BT-Drucksache 18/6640

Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes

Vom 10. November 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/6640
18. Wahlperiode 10.11.2015

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Dr. André Hahn, Frank Tempel, Ulla Jelpke, Jan Korte,
Petra Pau, Martina Renner, Dr. Petra Sitte, Halina Wawzyniak und der
Fraktion DIE LINKE.

Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die
parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes

A. Problem

Die Aufgaben der Nachrichtendienste in der Bundesrepublik haben sich seit ihrer
Gründung Anfang der fünfziger Jahre erheblich verschoben. Dadurch stellten sich
Legitimations-, Kontroll- und Rechtsschutzfragen neu. Mit dem Stichwort der
»vernetzten Sicherheit«, das im Rahmen der Anti-Terror-Pakete zum General-
schlüssel einer neuen Sicherheitsarchitektur wurde, stellt insbesondere der un-
scharf abgegrenzte Raum der modernen Kommunikationsmittel (Internet, Satelli-
ten u. a.) neue Herausforderungen an die rechtlichen Grundlagen der parlamenta-
rische Kontrolle. Unter dem Deckmantel des sogenannten Anti-Terrorkampfes
geht in vielen Fällen die Rechtsstaatlichkeit verloren. Dabei hat sich innerhalb der
deutschen Dienste eine Eigendynamik bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ent-
wickelt, die eine allumfassende Kontrolle durch das Parlament de facto unmög-
lich macht. Befördert wird dieser Zustand dadurch, dass sich die Dienste auf weit-
reichende Geheimhaltungsbefugnisse berufen dürfen.

Bei Untersuchungen bis in die jüngste Zeit hinein konnte gezeigt werden, dass die
Kontrolle der Nachrichtendienste ein strukturelles Problem darstellt. Dies führt
zur grundsätzlichen Frage der Legitimität von Geheimdiensten in einer Demokra-
tie. Als Übergangslösung auf dem Weg zur Abschaffung der Geheimdienste ist
die gegenwärtige Ausgestaltung der parlamentarischen Kontrolle der nachrichten-
dienstlichen Tätigkeiten des Bundes dringend reformbedürftig. In diesem Zusam-
menhang muss das Gesetz über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienst-
licher Tätigkeit des Bundes (Kontrollgremiumgesetz – PKGrG) in verschiedener
Hinsicht geändert werden. Erweitert werden müssen auch die Kontroll- und In-
formationsrechte der Mitglieder des Deutschen Bundestages sowie des Ausschus-
ses für Verteidigung und des Innenausschusses, denen in der Regel Auskünfte von
der Bundesregierung mit Verweis auf das Parlamentarische Kontrollgremium ver-
weigert werden. Ein klar definierter rechtlicher Rahmen ist notwendig sowie die
Möglichkeit, ausreichend Expertise aufzubauen und Transparenz herzustellen.

Drucksache 18/6640 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

B. Lösung

Das Gesetz über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit
des Bundes (Kontrollgremiumgesetz – PKGrG) wird novelliert. Sowohl die Ver-
pflichtungen der Bundesregierung gegenüber dem Gremium als auch die Befug-
nisse des Gremiums werden konkretisiert und ausgeweitet. Darüber hinaus soll
die Möglichkeit geschaffen werden, durch die Weitergabe von Berichten berufe-
ner Sachverständiger an die zuständigen Kontrollgremien und Untersuchungsaus-
schüsse der Länderparlamente die Zusammenarbeit der Kontrollgremien zu ver-
bessern. Insbesondere die Rechte der Minderheit bzw. des einzelnen Mitglieds
werden gestärkt, um Kontrollmöglichkeiten zu verbessern, unter anderem durch
eine Stärkung der Klagemöglichkeit vor dem Bundesverfassungsgericht in stritti-
gen Fällen.

