BT-Drucksache 18/6394

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung - Drucksachen 18/5321, 18/6384 - Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Verpflichtungen nach dem Nagoya-Protokoll und zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 511/2014 sowie zur Änderung des Patentgesetzes

Vom 14. Oktober 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/6394
18. Wahlperiode 14.10.2015

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Steffi Lemke, Harald Ebner, Kai Gehring, Uwe Kekeritz,
Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl, Oliver Krischer,
Christian Kühn (Tübingen), Peter Meiwald, Dr. Julia Verlinden, Matthias
Gastel, Stephan Kühn (Dresden), Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff, Markus
Tressel, Dr. Valerie Wilms und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung

– Drucksachen 18/5321, 18/6384 –

Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Verpflichtungen nach
dem Nagoya-Protokoll und zur Durchführung der Verordnung (EU)
Nr. 511/2014 sowie zur Änderung des Patentgesetzes

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Biopiraterie ist weithin verbreitet. Noch immer bereichern sich Konzerne und Un-
ternehmen ungefragt und ohne Vorteilsausgleich an Naturschätzen anderer Länder.
Um den Zugang zu diesen Ressourcen, dem auf ihnen basierenden traditionellen
Wissen sowie der gerechten Aufteilung von Gewinnen zu regeln, verabschiedete die
10. Vertragsstaatenkonferenz zur Konvention der biologischen Vielfalt (CBD) das
Nagoya-Protokoll im Oktober 2010. Absicht dieses völkerrechtlichen Abkommens
ist, Biopiraterie zu verhindern und mehr Gerechtigkeit zu erreichen. Die CBD ver-
langt von jenen, die biologische Ressourcen und traditionelles Wissen wirtschaftlich
nutzen wollen, bei den betreffenden Staaten und Gemeinschaften eine Erlaubnis zu
erwirken und sie an den Gewinnen zu beteiligen.

Besonders oft bildet die biologische Vielfalt der Tropen und das Wissen indigener
Völker die Basis für neue wertvolle Wirkstoffe und Zutaten. Unternehmen sichern
sich oftmals die Verwertungsrechte durch Patente, an den Millionenprofiten beteili-
gen die Unternehmen die Herkunftsländer allerdings nicht, auch wenn die genetische
Ressource und das Wissen darum aus diesen Ländern stammen.

Nach zähen Verhandlungen und auf massiven Druck der Entwicklungsländer wurde
das Nagoya-Protokoll mit fast 20-jähriger Verspätung im Oktober 2010 verabschie-
det. Auf Grund der massiven Interessenskonflikte ist auch das Nagoya-Protokoll ein
Kompromiss, in dem diverse Artikel sehr vage formuliert sind. Umso wichtiger ist,

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dass die EU das Protokoll umfassend umsetzt, denn nur dann kann Biopiraterie wirk-
sam bekämpft werden.

Das Gegenteil ist der Fall, denn die EU-Verordnung 511/2014 entspricht nicht dem
Kern des Nagoya-Protokolls, sondern setzt die alte EU-Verhandlungslinie um, die
in Nagoya keine Mehrheiten gefunden hatte. Die EU-Verordnung versäumt es, die
staatliche Pflicht zur Sicherstellung der Vorteilsaufteilung effektiv umzusetzen, ob-
wohl dies ein wesentliches Ziel des Nagoya-Protokolls und eine völkerrechtliche
Verpflichtung darstellt. Mit dem Umsetzen der EU-Verordnung 511/2014 in natio-
nales Recht setzt die Bundesregierung diese, der eigentlichen Intention des Nagoya-
Protokolls widersprechende Position, im vorliegenden Gesetzentwurf nahtlos fort.
Die Bundesregierung nutzt ihren gesetzgeberischen Spielraum nicht, um die Ziele
des Nagoya-Protokolls zu erreichen.

Mit der EU-Verordnung ist ein unzulänglicher Regelungsrahmen beschlossen wor-
den, der die Aktivitäten europäischer Pharma-, Saatgut- und Lebensmittelindustrie
möglichst wenig reguliert und ihnen ein Maximum an Ausbeute der genetischen
Ressourcen sichert. So ist eine wesentliche Anzahl genetischer Ressourcen vom Gel-
tungsbereich der Verordnung völlig ausgeschlossen. Beispielsweise fallen unter die
Verordnung nur genetische Ressourcen, zu denen der Zugang nach Inkrafttreten des
Nagoya-Protokolls für die Europäische Union erfolgt. Das heißt, alle in botanischen
Gärten, Sammlungen etc. bereits vorhandenen Pflanzen und Tiere fallen nicht in den
Geltungsbereich der Verordnung. Viele NutzerInnen von genetischen Ressourcen
beziehen ihr Material aber aus den großen, schon existierenden Sammlungen. Auch
versäumt die Verordnung Derivate, also extrahierte Inhaltsstoffe oder durch die An-
wendung von Biotechnologie entwickelte Substanzen, in die Bestimmungen aufzu-
nehmen. In fast allen Fällen erfolgreicher Produktentwicklung aus genetischen Res-
sourcen, wie etwa in der Medizin und Kosmetik, werden nicht mehr die Ressourcen
selbst, sondern aus ihnen gewonnene Derivate gewinnbringend vermarktet.

