BT-Drucksache 18/6204

Biosicherheit bei Hochrisikoforschung in den Lebenswissenschaften stärken

Vom 30. September 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/6204
18. Wahlperiode 30.09.2015

Antrag
der Abgeordneten Kai Gehring, Harald Ebner, Kordula Schulz-Asche,
Dr. Franziska Brantner, Katja Dörner, Elisabeth Scharfenberg, Ulle
Schauws, Maria Klein-Schmeink, Tabea Rößner, Dr. Harald Terpe,
Doris Wagner, Beate Walter-Rosenheimer, Christian Kühn (Tübingen),
Peter Meiwald, Claudia Roth (Augsburg) und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Biosicherheit bei Hochrisikoforschung in den Lebenswissenschaften
stärken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das Knowhow und die Technologien in den Lebenswissenschaften entwickeln sich
rasant. Das Wissen in diesen Fächern wächst und ist global vernetzt. Es verbreitet

sich schnell und in Länder, die vormals wenig Wissenszugang hatten. Techniken zur

Herstellung oder Veränderung von Viren, Bakterien und Co. werden kostengünstiger
und einfacher.

Das alles birgt große Potenziale für die Forschung. Wissenschaftlerinnen und Wis-
senschaftler erhoffen sich wichtige Erkenntnisse, von denen auch die Gesellschaft

später immens profitieren kann. So zum Beispiel, wenn es um die Bekämpfung von

Krankheiten geht, wie Infektionen mit dem gefürchteten Mers-Virus.

Leider erhöhen aber auch einfache, preiswerte Herstellungsverfahren und leicht zu-

gängliches Wissen das Risiko, dass Menschen mit krimineller Absicht Forschung
für schädliche Zwecke missbrauchen. Bioterroristen können sich gefährlicher Viren

aus dem Labor bemächtigen und für Terrorakte einsetzen. Staaten, aber auch nicht-

staatliche Akteure, können waffenfähige Erreger illegal kopieren, um sie militärisch
zu nutzen. Cyberkriminelle können biosicherheitsrelevante Forschungsdaten steh-

len, um andere zu schädigen.

Das „dual-use“-Dilemma beschreibt die Gefahr, dass Forschungsergebnisse nicht
nur zum Wohl, sondern zugleich auch zum Schaden von Mensch und Umwelt ein-

setzbar sind. Dieses Risiko wiegt besonders schwer, wenn mit gefährlichen Viren,
Bakterien oder anderen biosicherheitsrelevanten Materialien geforscht wird. Denn

in den Händen von Bioterroristen oder Kriminellen können die Verfahren oder Er-

gebnisse dieser Hochrisikoforschung Leben und Gesundheit von Mensch und Um-
welt unmittelbar bedrohen. Forschungsvorhaben mit derartigem Missbrauchspoten-

zial gehören zur „Dual Use Research of Concern“, kurz DURC. Sie werfen regelmä-
ßig Fragen zum Missbrauchspotenzial, also Fragen zur Biosicherheit (Biosecurity),

auf.

Drucksache 18/6204 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stehen in der Verantwortung, zum Wohl

von Menschen und Umwelt zu forschen. Die Abwägung zwischen potenziellem Nut-

zen und möglichem Risiko durch Missbrauch ist jedoch schwer und oft nicht ein-
deutig bestimmbar. Freiwillige Selbstverpflichtungen sind gut, um Sensibilität und

Selbstverantwortung in der Wissenschaft zu stärken. In schwierigen Zweifelsfällen
von DURC reichen sie aber nicht aus. Denn sie lassen die Forscherin bzw. den For-

scher allein in der Abwägung zwischen Forschungsfreiheit, gesellschaftlichem Nut-

zen und dem Schutz hochrangiger Güter wie Leben, Gesundheit, Umwelt und Si-
cherheit der Bevölkerung. Rechtlich verbindliche Verfahren dagegen entlasten die

Forschenden, nicht zuletzt in Haftungsfragen. Sie sind demokratisch legitimiert und

erhöhen die Verfahrenstransparenz. Sie sind für die Risikovorsorge bei DURC un-
verzichtbar und sollten jetzt angegangen werden.

2013 beauftragte die deutsche Bundesregierung den Deutschen Ethikrat (DER), zum
Thema Biosicherheit und Forschungsfreiheit eine Stellungnahme zu erarbeiten. Im

Mai 2014 nahmen Bundesforschungsministerin Johanna Wanka und Gesundheits-

minister Hermann Gröhe die Stellungnahme entgegen. Sie enthielt neben der Emp-
fehlung an die Wissenschaftsgemeinde, einen einheitlichen nationalen Forschungs-

kodex im Umgang mit Biosecurity-Fragen zu entwickeln, auch Empfehlungen an
den deutschen Gesetzgeber und mit Blick auf die internationale Ebene. Bislang steht

die Umsetzung dieser Empfehlungen noch aus.

