BT-Drucksache 18/6004

Einheitliche Regierungskommunikation gegenüber sogenannten ausländischen Kämpfern

Vom 10. September 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/6004
18. Wahlperiode 10.09.2015

Kleine Anfrage

der Abgeordneten Andrej Hunko, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken,

Christine Buchholz, Annette Groth, Inge Höger, Ulla Jelpke, Niema Movassat,

Dr. Alexander S. Neu, Alexander Ulrich und der Fraktion DIE LINKE.

Einheitliche Regierungskommunikation gegenüber sogenannten ausländischen
Kämpfern

Die Organe der Europäischen Union (EU) wollen dem „gewaltbereiten Extremis-
mus“ und „Terrorismus“ zukünftig mit „strategischer Kommunikation“ begeg-
nen. Vor allem im Internet, aber auch im Fernsehen sollen „Gegenerzählungen“
(„counter narratives“) präsentiert werden. Nach äußerst kurzer Vorbereitungszeit
haben einige Mitgliedstaaten Anfang des Jahres ein „Beratungsteam für strategi-
sche Kommunikation in Bezug auf Syrien“ (SSCAT) ins Leben gerufen (Bundes-
tagsdrucksachen 18/3655, 18/4035, 18/5600). Die Gruppe wird von der belgi-
schen Polizei, der Europäischen Kommission und dem EU-Koordinator für die
Terrorismusbekämpfung geleitet. An der „Research, Information and Communi-
cations Unit“ (RICU) ist auch die britische Polizei beteiligt. Perspektivisch soll
mit dem Projekt ein Netzwerk von Behörden und Expertinnen und Experten der
EU-Mitgliedstaaten etabliert werden. Rund zwanzig Regierungen haben Vertre-
terinnen und Vertreter ins SSCAT entsandt. Die Gruppe hat sich bereits mehrmals
getroffen. Ziel ist, die EU-Mitgliedstaaten sowie europäische Institutionen bei der
Ausarbeitung von Kampagnen zur „strategischen Kommunikation“ zu unterstüt-
zen. Die Polizeien der EU-Mitgliedstaaten können vom SSCAT auch eine Bera-
tung anfordern, um der verstärkten Anwerbung für den islamistischen Terroris-
mus zu begegnen. Die Arbeit des SSCAT ist in drei Abschnitte gegliedert: Zur
Vernetzung werden zunächst Behörden in einzelnen EU-Mitgliedstaaten besucht.
Anschließend sollen „Gegenerzählungen“ entwickelt werden, die schließlich in
einem dritten Abschnitt gemeinsam umgesetzt werden sollen. Dabei soll vor al-
lem auf die Schwächen des „Islamischen Staates“ abgehoben werden, etwa die
Unfähigkeit, ein eigenes Staatswesen aufzubauen, oder die hohe Zahl bei Luftan-
griffen getöteter Kämpfer.

Das SSCAT wird von der Europäischen Kommission für 18 Monate mit zunächst
1 Mio. Euro unterstützt. Außer den EU-Mitgliedstaaten können auch Drittstaaten
teilnehmen. Anvisiert sind beispielsweise Tunesien, Marokko, Jordanien und die
Türkei. In Deutschland arbeitet das SSCAT mit der Bundeszentrale für politische
Bildung zusammen. Eine dort vorbereitete Kampagne könnte sich an Erfahrungen
von „Youtuber gegen Nazis“ orientieren (www.katholisch.de vom
30. März 2015). Durch eine „authentische Ansprache“ könnten „junge, politik-
ferne Zielgruppen“ erreicht werden. Dabei sollten „anerkannte Youtuber“ helfen,
indem sie „Orientierungswissen vermitteln“ und „aufklärend und deradikalisie-
rend“ wirken. Laut eines Berichts der „FAZ“ vom 17. August 2015 habe der unter
dem Pseudonym „LeFloid“ auftretende Florian Mundt seine Beteiligung zuge-
sagt. Die „Beauty-Bloggerin“ Hatice Schmidt und „MrWissen2go“ alias

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Mirko Drotschman hätten ebenfalls Beiträge zugesagt. Im österreichischen In-
nenministerium ist man ein Schritt weiter und will selbst „zielgruppengerechte
Präventionsvideos“ erstellen. Auch Deutschland wolle sich laut einer Aussen-
dung des Bundesinnenministeriums Österreich vom 27. Oktober 2014 daran be-
teiligen.

