BT-Drucksache 18/5674

Fangmengen in der Fischerei

Vom 24. Juli 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/5674
18. Wahlperiode 24.07.2015
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, Steffi Lemke, Friedrich Ostendorff,
Annalena Baerbock, Matthias Gastel, Bärbel Höhn, Oliver Krischer,
Christian Kühn (Tübingen), Stephan Kühn (Dresden), Nicole Maisch,
Peter Meiwald, Markus Tressel und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Fangmengen in der Fischerei

Die am 1. Januar 2014 in Kraft getretene Grundverordnung der Gemeinsamen
Fischereipolitik (GFP) legt in Artikel 2 das Vorsorgeprinzip und den Ökosys-
temansatz zugrunde und gewichtet vor allem die ökologische Komponente des
Nachhaltigkeitsprinzips in der Fischerei. Sie setzt das Ziel, die Populationen fi-
schereilich genutzter Arten in einem Umfang wiederherzustellen und zu erhal-
ten, der oberhalb des Niveaus liegt, das den höchstmöglichen Dauerertrag er-
möglicht (BMSY). Zu diesem Zweck soll der Grad der Befischung, welcher den
höchstmöglichen Dauerertrag ermöglicht (FMSY), soweit möglich bis zum Jahr
2015, und unter allen Umständen schrittweise für alle Bestände bis spätestens
zum Jahr 2020 erreicht werden.
MSY steht für „Maximum Sustainable Yield“, also für einen höchstmöglichen
Dauerertrag eines Fischbestands. Damit wird die Menge bezeichnet, die einem
Fischbestand jährlich entnommen werden kann, ohne dessen Fortpflanzungs-
fähigkeit zu gefährden. Dabei wird unter anderem nach BMSY (Biomasse Fisch
in Tonnen zur besten Erreichung des MSY) und FMSY (Fangrate ausgedrückt in
fischereilicher Sterblichkeit auf MSY als Verhältnis MSY zu BMSY) unterschie-
den.
Die Festlegung und Einhaltung von bestandsspezifischen FMSY-Grenzwerten ist
für die nachhaltige Befischung und das Erreichen der GFP-Ziele von zentraler
Bedeutung. Ebenso trägt eine Nutzung unterhalb des FMSY-Grenzwertes dazu
bei, bis zum Jahr 2020 in den europäischen Meeren einen guten Umweltzustand
zu erreichen und die Auswirkungen der Fischerei auf das marine Ökosystem zu
minimieren.
Die GFP sieht des Weiteren vor, dass es nur dann gestattet sein sollte, diese Nut-
zungsgrade zu einem späteren Zeitpunkt zu erreichen, wenn durch ihr Erreichen
bis zum Jahr 2015 die soziale und wirtschaftliche Nachhaltigkeit der betreffen-
den Fischereiflotten ernstlich gefährdet würde. Liegen keine ausreichenden wis-
senschaftlichen Daten zur Festlegung dieser Niveaus vor, so können Näherungs-
werte in Betracht gezogen werden. Dies ist im Einklang mit dem UN-Fischerei-
abkommen (Übereinkommen vom 4. Dezember 1995 zur Durchführung der
Bestimmungen des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen vom
10. Dezember 1982 in Bezug auf die Erhaltung und Bewirtschaftung gebiets-
übergreifender Fischbestände und weit wandernder Fischbestände), welches
ebenfalls FMSY als einen Grenzwert für eine nachhaltige Befischung und nicht
als einen Zielwert interpretiert (Absatz 2, Anlage II).