Mit dem Gesetz werden die Bundesregierung und die Nachrichtendienste auch
verpflichtet, unter Beachtung des § 17 der Geheimschutzordnung der Geschäfts-
ordnung des Deutschen Bundestages, Auskünfte gegenüber dem Ausschuss für
Verteidigung sowie dem Innenausschuss zu geben. Darüber hinaus haben künftig
die Mitglieder des Deutschen Bundestages das Recht, mindestens zwei Mal im
Jahr in einer öffentlichen Anhörung des Parlamentarischen Kontrollgremiums
Fragen an die jeweiligen amtierenden Präsidenten der Nachrichtendienste sowie
die für ihre Kontrolle zuständigen Bundesminister zu stellen.

C. Alternativen

Keine.

D. Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand

Keine.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/6640

Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die
parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes

Vom …

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1

Änderung des Kontrollgremiumgesetzes

Das Kontrollgremiumgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2346) wird
wie folgt geändert:

1. § 2 wird wie folgt geändert:

a) Absatz 1 wird wie folgt gefasst:

„(1) Der Deutsche Bundestag wählt zu Beginn jeder Wahlperiode die ordentlichen sowie stellver-
tretenden Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums aus seiner Mitte.“

b) Absatz 4 wird wie folgt gefasst:

„(4) Scheidet ein Mitglied aus dem Deutschen Bundestag oder seiner Fraktion aus oder wird es
Mitglied der Bundesregierung oder Parlamentarischer Staatssekretär, so verliert es seine Mitgliedschaft
im Parlamentarischen Kontrollgremium; § 3 Absatz 3 bleibt unberührt. Für dieses Mitglied ist unver-
züglich ein neues Mitglied zu wählen. Das Gleiche gilt, wenn ein Mitglied oder ein stellvertretendes
Mitglied aus dem Parlamentarischen Kontrollgremium ausscheidet.“

2. § 4 wird wie folgt geändert:

a) Absatz 1 wird wie folgt gefasst:

„(1) Die Bundesregierung unterrichtet das Parlamentarische Kontrollgremium selbstständig und
umfassend über die allgemeine Tätigkeit der in § 1 Absatz 1 genannten Behörden und über Vorgänge
von besonderer Bedeutung sowie über laufende und geplante Maßnahmen im Rahmen der nachrichten-
dienstlichen Tätigkeit. Auf Verlangen des Parlamentarischen Kontrollgremiums hat die Bundesregie-
rung auch über sonstige Vorgänge zu berichten.“

b) Nach Absatz 1 wird folgender Absatz 2 eingefügt:

„(2) Die Bundesregierung hat auf Verlangen den Innenausschuss des Bundestages über Vorgänge
unter Beteiligung des Bundesamtes für Verfassungsschutz sowie den Verteidigungsausschuss über Vor-
gänge unter Beteiligung des Militärischen Abschirmdienstes umfassend zu unterrichten und auf ent-
sprechenden Beschluss dem Innen- bzw. Verteidigungsausschuss auch zum jeweiligen Vorgang gehö-
rende Akten, Schriftstücke sowie Daten herauszugeben sowie die Befragung von Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern der Dienste zu ermöglichen. Die Unterrichtung hat unabhängig davon zu erfolgen, ob diese
Vorgänge ebenfalls Gegenstand des Parlamentarischen Kontrollgremiums sind. Verweigert die Bun-
desregierung die Unterrichtung ganz oder teilweise, hat sie das Parlamentarische Kontrollgremium über
die Gründe in Kenntnis zu setzen.“

c) Der bisherige Absatz 2 wird Absatz 3.

3. § 5 wird wie folgt geändert:

a) Absatz 1 wird wie folgt gefasst:

„(1) Soweit sein Recht auf Kontrolle reicht, kann das Parlamentarische Kontrollgremium auf Ver-
langen eines Mitgliedes von der Bundesregierung und den in § 1 genannten Behörden verlangen, Akten
oder andere in amtlicher Verwahrung befindliche Schriftstücke, gegebenenfalls auch im Original, her-
auszugeben und in Dateien gespeicherte Daten zu übermitteln sowie Zutritt zu sämtlichen Dienststellen
der in § 1 genannten Behörden zu erhalten.“

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b) Absatz 2 wird wie folgt gefasst:

