BT-Drucksache 18/5912

Die Entwicklung von autonomen Fahrzeugen und sich daraus ergebende Konsequenzen für Datenschutz und Datensicherheit

Vom 2. September 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/5912
18. Wahlperiode 02.09.2015

Kleine Anfrage

der Abgeordneten Jan Korte, Ulla Jelpke, Dr. Petra Sitte, Kersten Steinke,

Halina Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE.

Die Entwicklung von autonomen Fahrzeugen und sich daraus ergebende
Konsequenzen für Datenschutz und Datensicherheit

Aus zwei Richtungen wird seit einigen Jahren die Entwicklung selbstfahrender
Autos oder smart cars auch publizistisch vorangetrieben. Das sind die Automo-
bilindustrie zum einen und die großen IT- und Kommunikationsunternehmen wie
Google oder Nokia.

Zum Stand der Entwicklung wird gemeldet, dass Google bereits Fahrzeuge auf
der Straße testet und bis zum Jahr 2020 in die Massenproduktion einsteigen will
(SPON 26. Januar 2015), dass in Nordrhein-Westfalen und Bayern auf Autobah-
nen Teststrecken „demnächst“ eingerichtet werden sollen und der Bundesminis-
ter für Verkehr und digitale Infrastruktur, Alexander Dobrindt, für September
2015 Eckpunkte für den Einsatz solcher Fahrzeuge im Straßenverkehr vorlegen
will. An der Universität Ulm wird schon seit 15 Jahren an den Problemen des
autonomen Fahrens gearbeitet und auch hier ist ein Testfahrzeug seit einiger Zeit
unterwegs.

Hinter den Kulissen ist offensichtlich schon längst ein harter Konkurrenzkampf
der Automobil- und Internetgiganten um die Zukunft des Auto- und Datenmark-
tes entbrannt. So lässt sich der Bundesverkehrsminister in demselben Artikel, in
dem er Testrecken ankündigt, auf denen Fahrzeuge mit Assistenzsystemen und
später auch vollautomatisierte Fahrzeuge fahren können (SPON 26. Januar 2015)
auch mit den gegen Google gerichteten Worten zitieren. Die deutsche Autoin-
dustrie wird „auch beim digitalen Auto Weltspitze sein können“ und „wir müssen
uns gegen eine Monopolisierung der Daten wappnen. Wir müssen uns eine digi-
tale Souveränität schaffen, unabhängig von Amerika und Asien.“ (ebda.) Diesem
Ziel dient der angekündigte Zusammenschluss von Daimler, BMW und Audi zu
einer Plattform mit dem Kartendienst von Nokia („Nokia Here“) wohl eher als
dem behaupteten Ziel der Datensicherheit (Reuters 23. Juli 2015).

Diesen Erfolgsmeldungen stehen genauso lange Berichte gegenüber, die die Ge-
fahr gehackter Autos bzw. deren Elektronik und jüngst die komplette Übernahme
der Steuerung digitalisierter Autos durch Hacker in diversen Experimenten the-
matisieren (u. a. „Die Angst vor dem Autohack kommt Jahre zu spät“, sueddeut-
sche.de, 22. Juli 2015). Datenschützer haben längst die Gefahren erkannt, die in
den unvorstellbar großen Datenmengen lauern, die notwendig sind, um einen ver-
netzten, autonom gesteuerten Autoverkehr alltagstauglich werden zu lassen (Ent-
schließung der 88. Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der
Länder am 8. und 9. Oktober 2014). Sie versuchen mit ihrem Beschluss der Tat-
sache gerecht zu werden, dass der „Beifang“ an Daten für die Unternehmen eine
erheblich größere Bedeutung haben wird als die unmittelbar für den Verkehrs-
fluss anfallenden, scheinbar rein technischen Daten. Dabei handelt es sich um

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Kommunikationsdaten aller Art, Geodaten, Gesundheitsdaten, Daten über alltäg-
liche Prozesse, Handlungen und Verhalten, um Daten des sozialen und rechtli-
chen Status jeder Nutzerin und jedes Nutzers. Auch der Bundesminister der Justiz
und für Verbraucherschutz, Heiko Maas, wendet sich gegen den unkontrollierten
Ausbau des Konzepts „smart car“, wenn er im Zusammenhang mit der Einfüh-
rung von sog. Telematik-Tarifen der Versicherungen vor einer drohenden Total-
überwachung der Autofahrerinnen und Autofahrer warnt („Maas warnt vor Da-
ten-Sammelwut bei intelligenten Auto“, DIE WELT, 13. Juli 2015).

