften stehen. Deshalb müssen die
Staaten der Welt auf der COP 21 gemeinsam mutige und ehrgeizige Antworten fin-
den. Nur so sind mehr Lebensqualität für alle und ein Leben innerhalb der ökologi-
schen Grenzen des Planeten möglich.

Vieles wird in Paris davon abhängen, wie ambitioniert und glaubwürdig die Bundes-
regierung im Vorfeld und auf der Konferenz auftritt. Tatsächlich präsentiert sie sich
international anders, als sie zu Hause handelt, bestes Beispiel war der G7-Gipfel in
Elmau. Dort hatte die Kanzlerin die internationale Bühne genutzt, um sich als ver-
meintliche Klimaschützerin zu inszenieren. Doch wenige Tage später zeigte sie in
der nationalen Politik ihr wahres Gesicht – als Kohlekanzlerin, indem sie der vorge-
schlagenen Klimaabgabe auf schmutzige Kohlekraftwerke die Unterstützung ver-
weigerte.

Deutschland muss sich endlich wieder an die Spitze derjenigen Länder begeben, die
für mehr Klimaschutz und globale Gerechtigkeit einstehen. Das bedeutet einerseits,
das deutsche Klimaziel von 40 Prozent Minderung der CO2-Emissionen bis 2020
gegenüber 1990 ernst zu nehmen und umzusetzen. Andererseits gehört zu einer deut-
schen Vorreiterrolle auch, sich auf EU-Ebene für mehr Klimaschutz einzusetzen und
den fairen deutschen Anteil an der Klimafinanzierung für die ärmsten Länder zu
leisten.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/6648
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

im Rahmen der Verhandlungen in Paris für ein neues Klimaabkommen mindestens
darauf zu dringen, dass

• das übergeordnete und langfristige Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 bis höchstens
2 Grad Celsius zu begrenzen, völkerrechtlich bindend in einem neuen Abkom-
men verankert wird;

• die Mitgliedstaaten ihre INDCs durch nationale Dekarbonisierungsfahrpläne un-
termauern müssen;

• ein verbindlicher Mechanismus zur regelmäßigen Überprüfung nach maximal
fünf Jahren und Nachschärfung der nationalen Minderungsziele eingeführt wird;

• das Abkommen ein Bekenntnis zu einer dekarbonisierten Gesellschaft bis Mitte
dieses Jahrhunderts beinhaltet mit Bezugnahme zu den Erkenntnissen des jüngs-
ten IPCC-Berichts, dass dafür zwei Drittel der fossilen Energieträger nicht ab-
gebaut werden dürfen;

• die internationale Finanzierung von Klimaschutzmaßnahmen in Höhe von
100 Milliarden US-Dollar jährlich ab 2020 als zentrales und gemeinschaftliches
Instrument ausgebaut und gestärkt wird für mehr Klimagerechtigkeit und Part-
nerschaften zwischen Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländern;

• mit diesen Mitteln vor allem, unter Einbeziehung starker sozialer und menschen-
rechtlicher Leitplanken, vom Klimawandel besonders betroffene Regionen bei
Anpassung finanziell und technisch unterstützt werden, das heißt, auch die Kli-
magelder neben dem Green Climate Fund weiterhin in den Least Developed
Countries Fund und Anpassungsfonds fließen zu lassen;

• insbesondere die Zusammenarbeit mit den am wenigsten entwickelten Ländern
(Least Developed Countries, LDC) beim Aufbau einer nachhaltigen und bezahl-
baren erneuerbaren Energieversorgung für alle und bei der Planung von sozial
verträglichen Kohleausstiegsstrategien gestärkt wird;

• die von der Klimakrise am härtesten getroffenen Staaten bei daraus resultieren-
den „Schäden und Verlusten“ unterstützt werden;

• das Prinzip der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten nach
dem Verursacherprinzip ernst genommen wird, das sowohl für die Industrie- als
auch für die Schwellenländer gilt und für alle Bereiche der Nachhaltigkeit gelten
muss;

mehr für den Klimaschutz zu tun, indem sie

• auf europäischer Ebene für eine Nachbesserung des EU-2030-Klimaziels
kämpft, damit Deutschland und die Europäische Union zumindest auf einen 2-
Grad-Pfad gelangen;

• sich auf europäischer Ebene für einen CO2-Mindestpreis im Rahmen des EU-
Emissionshandels einsetzt und einen solchen notfalls auch auf nationaler Ebene
einführt;

• einen Aufwuchsplan vorlegt, der bis 2020 dem fairen deutschen Anteil an den
international zugesagten Klimaschutzmitteln gerecht wird, und dafür sorgt, dass
sich bei den Klimamitteln die Gelder für die Entwicklungszusammenarbeit nicht
kannibalisieren;

• im Lichte des INDC-Prozesses ein Klimaschutzgesetz vorlegt, das bis 2050 jähr-
liche Reduktionsziele verbindlich festlegt und für die Sektoren Stromerzeugung,
Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft und Kreislaufwirtschaft neben Zielen auch
konkrete Klimaschutzmaßnahmen enthält;

Drucksache 18/6648 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

• auf nationaler Ebene den Kohleausstieg durch die Einführung von CO2-Grenz-
werten für fossile Kraftwerke einleitet und die Kohlefinanzierung im Ausland
komplett einstellt;

• endlich den Einsatz der Fracking-Technik zur Aufsuchung und Gewinnung von
Kohlenwasserstoffen verbietet;

• einen Plan für den schrittweisen Abbau der jährlich rund 50 Milliarden Euro an
umwelt- und klimaschädlichen Subventionen vorlegt, um bestehende Fehlan-
reize zu beseitigen und einen Beitrag zur Unterstützung und Finanzierung der
Energiewende und eines klimaverträglichen Wirtschaftens zu leisten.

Berlin, den 10. November 2015

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.