„(2) Dem Parlamentarischen Kontrollgremium ist auf Verlangen eines Mitgliedes direkter Zugang
zu den Netzwerken der Informationstechnik der in § 1 Absatz 1 genannten Behörden zu gewähren,
sofern es sich um zurückliegende oder operative Vorgänge oder Leitungsentscheidungen handelt, für
die auch gegenüber der Bundesregierung eine Berichts- oder Informationspflicht besteht.“

c) Folgender Absatz 3 wird eingefügt:

„(3) Es kann auf Verlangen eines Mitgliedes Angehörige der Nachrichtendienste, Mitarbeiterin-
nen, Mitarbeiter und Mitglieder der Bundesregierung sowie Beschäftigte anderer Bundesbehörden nach
Unterrichtung der Bundesregierung befragen oder von ihnen schriftliche Auskünfte einholen. Die an-
zuhörenden Personen sind verpflichtet, vollständige und wahrheitsgemäße Angaben zu machen.“

d) Die bisherigen Absätze 3 und 4 werden die Absätze 4 und 5.

4. § 6 Absatz 1 wird wie folgt gefasst:

„(1) Die Verpflichtung der Bundesregierung nach den §§ 4 und 5 erstreckt sich auf Informationen und
Gegenstände, die der Verfügungsberechtigung der Nachrichtendienste des Bundes unterliegen sowie auf fol-
gende Vorgänge:

1. die nationalen als auch internationalen nachrichtendienstlichen Tätigkeiten der in § 1 genannten Behör-
den;

2. Verträge zur Kooperation im Bereich internationaler nachrichtendienstlicher Tätigkeiten. Diese müssen
den Mitgliedern des Parlamentarischen Kontrollgremiums vor Inkrafttreten zur Kenntnis gegeben wer-
den;

3. Dienst- und Verwaltungsvorschriften der in § 1 Absatz 1 genannten Behörden.“

5. Dem § 7 Absatz 2 Satz 3 wird folgender Satz angefügt:

„Unter Wahrung des Geheimschutzes können Berichte des Sachverständigen auf Verlangen der Mehrheit
der anwesenden Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums an die zuständigen Kontrollinstanzen
der Länderparlamente sowie an parlamentarische Untersuchungsausschüsse übermittelt werden.“

6. In § 8 Absatz 1 wird Satz 2 aufgehoben.

7. § 9 wird wie folgt geändert:

a) Absatz 1 wird aufgehoben.

b) Die Absatzbezeichnung „(2)“ wird gestrichen und der Wortlaut wird folgt gefasst:

„Die Entwürfe der jährlichen Wirtschaftspläne der Dienste werden dem Parlamentarischen Kon-
trollgremium zur Mitberatung überwiesen. Die Bundesregierung unterrichtet das Parlamentarische
Kontrollgremium über den Vollzug der Wirtschaftspläne im Haushaltsjahr.“

8. § 10 wird wie folgt geändert:

a) Absatz 1 wird wie folgt gefasst:

„(1) Die Beratungen des Parlamentarischen Kontrollgremiums sind geheim. Die Mitglieder des
Gremiums sind zur Geheimhaltung der Angelegenheiten verpflichtet, die ihnen bei ihrer Tätigkeit im
Parlamentarischen Kontrollgremium bekannt geworden sind. Dies gilt auch für die Zeit nach ihrem
Ausscheiden aus dem Gremium.“

b) Absatz 2 wird wie folgt gefasst:

„(2) Absatz 1 gilt nicht für Bewertungen bestimmter Vorgänge, wenn mindestens ein Drittel der
anwesenden Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums ihre vorherige Zustimmung erteilt
hat. In diesem Fall ist es jedem einzelnen Mitglied des Gremiums erlaubt, eine abweichende Bewertung
(Sondervotum) zu veröffentlichen.“

c) Die folgenden Absätze 4 bis 7 werden angefügt:

„(4) Bei wichtigen Vorgängen können Mitglieder ihre jeweiligen Fraktionsvorsitzenden unterrich-
ten. In diesem Fall gilt Absatz 1 nicht für diese Vorgänge.