Ein weiteres, sehr ähnliches Projekt unter dem Namen „Europäische gemeinsame
Initiative zu Internet und Terrorismusbekämpfung“ (EJI-ICT) wird unter Feder-
führung der Niederlande betrieben. An mehreren Arbeitstreffen haben die Innen-
ministerien aus Österreich, Deutschland, der Schweiz, Liechtenstein und Luxem-
burg teilgenommen. Zu den Aufgaben gehört die Bekämpfung der Nutzung des
Internets „durch Terroristen zu Propagandazwecken, Rekrutierung, Kommunika-
tion und Planung von Anschlägen“. Die Gruppe soll laut dem Bundesministerium
des Innern „gemeinsame Strategien gegenüber der Wirtschaft“ ausarbeiten. Ziel
ist, inkriminierte Inhalte „unter Einsatz einer Palette von Instrumenten, darunter
auch Maßnahmen der Strafverfolgung, zu verringern“. Hierzu hatte die europäi-
sche Polizeibehörde Europol kürzlich eine „Meldestelle für Internetinhalte“ ein-
gerichtet. Die Europäische Kommission betreibt derzeit die Gründung eines „Fo-
rums der Internetdienstleister“. Unternehmen wie Google, Microsoft und Face-
book sollen für die verstärkte Kooperation mit Strafverfolgungsbehörden gewon-
nen werden. Wie das SSCAT könnte das EJI-ICT auf bestehenden Maßnahmen
aufbauen. Hierzu gehört das vom Bundeskriminalamt gestartete EU-Projekt
„Check the web“, das seit dem Jahr 2007 eine Datenbank zu „islamistisch-extre-
mistischen“ Webseiten bei Europol angelegt hat.

Mittlerweile hat sich auch der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) in die Er-
stellung von „Gegenerzählungen“ zu den „von Terrororganisationen verwendeten
radikalen Botschaften“ eingeschaltet. Zusammen mit der Europäischen Kommis-
sion hat der EAD eine entsprechende Task Force gestartet. Ziel ist die Einbettung
entsprechender Maßnahmen in die EU-Außenpolitik. Auf diese Weise könnten
etwa arabische Regierungen überredet werden, Ausstrahlungen von Satelliten-
Fernsehsendungen auf dem Gebiet der EU zu verhindern oder wenigstens zu be-
einflussen, wie es der EU-Koordinator für die Terrorismusbekämpfung gefordert
hatte. Die EU hat bereits mehrere Projekte für Regierungen im Nahen Osten und
Nordafrika (der sogenannten MENA-Region) gefördert, die darin beraten wer-
den, wie sie der Argumentation islamistischer Gruppen „durch einen wirksamen
Gegendiskurs entgegentreten können“. Zuletzt wurden hierfür im Februar 2015
3,3 Mio. Euro ausgegeben; nun laufen Verhandlungen mit „Umsetzungspart-
nern“.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Was ist der Bundesregierung mittlerweile über die Einrichtung einer „stra-
tegischen Kommunikationseinheit der EU“ bekannt, die auch der Stärkung
der Zusammenarbeit mit den MENA-Staaten (MENA: Middle East and
North Africa; Nahost und Nordafrika) dienen soll (Bundestagsdrucksa-
che 18/5600)?

2. Welche Länder, weiteren Einrichtungen oder Netzwerke sollen dort einge-
bunden werden?

3. Inwiefern hat das Auswärtige Amt hierzu bereits Vorgespräche in Ländern
der Sahel-Region oder in Tunesien geführt?

4. Inwiefern gibt es mittlerweile eine Reaktion von „tunesischer Seite“ auf ein
Ende Mai 2015 vorgestelltes „Anti-Terror-Memorandum“, das „einen brei-
ten Fächer von möglichen EU-Unterstützungsmaßnahmen“ vorsieht?

5. Wie könnte nach Kenntnis der Bundesregierung eine Kooperation mit dem
Syria Strategic Communication Advisory Team (SSCAT) aussehen?

