BT-Drucksache 18/6070

Zum Schutz der Verbraucher - Unzutreffende Angaben beim Spritverbrauch und Schadstoffausstoß von PKW beenden

Vom 23. September 2015


Deutscher Bundestag Drucksache ���6070
18. Wahlperiode �����������

Antrag
der Abgeordneten Stephan Kühn (Dresden), Oliver Krischer, Matthias Gastel,
Tabea Rößner, Markus Tressel, Dr. Valerie Wilms, Harald Ebner, Annalena
Baerbock, Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl, Christian Kühn (Tübingen),
Renate Künast, Steffi Lemke, Nicole Maisch, Peter Meiwald, Friedrich
Ostendorff, Dr. Julia Verlinden und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zum Schutz der Verbraucher – Unzutreffende Angaben beim Spritverbrauch
und Schadstoffausstoß von PKW beenden

Der Bundestag wolle beschließen:

I.� Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Autohersteller sind verpflichtet, die Emissionen ihrer Fahrzeuge deutlich zu ver-
mindern. Die Bundesregierung hat sich in ihrem Aktionsprogramm Klimaschutz
dem Ziel verpflichtet, bis zum Jahr 2020 mindestens 40 Prozent weniger Treibhaus-
gase zu emittieren als im Jahr 1990. Während andere Sektoren deutliche Verminde-
rungsfortschritte vorweisen können, sind die Emissionen im Verkehrsbereich weit-
gehend konstant auf hohem Niveau geblieben. Nach Angaben des Sachverständi-
genrats für Umweltfragen (SRU) ist die Luft in verkehrsreichen Ballungsräumen
weiter stark mit Stickstoffdioxid belastet. Aufgrund der Gesundheitsrisiken durch
Stickoxide ergibt sich dringender Handlungsbedarf für die Luftqualität in Städten.
Zwei Drittel der NO2-Belastungen in Umweltzonen gehen auf den Verkehr und hier
im besonderen Maße auf Dieselmotoren zurück.

Verbrauchs- und Abgasmessungen bei Pkw sind manipulationsanfällig und geben
den Verbraucherinnen und Verbrauchern keine glaubhafte Auskunft über ihre Autos.
Zahlreiche Nachprüfungen weisen darauf hin, dass die Emissionsbeschränkungen
für neue Pkw durch EU-Verordnungen keine Wirksamkeit entfalten und Autos le-
diglich auf dem Papier emissionsärmer geworden sind – und nicht auf der Straße.
Der jüngste Skandal um Volkswagen zeigt, dass Autohersteller sogar Software ein-
setzen, die erkennen kann, wann sich Autos im Testmodus befinden, um den Schad-
stoffausstoß dann zeitweise gezielt zu senken.

Der tatsächliche Kraftstoffverbrauch neuer Pkw-Modelle weicht de facto immer
stärker vom amtlichen Normverbrauch gemäß offiziellem Verbrauchszyklus (NEFZ
– Neuer Europäischer Fahrzyklus) und dementsprechenden Herstellerangaben ab.
Nach Angaben des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) soll der CO2-Ausstoß der Neu-
wagenflotte zwischen den Jahren 2009 und 2013 von 154 auf 136 g CO2/km zurück-
gegangen sein (von ca. 6 Litern auf ca. 5,5 Liter pro 100 km). Der International
Council on Clean Transportation (ICCT) hat jedoch ermittelt, dass sich die Differenz
zwischen Herstellerangaben und tatsächlichem Verbrauch in den Jahren 2009 bis
2013 von 19 auf 38 Prozent verdoppelt hat. Auf Grundlage realer Verbrauchsdaten

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hat die Deutsche Umwelthilfe (DUH) entsprechende Berechnungen vorgelegt, nach
denen der tatsächliche CO2-Ausstoß zwischen den Jahren 2009 und 2013 nicht ge-
sunken, sondern dagegen leicht von 184 auf 188 g CO2/km angestiegen ist (ent-
spricht etwa 7,5 Litern pro 100 km). Zu ähnlichen Ergebnissen sind der ADAC Eco
Test (vgl. Kölner Stadtanzeiger, 19. Mai 2013) und die Zeitschrift „Auto Bild“ ge-
langt (vgl. www.autobild.de/artikel/spritverbrauch-herstellerangabe-gegentestver-
brauch-1129421.html).

