BT-Drucksache 18/574

Unabhängige Patientenberatung stärken und ausbauen

Vom 19. Februar 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/574
18. Wahlperiode 19.02.2014

Antrag
der Abgeordneten Maria Klein-Schmeink, Elisabeth Scharfenberg,
Kordula Schulz-Asche, Dr. Harald Terpe, Dr. Franziska Brantner,
Katja Dörner, Kai Gehring, Tabea Rößner, Ulle Schauws, Doris Wagner,
Beate Walter-Rosenheimer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Unabhängige Patientenberatung stärken und ausbauen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Seit dem 1. Januar 2000 gibt es in Deutschland eine unabhängige Patientenbera-
tung. Dieses grün-rote Projekt ist nach einer zehnjährigen Modellphase ab dem
1. Januar 2011 als Regelaufgabe im Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V)
verankert worden.
Die Förderung sowie die Entscheidung über die Vergabe der Fördermittel wurde
dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) übertra-
gen, der diese Entscheidung laut § 65b SGB V im Einvernehmen mit der oder
dem Beauftragten der Bundesregierung für die Belange der Patientinnen und
Patienten trifft. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen wird bei der Ver-
gabe durch einen Beirat beraten. Die Fördermittel werden jeweils für eine Lauf-
zeit von fünf Jahren vergeben. Nach diesem Zeitraum wird die Beratungsleistung
erneut ausgeschrieben.
Die Aufgaben der unabhängigen Patientenberatung wurden am 27. Januar 2011
mit der Unterzeichnung eines weiteren Fördervertrages für weitere fünf Jahre wie
zuvor dem Trägerverbund der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland
gGmbH (UPD) übertragen. Sie ist ein als gemeinnützige GmbH geführter
deutschlandweiter Verbund unabhängiger Beratungsstellen. Partnerschaftlich
getragen wird die UPD vom Sozialverband VdK Deutschland e.V., vom Ver-
braucherzentrale Bundesverband e.V. und vom Verbund unabhängige Patienten-
beratung e.V.
Seit Gründung der UPD ist die Beratungsnachfrage kontinuierlich gestiegen. In
den Jahren 2012 und 2013 wurden jeweils über 80 000 Beratungen zu rechtli-
chen, medizinischen und psychosozialen Gesundheitsfragen mit Patientinnen,
Patienten und deren Angehörigen durchgeführt. Beratungsschwerpunkte waren
die Themen Patientenrechte und Berufspflichten, Behandlungsfehler, Zahnge-
sundheit, psychische Erkrankungen, Rechtmäßigkeit von Geldforderungen,
Krankengeld und andere Leistungen von Kostenträgern. Durch diesen Anstieg
sinkt die Erreichbarkeit der UPD an ihrem gebührenfreien Beratungstelefon und
in den 21 Regionalstellen stetig. Im Jahre 2010 haben in einer durchschnittlichen
Stunde noch 66 Prozent der Anrufer am bundesweiten Beratungstelefon eine
Beratung erhalten, im Jahre 2013 waren es nur noch 42 Prozent. Dies zeigt, dass

