BT-Drucksache 18/5769

Finanzielle Auswirkungen der geplanten Reform der Pflegeausbildung

Vom 10. August 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/5769
18. Wahlperiode 10.08.2015
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg, Doris Wagner, Brigitte Pothmer,
Maria Klein-Schmeink, Ulle Schauws, Kordula Schulz-Asche, Dr. Harald Terpe,
Dr. Franziska Brantner, Katja Dörner, Kai Gehring, Tabea Rößner,
Beate Walter-Rosenheimer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Finanzielle Auswirkungen der geplanten Reform der Pflegeausbildung

Laut dem Arbeitsentwurf des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend (BMFSFJ) und des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) für
ein „Gesetz über den Pflegeberuf“ (Stand 1. Juni 2015) sollen die Ausbildungen
zur (Kinder-)Gesundheits- und Krankenpflegekraft sowie zur Altenpflegekraft
in einer gemeinsamen – „generalistischen“ – Ausbildung zusammengeführt und
mit einer einheitlichen Berufsbezeichnung abgeschlossen werden. Der Referen-
tenentwurf soll nach Aussage der Bundesregierung im Sommer 2015 vorgelegt
werden (vgl. Fragestunde des Deutschen Bundestages am 18. März 2015,
Plenarprotokoll 18/93, Anlage 3).
Die geplante Zusammenlegung der Pflegeberufe stößt auf ein sehr geteiltes
Echo und erfährt viel Kritik, beispielsweise seitens der Gewerkschaft ver.di und
von einigen Pflegefachverbänden (vgl. z. B. taz.die tageszeitung vom 28. Juli
2015: „PflegerInnen sollen Alleskönner werden“). Neben solch grundlegenden
Vorbehalten gegen die Gesamtausrichtung der geplanten Reform, wirft auch die
Finanzierung der künftigen Ausbildung noch einige Fragen auf. Bezüglich der
potenziellen Mehrkosten einer gemeinsamen Pflegeausbildung gehen BMG und
BMFSFJ auf Basis eines Gutachtens der Prognos AG Berlin und des Wissen-
schaftlichen Instituts der Ärzte Deutschlands e. V. (WIAD) zur „Finanzierung
eines neuen Pflegeberufegesetzes“ (Oktober 2013) bislang von zusätzlichen
Ausgaben in Höhe von rund 300 Mio. Euro auf dann insgesamt 2,7 Mrd. Euro
aus. Davon seien rund 100 Mio. Euro der neuen einheitlichen Ausbildung zuzu-
rechnen; im Übrigen beruhe die Erhöhung auf sonstigen Qualitätsverbesserun-
gen und einem Anstieg bei der Ausbildungsvergütung (vgl. Diskussionspapier
des BMG und BMFSFJ zum Bund-Länder-Workshop „Reform der Pflegeausbil-
dung“ am 17. und 18. November 2014 in Berlin).
An diesen Schätzungen gibt es jedoch erhebliche Zweifel. So hat eine Umfrage
der Hans-Weinberger-Akademie der Arbeiterwohlfahrt e. V. an Krankenpflege-
schulen in München, Nordrhein-Westfalen und Hessen ergeben, dass aktuell
allein die monatlichen Schulkosten bereits deutlich höher liegen, als die im Gut-
achten von Prognos AG und WIAD angenommenen Kosten. Ähnliche Ergeb-
nisse brachte eine Berechnung der anfallenden Schulkosten von Altenpflege-
schulen in Bayern. In der Folge wird befürchtet, dass trotz des im Rahmen der
demografischen Entwicklung steigenden Fachkräftebedarfs in Zukunft weniger
Ausbildungsplätze als heute finanzierbar sein werden und entsprechend die
Anzahl der Auszubildenden zurückgeht (vgl. M. Frommelt, Hans-Weinberger-
Akademie, Präsentation zum Fachgespräch Generalistik, 07/2015, www.hwa-

Drucksache 18/5769 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
online.de/fileadmin/pdf/aktuelles/Praesentation_Generalistik_web.pdf). Auch
der Deutsche Berufsverband für Altenpflege e. V. (DBVA) bemängelt in einer
Pressemitteilung vom 20. Juli 2015, dass das Gutachten „kaum Wissen über die
Strukturen und Inhalte der Altenpflegeausbildung“ aufweise (vgl. Pressemittei-
lung des DBVA vom 20. Juli 2015 „Neues Pflegeberufegesetz: Kein Hauptstadt-
flughafen für die Pflege“; U. Kriesten, DBVA, 15. Februar 2014, Stellungnahme
zum Forschungsgutachten Finanzierung eines neuen Pflegeberufegesetzes zum
Ergebnisbericht prognos/WIAD).
Der aktuelle Arbeitsentwurf des BMFSFJ und BMG legt weitere organisatori-
sche Mehraufwände und damit bisher nicht bezifferte Kostenfaktoren nahe. So
muss nach dem Entwurf zukünftig für je 20 Auszubildende eine Lehrkraft (Voll-
zeitäquivalent) mit einer abgeschlossenen, pflegepädagogischen Hochschulaus-
bildung zur Verfügung stehen. Zur Finanzierung der Ausbildung sollen Fonds
auf Landesebene eingerichtet werden. Die Kosten für die Einrichtung, Organi-
sation und Verwaltung dieser Fonds sind noch unklar, ebenso die Mehrkosten für
den Organisations- und Koordinationsaufwand infolge einer komplexeren Pra-
xiseinsatzplanung.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie sieht der konkrete Zeitplan der Bundesregierung für das Beratungsver-