(5) Absatz 1 gilt nicht für Vorgänge, die nach gewissenhafter Prüfung der Sach- und Rechtslage
und nach sorgfältiger Prüfung der widerstreitenden Interessen einen Verstoß gegen die verfassungsge-
mäße Ordnung des Bundes oder eines Landes im Bundestag erkennen lassen. In diesem Fall ist es keine

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/6640

Straftat im Sinne des Strafgesetzbuches und der Geheimschutzordnung, wenn dadurch ein Staatsge-
heimnis öffentlich wird, sofern damit beabsichtigt wird einen Bruch der Verfassung eines Landes oder
des Grundgesetzes abzuwehren.

(6) Über die Sitzungen des Parlamentarischen Kontrollgremiums ist ein Inhalts- und Beschluss-
protokoll zu erstellen. Darüber hinaus ist ein Tonmitschnitt anzufertigen, welcher auf Verlangen eines
Mitgliedes zur Einsichtnahme zur Verfügung zu stellen ist.

(7) Für Tonträger nach § 10 Absatz 6 ist der Zeitpunkt des Ablaufs der VS-Einstufung zu bestim-
men. Die Regelfrist beträgt 30 Jahre; es kann mit einer Mehrheit von zwei Dritteln im Parlamentari-
schen Kontrollgremium eine kürzere Frist bestimmt werden. Vor Ablauf der Frist sind die Tonträger
im Deutschen Bundestag zu archivieren.“

9. § 11 wird wie folgt geändert:

a) Absatz 1 wird wie folgt gefasst:

„(1) Die Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums haben das Recht, zur Unterstützung
ihrer Arbeit Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihrer Fraktion sowie bei ihnen angestellte Beschäftigte
nach Anhörung der Bundesregierung mit Zustimmung des Kontrollgremiums zu benennen. Vorausset-
zung für diese Tätigkeit ist die Ermächtigung zum Umgang mit Verschlusssachen und die förmliche
Verpflichtung zur Geheimhaltung.“

b) Absatz 2 wird wie folgt gefasst:

„(2) Die benannten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind befugt, die vom Gremium beigezogenen
Akten und Dateien einzusehen und die Beratungsgegenstände des Parlamentarischen Kontrollgremiums
mit den Mitgliedern des Gremiums zu erörtern. Sie haben grundsätzlich Zutritt zu den Sitzungen des
Kontrollgremiums, sofern im Einzelfall nichts anderes durch das Parlamentarische Kontrollgremium
beschlossen wird. § 10 Absatz 1 gilt entsprechend.“

10. Nach § 12 Absatz 1 Satz 1 wird folgender Satz eingefügt:

„Mindestens ein Viertel der Beschäftigten werden durch die Vertreter der Oppositionsfraktionen des Parla-
mentarischen Kontrollgremiums vorgeschlagen.“

11. § 13 wird wie folgt geändert:

a) Der Wortlaut wird Absatz 1.

b) Folgender Absatz 2 wird angefügt:

„(2) Mindestens zwei Mal im Jahr berichten die jeweiligen amtierenden Präsidenten der in § 1
Absatz 1 genannten Behörden sowie die für ihre Kontrolle zuständigen Bundesminister in einer öffent-
lichen Anhörung des Parlamentarischen Kontrollgremiums. Dabei ist neben den Mitgliedern des Parla-
mentarischen Kontrollgremiums auch allen anderen Mitgliedern des Bundestages das Fragerecht ein-
zuräumen.“

12. § 14 wird wie folgt gefasst:

„Das Bundesverfassungsgericht entscheidet über Streitigkeiten zwischen dem Parlamentarischen Kon-
trollgremium und der Bundesregierung auf Antrag der Bundesregierung oder einer Fraktion der Mitglieder
des Parlamentarischen Kontrollgremiums.“

Artikel 2

Inkrafttreten

Das Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.

