BT-Drucksache 18/6207

zu der Beratung des Antrags der Bundesregierung - Drucksachen 18/6013, 18/6189 - Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-Operation EUNAVFOR MED als ein Teil der Gesamtinitiative der EU zur Unterbindung des Geschäftsmodells der Menschenschmuggel- und Menschenhandelsnetzwerke im südlichen und zentralen Mittelmeer

Vom 29. September 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/6207

18. Wahlperiode 29.09.2015
Entschließungsantrag

der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Stefan Liebich, Dr. Alexander S. Neu,

Jan van Aken, Christine Buchholz, Sevim Dağdelen, Dr. Diether Dehm, Annette
Groth, Heike Hänsel, Inge Höger, Andrej Hunko, Katrin Kunert, Niema

Movassat, Alexander Ulrich und der Fraktion DIE LINKE.

zu der Beratung des Antrags der Bundesregierung

– Drucksachen 18/6013, 18/6189 –

Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-Operation

EUNAVFOR MED als ein Teil der Gesamtinitiative der EU zur

Unterbindung des Geschäftsmodells der Menschenschmuggel- und

Menschenhandelsnetzwerke im südlichen und zentralen Mittelmeer

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Flucht von Menschen vor Krieg, Armut und Repression über das Mittelmeer und
das dort unvermindert weitergehende Massensterben stellen die Europäische Union
vor eine Situation, in der sie verpflichtet ist, Menschenleben zu retten und allen Flücht-
lingen gegenüber humanitär zu handeln und Aufnahme und Schutz zu gewähren. Hier-
bei hat die Bundesrepublik Deutschland einen entscheidenden Beitrag zu leisten. Das
vorliegende Mandat zur Überleitung der Militärmission EUNAVFOR MED in seine
zweite Phase löst diese Verpflichtung nicht ein. Die Kriminalisierung von Flucht und
Migration nach Europa muss beendet werden. Außenminister Frank-Walter Stein-
meier sagt selbst, dass sich „das Agieren der Schlepper und Schleuser nicht stoppen
lasse, sondern nur erschwert“ werden könne (SpOn, 8.9.15). Im vollen Wissen darüber,
dass dies die Flüchtlingsbewegungen nur erschwert und auf andere, noch waghalsigere
Routen lenken wird, spielt die Bundesregierung so mit Tausenden von Menschenle-
ben. Die Schaffung legaler Flucht- und Einwanderungsmöglichkeiten in die EU ist
daher ein dringendes humanitäres und menschenrechtliches Erfordernis. Trotz anders-
lautender Bekundungen: Die Seenotrettung ist nicht Aufgabe dieser Mission. Die mi-
litärische Logik der Mission EUNAVFOR MED bleibt entscheidend – trotz medien-
wirksamer Rettungsbilder. Sie wird durch die jetzt eingeleitete Phase 2 i weiter akzen-
tuiert. Aufgabe der Mission ist es, verdächtige Schiffe zu durchsuchen, beschlagnah-
men und zu zerstören sowie Schleusernetzwerke zu zerschlagen. Damit wird – trotz
anderslautender Bekundungen – die auch militärische Eindämmung von Flucht und
Migration in die EU zum eigentlichen Ziel der Mission. Der Versuch, die Schlepperei

