BT-Drucksache 18/6269

Pressefreiheit in der Türkei

Vom 5. Oktober 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/6269
18. Wahlperiode 05.10.2015

Kleine Anfrage

der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Wolfgang Gehrcke, Annette Groth,
Heike Hänsel, Andrej Hunko, Niema Movassat und der Fraktion DIE LINKE.

Pressefreiheit in der Türkei

In der Türkei herrscht momentan ein Ausnahmezustand. Ganze Städte werden
von der türkischen Regierung für mehrere Tage von der Außenwelt abgeschnitten
(www.spiegel.de/politik/ausland/kurden-konflikt-in-deutschland-erneut-ausgangs
sperre-in-cizre-a-1052742.html), Eingriffe in die Meinungs- und in die Presse-
freiheit im Land nehmen stetig zu und viele Journalisten sind dadurch in akuter
Gefahr. Als bisheriger Höhepunkt der Zuspitzung der Lage wurde die niederlän-
dische Journalistin Frederike Geerdink in einer Art Nacht-und-Nebel-Aktion aus
der Türkei abgeschoben. Damit entledigte sich der türkische Staatspräsident Re-
cep Tayyip Erdoğan einer unbequemen und kritischen Berichterstatterin in den
mehrheitlich kurdischen Gebieten im Südosten der Türkei (www.ndr.de
/fernsehen/sendungen/zapp/Tuerkei-Niederlaendische-Reporterin-abgeschoben,
tuerkei504.html).

Sogar Minderjährige werden wegen kritischen Aussagen über den seit dem
28. August 2014 amtierenden türkischen Staatspräsidenten Erdoğan inhaftiert
(www.welt.de/politik/ausland/article135764251/16-Jaehriger-wegen-Erdogan-
Beleidigung-verhaftet.html). Schon nach den Gezi-Protesten im Jahre 2013 hatte
eine Verhaftungswelle gegen Journalisten die Pressefreiheit im Land erschüttert
(www.focus.de/politik/ausland/der-schlimmste-kerkermeister-der-welt-saeube
rungswelle-in-der-tuerkei-64-journalisten-in-haft_aid_1051789.html).

Schließlich mussten vor den Parlamentswahlen in der Türkei die TV-Sender unter
dem Druck der türkischen Regierung die Reden des Staatpräsidenten live und
in voller Länge senden (www.tagesschau.de/ausland/tuerkei-journalisten-
101.html). Einen neuen Tiefpunkt erreichte die Pressefreiheit in der Türkei durch
die Stürmung und Beschädigung der Redaktionsgebäude der Zeitung „Hürriyet“
durch nationalistische Demonstranten der türkischen Regierungspartei AKP,
während die Polizei tatenlos danebenstand (www.tagesschau.de/ausland/ankara-
113.html). Wie stark in die Pressefreiheit eingegriffen wird, zeigt auch, dass tür-
kische Polizisten das Redaktionsgebäude des Nachrichtenmagazins „Nokta“
durchsuchten und die nächste Ausgabe wegen „Beleidigung des Präsidenten“ be-
schlagnahmten (www.welt.de/kultur/article146389755/Wie-Erdogan-die-freieste-
Presse-der-Welt-auslegt.html). Der Anstieg der Eingriffe in die Pressefreiheit ist
mithin erkennbar und somit auch dem Menschenrechtskommissar des Europara-
tes nicht verborgen geblieben. Dieser sieht die Medienfreiheit in der Türkei eben-
falls stark gefährdet (Katholische Nachrichten Agentur – KNA vom 14. Septem-
ber 2015, „Europaratskommissar sieht Medienfreiheit in der Türkei gefährdet“).

Drucksache 18/6269 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Strafverfolgung des
Journalisten Can Dündar mit einer Strafandrohung von bis zu 42 Jahren Haft
aufgrund des Tatvorwurfs der „Spionage“ (www.zeit.de vom 3. Juni 2015:
„Regierungskritischem Journalisten droht lebenslange Haft“)?

2. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung (auch nachrichtendienstliche)
über Waffenlieferungen von der Türkei an syrische Extremisten, über die der
Journalist Can Dündar berichtet und weswegen er der Spionage bezichtigt
wird?

3. Inwieweit ist nach Auffassung der Bundesregierung die Pressefreiheit in der
Türkei zuletzt durch die zahlreichen Inhaftierungen von und Ermittlungsver-
fahren gegen Journalisten zusätzlich in Gefahr (www.welt.de/politik/
ausland/article145866745/Tuerkei-wirft-britischen-Reportern-IS-Unterstuet
zung-vor.html)?

4. Teilt die Bundesregierung nach ihrer Kenntnis die Auffassung des Men-
schenrechtskommissars des Europarates über die Gefährdung der Pressefrei-
heit in der Türkei (KNA vom 14. September 2015)?