Drucksache 18/5674 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Trotz der in Kraft getretenen Reform und den damit verbundenen Verpflichtun-
gen für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union, wird etwa die Hälfte der
europäischen Bestände nach Auffassung der Fragesteller weiter überfischt. Die
Analyse des Europäischen Wissenschafts-, Technik- und Wirtschaftsausschus-
ses für Fischerei (STECF 2015: Monitoring the performance of the Common
Fisheries Policy) zeigte für das Jahr 2013 eine zu hohe fischereiliche Sterblich-
keit für 30 von 62 Beständen auf. Das heißt, für diese Bestände lag der Grad der
Befischung oberhalb des vorgesehenen FMSY-Grenzwertes. Gleichzeitig befand
sich eine erhebliche Anzahl von Beständen (38 von 62) außerhalb sicherer bio-
logischer Grenzen. Deren Biomasse war also so gering, dass sowohl der Fort-
bestand als auch der Wiederaufbau des Bestands gefährdet war. Ebenso wird
festgestellt, dass im letzten Jahr die politisch festgelegten Fangmöglichkeiten
stärker die wissenschaftlich empfohlenen Höchstfanggrenzen überschritten,
statt ihnen zunehmend zu entsprechen, wie in der GFP vorgesehen.
Aufgrund dieser Entwicklungen ist die Positionierung der Bundesregierung in
Bezug auf die Fangmengenpolitik im Rahmen der GFP von allgemeinem Inte-
resse.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. a) Inwieweit und mit welchen Maßnahmen unterstützt die Bundesregierung

das Ziel, alle Populationen fischereilich genutzter Arten in einem Umfang
wiederherzustellen und zu erhalten, der oberhalb des Niveaus liegt, das
den höchstmöglichen Dauerertrag ermöglicht (>BMSY)?

b) Inwieweit setzt sich die Bundesregierung dafür ein, dass das Ziel auch für
all jene Bestände erreicht werden muss, die durch einen Mehrjahresplan
abgedeckt werden sollen, und für welche Bestände soll dies gelten?

2. a) Wird die Bundesregierung im Rahmen der Festsetzung der Fangmöglich-
keiten für das Jahr 2016 das in Frage 1 genannte Ziel im vollen Maß
unterstützen und sich somit dafür einsetzen, den Grad der Befischung für
alle Bestände unterhalb des entsprechenden FMSY-Grenzwertes zu halten?

b) Erwägt die Bundesregierung für einzelne Bestände eine Überschreitung
oder Ausnahmen vom FMSY-Grenzwert, und wenn ja, für welche Be-
stände, und auf welcher rechtlichen Grundlage?

c) Wie wird die Bundesregierung sicherstellen, dass der Grad der Befischung
für alle von Deutschland mitbewirtschafteten Beständen bis zum Jahr
2015, soweit möglich, und unter allen Umständen schrittweise bis spätes-
tens zum Jahr 2020 den entsprechenden Grenzwert (FMSY) nicht über-
schreitet?

3. Erwägt die Bundesregierung einen Aufschub der FMSY-Zielsetzung über das
Jahr 2016 hinaus, und wenn ja, für welche Bestände, und mit welcher Be-
gründung?

4. Hat die Bundesregierung im Jahr 2014 Informationen vorgelegt, um einen
Aufschub zu begründen und aufzuzeigen, dass ein Erreichen der FMSY-Ziel-
setzung im Jahr 2015 die soziale und wirtschaftliche Nachhaltigkeit der
betreffenden Fischereiflotten ernstlich gefährden würde?
Wenn ja, welche, und wenn nein, warum nicht?

5. Inwieweit und mit welchen Maßnahmen setzt sich die Bundesregierung dafür
ein, Aufschübe für das Erreichen der FMSY-Zielsetzung nur dann zu gestat-
ten, wenn diese angemessen begründet wurden und Pläne vorliegen, wie und
bis wann die FMSY-Zielsetzung für diese Bestände erreicht wird?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/5674
6. Mit welchen Maßnahmen unterstützt die Bundesregierung die Vereinba-
rung bzw. den Beschluss des Rates der Europäischen Union vom 13. Okto-
ber 2014, den Grad der Befischung für den Dorsch in der westlichen Ostsee
im Jahr 2016 nicht den FMSY-Grenzwert von F=0,26 überschreiten zu las-
sen?

7. a) Inwieweit unterstützt die Bundesregierung die Vereinbarung zwischen
der Europäischen Kommission und dem Rat, die Fanggrenzen für 26 da-
tenarme Bestände unverändert zu lassen, so lange sich die Bewertung
des Zustandes der Bestände nicht stark ändert (bitte begründen)?

b) Inwieweit vertritt die Bundesregierung die Auffassung, dass diese Ver-
einbarung mit dem Vorsorgeansatz, wie in den Artikeln 2.2 und 4 der
Grundverordnung der GFP festgeschrieben, in Einklang steht (bitte be-
gründen)?

c) Wie und in welchem zeitlichen Rahmen beabsichtigt die Bundesregie-
rung, die von Deutschland mitbewirtschafteten und unter dieses Abkom-
men fallenden Bestände (z. B. Blauleng) oberhalb des BMSY-Niveaus
wiederherzustellen und zu erhalten?

