BT-Drucksache 18/6613

Havarie des Frachters Purple Beach in der deutschen Nordsee (Nachfrage zur Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage auf Bundestagsdrucksache 18/5573)

Vom 4. November 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/6613
18. Wahlperiode 04.11.2015

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, Matthias Gastel, Stephan Kühn (Dresden),
Tabea Rößner, Markus Tressel und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Havarie des Frachters Purple Beach in der deutschen Nordsee
(Nachfrage zur Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage
auf Bundestagsdrucksache 18/5573)

Nachdem sich am 25. Mai 2015 an Bord des Frachtschiffes Purple Beach in der
Nordsee eine Ladungserhitzung in einem Laderaum entwickelte, übernahm das
Havariekommando (HK) als gemeinsame Einrichtung des Bundes und der Küs-
tenländer zur Koordinierung des Unfallmanagements die Einsatzleitung über die
staatlichen Einsatzmittel und Einsatzkräfte. Auch mehrere Monate nach dem Un-
fall und nach einer Kleinen Anfrage an die Bundesregierung sind viele Fragen
noch nicht endgültig beantwortet worden. Zwischenzeitlich dürften die meisten
Schäden aufgenommen worden und das Ausmaß der Kosten, die durch den Ein-
satz staatlicher Mittel und Kräfte entstanden sind, zu beziffern sein.

Gleich zu Beginn seiner Aktivitäten hatte das HK die fachkundige Besatzung, die
als Gegenmaßnahme den betroffenen Laderaum mit Kohlendioxid geflutet und
die Rauchentwicklung gestoppt hatte, rasch von Bord geholt.

Das HK ging aufgrund der anfänglichen Feststellung einer „explosiven Atmo-
sphäre“ von einer möglichen Misch- bzw. Kreuzreaktion aus und hielt diese Ein-
schätzung auch weiterhin gegenüber der Öffentlichkeit aufrecht. So gab das HK
eine Warnmeldung an die Öffentlichkeit heraus, richtete ein Infotelefon ein und
veranlasste den Einsatz fast aller verfügbaren Einsatzmittel, wie Hubschrauber,
Flugzeuge, Schiffe und Kraftfahrzeuge. Jedoch besteht weiterhin der Eindruck,
dass aufgrund der mitgeführten Ladung(en), der austretenden Stoffe und der Ent-
fernung von der Küste objektiv zu keiner Zeit eine Explosionsgefahr an Bord oder
Gesundheitsgefahren für die Bevölkerung bestanden.

Der von der Bundesregierung behauptete Einsatzerfolg ist zu hinterfragen, da der
Eindruck besteht, dass erst durch das Unfallmanagement des HK die von der Be-
satzung zunächst gestoppte Ladungserhitzung erneut begann und das Anlaufen
eines Nothafens erforderlich wurde. Auch der hohe Aufwand an staatlichen Mit-
teln und Kräften mit höchstwahrscheinlich hohen Kosten ist zu hinterfragen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Kosten sind nach Kenntnis der Bundesregierung durch welche
staatliche Gefahrenabwehr- oder Bergungsmaßnahme in welcher Höhe aus
welchem Grund durch welches Einsatzpersonal oder welches Einsatzmittel
auf Reede, während der Verschleppung nach Wilhelmshaven und während
der Liegezeit in Wilhelmshaven entstanden, und welche dieser Kosten wur-
den welchem Verursacher wann von wem mit welchem Ergebnis in Rech-
nung gestellt?

Drucksache 18/6613 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
2. Bis wann wird durch die Bundesstelle für Seeunfalluntersuchungen (BSU)
ein Untersuchungsbericht oder ein Zwischenbericht zur Untersuchung vor-
gelegt werden?

3. Hat nach Kenntnis der Bundesregierung die Staatsanwaltschaft im Zusam-
menhang mit der Havarie der „Purple Beach“ ermittelt, und wenn ja, mit
welchem Ergebnis, und wenn nein, warum nicht?