Berlin, den 10. November 2015

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Drucksache 18/6640 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Begründung

A. Allgemeiner Teil

I. Zielsetzung und Notwendigkeit der Regelungen

Die Aufgaben der Nachrichtendienste in der Bundesrepublik haben sich seit ihrer Gründung Anfang der fünfziger
Jahre erheblich verschoben. Dadurch stellten sich Legitimations-, Kontroll- und Rechtsschutzfragen neu. Mit dem
Stichwort der »vernetzten Sicherheit«, das im Rahmen der Anti-Terror-Pakete zum Generalschlüssel einer neuen
Sicherheitsarchitektur wurde, stellt insbesondere der unscharf abgegrenzte Raum der modernen Kommunikati-
onsmittel (Internet, Satelliten u.a.) neue Herausforderungen an die rechtlichen Grundlagen der parlamentarische
Kontrolle. Unter dem Deckmantel des sogenannten Anti-Terrorkampfes geht in vielen Fällen die Rechtsstaatlich-
keit verloren. Dabei hat sich innerhalb der deutschen Dienste eine Eigendynamik bei der Wahrnehmung ihrer
Aufgaben entwickelt, die eine allumfassende Kontrolle durch das Parlament de facto unmöglich macht. Befördert
wird dieser Zustand dadurch, dass sich die Dienste auf weitreichende Geheimhaltungsbefugnisse berufen dürfen.

Bei Untersuchungen bis in die jüngste Zeit hinein konnte gezeigt werden, dass die Kontrolle der Nachrichten-
dienste ein strukturelles Problem darstellt. Dies führt zur grundsätzlichen Frage der Legitimität von Geheimdiens-
ten in einer Demokratie. Als Übergangslösung auf dem Weg zur Abschaffung der Geheimdienste ist die gegen-
wärtige Ausgestaltung der parlamentarischen Kontrolle der nachrichtendienstlichen Tätigkeiten des Bundes drin-
gend reformbedürftig. In diesem Zusammenhang muss das Gesetz über die parlamentarische Kontrolle nachrich-
tendienstlicher Tätigkeit des Bundes (Kontrollgremiumgesetz – PKGrG) in verschiedener Hinsicht geändert wer-
den. Erweitert werden müssen auch die Kontroll- und Informationsrechte der Mitglieder des Deutschen Bundes-
tages sowie des Ausschusses für Verteidigung und des Innenausschusses, denen in der Regel Auskünfte von der
Bundesregierung mit Verweis auf das Parlamentarische Kontrollgremium verweigert werden. Ein klar definierter
rechtlicher Rahmen ist notwendig sowie die Möglichkeit, ausreichend Expertise aufzubauen und Transparenz
herzustellen.

II. Wesentlicher Inhalt des Entwurfs

Das Gesetz über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes (Kontrollgremium-
gesetz – PKGrG) wird novelliert. Sowohl die Verpflichtungen der Bundesregierung gegenüber dem Gremium als
auch die Befugnisse des Gremiums werden konkretisiert und ausgeweitet. Darüber hinaus soll die Möglichkeit
geschaffen werden, durch die Weitergabe von Berichten berufener Sachverständiger an die zuständigen Kontroll-
gremien und Untersuchungsausschüsse der Länderparlamente die Zusammenarbeit der Kontrollgremien zu ver-
bessern. Insbesondere die Rechte der Minderheit bzw. des einzelnen Mitglieds werden gestärkt, um Kontrollmög-
lichkeiten zu verbessern, unter anderem durch eine Stärkung der Klagemöglichkeit vor dem Bundesverfassungs-
gericht in strittigen Fällen.

Mit dem Gesetz werden die Bundesregierung und die Nachrichtendienste auch verpflichtet, unter Beachtung von
§ 17 „Geheimschutzordnung“ der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages Auskünfte gegenüber dem Aus-
schuss für Verteidigung sowie dem Innenausschuss zu geben. Darüber hinaus haben künftig die Mitglieder des
Deutschen Bundestages das Recht, mindestens zwei Mal im Jahr in einer öffentlichen Anhörung des Parlamenta-
rischen Kontrollgremiums Fragen an die jeweiligen amtierenden Präsidenten der Nachrichtendienste sowie die
für ihre Kontrolle zuständigen Bundesminister zu stellen.

