BT-Drucksache 18/5728

Bisherige Erfahrungen bei der Einführung der Visa-Warndatei

Vom 5. August 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/5728
18. Wahlperiode 05.08.2015
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Wolfgang Gehrcke, Annette Groth, Andrej Hunko,
Katrin Kunert, Niema Movassat, Kersten Steinke, Frank Tempel, Halina Wawzyniak
und der Fraktion DIE LINKE.

Bisherige Erfahrungen bei der Einführung der Visa-Warndatei

Vor über zwei Jahren, am 1. Juni 2013, trat das Gesetz zur Errichtung einer Visa-
Warndatei (VWDG) in Kraft. Bereits in der Sachverständigenanhörung im
Oktober 2011 wurde die Visa-Warndatei als eine „Datensammlung mit hohem
Stigmatisierungspotential“ bezeichnet. Statt bestehende Verfahren zu optimie-
ren, würden durch ihre Schaffung aufwändige Infrastrukturinvestitionen betrie-
ben.
Erhebliche Bedenken wurden im Hinblick auf den sehr weit gefassten, in der
Datei zu speichernden Personenkreis geäußert. Es wurde zudem vor einer Ver-
letzung des Grundrechts auf informelle Selbstbestimmung der Gespeicherten
gewarnt. Die Speicherung könne zu einem Generalverdacht gegen Einlader und
Besucher führen (vgl. Meldung auf www.heise.de vom 25. Oktober 2015 „Ver-
fassungsrechtliche Bedenken gegen geplante Visa-Warndatei“).
In der Datei werden Visumantragsteller, Einlader, Verpflichtungsgeber und
sonstige im Visumverfahren beteiligte Referenzpersonen gespeichert , sofern sie
mit Verurteilungen wegen bestimmter Straftaten mit Bezug zum Visumverfah-
ren oder mit sonstigem Auslandsbezug aufgefallen sind. Gespeichert werden
aber auch solche Personen, die – wenn auch nur unbeabsichtigt – falsche Anga-
ben im Visumverfahren getätigt, ihre Ausreiseverpflichtungen nicht eingehalten
oder als Verpflichtungsgeber aus dem Aufenthalt eingeladener Personen ent-
standene Kosten nicht beglichen haben oder nicht begleichen konnten.
Eine freiwillige Speicherung ist ebenfalls möglich, zum Beispiel um Verwechs-
lungen auszuschließen, wenn unter dem eigenen Namen unbefugt Verpflich-
tungserklärungen abgegeben wurden.
Im Rahmen eines Datenabgleichverfahrens nach § 72a des Aufenthaltsgesetzes
werden Daten aus dem Visumverfahren mit bestimmten Daten aus der Anti-
terrordatei automatisiert abgeglichen. Zu diesem Zweck wurde beim Bundes-
verwaltungsamt eine besondere Organisationseinheit errichtet.
Die Visa-Warndatei wird durch das Bundesverwaltungsamt geführt. Zur Spei-
cherung sind je nach Anlass Auslandsvertretungen, Ausländerbehörden, grenz-
polizeiliche Stellen und Staatsanwaltschaften befugt. Zum Abruf sind die deut-
schen Auslandsvertretungen im Rahmen des Visumverfahrens befugt, ohne dass
Anhaltspunkte für eine „missbräuchliche“ Antragstellung vorliegen müssen.
Das Gesetz ermächtigt das Bundesverwaltungsamt, hierfür ein automatisiertes
Verfahren einzurichten. Zur Prüfung von Visumanträgen, die direkt an der
Grenze gestellt werden, sind auch die grenzpolizeilichen Stellen sowie im Rah-

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men der Prüfung von Verpflichtungsgebern die Ausländerbehörden abrufbefugt.
Die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI)
hat in ihrem 25. Tätigkeitsbericht angegeben, rund 1 000 Stellen seien Nutzer
der Visa-Warndatei. Fraglich ist allerdings aus Sicht der Fragesteller, ob die
Visa-Warndatei, wie von der BfDI aus der Gesetzesbegründung übernommen,
den „Auslandsvertretungen eine verbesserte Entscheidungsgrundlage“ bietet
oder nicht vielmehr „Treffer“ in der Datei recht schematisch zur Ablehnung ei-
nes Visumantrags führen. Dies sollte jedenfalls nach Ansicht der Fragesteller
Gegenstand der im kommenden Jahr vorzunehmenden Evaluation des Visa-
Warndateigesetzes sein.
In der Bundesrepublik Deutschland bestehen neben der Visa-Warndatei eine
ganze Reihe von Datenbanken und -sammlungen, auf die die zuständigen Be-
hörden bei der Prüfung eines Visumantrags zugreifen können: das Ausländer-
zentralregister, das Schengener Informationssystem, das Visa-Informationssys-
tem, die Anti-Terror-Datei, das Bundeszentralregister und weitere (siehe Ant-
wort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE.
„Einrichtung einer Visa-Warndatei“, Bundestagsdrucksache 17/6223).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie viele Datensätze waren zum 1. Juni 2015 (ersatzweise hier und im Fol-

genden aktuelle Zahlen) in der Visa-Warndatei gespeichert?
a) Wie viele Speicherungen wurden jeweils durch Auslandsvertretungen,

Ausländerbehörden, mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschrei-
tenden Verkehrs beauftragte Behörden und Staatsanwaltschaften vorge-
nommen?

b) Aus welchen der in § 2 VWDG genannten Anlässe wurden die Speiche-
rungen vorgenommen?

c) Wie viele der Datensätze betrafen Einzelpersonen, wie viele Organisa-
tionen?

