BT-Drucksache 18/5719

Werbung der Bundeswehr in Jobcentern und Arbeitsagenturen

Vom 5. August 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/5719
18. Wahlperiode 05.08.2015
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sabine Zimmermann (Zwickau), Katja Kipping,
Kersten Steinke, Azize Tank und der Fraktion DIE LINKE.

Werbung der Bundeswehr in Jobcentern und Arbeitsagenturen

Die Präsenz in Berufsinformationszentren, Jobcentern und Arbeitsagenturen ge-
hört für die Bundeswehr zum festen Bestandteil ihrer Personalwerbung. Anga-
ben der Bundesregierung zufolge wurde diese Werbetätigkeit in den letzten Jah-
ren erheblich ausgebaut: Im Jahr 2014 wurden an Jobcentern, Berufsinforma-
tionszentren und Arbeitsagenturen 1 000 Vorträge durch Karriereberater durch-
geführt (Bundestagsdrucksache 18/4525), gegenüber 500 bzw. 646 derlei
Veranstaltungen in den Vorjahren (Bundestagsdrucksache 17/14703 bzw. 18/
2325). Im Jahr 2014 wurden dabei insgesamt rund 20 000 Personen erreicht.
Diese Tendenz entspricht der in einer Kooperationsvereinbarung zwischen der
Bundeswehr und der Bundesagentur für Arbeit vom 9. Februar 2010 festgehal-
tenen Absicht, „auf dem Feld Personalgewinnung“ zu kooperieren, „um den
Streitkräften zeit- und bedarfsgerecht geeignetes Personal zuzuführen“. Auf
lokaler oder regionaler Ebene gab es bereits davor Kooperationsvereinbarungen.
Politische Beobachterinnen und Beobachter sehen den Versuch, die Rekrutie-
rungsprobleme der Bundeswehr durch die verstärkte Anwerbung von Erwerbs-
losen zu lösen, kritisch. Aus der soziologischen Forschung ist bekannt, dass sich
junge Menschen bevorzugt dann zu einem „Job“ bei der Bundeswehr überzeu-
gen lassen, wenn sich ihnen sonst keine realistische Möglichkeit auf einen
Arbeitsplatz bietet. „Wer berufliche Alternativen hat, geht nicht zur Bundes-
wehr […] Wer über ausreichende berufliche Chancen verfügt, zieht die Mög-
lichkeit, Soldat der Bundeswehr zu werden, gar nicht in Betracht“, so etwa Nina
Leonhard (in: Militärsoziologie – Eine Einführung, Wiesbaden 2005, S. 254.)
Michael Wolfssohn fasste dies in die Formel, die Bundeswehr setze auf den
„Prekarier in Uniform“ (DIE WELT, 16. Januar 2011). Auf diesen Umstand ist
aus Sicht der Fragesteller auch zurückzuführen, dass der Anteil von Soldaten,
die aus den neuen Bundesländern stammen, wo die Erwerbslosenrate höher ist,
den Anteil von Soldaten aus den alten Bundesländern übersteigt (vgl. Antwort
der Bundesregierung auf die Schriftliche Frage des Abgeordneten Dr. Roland
Claus vom 14. Juni 2011, Bundestagsdrucksache 17/6228).
In der Praxis bedeutet dies, dass die wirtschaftliche Not sozial Benachteiligter und
Marginalisierter dazu genutzt wird, sie für die Bundeswehr anzuwerben. Dort ist
es dann ihre Aufgabe, für vermeintliche „deutsche Interessen“ bzw., wie es der frü-
here Bundespräsident Horst Köhler formuliert hatte, für das Wohlergehen der
deutschen Exportwirtschaft zu kämpfen (DeutschlandRadio Kultur, 22. Mai
2010). Aus Sicht der Fragesteller verdeutlicht die Logik, die Armen für die Rei-
chen sterben zu lassen, den Klassencharakter der Bundeswehr.

Drucksache 18/5719 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Absicht verfolgt die Bundesregierung grundsätzlich mit ihrer Poli-

tik der Kooperationsvereinbarungen zwischen Arbeitsagenturen und der
Bundeswehr, sowohl auf zentraler als auch lokaler Ebene?

2. Welche Rolle kommt aus Sicht der Bundesregierung Arbeitsagenturen, Job-
centern und Berufsinformationszentren jeweils für die Sicherstellung des
Personalbedarfs der Bundeswehr zu?

3. Welche Arbeitsagenturen, Jobcenter und Berufsinformationszentren haben
derzeit Kooperationsvereinbarungen mit der Bundeswehr, und was sehen
diese konkret vor?

4. Wie hat sich die in der Kooperationsvereinbarung vom 9. Februar 2010 vor-
gesehene „Implementierung regional wirkender Netzwerke“ entwickelt
(bitte relevante Daten und Zahlen angeben)?