III. Alternativen

Keine.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/6640

B. Besonderer Teil

Zu Artikel 1

Zu Nummer 1

Gegenwärtig gibt es für das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr), anders als für alle anderen Gremien des
Bundestages, keinerlei verbindliche Stellvertreterregelung. Das Kontrollgremium besteht aus neun Mitgliedern,
wobei die beiden kleinen Fraktionen lediglich ein Mitglied im PKGr haben. Im Falle einer Erkrankung oder an-
derweitigen Ausfalls sind insbesondere diese Fraktionen womöglich über einen langen Zeitraum überhaupt nicht
im PKGr vertreten. Dies soll mit der vorgeschlagenen Neuregelung verändert werden.

Zu Nummer 2

Durch die vorgeschlagene Neufassung des § 4 Absatz 1 und 2 soll die Informationspflicht der Bundesregierung
dahingehend erweitert werden, dass sie das Kontrollgremium künftig auch über laufende und geplante Maßnah-
men im Rahmen der nachrichtendienstlichen Tätigkeit unterrichten muss.

Darüber hinaus soll klargestellt werden, dass durch die Unterrichtung des Kontrollgremiums nicht die Rechte der
zuständigen Fachausschüsse des Bundestages eingeschränkt werden können, so dass also der Innenausschuss auf
sein Verlangen hin über Vorgänge unter Beteiligung des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) ebenso in-
formiert werden muss, Akten herbeiziehen und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Dienste befragen kann wie
der Verteidigungsausschuss bei Vorgängen unter Beteiligung des Militärischen Abschirmdienstes (MAD).

Zu Nummer 3

Im § 5 Abs. 1 sollen die Minderheitsrechte dadurch gestärkt werden, dass es für die Herausgabe von Akten und
anderen Unterlagen nicht mehr – wie bisher – eines Mehrheitsbeschlusses bedarf, sondern jedes Mitglied des
PKGr dies verlangen kann.

Die Neufassung im Abs. 2 soll ermöglichen, dass das PKGr – ähnlich wie in anderen europäischen Ländern, z.B.
den Niederlanden – bei Bedarf auch auf die Netzwerke der Informationstechnik der Nachrichtendienste zugreifen
können.

Zudem soll im Abs. 3 die Verpflichtung anzuhörender Personen, vollständige und wahrheitsgemäße Angaben zu
machen, gesetzlich verankert werden.

Zu Nummer 4

Mit Blick auf die Enthüllungen von Edward Snowden sowie die bisherigen Erkenntnisse des NSA-Untersu-
chungsausschusses soll die Kontrollbefugnis des PKGr künftig auch auf die internationalen Tätigkeiten der deut-
schen Nachrichtendienste, die Kooperationsverträge zur internationalen Zusammenarbeit sowie die Dienst- und
Verwaltungsvorschriften der Dienste erweitert werden.

Zu Nummer 5

Um die Zusammenarbeit zwischen dem Bundestag und den Länderparlamenten zu verbessern, sollen Berichte
von durch das PKGr eingesetzten Sachverständigen unter Wahrung des Geheimschutzes in Zukunft auch an die
Kontrollinstanzen sowie Parlamentarische Untersuchungsausschüsse der Landtage übermittelt werden können.
Eine derartige Regelung fehlt bislang im Gesetz und hat beispielsweise im Fall des V-Mannes „Corelli“ zu erheb-
lichen Unstimmigkeiten zwischen Bund und Ländern geführt.

Zu Nummer 6

Nach der bislang geltenden Rechtslage können sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der deutschen Nachrichten-
dienste bei Problemen, Missständen oder der Feststellung von Rechtsverstößen zwar an das PKGr oder eines
seiner Mitglieder wenden, sie sind jedoch zugleich verpflichtet, die Leitung des jeweiligen Dienstes darüber zu
unterrichten. Dies hat in der Praxis dazu geführt, dass es kaum derartige Informationen an das Kontrollgremium
gab, weil Mitarbeiter der Dienste berufliche Nachteile befürchten mussten. Deshalb soll dieser Passus nunmehr
gestrichen werden.