Drucksache 18/6207 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
und andere Kriminalität im Umfeld des Massensterbens von Flüchtlingen auf dem Mit-
telmeer militärisch bekämpfen zu wollen, ist jedoch der falsche Ansatz. Eine Manda-
tierung für militärisches Handeln durch die Vereinten Nationen liegt nicht vor. Der
Ratsbeschluss soll eine völkerrechtliche Legitimation suggerieren, aber die EU kann
sich nicht selbst zu einem „System gegenseitiger kollektiver Sicherheit“ (Art. 24 Abs.
2 GG) erklären, wie es die Bundesregierung im Mandatsantrag nahelegt. Bestrebun-
gen, für die Phasen 2 ii und 3 der Mission ein Mandat des UN-Sicherheitsrats zu er-
langen, sind zurückzuweisen – Flüchtlinge sind keine Bedrohung für den Weltfrieden
und gefährden auch nicht die Souveränität und Integrität von Staaten. Überdies wider-
spricht der Einsatz der rechtsstaatlichen Trennung von Polizei und Militär – das
Grundgesetz sieht Strafverfolgung durch das Militär nicht vor. Die Verantwortlichen
in Rat und Kommission lassen – entgegen anders lautender Bekundungen – keinen
Willen erkennen, die eigene Verantwortlichkeit der EU für die Schaffung von Flucht-
ursachen zu analysieren und politische Schritte zur Änderung ihrer Politik gegenüber
der südlichen Nachbarschaft der EU zu gehen. Laut UNHCR kamen 53 Prozent aller
Flüchtlinge, die in diesem Jahr Europa über das Mittelmeer erreichten, aus Syrien.
Flüchtlinge aus Afghanistan stellen die zweitgrößte Gruppe. In die Kriege, die in Sy-
rien und Afghanistan, aber auch in Libyen und im Westbalkan geführt wurden oder
werden, waren bzw. sind auch Staaten der EU und der NATO involviert. Die Bundes-
republik Deutschland und die EU tragen auch Verantwortung für die wirtschaftliche
Schwächung und Verarmung der Anrainerstaaten. Zu nennen sind hier von der EU
verordnete neoliberale Strukturanpassungen wie der erzwungene Öffnung der Märkte
im Rahmen von Freihandelsabkommen oder der massive Export subventionierter Ag-
rarprodukte aus der EU in die afrikanischen Märkte, die Überfischung durch Fische-
reiabkommen und großflächige Landnahme („Landgrabbing“). Die EU verschweigt
ihre Verantwortung für diese Fluchtursachen und ist auch nicht zu einer Abkehr von
dieser Politik bereit, obwohl sie vorgeblich Fluchtursachen bekämpfen möchte. Mili-
tärmissionen und der Einsatz von Frontex ändern nichts an den fatalen Folgen und
Auswirkungen des Handelns der EU. Derzeit werden die Maßnahmen der unmittelba-
ren Seenotrettung im Maritime Rescue Coordination Centre (Seenotleitstelle) in Rom
koordiniert. An die Stelle von EUNAVFOR MED und Frontex muss eine zivile Mis-
sion zur Seenotrettung und zur koordinierten Erstbetreuung der Flüchtlinge bei der
Anlandung auf EU-Gebiet treten – gemeinsam durchgeführt von europäischen Orga-
nisationen zur Seenotrettung, d. h. mit Fachleuten, die für diesen Zweck ausgebildet
sind. Sie müssen schnellstmöglich sachgemäß ausgerüstet werden. Um Fluchtursachen
zu bekämpfen, bedarf es eines Politikwechsels gegenüber den Ländern der südlichen
Nachbarschaft. Die EU und ihre Mitgliedsländer müssen endlich Abschied nehmen
von einer Politik der militärischen Intervention, einer zerstörerischen Marktöffnungs-
politik gegenüber diesen Ländern. Sie muss zivile Konfliktlösungen und sozial und
ökologisch nachhaltige Entwicklung unterstützen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. jegliche militärische Operationen zur Schlepperbekämpfung durch die Bundes-
wehr im Mittelmeer unverzüglich einzustellen und schnellstmöglich eine zivile
europäische Seenotrettung zu initiieren, die auf erste Hilfe auf See spezialisiert
ist;

2. auf der nächsten Sitzung des Europäischen Rates die Einstellung der Mission
EUNAVFOR MED zu beantragen und eine Entschließung für eine zivile EU-
Mission auf den Weg zu bringen, deren Zielsetzung die Ausweitung der Seenot-
rettung und eine humane Erstversorgung der Flüchtlinge durch zivile Akteure
vorsieht; dazu sind diesen Organisationen unverzüglich die Mittel des Etats der
Mission EUNAVFOR MED zur Verfügung zu stellen;

3. die militärischen Kräfte der Bundeswehr dauerhaft aus dem Operationsgebiet ab-
zuziehen, sobald die zivilen Seenot-Rettungskräfte in der Lage sind, die Aufga-
ben der Seenotrettung zu übernehmen;

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/6207
4. auf eine grundsätzliche Umkehr der Flüchtlingspolitik der EU zu drängen: Es

müssen legale und sichere Einreisewege für Schutzsuchende geschaffen werden,
indem Asylsuchenden eine visumfreie Einreise ermöglicht wird oder ihnen hu-
manitäre Visa erteilt werden; bestehende rechtliche Möglichkeiten zur legalen
Einreise müssen ausgeschöpft werden, etwa beim Nachzug zu Familienangehöri-
gen, die nicht zur Kernfamilie gehören; die Aufnahme von Flüchtlingen aus Dritt-
ländern im Resettlement-Verfahren muss EU-weit und in Deutschland deutlich
ausgeweitet werden;

5. sich dafür einzusetzen, dass die EU-Programme, die Migration und Flucht poli-
zeilich und militärisch unterdrücken sollen, eingestellt werden;

6. dafür einzutreten, dass das Dublin-Abkommen, das den EU-Randländern einsei-
tig die Verantwortung für die Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen zu-
weist, aufgehoben wird;

7. sich für eine schnellstmögliche Einigung zur Beendigung der Kampfhandlungen
in Syrien einzusetzen und dafür mit allen Staaten, die Einfluss in Syrien haben,
in diesem Sinne zusammenzuarbeiten;

8. gegen Landgrabbing, Überfischung und die Zerstörung lokaler Märkte durch Ex-
porte aus der EU vorzugehen und sich für ein Umsteuern der EU in der Handels-
politik mit afrikanischen Staaten einzusetzen.

Berlin, den 29. September 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.