Da CO2-Ausstoß und Spritverbrauch zusammenhängen, bedeuten höhere Emissio-
nen auch gleichzeitig mehr Kraftstoffverbrauch. Verbraucherinnen und Verbraucher
treffen ihre Kaufentscheidung auch aufgrund der Effizienzangaben der Hersteller.
Durch intransparente und unzutreffende Angaben werden die Verbraucherinnen und
Verbraucher immer stärker getäuscht und müssen beim Tanken deutlich mehr zah-
len, als sie erwartet haben.

Die wachsende Kluft zwischen Herstellerangaben und tatsächlichen Verbrauchswer-
ten hängt zum einen mit den ungenauen Testbedingungen des Prüfzyklus NEFZ zu-
sammen. Dort ist festgelegt, wie die Verbrauchs- bzw. CO2-Angaben für Pkw im
Labor auf dem Rollenprüfstand gemessen werden. Das derzeit praktizierte Verfah-
ren im Labor lässt zahlreiche Schlupflöcher zu (u. a. verlangsamtes Beschleunigen,
Einsatz von Leichtlaufreifen und hochwertigen Motorölen, automatisches Abschal-
ten von Aggregaten). Nur wenn diese konsequent unterbunden sind, werden Käufe-
rinnen und Käufer wieder über eine verlässliche Information bei der Wahl ihres Au-
tos verfügen.

Zum anderen führt die bisherige Weigerung der Bundesregierung zur Durchführung
von Nachprüfungen dazu, dass die Hersteller ungenaue und fehlende Detailvorgaben
des EU-Testverfahrens ausnutzen können. So werden bestimmte relevante Werte
wie zum Beispiel die Ergebnisse der Fahrwiderstandsmessung von den Herstellern
selbst ermittelt und dann von den nationalen Testbehörden teilweise direkt übernom-
men. In Deutschland müssen diese Werte – anders als in den USA – bislang nicht
veröffentlicht werden. Eine kritische Kontrolle dieser Daten durch die Öffentlichkeit
ist in Deutschland daher nicht möglich.

Auch der Schadstoffausstoß liegt bei Pkw oft um ein vielfaches höher als nach offi-
ziellen Angaben. Dem VW-Konzern drohen in den USA Strafen in Milliardenhöhe,
weil VW mit Hilfe einer Spezialsoftware die Messung des Schadstoffausstoßes von
Dieselfahrzeugen manipuliert hat. Die Software hat bei verschiedenen Dieselmodel-
len dafür gesorgt, dass die Emissionen im Testbetrieb stark vermindert wurden, um
den strengen Vorschriften des Clean Air Act zu genügen. Im Normalbetrieb waren
die Stickstoffoxid-Emissionen dieser Autos laut Environment Protection Agency
(EPA) dagegen um das 10- bis 40fache höher. Studien aus den Niederlanden, Nor-
wegen und Deutschland gehen bei Stickoxiden aus Dieselfahrzeugen von Über-
schreitungen vom sieben bis fünfzehnfachen der europäischen Grenzwerte aus. Die
Betrugsvorwürfe gegen den Volkswagenkonzern haben gezeigt, dass Manipulatio-
nen bei Umwelt- und Gesundheitsschutz einen erheblichen Vertrauensverlust und
einen Kursabsturz der Unternehmensaktie zur Folge haben.