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6. Was ist der Bundesregierung zu Teilnehmenden und Adressatinnen und
Adressaten eines „Projekts zur Verhütung von Radikalisierung und gewalt-
bereitem Extremismus“ im Sahel/Maghreb bekannt, das mit „Programme
de Prévention Régionale de l'Extrémisme Violent de l'Union européenne“
(PPREV-UE) betitelt ist?

7. Welche Zielsetzung verfolgt das Projekt, und welche Maßnahmen sind ge-
plant?

8. Was ist der Bundesregierung mittlerweile über Pläne der EU zur Einrich-
tung einer „Arbeitsgruppe zur Schaffung von Gegen-Botschaften“ bekannt,
um den „von Terrororganisationen verwendeten radikalen Botschaften zu
entgegnen“?

9. Was ist der Bundesregierung über weitere EU-Projekte zur Unterstützung
von Maghreb- und Sahelländern zur „Verhütung von Radikalisierung“ be-
kannt, welche Teilnehmenden sind hierfür vorgesehen, und welche Mittel
werden hierfür aufgewendet?

10. Wer gehört der vom EAD und der Europäischen Kommission eingerichte-
ten Task Force an?

11. Welche Aufgaben zur „strategischen Anti-Terror-Kommunikation“ wurden
dort bereits definiert?

12. Sofern noch keine Aufgaben definiert wurden, wann ist nach Kenntnis der
Bundesregierung damit zu rechnen?

13. Über welche Kenntnisse zu Teilnehmenden des SSCAT verfügt die Bun-
desregierung inzwischen?

14. Auf welche Weise und mit welchen Aufgaben sind nach Kenntnis der Bun-
desregierung die Europäische Kommission, der EU-Koordinator für die
Terrorismusbekämpfung und die britische „Research, Information and
Communications Unit“ (RICU) beteiligt?

15. Inwiefern ist mittlerweile erkennbar, auf welche Weise aus dem Projekt ein
Netzwerk von Behörden und Experten der EU-Mitgliedstaaten etabliert
werden könnte?

16. Inwiefern sind nach Kenntnis der Bundesregierung auch militärische Ein-
richtungen im SSCAT vertreten oder haben an Treffen teilgenommen?

17. Welche konkreten Maßnahmen werden vom SSCAT verfolgt?

18. Welche weiteren Treffen des SSCAT sind nach Kenntnis der Bundesregie-
rung vorgesehen?

19. Inwiefern haben nach Kenntnis der Bundesregierung mittlerweile Gesprä-
che mit Tunesien, Marokko, Jordanien und der Türkei zur Teilnahme am
SSCAT stattgefunden, und wer hat diese geführt?

20. Welche Botschaften oder „Gegenerzählungen“ hält die Bundesregierung
gegenüber dem „Islamischen Staat“ oder seiner Sympathisantinnen und
Sympathisanten für besonders wichtig?

21. Auf welche Weise könnten die Botschaften oder „Gegenerzählungen“ aus
Sicht der Bundesregierung veröffentlicht werden?

22. Inwiefern sollen die via SSCAT ausgesendeten Botschaften oder „Gegener-
zählungen“ nach Kenntnis der Bundesregierung von muslimischen Grup-
pen oder Personen erstellt oder geäußert werden?

23. Auf welche Weise arbeitet das SSCAT mit Einrichtungen in Deutschland
(auch Bildungseinrichtungen) zusammen?

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24. Welche gemeinsamen Projekte werden vom SSCAT mit der Bundeszent-
rale für politische Bildung betrieben, und welche Treffen haben hierzu
stattgefunden?

25. Inwiefern und mit welchen Tätigkeiten ist an dieser Kooperation auch das
Bundesministerium des Innern beteiligt?

26. Inwiefern hält es die Bundesregierung für denkbar oder sogar möglich,
„junge, politikferne Zielgruppen“ durch eine „authentische Ansprache“ zu
erreichen und dabei „aufklärend und deradikalisierend“ zu wirken?

27. Welche Anstrengungen haben welche Bundesbehörden hierzu unternom-
men, und welche weiteren Einrichtungen sind daran beteiligt?

28. Welche „Youtuber“ oder andere, in sozialen Netzwerken besonders aktive
Personen hat die Bundesregierung für einschlägige Projekte gewonnen
(bitte samt deren Kanälen angeben)?

