BT-Drucksache 18/6196

zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Franziska Brantner, Annalena Baerbock, Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksache 18/4686 - Gemeinsame Grundwerte stärken - Europa stärken

Vom 30. September 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/6196
18. Wahlperiode 30.09.2015

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union
(21. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Franziska Brantner, Annalena
Baerbock, Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN
– Drucksache 18/4686 –

Gemeinsame Grundwerte stärken – Europa stärken

A. Problem

Der EU liegt ein Konsens über gemeinsame Werte zugrunde. In Artikel 2 EU-
Vertrag (EUV) verpflichten sich die Mitgliedstaaten zur Achtung der Menschen-
würde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und der Wahrung der
Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten ange-
hören. Der Individualschutz gegenüber Grundrechtsverstößen ist bereits gut aus-
gebaut, bei systematischen Verstößen gegen demokratische Prinzipien und Recht-
staatlichkeit sieht Artikel 7 EUV ein Verfahren vor, um auf anhaltende Verstöße
der Mitgliedstaaten gegen demokratische Prinzipien und Rechtsstaatlichkeit zu
reagieren. Die Hürden für die Auslösung des Verfahrens nach Artikel 7 EUV sind
allerdings hoch. So fehlen effektive und hinreichend flexible Instrumente, um an-
gemessen auf Situationen reagieren zu können, in denen ein EU-Mitgliedstaat
Grundrechte nicht nur vereinzelt verletzt; sei es indirekt, indem er die Gewalten-
teilung und Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit aushebelt, oder sei es direkt, indem
Gesetze erlassen werden, die die Grundrechte unverhältnismäßig einschränken.
Die Kommission hat daher im Mai 2014 Vorschläge vorgelegt, wie auf Verstöße
unterhalb der Schwelle gemäß Artikel 7 EUV angemessen reagiert werden kann.
Der Rat hat dazu im Dezember 2014 Schlussfolgerungen verabschiedet.

Der Antrag entwickelt Vorschläge, wie unterhalb der Schwelle des Artikels 7
EUV die Einhaltung demokratischer Prinzipien und der Rechtstaatlichkeit in den
Mitgliedstaaten beobachtet und sichergestellt werden kann.

B. Lösung

Ablehnung des Antrags mit den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU, SPD
und DIE LINKE. gegen die Stimmen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN.

Drucksache 18/6196 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

C. Alternativen

Keine.

D. Kosten

Kosten wurden nicht erörtert.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/6196
Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,

den Antrag auf Drucksache 18/4686 abzulehnen.

Berlin, den 23. September 2015

Der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Gunther Krichbaum
Vorsitzender

Detlef Seif
Berichterstatter

Dr. Lars Castellucci
Berichterstatter

Andrej Hunko
Berichterstatter

Dr. Franziska Brantner
Berichterstatterin

Drucksache 18/6196 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Bericht der Abgeordneten Detlef Seif, Dr. Lars Castellucci, Andrej Hunko,
Dr. Franziska Brantner

I. Überweisung

Der Deutsche Bundestag hat die Vorlage auf Drucksache 18/4686 in seiner 100. Sitzung am 23.April 2015 bera-
ten und an den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union zur federführenden Beratung und an
den Auswärtigen Ausschuss, Innenausschuss, Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz, Ausschuss für Men-
schenrechte und humanitäre Hilfe zur Mitberatung überwiesen.

II. Wesentlicher Inhalt der Vorlage

Die Fraktion BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN hebt in ihrem Antrag die Bedeutung europäischer Grundwerte hervor.
Die Mitgliedstaaten hätten einem Konsens über gemeinsame Grundwerte in Artikel 2 EUV Ausdruck verliehen.
Diese Grundwerte zu fördern und einzuhalten, seien die EU, ihre Institutionen und Mitgliedstaaten verpflichtet.