II.� Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

Unabhängige Nachtests einführen

1.� das Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) zu beauftragen, wie in den Direktiven (EG)
Nr. 715/2007 und 692/2008 vorgeschrieben, unabhängige stichprobenartige
Nachtests für Abgase und CO2-Emission regelmäßig durchzuführen;

2.� die Abgas-Feldüberwachung des Umweltbundesamtes (UBA) zu stärken und
zwar inklusive der Erhebung der CO2-Emissionen; zusätzlich zur Überprüfung
der Fahrzeuge im Labor dafür auch Straßentests durchführen zu lassen; die Be-
hörden zu verpflichten, die Ergebnisse aller oben genannten Tests mit Nennung

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache ���6070

des Fahrzeugherstellers, des Modells und der Motorisierung auf ihren Internet-
seiten zu veröffentlichen;

3.� das KBA anzuweisen, die von den Herstellern übermittelten Werte stichpro-
benartig zu prüfen, sie zu veröffentlichen und die Testergebnisse Verbraucher-
schutzorganisationen zur Verfügung zu stellen, damit diese die Ergebnisse kon-
trollieren und bewerten können;

Bessere Testverfahren einführen

4.� sich gegenüber den anderen EU-Mitgliedstaaten und der EU-Kommission dafür
einzusetzen, den realistischeren weltweiten Verbrauchszyklus „Worldwide
Harmonized Light Vehicles Test Procedure“ (WLTP) im Jahr 2017 einzufüh-
ren;

5.� sich gegenüber den anderen EU-Mitgliedstaaten und der EU-Kommission dafür
einzusetzen, die Einführung verbindlicher Straßentests (RDE – „Real Driving
Emissions“) für Schadstoffe so auszugestalten, dass daraus ein merklicher Bei-
trag zur Luftreinhaltung in Städten erwächst;

6.� sich gegenüber den anderen EU-Mitgliedstaaten und der EU-Kommission dafür
einzusetzen, dass zusätzlich zum WLTP weitere Rahmenbedingungen für die
Testverfahren unmissverständlich festgelegt werden (z. B. eine EU-weit vorge-
schriebene Testtemperatur und die Berücksichtigung der Klimaanlage im Test-
verfahren);

7.� sich gegenüber den anderen EU-Mitgliedstaaten und der EU-Kommission dafür
einzusetzen, dass bei der für die CO2-Grenzwerte notwendigen Umrechnung
der Ergebnisse des alten Testzyklus (NEFZ) in den neuen Testzyklus Schlupf-
löcher geschlossen werden und auch in Zukunft geschlossen bleiben.

Berlin, den 22. September 2015

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Drucksache ���6070 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Begründung

1. Laut der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der grünen Bundestagsfraktion
(Drucksache 18/5656) wurden seitens des KBA bislang keine Nachprüfungen durchgeführt, obwohl diese
vorgeschrieben sind. Der Skandal um VW hat gezeigt, dass Nachtests notwendig sind, um die
Manipulation von Abgaswerten auszuschließen und realistische Messergebnisse zu ermitteln.
Nachprüfungen können im Rahmen der ohnehin stattfindenden Überprüfungen der Konformität der in
Betrieb befindlichen Fahrzeuge (In Service Conformity - ISC) geschehen.

2. Das UBA hat im Rahmen einer Feldüberwachung den Kraftstoffverbrauch verschiedener Fahrzeugtypen
im Labor überprüft. Da auch beim neuen WLTP-Verfahren Manipulationen nicht ausgeschlossen werden
können, sind weitere Nachmessungen für Abgase und CO2 notwendig, und zwar auch auf der Straße.

3. Bestimmte technische Werte wie z. B. Ausrollwerte zur Festlegung des Fahrwiderstands können vom
Hersteller ermittelt werden. Hierbei wird bei einem Ausrolltest auf dem Testgelände ermittelt, wie weit das
Fahrzeug – abhängig von Roll- und Luftwiderstand – ausrollt. Diese Ergebnisse sind entscheidend für das
Endergebnis und werden bislang teilweise von den Behörden direkt übernommen. Durch ungenaue und
fehlende Detailvorgaben haben die Hersteller die Möglichkeit, diesen Wert so zu beeinflussen, dass am
Ende für die Fahrzeuge niedrige Verbrauchswerte herauskommen. In den USA werden diese Werte
veröffentlicht.