Zu Nummer 7

Als Konsequenz aus der beabsichtigten Auflösung des Vertrauensgremiums werden die Wirtschaftspläne der
Dienste zwar dem Parlamentarischen Kontrollgremium zur Mitberatung überwiesen, die Beratung der Vorlage

Drucksache 18/6640 – 8 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
und die Erarbeitung der Abstimmungsempfehlung an den Bundestag soll aber künftig im Haushaltsausschuss des
Parlaments erfolgen.

Zu Nummer 8

Die beabsichtigten Neuregelungen im § 10 beinhalten im Kern vier Punkte. Zum einen soll es künftig nach Zu-
stimmung eines Drittels der Mitglieder des PKGr möglich sein, dass zu bestimmten brisanten Vorgängen entgegen
der grundsätzlichen Pflicht zur Geheimhaltung eine öffentliche Bewertung abgegeben werden kann. Bislang ist
dafür eine Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich. Durch die vorgeschlagene Drittelregelung werden die Minderheits-
rechte gestärkt.

Zweitens soll eine Rechtsgrundlage dafür geschaffen werden, dass die Mitglieder des PKGr über wichtige Vor-
gänge auch ihren jeweiligen Fraktionsvorsitzenden informieren können, denn sie sind ja nicht als Privatpersonen
in diesem Gremium, sondern als Vertreter ihrer Fraktion.

Zum Dritten sollen die Mitglieder des PKGr von der grundsätzlichen Geheimhaltungspflicht abweichen dürfen,
wenn mit der Offenlegung von bestimmten Sachverhalten beabsichtigt wird, einen Bruch des Grundgesetzes oder
der Verfassung eines Bundeslandes abzuwehren.

Viertens soll schließlich festgeschrieben werden, dass von den Sitzungen des PKGr ein Tonbandmitschnitt anzu-
fertigen ist, um später bei Bedarf nachvollziehen zu können, ob Aussagen der Bundesregierung bzw. der Vertreter
der Nachrichtendienste wahrheitsgemäß und vollständig erfolgt sind.

Zu Nummer 9

Hier soll festgeschrieben werden, dass die Mitglieder des PKGr nicht nur Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihrer
Fraktion zur Unterstützung ihrer Arbeit im Kontrollgremium benennen können, sondern auch bei ihnen angestellte
Beschäftigte, sofern diese die erforderliche Sicherheitsüberprüfung durchlaufen haben.

Zu Nummer 10

Bislang entscheidet allein die Bundestagsverwaltung über die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Geschäfts-
stelle und auch in der so genannten Task Force des PKGr. Da es sich hier um eine ganz spezifische Tätigkeit
handelt, die auch ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen den Abgeordneten und den sie unterstützenden
Mitarbeitern erfordert, soll den Vertretern der Opposition im Kontrollgremium künftig für mindestens ein Viertel
der Beschäftigten das Vorschlagsrecht eingeräumt werden.

Zu Nummer 11

Nach US-amerikanischen Vorbild sollte es in Zukunft mindestens zweimal jährlich eine öffentliche Anhörung
des Parlamentarischen Kontrollgremiums geben, in der sich die jeweilig amtierenden Präsidenten der deutschen
Nachrichtendienste sowie die für deren Kontrolle zuständigen Bundesminister allen Parlamentarier für eine Be-
fragung über ihre Arbeit zur Verfügung stellen müssen.

Zu Nummer 12

Auch bei dieser Änderung geht es um eine Stärkung der Minderheitsrechte. Nach der geltenden Regelung kann
das Bundesverfassungsgericht bei Streitigkeiten mit der Bundesregierung nur dann angerufen werden, wenn dies
von einer Zwei-Drittel-Mehrheit des PKGr beschlossen wird. Das bedeutet im Klartext, dass eine Anrufung des
höchsten deutschen Gerichtes nur dann möglich ist, wenn die jeweilige Koalition die eigene Bundesregierung
verklagt. Das ist nicht nur theoretisch abwegig, sondern auch in der Praxis noch nie vorgekommen. Deshalb soll
es künftig einer Fraktion ermöglicht werden, eine Klage einzureichen, sofern sie sich in ihren Rechten im Kon-
trollgremium verletzt sieht.

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