BT-Drucksache 18/6298

Ehrenbekundungen der Bundeswehr für verstorbene Wehrmachtsoffiziere und Inhaber von Nazi-Tapferkeitsorden seit dem Jahr 2012

Vom 6. Oktober 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/6298
18. Wahlperiode 06.10.2015

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Wolfgang Gehrcke, Annette Groth,

Inge Höger, Andrej Hunko, Katrin Kunert, Niema Movassat, Dr. Alexander S. Neu,

Martina Renner, Dr. Petra Sitte, Kersten Steinke, Jörn Wunderlich und

der Fraktion DIE LINKE.

Ehrenbekundungen der Bundeswehr für verstorbene Wehrmachtsoffiziere und
Inhaber von Nazi-Tapferkeitsorden seit dem Jahr 2012

Die Bundeswehr verwendet einige Energie an das Knüpfen von Traditionslinien
aus vordemokratischer Zeit. Dies drückt sich zum einen im Zeremoniell des Gro-
ßen Zapfenstreiches aus, den sie am 11. November 2015 auf der Reichstagswiese
durchführen will. Das Zeremoniell wurde im 19. Jahrhundert während der Phase
der Restauration feudaler Machtverhältnisse nach den Befreiungskriegen festge-
schrieben.

Aus Sicht der Fragesteller ebenfalls problematisch ist die Tatsache, dass die Bun-
deswehr bis heute bei Beerdigungen von Wehrmachtsoffizieren bzw. Ritterkreuz-
trägern Ehrengeleite abordnet, sofern die Angehörigen dies wünschen. Die Bun-
desregierung hat dies in der Vergangenheit (z. B. auf Bundestagsdrucksa-
che 17/10685) damit gerechtfertigt, solche Totenehrungen seien international üb-
lich und entsprächen dem militärischen „Brauchtum“. Dabei hat sie allerdings
nicht gesondert reflektiert, ob es im Falle der Wehrmacht angezeigt sein könnte,
von solchem Brauchtum Abstand zu nehmen. Immerhin werden Ehrengeleite der
Bundeswehr nicht für solche Wehrmachtssoldaten gestellt, die – als Wehrpflich-
tige, ohne eigenes Zutun – gezwungenermaßen am Krieg teilgenommen haben.
Vielmehr gibt es Ehrengeleite bzw. Abordnungen ausschließlich für Inhaber von
Tapferkeitsorden, die sich also besonders „tapfer“ im Krieg des deutschen Fa-
schismus erwiesen hatten, oder für Berufssoldaten – mithin also für Personen, die
sich aus eigenem Willensentschluss am faschistischen Raub- und Vernichtungs-
krieg beteiligt hatten. Die Ehrung solcher Personen durch offizielle Abgesandte
der Bundeswehr – teilweise mit Trommlern und Trompetern – ist aus Sicht der
Fragesteller ein Politikum, das angesichts des verbrecherischen Charakters des
von den Nationalsozialisten begonnenen Krieges absolut unangemessen ist.
Hinzu kommt, dass die Frage, ob die zu Ehrenden an Kriegsverbrechen teilge-
nommen haben, nur oberflächlich geprüft werden kann. Nach Angaben der Bun-
desregierung stehen hierfür lediglich zwischen zwei und vier Tagen zur Verfü-
gung.

Überhaupt nicht überprüft werden Wehrmachtsangehörige, die anschließend auch
in der Bundeswehr gedient hatten. Hier verweist die Bundesregierung darauf,
dass der Personalgutachterausschuss der 1950er Jahre bereits eine Prüfung vor-
genommen habe. Dass solche Prüfungen damals nicht mit der gleichen Gründ-
lichkeit und Unvoreingenommenheit vor sich gingen, wie sie heute möglich wä-
ren, liegt dabei auf der Hand, schon wegen des heute viel leichteren Zugangs zu

Drucksache 18/6298 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

 

Akten. Das Demjanjuk-Urteil würde zudem Gelegenheit bieten, wesentlich um-
fangreicher als früher nach einer auch juristischen Verantwortlichkeit zu suchen.
Denn das Urteil ermöglicht letztlich eine Bestrafung wegen Mordes auch ohne
individuellen Tatnachweis, wenn der Beschuldigte Angehöriger einer verbreche-
rischen Einheit war. Für eine solche Prüfung dürfte allerdings erheblich mehr Zeit
nötig sein, als zwei bis vier Tage.