8. a) Für welche der von Deutschland mitbewirtschafteten Bestände wurden
die hierzulande zugeteilten Fangmengen in den letzten drei Jahren aus
welchem Grund nicht gänzlich ausgeschöpft, und welche Größenord-
nungen betraf dies jeweils?

b) Welche der von Deutschland mitbewirtschafteten Bestände befinden
sich derzeit (im Jahr 2015) oberhalb des BMSY-Niveaus?

c) Bei welchen von Deutschland mitbewirtschafteten Beständen ist eine
Berechnung des BMSY-Referenzwertes derzeit nicht möglich, und aus
welchen Gründen?

9. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung getroffen, um sicherzustellen,
dass Informationen über den Zustand der Fischbestände im Vergleich zur
Referenzgröße BMSY vorliegen?

10. Inwieweit setzt sich die Bundesregierung dafür ein, dass zukünftige Mehr-
jahrespläne eine Bandbreite von FMSY-Werten beinhalten können, der Grad
der Befischung den Grenzwert FMSY aber nicht überschreiten darf?

11. Aus welchen Gründen und auf welcher rechtlichen Grundlage stimmte die
Bundesregierung im Rahmen des Ausschusses der Ständigen Vertreter der
EU-Mitgliedstaaten (COREPER) für eine partielle Ausrichtung des vor-
geschlagenen Mehrjahresplans in der Ostsee, welche für einzelne Arten
Erhaltungsziele unterhalb des Bestands-Niveaus (BMSY) festlegt und eine
Befischung oberhalb des FMSY-Grenzwertes erlauben würden (bitte genaue
Erläuterung mit Hinweisen auf die relevanten Vorschriften der GFP-Grund-
verordnung)?

12. a) Inwiefern ist die Bundesregierung der Auffassung, dass nur dann der An-
landung von Fängen bei der Festsetzung der Höchstfangmengen Rech-
nung getragen werden soll, wenn der ganze jeweilige Bestand unter die
Anlandeverpflichtung fällt (bitte begründen)?

b) Welche Lösung favorisiert die Bundesregierung, um einen Anstieg der
fischereilichen Sterblichkeit bei den Beständen zu vermeiden, die nur
partiell unter die Anlandeverpflichtung fallen?

c) Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen, um sicherzustel-
len, dass alle Fänge voll dokumentiert werden?

Drucksache 18/5674 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
d) Inwieweit unterstützt die Bundesregierung zur Sicherstellung einer
effektiven Umsetzung der Anlandeverpflichtung die flächendeckende
Einführung von „remote electronic monitoring“ (CCTV; bitte begrün-
den)?

13. Inwieweit und mit welchen Maßnahmen setzt sich die Bundesregierung da-
für ein, zu evaluieren, ob die derzeitige Grundlage wissenschaftlicher Emp-
fehlungen vom Internationalen Rat für Meeresforschung (ICES. 2014.
Advice basis. In Report of the ICES Advisory Committee 2014. ICES
Advice, 2014. Book 1. Section 1.2.) ausreichend ist, um alle Populationen
fischereilich genutzter Arten in einem Umfang wiederherzustellen und zu
erhalten, der oberhalb des Niveaus liegt, das den höchstmöglichen Dauerer-
trag ermöglicht (>BMSY)?

14. Inwieweit setzt sich die Bundesregierung dafür ein, unverzüglich fischerei-
liche Maßnahmen zu ergreifen, sobald Fischbestände unter die Referenz-
größe BMSY fallen, um sie wieder auf das BMSY-Niveau herzustellen und
dort zu halten?

15. Wie und in welchem Rahmen wird die Bundesregierung darüber beraten,
wie weit Populationen fischereilich genutzter Arten oberhalb des Niveaus
für den höchstmöglichen Dauerertrag (BMSY) wiederhergestellt und erhal-
ten werden sollen?
Ist es vorgesehen, die Ergebnisse solcher Beratungen öffentlich zugänglich
zu machen?

Berlin, den 24. Juli 2015

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.