In einzelnen Mitgliedstaaten wie Ungarn, Rumänien oder früher Italien gebe es Entwicklungen, die Anlass zur
Sorge böten. Würden die Gewaltenteilung und Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit jedoch ausgehebelt oder Grund-
rechte unverhältnismäßig beschnitten, fehlten der EU neben dem Verfahren gemäß Artikel 7 EUV effektive und
hinreichend flexible Instrumente, um angemessen auf Verstöße zu reagieren. Artikel 7 EUV sehe bei „schwer-
wiegender und anhaltender Verletzung“ der im EU-Vertrag verankerten Werte (siehe Artikel 2 EUV) durch einen
Mitgliedstaat als schwerste Sanktion eine Aussetzung der Stimmrechte des betroffenen Staates vor. Überdies gebe
es auf Ebene der EU keine unabhängigen Kontrolleinrichtungen, wie sie etwa der Europarat mit seiner „Venedig-
Kommission“ oder auch die OSZE und die Vereinten Nationen hätten. Gegenüber beitrittswilligen Staaten könne
die EU auf Grundlage der Kopenhagener Kriterien strenge Auflagen machen, nicht mehr aber nach deren Beitritt.
Insgesamt sei der Individualschutz gegenüber Grundrechtsverstößen in der EU gut ausgebaut, bei Verstößen ge-
gen demokratische Prinzipien und Rechtsstaatlichkeit bestünden jedoch Defizite.

Die Kommission (COM(2014) 158 final) schlage vor, ein informelles Verfahren, das schon in der Vergangenheit
mangelhaft gewesen sei und bei dem Rat und Europäisches Parlament nicht beteiligt würden, zu kodifizieren. Die
Mitgliedstaaten setzten ihrerseits auf ein Dialogverfahren im Rat (Ratsschlussfolgerungen 17014/14). Die Rats-
schlussfolgerungen gäben aber keine Antwort darauf, wie ein unparteiisches, faktengestütztes, objektives Verfah-
ren unter Einschluss der Zivilgesellschaft sichergestellt werden solle. Auch die Verzahnung der Ansätze von Rat
und Kommission sei unklar, sodass Konkurrenz und Duplizität drohten.

Perspektivisches Ziel sei eine Änderung der EU-Verträge, durch die für die EU explizite Kompetenzen bei Ver-
stößen gegen demokratische Prinzipien und Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten geschaffen werde. Bis zu
diesen Änderungen sei eine Alternative im Rahmen der bestehenden Verträge erforderlich.

Die Antragsteller fordern die Bundesregierung auf, sich innerhalb des Rates und gegenüber der Kommission für
eine Verbesserung der Verfahren zur Beobachtung und Einhaltung der Grundwerte sowie zur Sanktionierung von
Verstößen einzusetzen. Insbesondere wird die Bundesregierung aufgefordert,

– Klarheit über den „unparteilichen und evidenzbasierten“ Ansatz des Rates (Ratsdokument 17014/14) und
die Gestaltung der Zusammenarbeit mit der Kommission zu schaffen

– sich für einen ständigen Frühwarn- und Überwachungsmechanismus für alle Mitgliedstaaten einzusetzen und
ein Panel wichtiger Persönlichkeiten nach dem Vorbild der Venedig-Kommission des Europarates zu beru-
fen

– die Entwicklung gemeinsamer Indikatoren zur nachvollziehbaren Bewertung der Grundwerte in den Mit-
gliedstaaten voranzutreiben

– sich in Krisenfällen für die konstruktive Diskussion und den Informationsfluss zwischen den von Rat und
Kommission vorgeschlagenen Dialogmechanismen sowie dem einzurichtenden Panel und der Zivilgesell-
schaft einzusetzen

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/6196
– sich für die unverzügliche Veröffentlichung der Ergebnisse von Frühwarn- und Kontrollprozessen sowie für

eine Informationsoffensive, die umfassend und verständlich über die Untersuchungsprozesse zu Grundwer-
ten der EU informiert, einzusetzen

– auf die jährliche Veröffentlichung eines Weißbuchs zur Lage der Grundwerte und der Rechtstaatlichkeit in
der EU hinzuwirken

– eine Anpassung des Mandats der Grundrechte-Agentur zur Debatte zu stellen

– sich für die Auflegung eines Rechtsstaatsfonds zur Unterstützung der Menschenrechts- und Demokratiever-
teidiger einzusetzen

– eine Diskussion über Sanktionsmöglichkeiten unterhalb der Schwelle des Artikel-7-Verfahrens anzustoßen.

