BT-Drucksache 18/5811

Stilllegung von Atomanlagen: Bürgerbeteiligung und konsensorientierter Dialog beim Helmholtz-Zentrum Geesthacht, ehemals Atomforschungszentrum GKSS

Vom 18. August 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/5811
18. Wahlperiode 18.08.2015
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Hubertus Zdebel, Eva Bulling-Schröter, Caren Lay,
Herbert Behrens, Sabine Leidig, Birgit Menz, Cornelia Möhring,
Dr. Kirsten Tackmann, Pia Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Stilllegung von Atomanlagen: Bürgerbeteiligung und
konsensorientierter Dialog beim Helmholtz-Zentrum Geesthacht,
ehemals Atomforschungszentrum GKSS

Inzwischen wird von vielen gesellschaftlichen und staatlichen Akteuren aner-
kannt, dass es für den weiteren Umgang mit den radioaktiven Abfällen aus der
Atomenergienutzung einen gesellschaftlichen Konsens braucht. Allerdings
müssen dafür die Rahmenbedingungen vorhanden sein oder geschaffen werden,
um einen tatsächlichen Neustart der bisher gescheiterten Endlagersuche zu er-
möglichen. Große Teile der Anti-Atom-Bewegung und der Bürgerinitiativen
und diverse Umweltverbände haben massive Kritik am Standortauswahlgesetz
und der Arbeit der in diesem Rahmen eingesetzten „Endlager“-Kommission ge-
übt und entsprechend ihre Ablehnung einer Zusammenarbeit mit bzw. in der
Kommission begründet. Sie haben gemeinsam mit dem Deutschen Naturschutz-
ring (DNR) ihre Forderungen und Argumente für einen Neustart im Umgang mit
den radioaktiven Abfällen und einen entsprechenden gesellschaftlichen Prozess
im März 2014 umfangreich vorgetragen und dokumentiert (www.dnr.de/aktuell/
dokumentation-tagung-atommuell.html).
Im Rahmen der derzeit anlaufenden Genehmigungsverfahren für die Stilllegung
von Atomanlagen gibt es von Anti-Atom-Initiativen und Umweltverbänden
vielfach die Klage, dass seitens Behörden und Betreibern unzureichende In-
formationen zur Verfügung gestellt werden, um Bürgerinnen und Bürger eine
tatsächliche Bewertung der geplanten Rückbau- oder sonstiger Maßnahmen in
diesem Zusammenhang zu ermöglichen. Dies ist Medienberichten im Zusam-
menhang mit Stilllegungsverfahren an den Standorten in Obrigheim, Biblis,
Brunsbüttel, Neckarwestheim, Isar/Ohu und anderenorts zu entnehmen. Hinzu-
kommen wachsende Konflikte um neue Zwischenlager für leicht- und mittelra-
dioaktive Abfälle sowie um die weitere Zwischenlagerung hochradioaktiver Ab-
fälle an den Standorten der Atomkraftwerke (AKW; siehe auch das Urteil des
Oberverwaltungsgerichts Schleswig-Holstein zur Aufhebung der Genehmigung
für das Standortzwischenlager am AKW Brunsbüttel).
Offenkundig gibt es derzeit keine ausreichenden Verfahren, in denen zwischen
Öffentlichkeit und (staatlichen oder privaten) Betreibern Dialog- und Beteili-
gungsprozesse stattfinden, die geeignet sind, einen vielfach beschworenen Neu-
start im Umgang mit (künftigen) radioaktiven Abfällen in den betroffenen Re-
gionen bzw. Standorten von Atomanlagen mit Leben zu füllen. Ein gesellschaft-
licher Konsens im Umgang mit radioaktiven Abfällen ist vor dieser Kulisse
nicht erreichbar.

Drucksache 18/5811 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Das ehemalige Atomforschungszentrum GKSS – heute Helmholtz-Zentrum
Geesthacht (HZG) – hat zur Vorbereitung seiner Planungen für die Stilllegung
der dortigen Atomanlagen im Oktober 2012 der Öffentlichkeit ein Angebot für
einen „konsensorientierten Dialog“ gemacht.
Von Bedeutung ist die Bereitschaft des Betreibers, nicht nur unmittelbar Stillle-
gungsfragen zu behandeln, sondern einen umfassenderen Dialog auch z. B. über
die rund um Geesthacht hohen Leukämieerkrankungen bei Kindern und Jugend-
lichen zu ermöglichen oder auch die Geschichte der ehemaligen Atomfor-
schungsanlage GKSS in den Prozess einzubeziehen.
Inzwischen läuft dieser konsensorientierte Dialog seit fast drei Jahren. Im Rah-
men dieses Prozesses ist inzwischen ein Antrag auf Rückbau gestellt und ein
Scoping-Termin durchgeführt worden.
Auf der Homepage der Dialogseite des HZG wird berichtet: „Da es für den bun-
desweit einzigartigen konsensorientierten Dialogprozess bei der Stilllegung von
Atomanlagen keine rechtlichen Rahmenbedingungen gibt, haben HZG und Be-
gleitgruppe in gemeinsamen und getrennten Sitzungen ,Grundzüge für die Zu-
sammenarbeit‘ erarbeitet. Darin definieren beide Seiten ihr jeweiliges Selbstver-
ständnis im Dialogprozess und in welcher Weise sie auch in Zukunft zu gemein-
samen Lösungen kommen wollen.“ (Quelle: www.hzg.de/public_relations
_media/hzg_im_dialog/index.php.de#tab-62).
Nach Einschätzung der Akteure HZG und Begleitgruppe gibt es „keine recht-
lichen Regelungen in der Bundesrepublik für ein auf Konsens ausgerichtetes
Dialogverfahren zwischen Betreibern einer kerntechnischen Einrichtung und
der Bevölkerung. In diesem Rahmen führt das HZG einen freiwilligen Dialog“.
Bis heute hat es nach unserem Wissen bislang keine Unterstützungsangebote
oder Gesprächskontakte mit der Begleitgruppe seitens politischer Entschei-
dungsträger des Bundes oder der Länder gegeben.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie bewertet die Bundesregierung die in den laufenden Genehmigungsver-