29. Welche Kosten entstehen dafür, und wie werden die Beteiligten vergütet,
bzw. wie werden Aufwendungen entschädigt?

30. Welche konkreten Beiträge haben welche „Youtuber“ oder andere, in sozia-
len Netzwerken besonders aktive Personen in diesem Rahmen bereits ver-
fasst bzw. veröffentlicht, und welche weiteren sind geplant?

31. Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, welche Behörden und Priva-
ten aus welchen Ländern an dem neuerlichen Treffen zur Gründung eines
„Forums der Internetdienstleister“ am 2. September 2015 teilgenommen
haben (Europäische Kommission vom 29. August 2015)?

32. Was wurde nach Kenntnis der Bundesregierung auf dem Treffen des „Fo-
rums der Internetdienstleister“ besprochen und verabredet?

33. Welche Mitgliedstaaten beteiligen sich nach Kenntnis der Bundesregierung
mit welchen Einrichtungen am vom niederländischen Ministerium für Si-
cherheit und Justiz eingerichteten Projekt „European Joint Initiative on In-
ternet and Counter Terrorism“ – EJI-ICT – (Schriftliche Frage 35 der Ab-
geordneten Inge Höger auf Bundestagsdrucksache 18/3519)?

34. Inwiefern gehört es nach Kenntnis der Bundesregierung zu den Aufgaben
des EJI-ICT, Kontakte mit Internet-Diensteanbietern zu halten und diese in
bestimmten Fällen auch zu Löschungen anzuhalten?

35. Was ist der Bundesregierung inzwischen darüber bekannt, mit welchen
Maßnahmen und Methoden die europäische Polizeibehörde Europol die
Entfernung von Internetinhalten besorgen will, mit denen Migranten und
Flüchtlinge Fluchthelfer finden könnten („removal of internet content used
by traffickers to attract migrants and refugees“) und wofür Europol ein
Sonderbudget von 99 000 Euro erhält (Ratsdok. 9000/15 vom
19. Mai 2015, Schriftliche Frage 23 des Abgeordneten Alexander S. Neu
auf Bundestagsdrucksache 18/5737)?

36. Inwiefern war die geplante Erweiterung inzwischen Gegenstand der bei Eu-
ropol durchgeführten Arbeitstreffen zur Einrichtung der EU-IRU sowie den
in diesem Rahmen ebenfalls diskutierten Ausblicken auf den weiteren Pla-
nungsverlauf?

37. An welchen Planungstreffen der EU-IRU haben welche Bundesbehörden
teilgenommen?

38. Welche Maßnahmen und Methoden hält die Bundesregierung für rechtlich
möglich und technisch machbar, um die Entfernung von Internetinhalten zu
besorgen, „mit denen Schlepper Migranten anlocken“?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/6004

39. Welche Maßnahmen und Methoden hält Europol nach Kenntnis der Bun-
desregierung für rechtlich möglich und technisch machbar, um die Entfer-
nung von Internetinhalten zu besorgen, „mit denen Schlepper Migranten
anlocken“?

40. Auf welche Weise sollen die drei bei Europol zusätzlich eingerichteten
Planstellen „die Zerschlagung von Schleppernetzen und die Ermittlung von
Internetinhalten“ sowie die Stellung von Anträgen zur Entfernung dieser
Inhalte aus dem Netz umsetzen?

41. Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, aus welchen Behörden wel-
cher Mitgliedstaaten die drei bei Europol zusätzlich eingerichteten Planstel-
len zur Entfernung von Internetinhalten, „mit denen Schlepper Migranten
anlocken“, besetzt werden?

42. Was ist der Bundesregierung über Teilnehmende und Adressatinnen und
Adressaten eines Folgeprojekts des im Rahmen des Europäischen Nachbar-
schaftsinstrumentes durchgeführten „Euromed Polizei“ bekannt (Bundes-
tagsdrucksache 18/5600)?

43. Inwiefern werden dort auch EU-Agenturen teilnehmen, und welche Aufga-
ben werden von diesen übernommen?

44. Inwiefern soll hiervon auch die Thematik „ausländische terroristische
Kämpfer“ erfasst werden?

Berlin, den 10. September 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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