4. a) Welche internationalen Anerkennungen des Havariekommandos gab es
wann durch wen bereits und durch welche wann und von wem getätigten
Aussagen begründet die Bundesregierung ihre Behauptung, dass die mit
der Einrichtung des HK geschaffene Struktur der Einsatzbewältigung
maritimer Großschadenslagen internationale Anerkennung findet?

b) Welche Staaten haben nach Kenntnis der Bundesregierung ihre natio-
nale Struktur der Einsatzbewältigung maritimer Großschadenslagen
wann aus welchem Grund, wie nach dem Vorbild des HK überarbeitet?

5. Aus welchen Gründen soll es der Opposition im Deutschen Bundestag
nicht gestattet sein, die Unfallmanagementmaßnahmen des HK zu hinter-
fragen (vgl. Vorbemerkung der Bundesregierung auf Bundestagsdrucksa-
che 18/5573), zumal negative Kostenauswirkungen des Einsatzes auf den
Bundeshaushalt möglich sind?

6. Welche explosiven Eigenschaften besitzt Ammoniumsulfat (Ladung im be-
nachbarten Laderaum), und wie hätte sich nach Kenntnissen der Bundesre-
gierung im Zusammenhang mit der Ladungserhitzung die hochexplosive
Verbindung Ammoniumnitrat oder andere explosive Verbindungen bilden
können?

7. Wie lange lag der Frachter Purple Beach aus welchem Grund am Jade-We-
ser-Port oder einem anderen wilhelmshavener Liegeplatz, wo liegt er zur-
zeit, und ab wann wird er nach Kenntnissen der Bundesregierung voraus-
sichtlich wieder einsatzbereit sein?

8. a) In welchen Teilbereichen wurde nach Kenntnis der Bundesregierung
wann und von wem eine explosive Atmosphäre mit welcher Zusammen-
setzung gemessen, und wann von wem an wen gemeldet, so dass eine
Explosionsgefahr nicht ausgeschlossen werden konnte?

b) Wie wurde nach Kenntnis der Bundesregierung wann von wem begrün-
det, dass es zu einer chemischen Misch- bzw. Kreuzreaktion mit ande-
ren Stoffen aus einem angrenzenden Laderaum gekommen sein könnte,
so dass eine Explosionsgefahr nicht ausgeschlossen werden konnte?

c) Wie wurde nach Kenntnis der Bundesregierung wann von wem begrün-
det, dass es zu einer chemischen Misch- bzw. Kreuzreaktion mit ande-
ren Stoffen aus einer vorherigen Beladung gekommen sein könnte, so
dass eine Explosionsgefahr nicht ausgeschlossen werden konnte?

d) Wie wurde nach Kenntnis der Bundesregierung wann von wem begrün-
det, dass eine Explosionsgefahr nicht ausgeschlossen werden konnte,
obwohl die von der Hitzeentwicklung betroffene Ladung der „Purple
Beach“ (siehe Bundestagsdrucksache 18/5573, S. 2, „Zur Einstufung“)
gar nicht „zur detonativen Umsetzung fähig“ ist?

9. a) Welche Ereignisse führten nach Kenntnis der Bundesregierung zur Ent-
wicklung von Chlorwasserstoff und Chlor?

b) Durch wen wurde nach Kenntnis der Bundesregierung, wann, mit wel-
chem Messverfahren, wo und in welcher Konzentration Chlorwasser-
stoff oder Chlor gemessen?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/6613
10. a) Welchen Vorrat an Kohlendioxid für den Einsatz als Feuerlöschmittel
über die bordeigene Kohlendioxid-Löschanlage führte nach Kenntnis
der Bundesregierung die „Purple Beach“ zu Beginn der Rauchentwick-
lung an Bord mit?

b) Wie viel Kohlendioxid wurde nach Kenntnis der Bundesregierung über
die bordeigene Kohlendioxid-Löschanlage wann, von wem (Besatzung
oder Einsatzkräfte), auf wessen Anweisung hin und mit welchem Er-
gebnis für die Rauchentwicklung in welchen Laderaum der „Purple
Beach“ eingeleitet?