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das Netz der Beratungsstellen nicht ausreicht, um den Bedarf an persönlicher
Beratung zu decken. Eine Beratung ist mittlerweile auf Basis einer freiwilligen
Beteiligung des Verbands der privaten Krankenversicherungen auch in den Spra-
chen Türkisch und Russisch möglich. 2009 wurde das Angebot um eine online-
gestützte Beratung ergänzt. Der Anteil der persönlichen Beratung liegt im bun-
desweiten Durchschnitt bei ca. 15 Prozent. Im direkten räumlichen Umfeld der 21
Beratungsstellen wird die persönliche Beratung mehr als doppelt so häufig ge-
nutzt.
Die Beratung der UPD unterliegt mit gutem Grund keiner Gewinnorientierung,
sie ist kostenfrei und unabhängig. Gemäß § 65b Absatz 1 SGB V sind als Ziele
der unabhängigen Patientenberatung festgelegt, die Patientenorientierung im
Gesundheitswesen zu stärken und Problemlagen im Gesundheitswesen aufzuzei-
gen. Dies wird in der Gesetzesbegründung unter anderem mit den Worten kon-
kretisiert, dass durch die Information und Beratung Ratsuchende in ihrer Ent-
scheidungsfähigkeit in Gesundheitsfragen und in der Wahrnehmung ihrer Rechte
gegenüber Leistungserbringern und Kostenträgern gestärkt werden sollen (vgl.
Bundestagsdrucksache 17/2413, S. 25).
Auch wenn der GKV-Spitzenverband per Gesetz keinen Einfluss auf den Inhalt
oder den Umfang der Beratungstätigkeit nehmen darf, weist das Verhältnis zwi-
schen der Patientenberatung und dem GKV-Spitzenverband doch ein Konfliktpo-
tential auf, das die unabhängige und neutrale Stellung der Patientenberatung be-
einträchtigt.
Denn der GKV-Spitzenverband ist einerseits mit der finanziellen Förderung der
Patientenberatung betraut und steuert maßgeblich das Vergabeverfahren. Ande-
rerseits gehört es zu den gesetzlich normierten Aufgaben der Patientenberatung,
Ratsuchende auch bei Konflikten mit den Krankenkassen als Leistungsträger zu
unterstützen. Dies kann zu Interessenkollisionen mit dem Fördermittelgeber als
Dachverband der Krankenkassen führen.
Da der derzeitige Förderzeitraum Ende 2015 ausläuft, ist jetzt der richtige Zeit-
punkt, Schlüsse aus der Begleitforschung und den Rechenschaftsberichten zu
ziehen. Neben dem Ausbau sind die strukturellen Rahmenbedingungen der unab-
hängigen Patientenberatung weiterzuentwickeln. Ziel ist dabei, die unabhängige
Patientenberatung in Deutschland im Sinne der Patientinnen und Patienten zu
stärken.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Gesetzentwurf mit folgenden Eckpunkten vorzulegen:

1. Der Zugang zu den Leistungen der unabhängigen Patientenberatung wird
erweitert und deren regionale Reichweite verstärkt. Damit kann sie stärker
als bisher der stetig steigenden Nachfrage gerecht werden sowie auch den so-
zial und kulturell benachteiligten Bevölkerungsgruppen mit erhöhtem Unter-
stützungsbedarf weiter zugänglich gemacht werden.

2. Die Anzahl der regionalen Beratungsstellen wird von heute 21 auf 31 (eine je
2,5 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner) ausgebaut. Die neuen Bera-
tungsstandorte sind so auszuwählen, dass eine vergleichbare regionale Er-
reichbarkeit erzielt wird.

3. Das Netz der unabhängigen Patientenberatung wird aus Mitteln der gesetzli-
chen und der privaten Krankenversicherungen finanziert. Dabei ist darauf
hinzuwirken, dass die bisher freiwillige Unterstützung der privaten Kranken-
versicherungen in eine Regelleistung überführt wird. Ab 2016 werden für die
Aufgabe 10,5 Mio. Euro bereitgestellt; dieser Betrag ist zu dynamisieren.

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4. Das Ausschreibungsverfahren nach § 65b SGB V einschließlich der Formu-
lierung der Leistungsbeschreibung sowie die Kontrolle über die Mittelverga-
be werden zum 1. Juli 2014 auf eine unabhängige Institution übertragen, die
nicht selbst Gegenstand der Beratungstätigkeit der unabhängigen Patienten-
beratung ist. Diese wird wie bisher durch einen wissenschaftlichen Beirat be-
raten. Die Stellung des Beauftragten der Bundesregierung für die Belange der
Patientinnen und Patienten wird gestärkt. Er wird bereits bei der Formulie-
rung der Leistungsbeschreibung beteiligt.