Mit den praktischen Tests selbstfahrender Autos von BMW über Audi und Daim-
ler, Google und anderen findet eine Entwicklung ihren vorläufigen Höhepunkt,
die die Autos mit immer mehr digitalen Elementen vollstopft und das Fahren zur
Nebensache zu machen droht.

Dramatisch vernachlässigt wurden dabei Fragen der (Daten-)Sicherheit, denn bei
den sog. Autohacks handelt es sich nicht mehr nur darum, Daten abzugreifen und
zweckentfremdet weiter zu verwenden oder zu kommerzialisieren oder um die
Übernahme der Steuerung einzelner Funktionen, sondern eben des kompletten
Fahrzeugs und seiner Wege. Das Auto wird zur Waffe gegen Einzelne und den
Gesamtverkehr gemacht.

Skepsis und Zweifel sind also angebracht, wenn mit der Behauptung, mehr Ver-
kehrssicherheit und umweltfreundlicheren Autoverkehr erreichen zu können, die
Entwicklung der smart cars auch durch staatliche Förderung auf deutscher und
europäischer Ebene vorangetrieben wird, wie es exemplarisch im ersten Bericht
über die Initiative der Europäischen Kommission „Intelligentes Fahrzeug“
(KOM(2006) 59 endg.) gemacht wird, ohne die umfassenden Sicherheitsprob-
leme zuvor und systematisch erkannt und soweit möglich ausgeschlossen zu ha-
ben.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche nationalen und europäischen Entwicklungs-, Forschungs- und För-
derprogramme existierten und existieren seit dem Jahre 2000 in thematischen
Zusammenhang mit „smart car“, und in welcher Gesamthöhe, welchen Lauf-
zeiten, und in welchem Umfang ist die Bundesrepublik Deutschland jeweils
beteiligt?

2. Welche dieser Programme sind als public-private-partnership oder anderwei-
tiges privat-öffentliches Projekt konzipiert, und welche deutschen und euro-
päischen Unternehmen sind daran jeweils mit welchen Aufgaben und Beiträ-
gen beteiligt?

3. Welche dieser Programme sind reine staatliche Förderung für privat-unter-
nehmerische Aktivitäten im Bereich und Umfeld „smart car“, und welche
Unternehmen kommen jeweils in welcher Höhe in den Genuss dieser Förde-
rung?

4. Worin besteht das Projekt „Digitales Testfeld Autobahn“ (SPON 26. Ja-
nuar 2015) genau, welche Mittel wurden aus welchem Etat dafür eingestellt,
wer leitet das Projekt, und welche Fragen und Probleme sollen durch das
Projekt beantwortet, erkannt und gelöst werden?

5. Welche Unternehmen sind mit welchen Aufgaben und Beiträgen in welchem
personellen und finanziellen Umfang auf welcher vertraglichen Grundlage in
die angekündigten Teststrecken involviert (bitte nach Teststrecke, Unterneh-
men, Aufgaben und Beiträge, personellen und finanziellen Umfang sowie
vertragliche Grundlage aufschlüsseln)?

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6. Aufgrund welcher Berichte von wem und mit welchen Ergebnissen hat das
Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur die Einrichtung
der Teststrecken beschlossen, und in welcher Form waren welche parlamen-
tarischen Instanzen einbezogen?

7. In welcher Form und mit welchen Aufgaben ist das Bundesministerium für
Justiz und Verbraucherschutz (BMJV) an Konzeption, Aufbau und Praxis
sowie Auswertung der Teststrecken beteiligt, und wo besteht ein Dissens
bzw. ein Konsens in der Ressortabstimmung zwischen dem Bundesministe-
rium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) und dem Bundesminis-
terium für Justiz und Verbraucherschutz?