fahren an zahlreichen Atomstandorten vorgetragenen Beschwerden von Bür-
gerinnen und Bürgern, zu wenig Informationen zu erhalten, um in den Ver-
fahren als Einwenderinnen und Einwender den Umfang und die Auswirkun-
gen der Stilllegungsplanungen bewerten zu können?

2. In welcher Weise wird sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass es
möglichst umgehend mehr Kooperation zwischen Genehmigungsbehörden
und Bürgerinnen und Bürgern gibt, mindestens aber den Wünschen nach
mehr Informationen durch die zuständigen Behörden deutlich besser entge-
gen gekommen wird?

3. Wie bewertet die Bundesregierung die Aktivitäten von Bürgerinitiativen,
Anti-Atom-Aktiven und anderen ehrenamtlichen Aktiven an den Standorten
mit Atommüll in Bezug auf die Debatte über die Sicherheit im Umgang mit
radioaktiven Abfällen?

4. Mit welchen Maßnahmen und Initiativen wird die Bundesregierung darauf
hinwirken, dass auch an anderen Standorten mit Atommülllagern künftig
Dialogprozesse mit dem Ziel, einen gesellschaftlichen Konsens im Umgang
mit dem Atommüll zu erreichen, stattfinden können und die sicherheitsorien-
tierten Aktivitäten von Bürgerinitiativen, Umweltverbänden und aktiven Ein-
zelpersonen unterstützt werden?

5. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über den konsensorientierten
Dialogprozess zwischen HZG und der Begleitgruppe im Rahmen der Still-
legung der ehemaligen Atomforschungsanlagen der GKSS in Geesthacht?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/5811
6. Wie bewertet die Bundesregierung den konsensorientierten Dialogprozess
zwischen HZG und Begleitgruppe bei der Stilllegung der ehemaligen Atom-
anlagen der GKSS?

7. Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung vergleichbare Dialogprozesse
an anderen bundesdeutschen Standorten von Atomanlagen?
Wenn ja, in welcher Weise sind diese aus Sicht der Bundesregierung ver-
gleichbar, und welche Unterschiede gibt es jeweils?

8. An welchen Standorten mit Atomanlagen gibt es nach Kenntnis der Bundes-
regierung derzeit Bürgerdialoge oder ähnliche Angebote seitens staatlicher
Stellen oder seitens der Betreiber von Atomanlagen?

9. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass Dialogangebote von (pri-
vaten) Betreibern bzw. staatlichen Stellen an Bürgerinnen und Bürger und
Öffentlichkeit mit einer „Konsensorientierung“ einerseits und der Bereit-
schaft zur Befassung auch „geschichtlicher Aspekte“ des Betriebs der je-
weiligen Anlage – wie bei „HZG im Dialog“ – andererseits, das Gelingen
solcher Prozesse wesentlich verbessern kann, im Vergleich zu reinen Infor-
mations- und Transparenzangeboten?
Wenn nein, warum nicht?
Wenn ja, in welcher Weise wird die Bundesregierung darauf hinwirken, dass
es solche konsensorientierten Prozesse an möglichst vielen Standorten ge-
ben kann?

10. In welcher Weise kann sich die Bundesregierung vorstellen, den konsens-
orientierten Dialogprozess in Geesthacht zu unterstützen,
a) hinsichtlich des gemeinsamen Prozesses zwischen HZG und Begleit-

gruppe und
b) zur Unterstützung der ehrenamtlichen Begleitgruppe?

11. Ist seitens der Bundesregierung oder anderer staatlicher Stellen vorgesehen,
sich durch direkte Gespräche über die Arbeit des konsensorientierten Dia-
logs in Geesthacht zu informieren?
Wenn ja, in welcher Weise?
Wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 18. August 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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