Es ist nicht nachzuvollziehen, warum die Verordnung Forschungsprojekte je nach
Herkunft der Finanzierung unterschiedlich behandelt. So unterliegen aus öffentli-
chen oder privaten Drittmitteln finanzierte Forschungsprojekte einem sehr hohen
Meldeaufwand. Drittmittelfinanzierte Forschung, die im Falle der Grundlagenfor-
schung keine Vermarktung anstrebt, muss jegliche Forschungsaktivität mit jeder ein-
zelnen genetischen Ressourcen und damit zusammenhängendem traditionellen Wis-
sen am Anfang der Forschungsaktivitäten melden. Eigenfinanzierte Forschungspro-
jekte, darunter fast jegliche kommerzielle Forschung in der Privatwirtschaft, muss
erst kurz vor Beendigung der Nutzung gemeldet werden, wenn eine Vermarktung
beabsichtigt ist. In den zahlreichen Fällen, in denen eigenfinanzierte Forschungspro-
jekte keine vermarktungsfähigen Produkte erzielen, müssen die Behörden nicht über
die Rechtmäßigkeit der Forschung unterrichtet werden. Insgesamt ist das genau das
Gegenteil von dem, was das Nagoya Protokoll in Artikel 8a vorschreibt, nämlich
vereinfachte Maßnahmen für die nicht kommerzielle Forschung. Ohne solche ver-
einfachten Maßnahmen wird biodiversitätsorientierte Grundlagenforschung, die
keine Produktentwicklung zum Ziel hat, massiv behindert und bedroht.

Darüber hinaus gibt es keinen effektiven Kontroll-, Überwachungs- und Sanktions-
rahmen. Die EU-Verordnung schlägt zwar Sanktionen vor, die allerdings aufgrund
des Geltungsbereiches der Verordnung nur die Phase der Forschung und Entwick-
lung und nicht aber die Phase der Vermarktung betreffen. Damit wurde mit Mög-
lichkeit vertan, einen einheitlichen EU-Rechtsrahmen zur Unterbindung der Ver-
marktung von Forschung und Entwicklung mit illegal erworbenen oder vertragsbrü-
chig behandelten genetischen Ressourcen – also Biopiraterie – zu ermöglichen.
Deutschland muss hier, wie etwa Spanien, nationale Regeln treffen, die eine solche
Vermarktung direkt sanktionieren können oder, wie etwa Frankreich, eine solche
Vermarktung durch die Androhung sehr hoher Geldbußen und von Gefängnisstrafen
unattraktiv machen.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/6394
Die schwache Umsetzung des Nagoya-Protokolls durch die EU-Verordnung bringt
mit sich, dass insbesondere biodiversitätsreiche Länder strengere nationale Gesetze
verabschieden werden, um ihre Ressourcen vor der Biopiraterie zu schützen. Die
Folgen sind ein Flickenteppich an Gesetzgebungen, komplexere und schwierigere
Verfahren, die sich je nach Land unterscheiden. Derlei Fehlende Rechtssicherheit
wird Forschung und Wissenschaft insgesamt erschweren, was nicht im Sinne der EU
sein kann.

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung hat schließlich zur Folge, dass europäische
Firmen gegenüber Firmen außerhalb der EU benachteiligt werden, da erstere Firmen
die Sorgfaltspflicht im Gegensatz zu letzteren nachweisen müssen. Das ist schädlich
für den Wirtschaftsstandort Deutschland, da internationale Konkurrenten dann ge-
ringere Auflagen erfüllen müssen als deutsche Firmen.

II. Der Deutsche Bundestag begrüßt,

• dass Deutschland die Voraussetzungen schafft, dem Nagoya-Protokoll beitreten
zu können,

• dass im Gesetzentwurf vorgesehen ist, dass das Bundesamt für Naturschutz zu-
künftig kontrollieren soll, ob Nutzer von genetischen Ressourcen die Regeln zu
Zugang und Vorteilsausgleich befolgen,

• dass vorgesehen ist, das Patentgesetz zu ändern, um bei der Anmeldung von
Patenten das BfN zu informieren, dass genetische Ressourcen aus anderen Län-
dern verwendet wurden.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

• für eine abschreckende Wirkung gegen Biopiraterie zu sorgen und bei Verstö-
ßen auch weitergehende Sanktionsmöglichkeiten im Rahmen des Patent- und
Strafrechts aufzunehmen;