Wenn ja, wann und in welcher Form hat sie diese Besorgnis nach der jüngs-
ten Verhaftungswelle gegen Journalisten gegenüber der türkischen Regie-
rung geäußert?

5. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Zahl

a) der inhaftierten bzw. verurteilten Journalistinnen und Journalisten in der
Türkei (bitte einzeln auflisten),

b) der gegen Journalistinnen und Journalisten anhängigen Strafverfahren so-
wie über die erhobenen Vorwürfe (bitte einzeln auflisten),

c) der gegen Journalistinnen und Journalisten laufenden Ermittlungsverfah-
ren und über die Gründe für deren Einleitung (bitte einzeln auflisten)?

6. Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass sich die Situation der Pressefrei-
heit in der Türkei konkret auf die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei
auswirken sollte?

7. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass gerade angesichts der Lage der
Menschenrechte der Türkei im Allgemeinen und der Lage der Pressefreiheit
im Besondern neue Kapitel im Hinblick auf die Verhandlungen über einen
Beitritt der Türkei zur EU eröffnet werden sollten?

8. Wie schätzt die Bundesregierung die derzeitige Mediengesetzgebung in der
Türkei im Hinblick auf deren Konformität mit dem Recht auf Meinungsfrei-
heit aus Artikel 11 der EU-Grundrechtecharta und der EU-Medienrichtlinie
aus dem Jahr 2007 ein, und welche Position hat sie diesbezüglich innerhalb
der EU eingenommen?

9. Welche (auch nachrichtendienstliche) Erkenntnisse hat die Bundesregierung
über die von der türkischen Regierung angegebenen Gründe, die die Ab-
schiebung der niederländischen Journalistin Frederike Geerdink, die für in-
ternationale Medien wie „The Independent“, „BBC“, „De Volkskrant“
schreibt, aus den kurdischen Gebieten der Türkei rechtfertigen sollten
(www.ndr.de/fernsehen/sendungen/zapp/Tuerkei-Niederlaendische-Repor
terin-abgeschoben,tuerkei504.html)?

10. Inwieweit hat die Bundesregierung Erkenntnisse (auch nachrichtendienstli-
che) darüber, dass es Eingriffe in die Medienfreiheit durch die Regierung
gegeben hat, die die Parlamentswahlen 2014 beeinflusst haben (www.tages
schau.de/ausland/tuerkei-journalisten-101.html)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/6269

11. Sieht die Bundesregierung einen Zusammenhang zwischen den verstärkten
Angriffen auf die Medienfreiheit und die für den 1. November 2015 neu an-
beraumten Parlamentswahlen?

12. Sieht die Bundesregierung einen Zusammenhang zwischen dem Vorgehen
gegen kritische Journalisten, die über türkische Waffenlieferungen an is-
lamistische Terrormilizen in Syrien berichten und den Waffenlieferungen an
islamistische Terrormilizen, wie die Ahrar al Sham durch das türkische Mi-
litär und den türkischen Geheimdienst (www1.wdr.de/daserste/monitor/
sendungen/tuerkischer-bombenkrieg-100.html)?

13. Welche Informationen (auch nachrichtendienstliche) liegen der Bundesre-
gierung über mögliche Vorermittlungen des Internationalen Strafgerichtsho-
fes gegen den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan im Zu-
sammenhang mit der Lieferung von Waffen an Terrormilizen in Syrien durch
die Türkei vor?

14. Welche Informationen (auch nachrichtendienstliche) liegen der Bundesre-
gierung zu den Ermittlungen durch türkische Behörden zum Tode der Jour-
nalistin Serena Shim vor, die als US-Amerikanerin für den iranischen Sender
Press TV arbeitete, und die bei einem Autounfall auf dem Weg zur türkischen
Grenzstadt Suruc am 19. Oktober 2014 starb, nachdem sie kurz zuvor erklärt
hatte, der türkische Geheimdienst MIT beschuldige sie der Spionage, da sie
über Waffenlieferungen an den IS von der Türkei berichtet hatte
(www.heise.de vom 22. Oktober 2014: „Türkei: Journalistin unter mysteriö-
sen Umständen gestorben“, www.theguardian.com vom 20. Oktober 2014:
„Iranian broadcaster raises suspicions about death of reporter on Syrian bor-
der“)?

15. Wurde nach Kenntnis der Bundesregierung in diesem Zusammenhang ein
Verfahren gegen den Fahrer des Zementmischers eingeleitet, der auf den Wa-
gen von Serena Shim auffuhr?

16. Treffen nach Kenntnis der Bundesregierung Berichte zu, dass der Fahrer des
Zementmischers unmittelbar im Anschluss an den Unfall auf freien Fuß ge-
setzt wurde, der Unfallwagen nicht beschlagnahmt wurde, und inwieweit ha-
ben die türkischen Behörden, wie nach dem Tode von Serena Shim zugesagt,
einen detaillierten Bericht zum Unfallhergang veröffentlicht?

Berlin, den 2. Oktober 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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