11. Welche Temperaturmessungen wurden nach Kenntnis der Bundesregie-
rung an der Außenhaut, an den Laderaumschotten, im Rohrtunnel oder an-
deren Orten an Bord der „Purple Beach“ von wem, wann, und wo mit wel-
chem Verfahren mit welchem Ergebnis durchgeführt?

12. a) Welche Folge hat nach Kenntnis der Bundesregierung das Einleiten von
Kohlendioxid in einen Laderaum mit dem Düngemittel Nitropho-
ska 15+15+15(+2S), in der durch Selbsterhitzung eine Temperatur unter
der thermischen Zersetzungstemperatur entstanden ist?

b) Ab welchem Zeitpunkt war nach Kenntnis der Bundesregierung die La-
dungstemperatur in welchem Laderaum so hoch, dass die Ladung sich
thermisch zersetzte?

13. a) Bei wie vielen der Besatzungsmitglieder, die Reizungen der Atemwege
und der Haut beschrieben hatten, wurde nach Kenntnis der Bundesre-
gierung bei der medizinischen Untersuchung durch Fachärzte in wel-
chem Umfang objektiv Symptome festgestellt, die durch den ausgetre-
tenen Rauch verursacht worden waren?

b) Bei wie vielen Besatzungsmitgliedern wurde nach Kenntnis der Bun-
desregierung als Ergebnis der medizinischen Untersuchung durch Fach-
ärzte wann wie lange eine Behandlung dieser Symptome durchgeführt?

14. a) Welche Löschwassermengen wurden nach Kenntnis der Bundesregie-
rung von wem in welchem Zeitraum, und auf wessen Anweisung hin in
welchen Laderaum eingeleitet?

b) Durch wen wurde nach Kenntnis der Bundesregierung in wessen Auf-
trag die Folge einer Einleitung von Löschwasser in welchen Laderaum
für Stabilität und Festigkeit des Schiffes mit welchem Ergebnis vor Be-
ginn und nach Beendigung berechnet?

c) Wie begründet die Bundesregierung, dass sich auch im Laderaum Num-
mer 2 Löschwasser befand, obwohl nur im Laderaum Nummer 3 La-
dung von der Selbsterhitzung betroffen war?

15. Welchen Wert hat nach Kenntnis der Bundesregierung die Düngemittella-
dung in den Laderäumen Nummer 2 und Nummer 3?

16. a) Wann wurde nach Kenntnis der Bundesregierung durch welche staatli-
che Stelle Schiffsführung oder Reederei der „Purple Beach“ mit wel-
chem Ergebnis zur Durchführung welcher Maßnahme zur Schadensab-
wehr und Schadensminderung aufgefordert?

b) Welche Maßnahmen zur Schadensabwehr und Schadensminderung ha-
ben nach Kenntnis der Bundesregierung Schiffsführung oder Reederei
der „Purple Beach“ mit welchem Ergebnis vorbereitet oder geplant, aus
welchem Grund aber nicht durchgeführt?

Drucksache 18/6613 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
c) Welches Bergungs- oder andere Fachunternehmen wurde nach Kenntnis
der Bundesregierung wann durch wen mit welchen Maßnahmen zur
Schadensabwehr, Schadensminderung oder Schadensbeseitigung be-
auftragt?

d) Wann wurde nach Kenntnis der Bundesregierung der Schiffsführung,
der Besatzung, Vertretern der Reederei oder den von der Schiffsführung
oder Reederei beauftragten Einsatzkräften ein Betreten des Schiffes aus
welchem Grund für welchen Zeitraum verweigert?

17. a) Wie unterscheiden sich nach Kenntnis der Bundesregierung die Alarm-
signale „Generalalarm“ und „Verlassen des Schiffes“ optisch, akustisch
und inhaltlich?

b) Wann wurde nach Kenntnis der Bundesregierung an Bord der „Purple
Beach“ von wem aus welchem Grund das Alarmsignale „Generala-
larm“, wann von wem aus welchem Grund das Alarmsignal „Verlassen
des Schiffes“ ausgelöst?