5. Der Förderzeitraum der unabhängigen Patientenberatung wird auf zehn Jahre
verlängert.

Berlin, den 19. Februar 2014

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Begründung

Zu den Nummern 1 und 2
Die Einrichtung einer unabhängigen Patientenberatung hat sich bewährt. Die unabhängige Patientenbera-
tung muss daher weiter gestärkt werden und ihr Bekanntheitsgrad muss kontinuierlich ausgebaut werden,
damit möglichst viele Menschen das Angebot nutzen können. Aus der Versorgungsforschung sind sozial
ungleich verteilte Durchsetzungschancen im Gesundheitssystem bekannt. Obwohl Menschen mit ungünsti-
gen Lebensbedingungen den größten gesundheitlichen Beratungsbedarf haben, ist es kompliziert, sie zu
erreichen. Der Zugang zur Patientenberatung muss deshalb räumlich, zeitlich und sozial niedrigschwellig
sein. Um den Ratsuchenden auch einen persönlichen Zugang zu ermöglichen und die regionalen Besonder-
heiten berücksichtigen zu können, ist eine Ausweitung des Beratungsnetzes erforderlich. Bei dem Aufbau
neuer Beratungsstellen soll auf eine regelmäßige regionale Verteilung geachtet werden.
Zu Nummer 3
Für den anvisierten Ausbau und die Stärkung der unabhängigen Patientenberatung müssen zusätzliche fi-
nanzielle Mittel bereitgestellt werden.
Zu Nummer 4
Das derzeitige Verhältnis des GKV-Spitzenverbandes zu der Patientenberatung weist ein Konfliktpotential
auf, da der GKV-Spitzenverband selbst Interessenvertreter ist und das Leistungsgeschehen der einzelnen
Krankenkassen und Leistungserbringer wesentlich beeinflusst. Für die Ratsuchenden ist es von großer Be-
deutung, dass Beratungsleistungen unabhängig von Interessen Dritter und von kommerziellen und be-
rufsständischen Interessen erbracht werden. Dies erfordert eine weitgehende Unabhängigkeit von Finanz-
gebern und von Anbietern, denn die Neutralität der Patientenberatung wird stärker gesichert, wenn sie von
den Akteuren der Gesundheitsversorgung und dem GKV-Spitzenverband völlig unabhängig gemacht und
die Vergabe und Finanzierung in die Hände einer neutralen Stelle gelegt wird.
Die bisher im Gesetz vorgesehenen Vorkehrungen, die Neutralität der Vergabe abzusichern, reichen nicht
aus. Das Einvernehmen mit dem Beauftragten der Bundesregierung für die Belange der Patientinnen und
Patienten steht erst am Ende des Verfahrens bei der endgültigen Entscheidung über die Beauftragung selbst.
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Die Ausgestaltung der Ausschreibungsbedingungen selbst liegt hingegen ganz in der Hand des GKV-
Spitzenverbands. Die Ausschreibungsbedingungen müssen schon aus vergaberechtlichen Gründen sehr
genau und detailliert sein und gewähren deshalb einen großen Einfluss. Sie strukturieren auch vollkommen
die zukünftige Entscheidung darüber vor, welcher der Bewerber denn vorrangig geeignet ist. Der Einfluss
des Beirats ist dagegen nur gering, er muss lediglich angehört werden.
Aus diesen Gründen sollen das Ausschreibungsverfahren einschließlich der Formulierung der Leistungsbe-
schreibung sowie die Kontrolle über die Mittelvergabe künftig durch eine von den Aufgaben der unabhän-
gigen Patientenberatung unabhängige Institution wahrgenommen werden. Das Ausschreibungs- und Verga-
beverfahren könnte zum Beispiel von dem Bundesversicherungsamt oder dem Institut für Qualität und
Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen durchgeführt werden. Die Kostenkontrolle sollte von dem Bun-
desversicherungsamt wahrgenommen werden.
Die Stellung des Beauftragten der Bundesregierung für die Belange der Patientinnen und Patienten im Aus-
schreibungsverfahren soll gestärkt werden. Er soll bereits bei der Formulierung der Leistungsbeschreibung
beteiligt werden.
Fachlich soll die Arbeit der unabhängigen Patientenberatung wie bisher durch einen wissenschaftlichen
Beirat begleitet werden.
Zu Nummer 5
Der derzeitige Förderzeitraum von fünf Jahren erschwert den reibungslosen und kontinuierlichen Ablauf
der unabhängigen Patientenberatung. Während dieses Zeitraums muss die Beratungsstruktur zunächst auf-
gebaut werden und gegen Ende des Zeitraums ist eine mögliche Abwicklung vorzubereiten. Langfristige
Entscheidungen, zum Beispiel im Personalbereich, werden erschwert. Erhebliche Einbußen bei der Qualität
der Beratung sind die Folge.
Eine Verlängerung des Förderzeitraums auf zehn Jahre würde der Beratungstätigkeit der unabhängigen
Patientenberatung zu mehr Kontinuität und Planungssicherheit verhelfen und so die Qualität der Beratungs-
leistung kontinuierlicher als bisher sicherstellen und verbessern.

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