Auf der Homepage der Bundeswehr zu ihrem 60. Gründungstag (www.60jahre-
bundeswehr.de) wird derzeit zustimmend der Satz des früheren Bundesministers
der Verteidigung, Dr. Hans Apel, zitiert: „Soldatische Pflichterfüllung und mili-
tärische Tüchtigkeit sind nicht zu trennen von dem politischen Zweck, dem sie
dienen!“ Damit sollte eine Ehrung „hitlertreuer“ Wehrmachtssoldaten eigentlich
ausgeschlossen sein. Tatsächlich werden nach Angaben der Bundesregierung
aber auch solche Offiziere geehrt, die den Nationalsozialisten bis zuletzt treu er-
geben waren. So hat sie ausdrücklich klargestellt, „dass eine Beteiligung am mi-
litärischen Widerstand nicht ausschlaggebend für die Genehmigung eines militä-
rischen Ehrengeleits oder einer Abordnung ist“ (Antwort auf die Schriftliche
Frage 47 der Abgeordneten Ulla Jelpke auf Bundestagsdrucksache 17/10352).
Damit hält die Bundeswehr aus Sicht der Fragesteller immer noch an Traditions-
strängen zur faschistischen Wehrmacht fest.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche verstorbenen Wehrmachtsangehörigen wurden in den Jahren 2012,
2013, 2014 sowie 2015 von der Bundeswehr mit Ehrengeleiten oder Abord-
nungen geehrt (bitte vollständig und gesondert nach Jahren auflisten)?

2. Welchen Dienstrang hatten diese in der Wehrmacht inne?

3. Sofern die Verstorbenen Tapferkeitsauszeichnungen hatten, um welche han-
delte es sich, und wofür wurden ihnen diese verliehen (bitte einzeln aufzäh-
len)?

4. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, ob die Wehrmachts-
angehörigen (gegebenenfalls zeitweise)

a) Träger des Bandenkampf-Abzeichens,

b) Mitglieder der NSDAP, der SA oder der SS,

c) Angehörige von Einheiten, die an Kriegsverbrechen beteiligt waren (auch
ohne Nachweis individueller Schuld),

d) in Feldkriegsgerichten tätig

gewesen sind?

Hat sich die Bundesregierung darum bemüht, solche Erkenntnisse zu gewin-
nen, und wenn nein, warum nicht?

5. In welchen Einheiten haben die Geehrten zwischen dem 1. September 1939
und dem 8. Mai 1945 gedient (bitte soweit möglich vollständig angeben)?

6. Inwieweit trägt die Bundeswehr nach Auffassung der Bundesregierung bei
diesen Ehrungen dem Umstand Rechnung, dass es, solange es die Wehr-
macht gab, kein freigewähltes deutsches Parlament gab, und erkennt sie in
der Ehrung von Offizieren, die freiwillig in der Wehrmacht gedient haben,
einen Widerspruch zum Charakter der Bundeswehr als sogenannte Parla-
mentsarmee?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/6298

 

7. Will die Bundesregierung an ihrer Politik festhalten, dass es nicht ausschlag-
gebend für die Genehmigung des Ehrengeleits oder einer Abordnung sei, ob
die Verstorbenen sich an oppositionellen Tätigkeiten gegen die nationalsozi-
alistische Führung beteiligt oder dieser bis zum Kriegsende loyal gedient ha-
ben (bitte begründen)?

8. Inwiefern hat die Bundesregierung Überlegungen angestellt, zumindest ge-
genüber solchen Wehrmachtsoffizieren, die sich nicht dem Widerstand ge-
gen die damalige faschistische Reichsregierung angeschlossen hatten, eine
klare Abgrenzung vorzunehmen und das von der Bundeswehr gepflegte
Brauchtum diesbezüglich zu ändern?

9. Stimmt die Bundesregierung mit den Fragestellern überein, dass die Prüfun-
gen, die der Personalgutachterausschuss vor rund 60 Jahren vorgenommen
hat, nicht so gründlich verlaufen sind, wie dies heute – angesichts des er-
leichterten Zugangs zu erheblich größeren Aktenbeständen und womöglich
auch angesichts einer deutlicheren politischen Bewertung der Wehrmacht
durch die Wissenschaft – möglich wäre (bitte begründen)?

Inwiefern gedenkt sie Schlussfolgerungen dahingehend zu ziehen, ob auch
bei solchen zu ehrenden Verstorbenen, die in der Bundeswehr gedient haben,
eine Prüfung ihrer vormaligen Zugehörigkeit zu verbrecherischen national-
sozialistischen Organisationen oder einer Teilnahme an Kriegsverbrechen
vorgenommen werden müsse (bitte begründen)?

Berlin, den 6. Oktober 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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