III. Stellungnahmen der mitberatenden Ausschüsse

Der Auswärtige Ausschuss hat die Vorlage 18/4686 in seiner 44. Sitzung am 17. Juni 2015 beraten und empfiehlt
mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD bei Stimmenthaltung der Fraktion DIE LINKE. gegen
die Stimmen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, den Antrag abzulehnen.

Der Innenausschuss hat die Vorlage 18/4686 in seiner 52. Sitzung am 1. Juli 2015 beraten und empfiehlt mit den
Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD bei Stimmenthaltung der Fraktion DIE LINKE. gegen die Stim-
men der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, den Antrag abzulehnen.

Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz hat die Vorlage 18/4686 in seiner 65. Sitzung am 23. Sep-
tember 2015 beraten und empfiehlt mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD bei Stimmenthaltung
der Fraktion DIE LINKE. gegen die Stimmen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, den Antrag abzulehnen.

Der Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe hat die Vorlage 18/4686 in seiner 39. Sitzung am
1. Juli 2015 beraten und empfiehlt mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der Fraktion
DIE LINKE. gegen die Stimmen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, den Antrag abzulehnen.

IV. Beratungsverlauf und Beratungsergebnisse im federführenden Ausschuss

Der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union hat die Vorlage in seiner 43. Sitzung am
23. September 2015 beraten und empfiehlt mit den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU, SPD und DIE LINKE.
gegen die Stimmen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, den Antrag abzulehnen.

Die Fraktion der CDU/CSU betonte den Stellenwert der gemeinsamen Werte in der Europäischen Union. Ein
permanenter Mechanismus zur Überwachung der gemeinsamen Grundwerte sei jedoch nicht notwendig. In den
Mitgliedstaaten der Europäischen Union sei die Herstellung von Öffentlichkeit und Transparenz bei Verstößen
gegen die Rechtsstaatlichkeit sichergestellt. Ein permanenter Überwachungsmechanismus berge die Gefahr einer
politischen Instrumentalisierung. Der Ansatz des Rates, einen jährlichen politischen Dialog der Mitgliedstaaten
zur Förderung und Wahrung der Rechtstaatlichkeit durchzuführen und bei konkreten Anlässen ad hoc Sondersit-
zungen einzuberufen sei vorzuziehen. Zunächst sei abzuwarten, ob sich diese Vorgehensweise bewähre, andern-
falls seien Anpassungen vorzunehmen.

Die Fraktion der SPD bedauerte, dass es nicht gelungen sei, einen fraktionsübergreifenden Antrag zu formulie-
ren. Die inhaltlichen Anliegen des vorliegenden Antrages teile man. Die Einhaltung der Kopenhagen-Kriterien
sei durch eine dauerhafte Überprüfung der Mitgliedstaaten sicherzustellen. Aus Gründen der „Koalitionsräson“
schließe man sich jedoch dem Votum der Fraktion der CDU/CSU an.

Die Fraktion DIE LINKE. ging auf die im Antrag erwähnte „Venedig-Kommission“ des Europarates ein. Die
Venedig-Kommission leiste gute Arbeit. In diesem Zusammenhang sei daran zu erinnern, dass die Europäische
Union noch immer nicht der Europäischen Menschenrechtskonvention beigetreten sei, obwohl der Beitritt schon
2011 hätte vollzogen sein sollen.

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN legte dar, dass der im Antrag vorgeschlagene Mechanismus sich
nicht an einzelne Mitgliedstaaten richte. Die Gefahr einer politischen Instrumentalisierung bestehe nicht. Der

Vorschlag sehe vor, das vorgeschlagene Gremium durch neutrale Experten für Verfassungsfragen zu besetzen.

Drucksache 18/6196 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Diese Experten seien durch die Parlamente der Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament dauerhaft zu er-

nennen. Eine von Fall zu Fall wechselnde Zusammensetzung werde so vermieden. Der Vorschlag sei dem Ver-

fahren zur Zusammensetzung der „Venedig-Kommission“ des Europarates vergleichbar.

Berlin, den 23. September 2015

Detlef Seif
Berichterstatter

Dr. Lars Castellucci
Berichterstatter

Andrej Hunko
Berichterstatter

Dr. Franziska Brantner
Berichterstatterin

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