fahren bis zum Abschluss und Inkrafttreten des Pflegeberufegesetzes aus?
2. a) Hält die Bundesregierung die im Gutachten der Prognos AG Berlin und

des Wissenschaftlichen Instituts der Ärzte Deutschlands e. V. (WIAD) zur
„Finanzierung eines neuen Pflegeberufegesetzes“ vom Oktober 2013 pro-
gnostizierten Mehrkosten einer gemeinsamen Pflegeausbildung weiterhin
für realistisch?
Falls ja, warum?
Falls nein, warum nicht, und mit welchen Mehrkosten in welcher Höhe
rechnet die Bundesregierung konkret?

b) Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung dabei aus den Ein-
wänden der Hans-Weinberger-Akademie der AWO e. V., die gegenüber
dem Gutachten der Prognos AG Berlin allein für das Segment der Schul-
kosten einen Mehrbedarf einer gemeinsamen Pflegeausbildung von etwa
170 Mio. Euro jährlich schätzt (vgl. M. Frommelt, 07/2015), sowie aus der
Kritik des DBVA, nach der zahlreiche Kostenfaktoren wie etwa die Folge-
kosten für Sozialhilfeträger und Kommunen noch unberücksichtigt seien
und insgesamt eine „Vielzahl unkalkulierbarer Kosten […] die Ausbil-
dungskosten erhöhen und die Ausbildungen gefährden“ werde (vgl.
DBVA, Pressemitteilung vom 20. Juli 2015; Stellungnahme vom 15. Fe-
bruar 2014)?

3. a) Wie hoch schätzt die Bundesregierung den organisatorischen und finan-
ziellen Mehraufwand ein, der sich im Zuge der geplanten gemeinsamen
Pflegeausbildung für die Träger der praktischen Ausbildung, etwa infolge
einer komplexeren Praxiseinsatzplanung, ergibt?

b) Wird die praktische Ausbildung für die Träger unter diesen Voraussetzun-
gen weiterhin attraktiv sein – auch unter Berücksichtigung dessen, dass
die Auszubildenden durch die Vielzahl der praktischen Einsatzorte in der
gemeinsamen Ausbildung voraussichtlich weniger Präsenz in ihrem Aus-
bildungsbetrieb zeigen werden als heute?
Falls ja, warum?
Falls nein, warum nicht, und wie gedenkt die Bundesregierung mit diesem
Problem umzugehen?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/5769
4. a) Wie soll gewährleistet werden, dass für die unterschiedlichen Praxisein-
satzorte, die die gemeinsame Pflegeausbildung vorsieht, rechtzeitig eine
ausreichende Anzahl von qualifizierten Praxisanleiterinnen und Praxisan-
leitern zur Verfügung steht?

b) Welche Mehrkosten zur Qualifizierung der Praxisanleiterinnen und Pra-
xisanleiter werden nach Auffassung der Bundesregierung entstehen, und
wer wird diese Kosten tragen?

5. a) Wie soll gewährleistet werden, dass für die gemeinsame Pflegeausbildung
rechtzeitig eine ausreichende Anzahl von qualifizierten Lehrkräften zur
Verfügung steht?

b) Wie hoch ist nach Kenntnis der Bundesregierung derzeit der Anteil an
akademisch qualifizierten Lehrkräften an Altenpflegeschulen (bitte nach
Bundesländern aufschlüsseln)?

c) Welche Mehrkosten werden nach Auffassung der Bundesregierung durch
die nach dem Arbeitsentwurf vorgesehene erforderliche zusätzliche aka-
demische Qualifizierung von Lehrkräften entstehen, und wer wird diese
Kosten tragen?

6. a) Wie ist die im Arbeitsentwurf vorgesehene Vermittlung erweiterter Kom-
petenzen zur Ausübung heilkundlicher Tätigkeiten im Rahmen von Mo-
dellvorhaben nach § 63 Absatz 3c des Fünften Buches Sozialgesetzbuch
konkret geplant?

b) Wie, in welchem Zeitrahmen und durch wen soll die Entwicklung, Erpro-
bung und Evaluation der entsprechenden Modellvorhaben vorgenommen
werden?

c) Wie viele solcher Modellvorhaben sollen nach den Vorstellungen der Bun-
desregierung in welchem Zeitrahmen eingesetzt und abgeschlossen wer-
den?

7. Wie ist der Aufbau, die Organisation und Verwaltung der im Arbeitsentwurf
für ein „Gesetz über den Pflegeberuf“ (Stand 1. Juni 2015) vorgesehenen
Ausgleichsfonds, aus denen die gemeinsame Pflegeausbildung finanziert
werden soll, konkret geplant, mit welchen Kosten dafür rechnet die Bundes-
regierung, und wie begründen sich dabei im Einzelnen die zugrunde gelegten
relativen Anteile, mit denen sich Krankenhäuser, stationäre und ambulante
Pflegeeinrichtungen, Länder sowie die soziale und private Pflegeversiche-
rung an den Fonds beteiligen sollen?

Berlin, den 7. August 2015

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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