8. In welcher Form und mit welchen Aufgaben sind welche Instanzen des Da-
tenschutzes an Konzeption, Aufbau und Praxis sowie Auswertung der Test-
strecken beteiligt, und wo besteht ein Dissens bzw. Konsens in der Ressort-
abstimmung zwischen dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Inf-
rastruktur und den Instanzen des Datenschutzes?

9. Inwieweit waren das BMJV und die Bundesbeauftragte für den Datenschutz
und die Informationsfreiheit (BfDI) an der Erarbeitung des Eckpunkte-Pa-
piers des BMVI zum Einsatz von smart cars im Straßenverkehr, welches bis
September 2015 vorgelegt werden soll, beteiligt, und wo gab es in der Res-
sortabstimmung zwischen wem zu welcher Thematik Widersprüche?

10. In welcher Höhe wurden Haushaltsmittel des Bundes in welchen Haushalts-
titeln seit dem Jahr 2000 zur Entwicklung des Konzepts „smart car“ mit wel-
chen Ergebnissen eingestellt?

11. Welche rechtlichen Fragen sieht die Bundesregierung im Zusammenhang
mit der Entwicklung von smart cars, und in welcher Form arbeitet sie seit
wann an deren Lösung?

12. Welche deutschen Autohersteller und welche anderen deutschen Unterneh-
men sind an der Entwicklung einer eigenen Plattform zur Vernetzung und
Kommunikation von Daten im Zusammenhang mit smart car beteiligt, wel-
che Wissenschaftler arbeiteten daran mit, und in welcher Form ist die Bun-
desregierung an diesen Arbeiten beteiligt, bzw. in welcher Form wird sie
über den Fortgang der Arbeit informiert (vgl. SPON 26. Januar 2015).

13. Welche Daten lassen sich nach Einschätzung der Bundesregierung aus dem
Bordcomputer eines Autos gewinnen?

14. Plant die Bundesregierung eine Gesetzgebung, die regelt, welche Daten im
Automobil überhaupt erfasst, gespeichert und letztendlich durch den Auto-
mobilhersteller bzw. den Kommunikationsdienstleiter verarbeitet und wei-
tergereicht werden dürfen bzw. sieht sie diesbezüglich überhaupt Handlungs-
bedarf?

Wenn ja, wie ist diesbezüglich der Planungsstand, und welche Akteure wer-
den in diesen einbezogen?

Wenn nein, warum nicht?

15. Plant die Bundesregierung den Forderungen der Datenschutzbeauftragen von
Bund und Ländern, die aus dem Papier „Datenschutz kompakt“ des BfDI
vom 2. Februar 2015 hervorgehen, nachzukommen und einen sich daran ori-
entierenden datenschutzrechtlichen Rahmen im smart car Bereich zu entwi-
ckeln?

16. Welche Autohacks sind der Bundesregierung aus den letzten fünf Jahren be-
kannt, worin sieht sie jeweils die Hauptprobleme, und welche Lösungen sieht
sie bzw. auf welche Weise glaubt sie, die Sicherheit für Daten und den Ver-
kehr herstellen zu können?

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de
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17. Welche der in den Fragen 1 bis 3 erfragten Programme befassen sich mit der
Sicherheit und der Datensicherheit der smart cars in umfassendem Sinne?

18. Auf welche Versicherungen bezog sich der Bundesminister der Justiz und
für Verbraucherschutz, Heiko Maas, in seinem Gastbeitrag im „Handels-
blatt“ vom 13. Juli 2015, als er erörterte, dass immer mehr Kfz-Versicherun-
gen Rabatte anböten, wenn die Versicherten in die digitale Überwachung ih-
res Fahrverhalten einwilligten, und wie schätzt sie diese Entwicklung vor
dem Hintergrund von Freiwilligkeitsaspekten ein?

Berlin, den 2. September 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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