• sicherzustellen, dass es keine Ungleichbehandlung zwischen europäischen und
nicht-europäischen Nutzern bezüglich des Nachweises der Sorgfaltspflicht gibt,
indem die Definition der Nutzer auf diejenigen, die unmittelbar Vorteile aus der
Nutzung ziehen ausgeweitet wird;

• klarzustellen, dass deutsche Nutzer in ihrer Sorgfaltserklärung keine der Anga-
ben als vertraulich kennzeichnen dürfen, wenn die Nutzung durch öffentliche
Forschungsmittel gefördert oder durch öffentliche Haushalte finanziert wurde;

• klarzustellen, dass deutsche Nutzer in ihrer Sorgfaltserklärung nur dann eine
Vertraulichkeit der Informationen beantragen können, wenn die Nutzung durch
private Eigenmittel finanziert wurde und gleichzeitig diese Informationen durch
die zuständige nationale Behörde des Herkunftslandes als vertraulich gemäß
Nagoya Protokoll Art. 17 (4) eingestuft wurde;

• klarzustellen, dass deutsche Nutzer in ihrer Sorgfaltserklärung erklären, dass der
Vorteilsausgleich wie in den einvernehmlich festgelegten Bedingungen verein-
bart stattgefunden hat;

• klarzustellen, dass die Anordnungen und Abhilfemaßnahmen gemäß Artikel 1
§ 2 des Gesetzes zur Umsetzung der Verpflichtungen nach dem Nagoya Proto-
koll auch die Phase der Kommerzialisierung des Produktes einschließt und nicht
nur die Phase der Forschung und Entwicklung, um im Falle des Nachweises auf
illegal erworbene genetische Ressourcen, das entwickelte Produkt vom Markt
nehmen zu können;

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• dass das traditionelle Wissen, ein wichtiger Bestandteil des Nagoya Protokolls,

im § 34a des deutschen Patentgesetzes ergänzt wird;

• das deutsche Patentgesetz anzupassen, dass neben der Offenlegung des Her-
kunftslandes auch der Nachweis über den legalen Zugang zur Ressource
und/oder des traditionellen Wissens erforderlich ist;

• dass die Offenlegung alle Patente umfasst, die auf Organismen bzw. genetische
Ressourcen basieren, und nicht nur solche, die auf Material von Tieren und
Pflanzen basieren;

• eine angemessene Unterstützung für die nicht kommerzielle Forschung zu ge-
währleisten und dafür erleichterte Verfahren anzubieten. Dabei kann z. B. die
Einrichtung einer zentralen Beratungsstelle nützlich sein;

• sich auf EU-Ebene dafür einzusetzen, dass auch das Europäische Patentrecht
geändert wird und eine Offenlegungspflicht bezüglich der Herkunft und des
Nachweises über den legalen Zugang zur genetischen Ressource und /oder des
traditionellen Wissens verlangt.

• Bei der Überprüfung der EU-Verordnung darauf zu drängen, dass
o die Erfahrungen der Länder, die genetische Ressourcen zur Verfügung stel-

len, einbezogen werden, insbesondere die Erfahrungen der indigenen Völ-
ker und ortsansässige Gemeinschaften als Träger traditionellen Wissens,

o die Definition der Nutzer erweitert wird und diejenigen mit einschließt, die
unmittelbar Vorteile aus deren Nutzung erzielen,

o nicht nur den Zugang zu den genetischen Ressourcen in der Verordnung
geregelt wird, sondern auch Regelungen für den Vorteilsausgleich geschaf-
fen werden bzw. durch ein Meldesystem überprüft wird, dass ein Vorteil-
sausgleich stattfindet,

o dass Regeln zur Vorteilsaufteilung entworfen werden, die für die laufende
und neue Nutzung und Vermarktung von solchen genetischen Ressourcen
und damit zusammenhängendem traditionellen Wissen gelten, die bereits
seit 1993 – ohne ABS (access and benefit sharing) Verträge – unabhängig
des Zeitpunktes, wann sie in die EU gelangt sind,

o ein effektives Kontroll-, Überwachungs- und Sanktionssystem geschaffen
wird, dass eine Meldepflicht bereits zu Beginn der Forschung für alle bein-
haltet und Sanktionen ermöglicht, die die Vermarktung von Produkten aus
illegaler Forschung verhindert,

o die ungleiche Behandlung von nicht kommerzieller und kommerziellen For-
schung aufzuheben und die nicht kommerzielle Forschung zu schützen, in-
dem gemäß Artikel 8a des Nagoya-Protokolls dafür Sorge getragen wird,
dass für diese vereinfachte Maßnahmen bei der Umsetzung der Verpflich-
tungen unter dem Nagoya-Protokoll geschaffen werden, die geeignet sind,
die Forschung, die zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung der biologi-
schen Vielfalt beiträgt, zu unterstützen.

Berlin, den 13. Oktober 2015

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

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