18. In welchem Umfang führten nach Kenntnis der Bundesregierung wie viele
Besatzungsmitglieder der „Purple Beach“ Reisegepäck, Ersatzkleidung,
Ausweispapiere oder andere persönlichen Gegenstände beim Verlassen des
Schiffes mit sich?

19. a) Auf welcher Position ankerte nach Kenntnis der Bundesregierung die
M/S „Purple Beach“, aus welchem Grund und von wem war diese An-
kerung angewiesen und diese Position zugewiesen worden?

b) Wie weit (Distanz und Richtung) ist nach Kenntnis der Bundesregierung
diese Ankerposition von Helgoland, Wangerooge, Cuxhaven, Wil-
helmshaven, Bremerhaven, Büsum, Husum, Emden, Aurich und Nord-
deich entfernt?

c) An welchen Standorten wurden nach Kenntnis der Bundesregierung im
Zusammenhang mit der Selbsterhitzung an Bord der „Purple Beach“
wann von wem, mit welchen Messgeräten, in welchem Zeitraum und
mit welchen Messergebnissen (Schadstoff und Konzentration) an Land
Messstellen eingerichtet?

d) Wie weit (Distanz und Richtung) war nach Kenntnis der Bundesregie-
rung die Ankerposition der „Purple Beach“ von welchem dieser Stand-
orte entfernt?

20. Wie viele Anfragen wurden nach Kenntnis der Bundesregierung von wie
vielen Bürgern aus welchen Städten oder Landkreisen, mit welchem Inhalt
und welchem Ergebnis von wie vielen Bearbeitern bei dem eingerichteten
Bürgertelefon bearbeitet?

21. Aus welchem Grund wurde nach Kenntnis der Bundesregierung die Ver-
bringung des Schiffes vom Ankerplatz zum Notliegeplatz nicht von der Be-
satzung, sondern von einer Überführungsbesatzung durchgeführt?

22. Mit welchen von wem angeforderten staatlichen Wasserfahrzeugen mit
welcher Schlepp- und Feuerlöschleistung, mit welcher Besatzungsstärke
und wie vielen zusätzlich an Bord eingeschifften Einsatzkräften wurde
nach Kenntnis der Bundesregierung der aus wie vielen Schleppern mit wel-
cher Schlepp- und Feuerlöschleistung, mit wie vielen Besatzungsmitglie-
dern bestehende Schleppverband vom Ankerplatz zum Notliegeplatz in
welchem Zeitraum auf welchem Streckenabschnitt aus welchem Grund be-
gleitet?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/6613
23. Von welcher staatlichen Einrichtung wurde nach Kenntnis der Bundesre-
gierung auf welcher Rechtsgrundlage, mit welcher Begründung, in welcher
Höhe und mit welchem Ergebnis von Schiffsführung, Reederei, Versiche-
rung oder anderen Beteiligten die Zahlung einer Sicherheitsleistung vor
Anlaufen des Notliegeplatzes, vor dem Zugang zum Schiff oder zu einem
anderen Zeitpunkt gefordert?

24. a) Welche und wie viele externe Sachverständige und Dienstleister hatte
das HK im Rahmen der Gefahrenabwehr sowie der Bergung des Frach-
ters „Purple Beach“ mit welchen Kosten beauftragt?

b) Wie wird die Arbeit der externen Sachverständigen und Dienstleister
nach jedem Auftrag bewertet, und welche Konsequenzen werden da-
nach jeweils gegebenenfalls gezogen?

25. Welche Planungen des HK gibt es, wie zukünftig mit ähnlichen komplexen
Schadensfällen umzugehen ist und ist vorgesehen, die Vorgehensweise zu-
künftig anzupassen, und wenn ja, inwieweit, und wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 4. November 2015

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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