Indem Deutschland das Thema Biosecurity anpackt, kann es in positiver Weise vo-
rangehen und dabei auch auf die internationale Ebene ausstrahlen. Zugleich brau-

chen wir bessere und einheitliche Standards auf europäischer Ebene und in völker-

rechtlicher Hinsicht.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. ein Gesetz vorzulegen, das die Empfehlungen des DER zum gesetzlichen Re-
gelungsbedarf beim Umgang mit besorgniserregenden biosecurityrelevanten

Forschungsvorhaben aufgreift. Mit den gesetzlichen Regelungen soll

a) DURC definiert werden,

b) eine zentrale, unabhängige DURC-Kommission eingesetzt werden. Die

Kommission ist interdisziplinär besetzt und schließt zivilgesellschaftliche
Expertise ein;

c) gewährleistet sein, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit be-
sorgniserregenden biosicherheitsrelevanten Forschungsvorhaben dazu

verpflichtet sind, sich von der DURC-Kommission beraten zu lassen, ob

die Risiken ihres Forschungsvorhabens im Verhältnis zu den Chancen ver-
antwortbar sind. Die Kommission gibt dazu ein Votum ab;

d) ein Verfahren beschlossen werden, wonach das DURC-Beratungsverfah-

ren nach vier Jahren evaluiert wird, um die Wirksamkeit einzuschätzen
und ggf. nachzujustieren;

2. als Forschungsförderin und als Mitglied in Kuratorien oder Aufsichtsräten öf-
fentlicher oder privater Forschungsförderer darauf hinzuwirken, dass

a) sich Hochschulen, Forschungseinrichtungen und wissenschaftliche Fach-

gesellschaften auf einen einheitlichen Biosecurity-Forschungskodex ver-
ständigen;

b) DURC-Vorhaben nicht gefördert werden, wenn eine negative Entschei-
dung der DURC-Kommission vorliegt;

c) DURC-Vorhaben nur gefördert werden, wenn die federführenden Wissen-

schaftlerinnen bzw. Wissenschaftler sich zum Biosecurity-Forschungsko-
dex verpflichtet haben.;

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/6204

3. sich auf internationaler bzw. europäischer Ebene stark zu machen

a) für einen völkerrechtlichen Vertrag über Grundlagen und Grenzen verant-

wortlicher biosecurityrelevanter Forschung, der auf der Grundlage der in-
ternationalen Menschenrechte basiert und die Interessen ärmerer Länder

berücksichtigt;

b) dafür, dass die Europäische Union DURC-Forschungsvorhaben über die

Forschungsrahmenprogramme nur fördert, wenn sie im Einklang mit dem

völkerrechtlichen Vertrag stehen.

Berlin, den 29. September 2015

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Begründung

2011/12 gab es eine aufsehenerregende Debatte, ob Forschungsergebnisse zu veränderten Vogelgrippe-Viren

aus den Niederlanden und den USA veröffentlicht werden sollen oder nicht. Mögliche Gefahren, die von den
Viren im Fall von Missbrauch oder auch einem Unfall ausgehen könnten, mussten hier abgewogen werden

gegen das hohe Gut der Forschungsfreiheit und den potenziellen Nutzen der Vogelgrippe-Experimente für die
öffentliche Gesundheit.

Anlässlich dieser Debatte befassten sich Politik, Wissenschaftsgemeinde und Zivilgesellschaft intensiv mit

dem dual-use-Potenzial von Forschung. Ende 2012 fand im Bundestagsauschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ein öffentliches Fachgespräch zum „Umgang mit sicherheitsrelevanten For-

schungsergebnissen“ statt. Ebenfalls 2012 beauftragte die Bundesregierung den Deutschen Ethikrat (DER) mit

einer Stellungnahme zu Biosicherheit und Forschungsfreiheit, die der DER 2014 veröffentlichte. Ebenfalls
2014 legten die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und die Deutsche Akademie der Naturforscher Leo-

poldina eine Empfehlung dazu vor, wie Missbrauchsgefahren von Forschung minimiert werden könnten. Wäh-
rend DFG und Leopoldina das dual-use-Problem in der Forschung generell aufgreifen und der wissenschaftli-

chen Community dazu einen Verhaltens-Kodex als Instrument zur Selbstregulierung vorlegen, hebt der DER

insbesondere auf biosicherheitsrelevante Hochrisikoforschung ab, fordert einen von der Wissenschaft getrage-
nen, nationalen Biosecurity-Forschungskodex und identifiziert u. a. gesetzliche Lücken.

Im März 2015 schließlich nahm ein „Gemeinsamer Ausschuss zum Umgang mit Sicherheitsrelevanter For-
schung“ von DFG und Leopoldina seine Arbeit auf. Er unterstützt seither Forschungsinstitutionen bei der Um-

setzung der DFG-Leopoldina-Empfehlungen. Bis 2017, so das Ziel, sollen an allen deutschen Forschungsein-

richtungen Kommissionen für Ethik der Forschung etabliert sein. Sie sollen die einzelnen Institutionen in die
Lage versetzen, sachgerecht und verantwortungsvoll mit Diskussionsfällen aus der eigenen Arbeit umzugehen

und selbst über diese zu entscheiden. Während sich die Wissenschaftsgemeinde also auf den Weg gemacht hat,

per Selbstverpflichtung ethische Standards zum Umgang mit sicherheitsrelevanter Forschung zu etablieren,
harren die Empfehlungen des DER zum gesetzlichen Regelungsbedarf noch ihrer Umsetzung.

Auch der DER empfiehlt einen Kodex, allerding ausschließlich für Biosecurity-Fragen, also bei Forschungs-
vorhaben aus dem Bereich DURC. Dieser Kodex, der von der Wissenschaftsgemeinde erarbeitet werden und

bundesweit in allen öffentlichen und privaten Forschungseinrichtungen gelten soll, wird flankiert mit einer

gesetzlichen Regelung zur Einrichtung einer DURC-Kommission. Diese Kommission soll Wissenschaftlerin-
nen und Wissenschaftler mit biosicherheitsrelevanten Forschungsvorhaben beraten und Empfehlungen abge-

ben. Bei negativen Votum über ein Forschungsprojekt soll es keine Förderung geben. Forschungsförderungen
im biosicherheitsrelevanten Bereich werden zudem daran geknüpft, dass sich Wissenschaftlerinnen und Wis-

senschaftler zu dem Kodex bekennen.

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