5. Wie beurteilt die Bundesregierung den Erfolg der bisherigen Kooperatio-
nen, und nach welchen Kriterien bemisst sie diesen?
Auf welche belastbaren Zahlen stützt sie sich dabei?
Welche Herausforderungen sieht sie in diesem Bereich gegenwärtig und zu-
künftig?

6. Wie viele Jobcenter, Arbeitsagenturen und Berufsinformationszentren gibt
es gegenwärtig in Deutschland?

7. An welchen Jobcentern, Arbeitsagenturen und Berufsinformationszentren
unterhält die Bundeswehr feste Büros, und an welchen nutzt sie andere Bü-
ros mit?
a) Worin besteht die Bürotätigkeit?
b) In welchem zeitlichen Umfang werden jeweils Sprechzeiten angeboten

(bitte jeweils pro Büro angeben)?
c) Wie viele Personen besuchen diese Sprechzeiten pro Jahr (bitte jeweils

pro Büro angeben)?
d) Welche Kosten fallen dabei für die Bundeswehr jährlich an (bitte pro

Büro bzw. Mitnutzung einzeln angeben)?
8. Nach welchen Kriterien erfolgte die Auswahl der jeweiligen Jobcenter, Ar-

beitsagenturen und Berufsinformationszentren?
9. An welchen Jobcentern, Arbeitsagenturen und Berufsinformationszentren

bietet die Bundeswehr regelmäßig Vorträge bzw. andere Formate der perso-
nalwerblichen Informationsarbeit an (bitte einzeln auflisten und zeitlichen
Rhythmus angeben)?

10. Wie viele Personen haben an den Vorträgen im vergangenen Jahr jeweils in
welchen Ortschaften teilgenommen bzw. wurden erreicht?

11. Wie bewertet die Bundesregierung den Erfolg der Arbeit der Karriereberater
an Jobcentern, Arbeitsagenturen und Berufsinformationszentren?
Welche Kriterien legt sie dabei an, und welche belastbaren Zahlen stehen ihr
dafür zur Verfügung?

12. Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung belastbare Zahlen oder seriöse
Schätzungen, wie viele Personen, die an Informationsveranstaltungen von
Karriereberatern in Jobcentern, Arbeitsagenturen und Berufsinformations-
zentren teilnehmen, sich später bei der Bundeswehr bewerben (bitte gege-
benenfalls präzisieren)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/5719
13. Welche anderen Formate der Personalwerbung außer Vortragsveranstaltun-
gen nutzen Karriereberater in Jobcentern, Arbeitsagenturen und Berufsin-
formationszentren, wie viele Personen wurden dabei in den Jahren seit 2010
jeweils erreicht (bitte pro Jahr und Format angeben), und welche Auflagen
hatten entsprechende Druckerzeugnisse usw.?

14. Inwiefern nehmen Mitarbeiter von Jobcentern, Arbeitsagenturen und Be-
rufsinformationszentren an Schulungen oder sonstigen Informationsange-
boten durch die Bundeswehr teil?
a) Was ist Sinn dieser Schulungen?
b) Wie viele solcher Veranstaltungen hat es in den Jahren seit 2010 jeweils

gegeben, welchen regionalen Schwerpunkt haben sie, und wie viele Mit-
arbeiter von Jobcentern, Arbeitsagenturen und Berufsinformationszen-
tren haben daran pro Jahr teilgenommen?

c) Wie bewertet die Bundesregierung den Erfolg dieser Schulungen, auf
welche Kriterien stützt sie sich dabei, und welche belastbaren Zahlen ste-
hen ihr dafür zur Verfügung?

d) Wie viele dieser Schulungen fanden innerhalb von Liegenschaften der
Bundeswehr statt?

15. Welche Formen des Erfahrungsaustausches von Bundeswehr, Wirtschaft
und Bundesagentur für Arbeit gibt es derzeit, und was sind die Schlussfol-
gerungen aus deren Arbeit?

16. Wie setzt sich der in der Kooperationsvereinbarung vom Februar 2010 er-
wähnte „Runde Tisch“ aus Arbeitsagentur und Bundeswehr derzeit zusam-
men?
a) Hat der „Runde Tisch“ wie vorgesehen jährlich Bericht über den Stand

der Zusammenarbeit erstattet?
b) Was war der wesentliche Inhalt dieser Berichte (bitte möglichst ausführ-

lich angeben)?
17. Kann die Bundesregierung angeben, wie häufig in den Jahren seit 2010 er-

werbsfähige Hilfebedürftige im Rahmen einer Eingliederungsvereinbarung
zum Besuch von Informationsveranstaltungen hinsichtlich ziviler Stellen
bei der Bundeswehr verpflichtet wurden (bitte ggf. pro Jahr und Ort ange-
ben)?

18. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus den bisherigen
Erfahrungen mit der Kooperation von Arbeitsagenturen und der Bundes-
wehr?
Inwieweit sind Modifikationen oder Neuerungen der Zusammenarbeit be-
absichtigt?

Berlin, den 5. August 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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