2. Wie oft wurde ein Ersuchen um Übermittlung von Daten aus der Visa-Warn-
datei gestellt, und wie viele Datensätze wurden übermittelt?

3. Welche Stellen haben ein Ersuchen um Datenübermittlung gestellt (bitte ge-
trennt für Auslandsvertretungen, Ausländerbehörden, mit der polizeilichen
Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragte Behörden ange-
ben)?

4. Für wie viele Stellen gilt das automatisierte Verfahren für die Eingabe und
den Abruf in der Visa-Warndatei nach § 9 Absatz 1 Satz 1 VWDG, und wie
viele Stellen waren es jeweils zu den Stichtagen 1. Juli 2013, 1. Januar 2014,
1. Juli 2014, 1. Januar 2015 und 1. Juli 2015?

5. Trifft die Angabe im Bericht der BfDI zu, dass rund 1 000 öffentliche Stellen
Nutzer der Daten sind, und
a) wie ist die exakte Zahl,
b) wie viele Stellen sind jeweils für die Übermittlung an die Visa-Warndatei

und für den Abruf von Daten berechtigt (bitte jeweils getrennt für Aus-
landsvertretungen, Ausländerbehörden, Polizeidienststellen, Dienststellen
des Zollfahndungsdienstes und Staatsanwaltschaften angeben),

c) wie hoch ist nach Kenntnis der Bundesregierung die Schnittmenge der
Stellen, die die Visa-Warndatei nutzen, mit den Stellen, die zugangs-
berechtigt zum Visa-Informationssystem (VIS) sind, und welche Stellen
haben jeweils nur Zugang zu einem der beiden Dateien bzw. Systeme?

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6. Sind der Bundesregierung signifikante Effekte der Visa-Warndatei in den
Deliktsbereichen, gegen die sich die Visa-Warndatei richten soll, bekannt,
und wenn nein, wird die Untersuchung solcher Effekte Gegenstand der
durch die Bundesregierung vorzunehmenden Evaluation sein?

7. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung zu der im Gesetzentwurf
versprochenen Beschleunigung von Visumverfahren an deutschen Aus-
landsvertretungen oder bei der Beantragung von Visa an Grenzübergangs-
stellen vor, und wird die Untersuchung solcher Effekte Gegenstand der
durch die Bundesregierung vorzunehmenden Evaluation sein?

8. Wird es auch hinsichtlich des Zugangs von Sicherheitsbehörden zum VIS
eine Evaluation durch die Bundesregierung bzw. das Bundesministerium
des Innern geben, und wenn nein, warum nicht?

9. In wie vielen Fällen wurden seit dem 1. Juni 2013 Visumsantragsdaten mit
der Antiterrordatei automatisiert abgeglichen, und
a) wie viele Treffer haben sich dabei ergeben,
b) in wie vielen Fällen eines Treffers haben speichernde Sicherheitsbehör-

den den Auslandsvertretungen Versagungsgründe oder Sicherheitsbe-
denken mitgeteilt,

c) in wie vielen Fällen unterblieb eine Mitteilung an die Auslandsvertretun-
gen oder wurde zur Erteilung eines Visum geraten, etwa weil ein über-
wiegendes Interesse der Sicherheitsbehörden an einer Einreise bestand?

10. Wie viele Datensätze enthält mit Stand 1. Juli 2015 die beim Bundeskrimi-
nalamt (BKA) geführte Datei zur Durchführung des Konsultationsverfah-
rens (Visa-KzB-Verfahren) nach § 73 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes?
a) Wie viele Datensätze sind in den Jahren 2013, 2014 und 2015 bis zum

30. Juni 2015 neu gespeichert worden?
b) Was löst jeweils die Speicherung in der Datei aus, und welche Angaben

enthalten die Datensätze gemäß der Errichtungsanordnung?
c) Zu wie vielen Abfragen mit wie vielen Einzelabfragen hat das BKA seit

dem Jahr 2011 Recherchen in der Datei Visa-KzB-Verfahren durch-
geführt, und für welche Dienststellen und Behörden (bitte nach Jahren
angeben)?

d) Für welche Staaten wird nach aktuellem Stand das Konsultationsverfah-
ren durchgeführt?

e) In wie vielen Fällen hat das Konsultationsverfahren zur Mitteilung von
Sicherheitsbedenken an deutsche Auslandsvertretungen geführt, und
welche anderen Maßnahmen wurden durch die Kenntnisnahme der Ein-
reise von potenziellen Gefährdern, Kontakt- und Begleitpersonen sowie
relevanter Personen ausgelöst (bitte nach Jahren seit 2011 auflisten)?

Berlin, den 5. August 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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