4. Der ADAC testet zusätzlich zu den EU-Messverfahren in praxisnahen Fahrzyklen.
Verbraucherschutzorganisationen und Umweltverbände können bei der fachlichen Bewertung der von den
Behörden ermittelten Ergebnisse eine wichtige Rolle spielen. Bislang behält sich die Bundesregierung laut
Drucksache 18/5656 vor, für Anfragen nach diesen Daten auf Basis des Umweltinformationsgesetzes
(UIG) eine Gebühr zu berechnen.

5. Das neue Testverfahren WLTP muss so schnell wie möglich eingeführt werden, um den veralteten und
unzureichenden NEFZ und dessen unzureichenden Testbedingungen zu ersetzen. Jede Verzögerung führt
dazu, dass Hersteller noch länger Schlupflöcher nutzen können und sich die Kluft zwischen tatsächlichen
Reduktionen und Reduktionen auf dem Papier weiter erhöht.

6. Daten des UBA zur Luftbelastung in Deutschland für das Jahr 2013 zeigen, dass die Belastung mit
Stickstoffdioxiden im städtischen und im ländlichen Raum von 2000 bis 2013 nahezu unverändert blieb.
So kommt es vor allem an stark vom Straßenverkehr belasteten Standorten zu deutlichen Überschreitungen
der Grenzwerte. Der motorisierte Straßenverkehr ist mit einem Anteil von 64 Prozent ein Hauptverursacher
von giftigen Stickstoffdioxidemissionen. Im Mai dieses Jahres verständigten sich die Mitgliedsstaaten der
Europäischen Union auf die Einführung verbindlicher Abgas-Straßentests für neue Fahrzeugmodelle. Ab
2016 sind Fahrzeughersteller aufgrund dieser neuen Regelung dazu verpflichtet, die Abgasemissionen
ihrer Pkw nicht nur unter Laborbedingungen, sondern zusätzlich auch unter realistischen Fahrbedingungen
zu messen. Ab 2017 sind Sanktionen vorgesehen, falls bei diesen Straßentests auffällig hohe
Abgasemissionen festgestellt werden. Die EU-Mitgliedstaaten ringen derzeit in Brüssel mit Vertretern der
Automobilindustrie um die Frage, um wieviel höher die Emissionen ihrer Fahrzeuge unter realistischen
Testbedingungen im Vergleich zum Labortest sein dürfen.

7. Bislang können Prüfstandmessungen bei einer Umgebungstemperatur von 20 bis 30 Grad vorgenommen
werden. Eine höhere Umgebungstemperatur wirkt sich dabei vorteilhaft für die Hersteller aus. So ergeben
sich bei Messungen bei 29 Grad beispielsweise Verbrauchseinsparungen von 1,5 bis 2 Prozent verglichen
mit Messungen bei 20 Grad. Diese hohen Temperaturen sind außerdem für Europa nicht repräsentativ.
Auch die zunehmende Nutzung der Klimaanlage muss in den Rahmenbedingungen für die Tests
berücksichtigt werden.

8. Die CO2-Grenzwerte für Pkw treten im Jahr 2021 vollständig in Kraft. Sie beruhen bislang auf dem NEFZ-
Messverfahren. Damit die Pkw-Grenzwerte angewendet werden können, müssen die im Messverfahren
erhobenen Werte vom NEFZ in den WLTP umgerechnet werden. Bei dieser Umrechnung drängen die
Autohersteller darauf, alte Schlupflöcher für die Zielerreichung der CO2-Grenzwerte weiter gelten zu
lassen. Dies würde jene Hersteller belohnen, die bislang nur auf dem Papier nicht aber auf der Straße den
Verbrauch ihrer Fahrzeuge reduziert haben.

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